Christen unter muslimischer Herrschaft

Kanones-Sammlungen aus dem mittelalterlichen al-Andalus

Projektleitung

Prof. Dr. Ana Echevarría
Dr. Matthias Maser

Institutionen

Nationale Fernuniversität Madrid (UNED)
Alexander-Friedrich-Universität Erlangen-Nürnberg

Förderung

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Forschungsprojekt durch die Gewährung eines Promotions- sowie zweier Forschungsstipendien. Sie übernimmt außerdem Reise- und Sachkosten zur Ausrichtung von Tagungen und Workshops.

Die interdisziplinäre Forschungsgruppe um Prof. Dr. Ana Echevarría und Dr. Matthias Maser untersucht unter neuen Gesichtspunkten die Geschichte der Christen im muslimisch beherrschten Süden des mittelalterlichen Spaniens. Als im Jahr 711 umayyadische Truppen das Westgotenreich auf der Iberischen Halbinsel eroberten, geriet die einheimische Bevölkerung unter muslimische Herrschaft. Ihnen kam in der zunehmend islamisch-arabisch geprägten Gesellschaft von al-Andalus nur noch eine untergeordnete soziale Stellung zu. Auf den wachsenden Anpassungsdruck reagierten viele südspanische Christen entweder mit Konversion zum Islam oder mit Abwanderung in die christlich beherrschten Reiche im Norden der Iberischen Halbinsel. Jene einheimischen Bevölkerungsteile aber, die in al-Andalus blieben und weiterhin ihrer christlichen Religion nachgingen, durchliefen ab der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts eine tiefgreifende sprachliche und kulturelle Arabisierung. Während frühere Forschungsansätze diese Akkulturationsprozesse oft als Phänomen des Identitätswechsels oder gar -verlustes beschrieben, deuten neuere Zugriffe sie als produktive Hybridisierungen und transkulturelle Übersetzungsprozesse, die es den andalusischen Christen überhaupt erst ermöglichten, ihre kulturell-religiöse Sonderidentität zu artikulieren und zu behaupten.

Eines der interessantesten Beispiele für diese sprachlich-kulturelle Adaption der christlichen Text- und Traditionsbestände bietet die aus dem elften Jahrhundert überlieferte arabische Fassung der Hispanischen Kirchenrechtssammmlung, die es nur in einer einzigen Handschrift gibt. Der Text ist eine Quelle ersten Ranges für die Frage nach den Lebensumständen der christlichen Minderheit in al-Andalus sowie nach den Anpassungsstrategien, mittels derer sie ihre religiöse Identität inmitten einer islamisch geprägten Öffentlichkeit zu wahren verstanden. Diese bedeutende Quelle steht im Fokus der Untersuchungen der internationalen Forschungsgruppe, die wegweisende Einsichten in die Organisationsformen der rechtlichen und administrativen Selbstverwaltung der christlichen Gemeinden im muslimischen Reichsgebiet erlaubt. Zudem bietet sie neue Einblicke in unterschiedliche Konfliktszenarien, die aus der seit 711 grundlegend gewandelten Herrschaftsverfassung und Gesellschaftsstruktur in al-Andalus resultierten. Sichtbar wird weiterhin das Bemühen der christlichen Gemeinden um kulturell-religiöse Identitätswahrung, etwa durch die aktive Abgrenzung von anderen, sowohl christlichen als auch muslimischen Religionsgemeinschaften. Von besonderem Interesse sind schließlich die sprachlichen Formen, kulturellen Muster und intellektuellen Konzepte, in denen die identitätsbegründenden Normen und Traditionen der Gemeinschaft ins Arabische übertragen wurden.

 

Die Forscherinnen und Forscher werden ihre Ergebnisse in einem Sammelband vorlegen, der Aufschluss über die Lebenswelt der südspanischen Christen unter arabischer Herrschaft geben und zu einem besseren Verständnis des Vermächtnisses westgotischer Gesetzgebung in christlichen mittelalterlichen Königreichen in seinen Kontinuitäten und Brüchen beitragen soll. Zudem entsteht eine mehrbändige Textausgabe, die die arabische Kanones-Sammlung  erstmals in einer wissenschaftlichen Edition der Forschung zugänglich machen wird.

Der erste Band der kritischen Edition der arabischen Kanoneshandschrift erscheint 2020