Georg Oeder (1846 – 1931), einer der ersten Sammler japanischer Kunst in Deutschland.
Einfluss und Schicksal seiner Sammlung und Das Junge Rheinland

Claudia Delank

Georg Oeder (1846 - 1931), Landschaftsmaler und Sammler japanischer Kunst 

Einer der ersten Privatsammler japanischer Kunst in Deutschland war der Düsseldorfer Landschaftsmaler Georg Oeder, der bereits in den 1880er Jahren eine Sammlung japanischer Farbholzschnitte, Schwertstichblätter (tsuba) und Keramik angelegt hatte. Was Oeder zur ostasiatischen und vor allem zur japanischen Kunst zog, „war nicht das fremdartige noch viel weniger eine Mode – denn er sammelte schon, einer der ersten in Deutschland, als diese Mode noch nicht durchgedrungen war – ihn lockte vielmehr der unbeirrbare Geschmack, der sie auszeichnete“ so Karl Koetschau in seinem Nachruf zu Oeder.[1]

 

1846 in Aachen geboren, widmete sich Georg Oeder zunächst der Landwirtschaft und ab 1868, als er mit der Düsseldorfer Malerschule in Berührung kam, als Autodidakt der Malerei. 1869 siedelte er nach Düsseldorf über. Innerhalb der Düsseldorfer Malerschule war er einer der ersten, der "intime Landschaften" malte (Abb. 1). Seine Motive entnahm er der heimatlichen niederrheinischen Gegend. Wegen eines starken Kopfleidens gab er in den 1890er Jahren die Malerei jedoch gänzlich auf und widmete sich fortan vor allem seiner Kunstsammlung. Sein Palais in der Jacobistraße 10, das er 1871-73 nach Plänen von Hubert Jacobs und Gottfried Wehling hat bauen lassen, war direkt neben dem Künstlerverein Malkasten gelegen (Abb. 2). Es bildete einen großbürgerlichen Rahmen für seine Japansammlung und galt als Musterbeispiel einer mit feinstem Kunstsinn ausgestatteten Häuslichkeit, in der fast jeder Schmuck nach eigenen Entwürfen hergestellt war. Oeders Sammlung japanischer Kunst war nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt. Wegen seines sicheren Urteils in Fragen des Geschmacks galt er als "Arbiter Elegantiarum", als Geschmacksrichter.

 
Abb. 1 Georg Oeder, Herbstliche Birken am Bach, ca. 1880, Öl auf Leinwand, 92 x 86,5 cm, Privatbesitz.
Abb. 2 Haus Oeder an der Jacobistraße in Düsseldorf, im Zweiten Weltkrieg zerstört

Laut Otto Kümmel, dem ersten Direktor des 1906 gegründeten Berliner Museums für Ostasiatische Kunst, der häufig Gast im Hause Oeder war und der 1943 auch den Katalog der Versteigerung von Oeders Holzschnittsammlung in Wien verfasste, wurde die Sammlung „in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts begonnen, in den neunziger Jahren ausgebaut und auf den großen Pariser Versteigerungen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts um einzelne besonders kostbare Blätter bereichert“.[2]

 

Diese für deutsche Verhältnisse früh angelegte, qualitativ hochwertige Sammlung enthielt neben Keramik, Bronzen, Schwertstichblätter (tsuba), Netsuke und Lacken eine repräsentative Sammlung japanischer Farbholzschnitte. Holzschnitte von den Anfängen der ukiyo-e über Meister der ersten Blütezeit wie Harunobu, Koryusai und Shunsho und erstklassigen Blättern der klassischen Meister Sharaku und Utamaro, bis zu den Landschaftsholzschnitten von Hokusai und Hiroshige. Wie in vielen Sammlungen japanischer Kunst fehlten Malerei und Plastik gegen Ende des 19. Jahrhunderts hingegen noch fast völlig.

 

Oeders umfangreiche Sammlung war Besucherinnen und Besuchern in seiner Villa am Hofgarten zugänglich.
Der Dichter Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) hat bereits 1888 in einem Brief an Lou Andreas-Salome vom Besuch der Sammlung Oeder in Düsseldorf berichtet: „Ein Tag im Haus eines Japan-Sammlers über Stichen und Drucken von Utamaro, Kionaga, Hokusai. Ein Tag über den 13 Bänden der Manga und hernach wieder Düsseldorfer“.[3] Oeder zeigte seine Sammlung Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch nicht nur in Düsseldorf, sondern zum Beispiel auch im Museum für Angewandte Kunst in Köln und im Kunstgewerbemuseum in Dresden.
Auch einigen Malern des Jungen Rheinland, vor allem den beiden Brüdern Otto (1877 – 1949) und Karl Sohn-Rethel (1882 – 1966), war die Sammlung Oeder bekannt. Otto Sohn-Rethel sammelte selbst ostasiatische Schriften und Malerei, vor allem aber indische Miniaturen.

 

Wie eingangs erwähnt, gehörte Georg Oeder zu den ersten Sammlern japanischer Kunst in Deutschland. Während die Avantgarde der Maler in Paris die japanischen Holzschnitte im ausgehenden 19. Jahrhundert als Inspiration für neue künstlerische Ausdrucksmittel in ihrer eigenen Malerei entdeckten, beschränkte sich Oeder, der zu Beginn seiner Sammeltätigkeit selbst noch als Maler aktiv war, indes vor allem auf das Sammeln der japanischen Kunst.
Ein um 1896 entstandenes, vermutlich im Zweiten Weltkrieg zerstörtes Gemälde von Max Volkhart (1848 - 1924) zeigt Georg Oeder inmitten seiner Sammlung (Abb.3).

 

Volkhart hat Oeder en face in einem Sessel sitzend vor einem japanischen Stellschirm positioniert, neben ihm, auf dem Boden, eine offene Mappe mit japanischen Holzschnitten. Auf einem Tisch, der vom Bildrand beschnitten wird, stehen eine japanische Vase und eine Teeschale. Das Gemälde zeigt einen feinsinnigen, gepflegten Connaisseur, umgeben von japanischen Kunstschätzen und erinnert den Betrachter zugleich an Manets Porträt von Émile Zola aus dem Jahr 1866 (Abb. 4), ein programmatisches Gemälde Manets, das als japanische Zitate einen Stellschirm und einen Holzschnitt zeigt. Es ist eine Hommage an den Freund, der 1866 Manets Malerei verteidigte, als sie vom Salon zurückgewiesen wurde. Manets Bildnis von Émile Zola, in dem der Künstler sich zu den Anregungen der japanischen Farbholzschnitte bekennt, war in ganz Europa bekannt. Volkharts Porträt von Oeder spielt also erkennbar auf das Bildnis Zolas an und zitiert den von Manet verwendeten japanischen Stellschirm im Hintergrund ebenso wie die Holzschnitte.

 

Wichtig für Georg Oeders Netzwerk war insbesondere Friedrich Deneken, der erste Direktor des Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld und Begründer der dortigen Japansammlung (Abb. 5). Ihres Vorbildcharakters wegen baute Friedrich Deneken in Krefeld eine Sammlung japanischen Kunsthandwerks auf, die den Schwerpunkt auf Farbholzschnitte legte, zu der aber auch Färberschablonen, illustrierte Bücher, Keramik, Netsuke, Inro und Schwertstichblätter, sowie Samurai-Rüstungen gehörten.
In Denekens 1897 erschienener Publikation „Japanische Motive für die Flächenverzierung“, schreibt er prophezeiend über die „Wirkkraft der japanischen Kunst“: 
„Alles deutet darauf hin, dass für die Gegenwart Natur- und Japanstudien die Leben gebenden Mächte sind, aus denen eine neue, frei und persönlich schaffende Kunstarbeit erblühen wird.“[4]

 
Abb. 5 Friedrich Deneken (1857 – 1927), erster Direktor des Kaiser–Wilhelm-Museums, Krefeld

Zu Denekens Quellen für den Erwerb japanischer Kunst gehörten neben Justus Brinckmann, der 1874 Gründungsdirektor des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg gewesen ist, auch der Sammler Georg Oeder und die beiden Pariser Händler Samuel Bing und Tadamasa Hayashi. Bing war teilweise direkt an der Konzeption von Krefelder Ausstellungen beteiligt. So bestückte er etwa 1901 in Krefeld fast exklusiv eine Verkaufsausstellung mit japanischem Kunsthandwerk und Farbholzschnitten, die im Anschluss nach Köln und Darmstadt wanderte.

 

Justus Brinckmann schrieb eine Einführung für den Katalog der großen Industrie- und Kunstausstellung in Düsseldorf 1902, bei der auch die japanischen Sammlung von Georg Oeder gezeigt wurde. Die Düsseldorfer Ausstellung war nach dem Vorbild der Weltausstellung 1900 in Paris inszeniert worden, da nach Meinung der Initiatoren das Rhein-Ruhr-Gebiet nicht zu Genüge auf der Pariser Weltausstellung repräsentiert gewesen sei. In einer Fotodokumentation sind die Räume der Ausstellung abgebildet: Die Oedersche Sammlung war in einem kleinen Kabinett mit einer Vitrine und mehreren Regalen präsentiert. An den Wänden hingen dicht gedrängt die Holzschnitte und Masken. Im Vergleich dazu wirkten die repräsentativen Räume mit den deutschen Gemälden und dem Kunsthandwerk pompös, der kleine Raum der Japansammlung wie eine Insel (Abb. 6).

 
Abb. 6 Präsentation der japanischen Sammlung Oeder auf der Deutsch-Nationalen Kunstausstellung Düsseldorf 1902, Foto: Katalog

Ein wesentlicher Teil der Sammlung Oeder ­ist im Zweiten Weltkrieg von russischen Soldaten nach Russland verbracht worden; nur einen Teil der Oederschen Sammlung, u.a. ca. 2000 tsuba, konnte Otto Kümmel zusammen mit dem Bestand des Museums für Ostasiatische Kunst in Berlin sicherstellen.[5] 1990 wurde im deutsch-sowjetischen Vertrag die erste grundlegende Vereinbarung über die Rückführung von Kulturgütern getroffen, und bereits Anfang 1993 fanden in Dresden die ersten offiziellen Verhandlungen bezüglich der Rückführung statt – diese führten jedoch bis heute zu keinem konkreten Ergebnis.[6]

 

Oeders Einfluss auf das zeitgenössische Kunsthandwerk

Selbst nicht mehr als Maler aktiv, schuf Oeder Ende der 1890er Jahre zahlreiche Entwürfe für das Kunsthandwerk, die allerdings nicht mehr erhalten sind.
Für seine Sammlung japanischer Schwertstichblätter (tsuba) und Keramik hat er eigens Schränke entworfen, bei denen unter Verwendung von Xylektypon-Holz florale Reliefdekore in Form von Löwenzahn auf die Holztüren angebracht wurden. Er hat damit einen ganz eigenen Jugendstil entworfen und, angeregt durch die japanischen Vorbilder auf Keramik und tsuba und aus illustrierten Büchern, eine heimische Pflanze, den Löwenzahn, als Dekormotiv ausgewählt. Die Motivwahl entspricht den Themen seiner Landschaftsmalerei, nämlich den unspektakulären Wald-und Bruchlandschaften des Niederrheins.

 

Dass sich Oeder überhaupt mit Möbelentwürfen befasst hat, mag durch den anglo-japanischen Stil von Christopher Dresser oder Charles Macintosh angeregt worden sein. Justus Brinckmann hat für seine Sammlung japanischer Kunst im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg diese Schränke aus der Düsseldorfer Tischlerei übernommen, im Jahresbericht 1909 schreibt er, dass die „von Herrn Prof. G. Oeder in Düsseldorf für seine japanischen Sammlungen entworfenen Schränke ein willkommenes Vorbild boten“.[7] Anlässlich der bereits erwähnten „Industrie- und Gewerbeausstellung Düsseldorf“ 1902, hat der Silberschmied C.A. Beumers einen Katalog mit Abbildungen von Silberkunsthandwerk herausgegeben, in dem mehrfach der Vermerk erscheint, „nach Angabe von Professor Oeder“ ausgeführt oder Objekte mit dem Hinweis versehen sind „Entwurf von Professor Oeder“,[8] wie bei zwei Emaillevasen im japanischen Geschmack“ (Abb.7). In der Sammlung Oeder befand sich eine viereckige Keramikschale mit grauer krakelierter Glasur und Pflaumenblütendekor des berühmten japanischen Töpfers und Malers Ogata Kenzan (1663 – 1743) sowie eine kleine Teekanne mit demselben Dekor (Abb.8). Der Pflaumenzweig auf der kleinen Teekanne aus hellgrauem Ton mit seitlichem Röhrengriff kann ihm als Vorbild für den Entwurf der zwei Vasen gedient haben. Gerade an diesen Beispielen seines Einwirkens auf das deutsche Kunsthandwerk setzte Oeder die auch von ihm durch die Ausstellung seiner japanischen Sammlung propagierte Forderung der geschmackshebenden Funktion der japanischen Kunst in die Praxis um.

 

Oeders Einfluss auf die bildende Kunst am Beispiel Heinrich Nauen

Heinrich Nauen gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des sogenannten Rheinischen Expressionismus. Sein reiches Werk umfasst Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und druckgraphische Werke sowie monumentale Wandbilder. Nach Kriegsende gehörte Nauen im Frühjahr 1919 zu den Mitbegründern der Künstlergruppe Das Junge Rheinland.
Nauen stammte aus einer Krefelder Bäckerfamilie und hatte schon früh den Wunsch, Maler zu werden. 1898 wurde er an der Düsseldorfer Kunstakademie aufgenommen, an der er von 1921 bis 1937 selbst als Professor wirkte. Nach dem vorübergehenden Besuch einer privaten Kunstschule in München (1899) setzte er sein Studium auf Anraten des Krefelder Museumsdirektors Friedrich Deneken an der Stuttgarter Akademie bei Graf Leopold von Kalckreuth (1900 – 1902) fort. 1900 besuchte Nauen die Weltausstellung in Paris und sah dort japanische Kunst, vor allem japanische Farbholzschnitte. Zugleich begann er sich auch mit der Rezeption dieser Vorbilder in der französischen Moderne zu beschäftigen.

 

Der Einfluss van Goghs auf das Werk Nauens war sehr stark, die Auseinandersetzung mit dem Vorbild van Gogh aber durchaus ambivalent. Einerseits bekundete Nauen seine Nähe zu dem Maler und hielt fest: „Mir war, als nähme mich ein gleichen Wegs daher gehender Freund bei der Hand und zöge mich eine Strecke mit“. Als ihm die Anlehnung an van Goghs Malerei in Berlin aber als „billiges plagieren“ angekreidet wurde, stellte Nauen andererseits fest: „Ich habe Momente gehabt, wo ich van Gogh haßte, weil ich fühlte, dass er mein Wesen erdrückte“.[9]

 

1912 beteiligte sich Heinrich Nauen in Köln an der legendären „Sonderbundausstellung“ und 1913 an der von August Macke initiierten Ausstellung „Die Rheinischen Expressionisten“ in der Buchhandlung Cohen in Bonn. Seine erste Einzelausstellung richtete ihm der führende Avantgarde-Kunsthändler Alfred Flechtheim 1914 in seiner Düsseldorfer Galerie aus. Dort wurde Nauens monumentaler Gemäldezyklus für die Burg Drove bei Düren präsentiert. Den Auftrag dazu hatte Nauen 1912 vom Aachener Kunsthistoriker Edwin Suermondt erhalten. Zwei Jahre war der Künstler mit der Ausführung von sechs großformatigen Leinwänden beschäftigt, die als sein expressionistisches Hauptwerk gelten.

 

Die Bilder des „Drove-Zyklus“ („Amazonenschlacht“, „Grablegung Christi“, „Der Garten“, „Die Ernte“, „Der Besuch“, „Die Badenden“) befinden sich heute im Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld. Das Bild „Der Besuch“ von 1913 (Abb.9) ist das einzige, das einen japanischen Farbholschnitt zitiert und auch in der Komposition der gemusterten Flächen an japanische ukiyoe erinnert. Das ganze Bild ist mit einem Flächenmuster gefüllt, von ausschnitthaft versetzten, unterschiedlich gemusterten Farbflächen überzogen. Das Hinter-, und Nebeneinandersetzten von verschiedenen gemusterten Farbflächen bei Verzicht auf eine zentralperspektivische Raumaufteilung ist ein besonderes Gestaltungsmerkmal in der japanischen Kunst, das Nauen hier aufgreift. Sowohl die dem Gegenstand oder den Figuren zukommenden Fläche als auch die Fläche, die zwischen den Gegenständen liegt, erhält gleiches formales und farbliches Gewicht.

 
Abb. 9 Heinrich Nauen, Der Besuch (Interieur), 1913, Öl auf Leinwand, 210 x 260 cm, Kunstmuseen Krefeld

Im Zentrum des Bildes steht eine schwarz gekleidete Frauenfigur mit Hut (der Besuch), die sich in einer eleganten Bewegung die gelben Handschuhe abstreift. Um sie herum sind gleichberechtigt farbige Gegenstände und Figuren in das Flächenmuster integriert.
Vorbild für dieses Gemälde von Heinrich Nauen waren offensichtlich die Interieur-Szenen „Le studio rouge“ (1911) oder „La chambre rouge“ (1908) von Henri Matisse.

 

Die mit Mustern versehenen Möbel auf Nauens Gemälde sind flächig ineinandergeschoben, wobei drapierte Tücher das Volumen der Gegenstände aufheben. Die gleichzeitige Darstellung unterschiedlicher Blickwinkel trägt ebenfalls zur flächigen Wirkung bei, ganz wie auf dem Matisse-Gemälde „La famillie du peintre“ von 1911, das Nauen auch zu der eleganten schwarz gekleideten Frau inspiriert haben mag. Das von Matisse häufig verwendete Prinzip, eigene Gemälde als dekorative Fläche in ein anderes Gemälde zu integrieren, findet bei Nauen durch Einfügen eines japanischen Bildes eine Parallele. Die Gemälde von Matisse wurden anlässlich der Eröffnungsausstellung in der Galerie Flechtheim 1913 in Düsseldorf gezeigt und sind auch im Katalog abgebildet, waren Nauen also gut bekannt.

 

Um die zentrale schwarz gekleidete Frauenfigur auf dem Gemälde „Der Besuch“ sind drei weitere Frauen sowie ein Kleinkind gruppiert, eingebettet in die sich abgrenzenden Flächenmuster von Stellschirm, Tapete, Teppich und Kaminschirm. Auf einem mit rotem Stoff bezogenen Canapé sitzt die Dame des Hauses in einem gelben kimono-artigen Gewand mit grünem Überwurf, in der Hand ein rotes Buch haltend. Hinter ihr befindet sich eine rosafarbene Wand, eine Pflanze und eine chinesische Malerei. Davor ist ein Tisch mit dunkelroter Decke und einer lilafarbenen Vase mit japanischem Kirschzweig gemalt und ein von dem Besuch gerade abgelegter Rosenstrauß in weißem Papier. Hinter der schwarzen Frauenfigur im Zentrum ist eine lilafarbene gemusterte Tapete, sowie schräg neben ihr die weißbeschürzte Haushälterin mit Blumentopf in den Händen, eingefasst von einem blumig gemusterten japanischen Stellschirm, dessen Muster wiederum von einer lupinien-artigen Pflanze in einem blauweißen Porzellantopf gekreuzt wird. Davor kniet ein Kindermädchen in rotem Kleid und grüner Stola, ein kleines Mädchen im Arm haltend, von dem nur der blonde Kopf und ein Arm zu sehen sind und das durch sein gelbblondes Haar in das gelbgrundige Muster des Stellschirmes übergeht. Eine spielende Katze auf einem bunten Kissen und ein kleiner Hund auf dem roten Fußboden komplettieren die Szene. Am unteren linken Bildrand befindet sich ein Kaminschirm mit blauem Hintergrund. Darauf dargestellt ist eine japanische Szene, die für weitere Dynamik im Bild sorgt: eine hockende Japanerin in rot gemustertem Kimono mit grünem Rock säugt einen Knaben. Bisher galt ein japanischer Farbholzschnitt aus der Sammlung, die Friedrich Deneken für das Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld gekauft hatte, als Vorlage für diesen Kaminschirm (Abb. 10).[10] Da Nauen mit Deneken bekannt war, ist es sogar sehr gut möglich, dass er diesen und noch andere Farbholzschnitte aus den Beständen des Museums für sein Atelier ausleihen konnte.

 
Abb. 10 Sadatora Yanosuke, Kaiko itonani zue (Bilder vom Seidenzuchtbetrieb), Mittelteil eines Tryptichons, 1830, Kunstmuseen Krefeld
Abb. 11 Kitagawa Utamaro, Vor dem Spiegelständer, ca. 1799/1800, Farbholschnitt, Hagi Uragami Museum, Japan, ehem. Sammlung Max Liebermann
Abb. 12 Detail aus: Heinrich Nauen, Der Besuch, 1913.

Nach neuen Erkenntnissen stand jedoch ein Farbholzschnitt von Utamaro aus dem ehemaligen Besitz von Max Liebermann (Abb. 11 und 12) Pate, der eine detailgenaue Kopiervorlage für die Szene auf dem Kaminschirm bildet. Wie dieser Farbholzschnitt in den Besitz bzw. in die Hände von Heinrich Nauen gelangte, bleibt noch zu klären. Denkbar ist, dass über den Galeristen Alfred Flechtheim, bei dem sowohl Nauen als auch Liebermann ausstellten, der Kontakt, Bilderwerb oder -tausch zustande gekommen sein könnte. Im Jahr 1910 hing im „Salon des Indépendants“ in Paris Heinrich Nauens Bild „Die Ernte“ (1909, Kunstmuseum Bonn) und Henri Matisse schrieb Nauen einen begeisterten Glückwunsch zu diesem Bild. Der Kunsthändler Alfred Flechtheim, der Nauens Bilder in seiner 1913 in Düsseldorf eröffneten Galerie ausstellte, interpretiert in einem Rückblick Matisses Begeisterung für Nauens expressionistische Malerei, in der „schon eine eigene Note, ein Deutschtum vielleicht, vielleicht mehr Niederrheinisches-Holländisches, jedenfalls etwas Unfranzösisches, aber auf französischer Tradition Aufbauendes zu erkennen war.“ Ebenso wie van Gogh war Matisse für Nauens Malerei und insbesondere für den „Drove-Zyklus“ von bedeutendem Einfluss.

 

Neben Heinrich Nauen haben sich auch Walter Scheiwe, Walter Ophey, Otto Pankok, Adolf Uzarski und auch Arthur Kaufmann als Mitglieder des Jungen Rheinland in ihrer Malerei von japanischen Holzschnitten beeinflussen lassen.[11] Ob sie mit Georg Oeder diesbezüglich in Kontakt standen, bleibt noch zu klären. Da Georg Oeder als einer der ersten im Rheinland japanische Kunst gesammelt hat und er als Maler Mitglied der Kunstakademie und der Künstlervereinigung Malkasten in Düsseldorf war, wussten Künstlerinnen und Künstler im Rheinland, dass er eine Japan-Sammlung besaß, die er ja auch öffentlich zur Schau gestellt hat. Die Brüder Sohn-Rethel, beide auch als Maler und Sammler tätig, waren Mitglieder des Jungen Rheinland, kannten seine Sammlung und haben auch zur Verbreitung des Wissens um die Sammlung unter den Künstlern des Jungen Rheinland beigetragen. Die Maler und Mitglieder des Jungen Rheinland Walter Ophey und Otto Pankok haben japanische Kunst gesammelt und sich von ihr in ihrem Werk inspirieren lassen. Wahrscheinlich hat auch Georg Oeders Japan-Sammlung maßgeblich dazu beigetragen, dass sich einige Maler des Jungen Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg mit japanischer Kunst auseinandergesetzt haben.