„Der schnellste Jude Deutschlands“

Alex Natan (1906–1971) – eine kulturgeschichtliche Biographie

Stipendiat

Prof. Dr. Kay Schiller, Durham

Förderung

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Die 1926 erfolgreiche Sprintstaffel des FC Phoenix mit Alex Natan, Otto Faist, Kurt von Rappard und Robert Suhr (von links nach rechts)

Als „schnellsten Juden Deutschlands“ charakterisierte der Galerist Alfred Flechtheim seinen Großneffen Alex Natan, geboren 1906 in Berlin, nachdem dieser 1929 einen Weltrekord im Staffellauf aufgestellt hatte. Der mehrfache Deutsche Meister und erfolgreiche Sportjournalist konnte nach seiner Flucht nach England im Jahr 1933 und dem Ende des Krieges wieder an seine Vorkriegskarriere anknüpfen und war für mehrere deutsche Zeitungen sowie den Rundfunk tätig. Doch trotz seiner herausragenden sportlichen Leistungen ist Alex Natan heute weitestgehend in Vergessenheit geraten.

Mit einer kulturgeschichtlichen Biografie möchte Prof. Dr. Kay Schiller diesen facettenreichen Mann in den Fokus rücken und seine prägende Rolle als kritischer und politisch aktiver Journalist sowohl für die Presselandschaft in Deutschland und England als auch für die intellektuelle Einordnung des Phänomens Sport von der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik der 1960er Jahre erforschen. Dabei wird Professor Schiller insbesondere darauf eingehen, wie sich Sport in der Weimarer Republik als moderne Massenkultur etablierte. Im Hinblick auf die enge Verbindung von Sport und Politik im Deutschland des 20. Jahrhunderts beschreibt er den Wandel der dominanten Sport- und Körperkonzeptionen unter besonderer Betrachtung der zentralen Begriffe „Leistung“ und „Kampf“ sowie die  Rezeption von Sport in Literatur und Kunst.

Jüdischer Turn- und Sportklub „Bar Kochba – Hakoah“ e.V., Broschüre „Bar Kochba. Die Jüdische Sportbewegung“, Berlin ca. 1929, Papier, Tinte, 15,5 × 23,2 cm

Sowohl zu Beginn als auch während Natans sportlicher und journalistischer Aktivitäten war die Situation für jüdische Athletinnen und Athleten in Anbetracht von zunehmendem Antisemitismus und Rassismus in Deutschland desolat. Sie befanden sich auf ideologischer Ebene im konstanten Widerstreit der zeitgenössischen Ansprüche an den „perfekten“ menschlichen Körper einerseits und dem Stereotyp des unsportlichen jüdischen Intellektuellen andererseits. Hinzu kamen Alex Natans politische Aktivitäten als linker Journalist, sodass er schließlich unmittelbar nach dem Reichstagsbrand und den damit verbundenen Verfolgungen von Kommunisten, Sozialdemokraten und Linken zunächst in die Schweiz und dann nach England emigrierte. Als deutscher Jude im Exil und Athlet stand er weiterhin wegen seiner intellektuellen Bezüge im Abseits. Doch auch in seiner Tätigkeit als Schullehrer eckte er an, denn in diesem Zusammenhang wurde er aufgrund seiner homosexuellen Orientierung für vier Jahre interniert und sein Antrag auf die britische Staatsangehörigkeit verweigert. Anhand der von diesem mehrfachen Außenseitertum geprägten Biografie analysiert Professor Schiller die Rolle von Sport als Verstärker von Normativitätsvorstellungen sowohl in der Diktatur als auch in der Demokratie. Methodisch im Bereich der Sportgeschichte als Kultur- und Körpergeschichte angesiedelt, soll als Ergebnis am Ende dieses Forschungsprojekts eine Biografie stehen.

Herbert Sonnenfeld: Aufmarsch vermutlich auf dem Jugendsportfest des Bar Kochba – Hakoah Berlin auf dem Sportplatz Grunewald, Berlin 28. Juni 1936