Projekt
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The Militant and the Mainstream

The Militant and the Mainstream

Emigrationsbild britischer Fotokultur in den 1930er- bis 1950er-Jahren

Stipendiatin

Dr. Sarah Edith James, Frankfurt am Main

Förderung

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Vorhaben durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Wieviel Wahrheit steckt in der fotografischen Abbildung? Die Instabilität des fotografischen Mediums wird seit Jahrzehnten von Kulturschaffenden diskutiert, wie unter anderem von der Schriftstellerin, Publizistin und Regisseurin Susan Sontag und dem Künstler Allan Sekula. Während dieser Kollaps‘ der fotografischen Bedeutung in der Mehrzahl kunsthistorischer Darstellungen seit den 1970er-Jahren thematisiert wird, legt Dr. Sarah James in ihrem Forschungsvorhaben zu fotografischer Kulturgeschichte einen anderen Schwerpunkt. Ausgehend von kritischen Auseinandersetzungen mit dem Medium Fotografie insbesondere von Sontag und Sekula analysiert Dr. James Leben und Werk von sieben Personen, die vor der Diktatur der Nationalsozialisten fliehen mussten. In England nahmen sie eine entscheidende, wenn auch bisher wenig beachtete Rolle bei der Neugestaltung der britischen Fotokultur in den 1930er-, 1940er- und 1950er-Jahren ein.

Im Fokus der Betrachtung stehen der ungarisch-deutsche Redakteur, Filmemacher und Schriftsteller Stefan Lorant, die österreichisch-britischen Fotografinnen Edith Tudor-Hart (geb. Suschitzky), Gerti Deutsch und Elisabeth Chat sowie die deutsch-britischen Fotojournalisten Bill Brandt, Kurt Hutton (Kurt Huebschmann) und Felix H. Man (Hans Bauman). Aufgrund der Verfolgung in Deutschland, Ungarn und Österreich wegen ihrer antifaschistischen Überzeugungen, politischen Aktivitäten im linken, sozialistischen oder marxistischen Spektrum oder ihrer jüdischen Hintergründe nahmen sie nach ihrer Ankunft in England eine neue Identität an: die britische. Bis auf Bill Brandt, der sowohl als Künstler als auch als Dokumentarist geschätzt wird, sind alle diese Persönlichkeiten von der kanonischen Kunstgeschichte wenig beachtet worden. Dr. James zielt nun in ihrer Forschung darauf ab, die Praxis dieser Emigrantinnen und Emigranten in den Fokus zu rücken, die die britische Fotokultur durch Einbezug importierter Elemente der experimentellen Bilderzeugung und visuellen Kulturen der europäischen Avantgarden der Vorkriegszeit radikal umgestaltete. Vor diesem Hintergrund konzeptualisiert Dr. James das fotografische Bild in seiner Mobilität selbst als „Emigrationsbild“. Dieses operiere oft außerhalb seiner beabsichtigten Kontexte und Agenden, bewege sich zwischen lokalen, nationalen und internationalen Bildkulturen und nehme je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen und Übersetzungen an. Anhand dieses Konzepts des „Emigrationsbildes“ befragt Dr. James in ihrem Forschungsvorhaben die visuelle Kultur des Exils von den politischen Verschiebungen des Zweiten Weltkriegs bis zu den ideologischen Spaltungen des Kalten Krieges der 1950er-Jahre. Mit dem Fotojournalismus und der illustrierten Presse als Grundlage unseres Verständnisses der britischen visuellen Kultur des 20. Jahrhunderts will sie zeigen, dass diese Neuinterpretation der britischen Fotokultur in der Nachkriegszeit auch entscheidend für eine nuanciertere Auffassung von Fotografie als einem kulturellen Massenmedium ist.

„Dr. James befragt die visuelle Kultur des Exils von den politischen Verschiebungen des Zweiten Weltkriegs bis zu den ideologischen Spaltungen des Kalten Krieges.“

Nach eingehender Analyse von Foto-Essays in Zeitschriften wie „Picture Post“, „The Listener“ und „Lilliput“ sowie von Fotobüchern, wie zum Beispiel Bill Brandts „The English at Home“ (1936) oder Edith Tudor-Harts unvollendetes Werk „Rich man, Poor man“, soll am Ende des Forschungsvorhabens eine kunsthistorische Monografie stehen, die zum Verständnis der Geschichte der britischen Fotografie und fotografischen Kultur beitragen und ein produktives Aufbrechen vermeintlich stabiler nationaler und konzeptueller Identitäten und Grenzen fördern soll.