Vorwort

Was bleibt vom „Seuchenjahr“ 2020? Natürlich zunächst einmal alles Tragische, Traurige, Belastende – ja Unheimliche, – was die Pandemie über uns gebracht hat. Weiterhin, dass weder demokratisch regierte Gesellschaften noch autoritäre Regime in der Lage sind, auf solch fundamentale Herausforderungen rasch und umsichtig zu reagieren – leider eine nicht eben beruhigende Erkenntnis für die Zukunft.

Doch haben wir auch viel verstanden in diesem harten Jahr: Etwa, dass selbst eine hochindustrialisierte und medizinisch vermeintlich bestens aufgestellte Gesellschaft den Kräften der Natur letztlich eher hilflos ausgeliefert bleibt und besser daran täte, ihr Handeln künftig an dieser eigentlich naheliegenden Erkenntnis auszurichten. Oder, dass sich vieles, was uns so lange wichtig erschien – wie all die Geschäftsreisen, Investmentmeetings und Soirées – wider Erwarten auch mit wesentlich kleinerem ökologischem Fußabdruck und weit weniger Zeitaufwand erledigen ließe. Oder, dass sich Arbeitsprozesse – auch in Stiftungen – so gestalten lassen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr viel freier in der Organisation ihrer persönlichen Arbeits- und Freizeit werden – ohne dass die Förderpartner Abstriche in ihrer Betreuung erfahren.

Sollten wir also die Förderarbeit der Gerda Henkel Stiftung an diese außergewöhnlichen Zeiten anpassen? Und wenn ja, wie? Diese Frage stand im Zentrum unserer Gremiensitzungen im Frühjahr des vergangenen Jahres. Im Ergebnis verständigte sich das Kuratorium auf folgende Maßnahmen: Zum einen auf die Entscheidung, aus Vorsorgegründen den Förderaufwand für 2020 leicht zu reduzieren. So wurde insgesamt eine Summe von rund 16 Millionen Euro bereitgestellt – zwei Millionen Euro weniger als im Vorjahr. Zum anderen wurde ein einmaliger Corona-Nothilfefonds in Höhe von zunächst einer Million Euro eingerichtet. Vorrangig Promovierende und Post-Doc-Stipendiatinnen und Stipendiaten der Stiftung, die aufgrund geschlossener Hochschulen, Bibliotheken und Archive, gesperrter archäologischer Grabungsstätten oder reisebedingter Stornierungen von Forschungsaufenthalten im In- und Ausland ihre Projekte nicht innerhalb des Förderzeitraums zum Abschluss bringen können, erhalten auf Antrag eine bis zu dreimonatige Verlängerung ihres Stipendiums. Zusätzlich konnten die Förderpartnerinnen und Förderpartner Gelder für Digitalisate beantragen, deren Bedeutung für Forschungszwecke im Zuge der Pandemie besonders sichtbar wurde.

Die voranschreitende Digitalisierung machte es auch möglich, dass das Team der Geschäftsstelle weitgehend von zu Hause arbeiten konnte. Die bereits lange vor der Pandemie angelegte digitale Infrastruktur im Stiftungshaus hat diesen Wechsel in die Telearbeit ohne größere Schwierigkeiten ermöglicht. Der Projektbearbeitung tat dies keinen Abbruch, ebenso wenig den nun erstmals digital abgehaltenen Sitzungen von Kuratorium, Wissenschaftlichem Beirat und Finanzausschuss.

Zu den erfreulichen Ereignissen zählte vor allem die Verkündung der Gewinnerin des Gerda Henkel Preises, der dieses Mal an die Wissenschaftshistorikerin und ehemalige Direktorin des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Lorraine Daston, ging. An dieser Stelle möchten wir der aus den Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats der Stiftung sowie stiftungsunabhängigen Persönlichkeiten bestehenden Preisjury unter Vorsitz von Prof. Dr. Peter Funke danken. Einziger Wermutstropfen hierbei: Aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie konnte die Preisverleihung im Berichtsjahr nicht wie geplant stattfinden, sie soll aber, sobald Veranstaltungen wieder möglich sind, nachgeholt werden.

Anlass zur Freude bot im vergangenen Jahr ein weiteres Ereignis: Unser Wissenschaftsportal L.I.S.A. ist zehn Jahre alt geworden! Auf das Jubiläum konnte noch vor Ausbruch der Pandemie am 23. Februar 2020 im kleinen Kreis im Stiftungshaus angestoßen werden. Das Portal, das ursprünglich als Plattform für Projekte von Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie von Förderpartnern der Stiftung gedacht war, etablierte sich im Laufe des vergangenen Jahrzehnts als anerkanntes Medium für die Dokumentation geisteswissenschaftlicher Forschung sowie als virtueller Raum für gesamtgesellschaftliche Debatten aus der Wissenschaft. Im Berichtsjahr fand vor allem das Logbuch Corona breite Aufmerksamkeit, das möglicherweise in Zukunft ein Zeitdokument dieser Krise sein wird.

Den anhaltenden Erfolg ihrer Arbeit verdankt die Gerda Henkel Stiftung ihren Gremien. Es ist Kuratorium, Wissenschaftlichem Beirat und Finanzausschuss gelungen, die Fördertätigkeit der Stiftung entscheidend zu unterstützen und neue inhaltliche Impulse zu setzen. Unser besonderer Dank gilt dabei Prof. Dr. Hans-Joachim Gehrke, der zum Ende des Jahres satzungsgemäß aus dem Kuratorium ausschied. Wir danken ihm für seinen sachkundigen Rat in allen Angelegenheiten der Forschungsförderung sowie seine fachliche Expertise und werden ihn als einzigartige Persönlichkeit und langen Wegbegleiter der Stiftung auch in unruhigen Zeiten sehr vermissen. An seiner Statt wird im kommenden Jahr der Kunsthistoriker Prof. Dr. Andreas Beyer neues Mitglied des Kuratoriums, worüber wir uns sehr freuen.

Allen Kolleginnen und Kollegen sei an dieser Stelle sehr herzlich für ihren vorbildlichen Einsatz und ihr hohes Engagement gedankt!

Im Ausblick auf das neue Jahr kann man nur darauf hoffen, dass in diesen besonderen Zeiten doch vielleicht einmal zutreffen wird, was sprichwörtlich so wunderbar einfach heißt: „Leiden sind Lehren“.