„Welche neue Form wird dieses alte Monster annehmen, in welcher neuen Haut wird diese alte Schlange daherkommen,“ fragte der Aktivist und Schriftsteller Frederick Douglass im Jahre 1865 im Zuge der Anti-Sklaverei-Bewegungen in den USA und charakterisierte so treffend die Versklavung von Menschen als wandelbares, dynamisches Konstrukt, das so leicht nicht abzuschütteln ist. Sklaverei bedeutet die Gewalt über den Körper anderer Menschen einhergehend mit Mobilitätseinschränkung und Statusdegradierung. Auch heute existieren Formen von Sklaverei, vor allem in den Bereichen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung. Während jedoch im 19. Jahrhundert dieses System institutionalisiert war, Sklaverei also eine rechtliche Grundlage hatte, gibt es eine solche Legitimierung und Institutionalisierung durch formale Rechtssysteme heute nicht mehr. Genau um diese, beziehungsweise die Abschaffung eben dieser Rechtssysteme, geht es in dem Forschungsprojekt von Prof. Dr. Alexandra Przyrembel und Prof. Dr. Stefan Berger.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen ihre Recherchen in den Zusammenhang der umfangreichen Forschung zur Abolitionsgeschichte in ihren Brüchen und Diskontinuitäten. Entgegen der geläufigen Auffassung, die Anti-Sklaverei-Bewegungen seien ausgehend von Großbritannien eine teleologische Erfolgsgeschichte gewesen, kam es – da die verschiedenen Systeme von Sklavereien mehrere Epochen, Kontinente und Ideologiegeschichten umfassen – häufig zur Abschaffung und Wiedereinführung von Sklaverei, während informelle Strukturen nie völlig verschwanden. In Anlehnung an die jüngere Forschung zur Geschichte der Menschenrechte wird eine solche inzwischen als Konfliktgeschichte geschrieben. Somit knüpft das Projekt an die neueren Impulse zur Geschichte der Menschenrechte und an eine kritische, kulturhistorisch ausgerichtete Kapitalismus-Geschichte an, um diese mit dem Phänomen der im 19. Jahrhundert zentralen moralisch motivierten Bewegungen zu verbinden.
Das Projekt wird von Professor Przyrembel und Professor Berger in zwei Teilvorhaben bearbeitet, die komplementär und eng miteinander verschränkt sind. Das erste Teilprojekt „Zwischen Mensch und Humankapital. Transnationale Debatten über (Anti-)Sklaverei“, angesiedelt an der Fernuniversität Hagen, setzt sich mit den transnationalen Dimensionen der gesellschaftlichen Debatten über die Sklaverei im 19. Jahrhundert auseinander. Es beleuchtet deren emanzipative Effekte auf andere gesellschaftliche Gruppen, zum Beispiel auf Frauenorganisationen, die sich im Rahmen der Debatten engagierten. Grundsätzlich setzen die Forschenden unterschiedliche Interessen zwischen Ökonomie und Moral voraus und gehen davon aus, dass die transnationale Verflechtung eben nicht nur auf außenpolitischer, nationalstaatlicher Ebene, sondern auch zwischen Vereinen und Einzelakteuren stattfand. Auf dieser privaten Ebene engagierten sich Menschen häufig aus moralischen Gründen in Vereinen gegen die Sklaverei, doch auch aus religiöser Überzeugung. Religiöse Instanzen nahmen eine durchaus ambivalente Rolle ein und waren sowohl auf Seiten der Befürworter als auch der Gegner der Sklaverei vertreten. Ausgehend vom Menschenbild der jeweiligen Akteure soll daher der Wandel der zeitgenössischen Auffassungen erklärt werden, um herauszufinden, ob und wie sich diese Akteure auch über nationale Grenzen hinaus vernetzten. Auffällig ist zum Beispiel, dass aus dem Englischen übersetzte Pamphlete Ende des 18. Jahrhunderts in den Niederlanden nahezu wirkungslos blieben, doch die Veröffentlichung des Romans „Onkel Toms Hütte“ 1853 der dort aufstrebenden Abolitionismusbewegung deutlichen Aufschwung verlieh.