Projekt
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Umstrittene Demokratie

Umstrittene Demokratie

Gender, race und sex in der US-amerikanischen Zeitgeschichte

Projektleitung

Prof. Dr. Jürgen Martschukat

Institution

Universität Erfurt

Förderung

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Forschungsprojekt durch ein Forschungsstipendium für die Mitantragsstellerin und Bearbeiterin des ersten Teilvorhabens, Dr. Vera Kallenberg, sowie durch ein Promotionsstipendium für den Bearbeiter des zweiten Teilvorhabens, Alexander Obermüller. Es werden außerdem Reise- und Sachmittel gewährt.

Identitätspolitik – eine zentrale politische Strategie der sozialen Bewegungen – ist seit einigen Jahren vermehrt im Gespräch. Nach der Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 in den USA mehrte sich zunächst die Kritik an linken und linksliberalen Diskursen und Praktiken. Bald jedoch begann sich eine entsprechende Aufmerksamkeit auch auf den damals frisch gewählten Präsidenten Donald Trump zu richten. Er habe sich Identitätspolitik angeeignet, diese im Sinne konservativer politischer Kräfte hegemonial gewendet und sich dabei als Verteidiger einer etablierten Ordnung und „amerikanischer Größe“ generiert. Trump knüpfte dabei an Politiken an, wie sie seit den 1970er-Jahren virulent waren.

Hier schließt die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Jürgen Martschukat von der Universität Erfurt an und untersucht Kämpfe um demokratische Teilhabe entlang von gender, race und sex in Form einer Konfliktgeschichte der USA in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie im beginnenden 21. Jahrhundert. Das Projekt wird von der Forschungsgruppe in zwei Teilvorhaben bearbeitet, die eng miteinander verschränkt sind. Im ersten Teilvorhaben „Gerda Lerner (1920–2013) & The Making of Women’s History. A Transnational Biography“ beleuchtet Dr. Vera Kallenberg das Leben der jüdischen Historikerin Gerda Lerner und zeigt, wie die Women’s History, die Frauenbewegungen und die sozialen Bewegungen insgesamt auf die Vollendung des demokratischen Versprechens gleichberechtigter Anerkennung und Teilhabe aller Menschen drängten. Ihre Ausgangsthese ist es, Women's History als Demokratisierungsgeschichte zu lesen. Anhand der Biografie der aus Wien geflohenen Jüdin und Emigrantin, linken Aktivistin, feministischen Schriftstellerin, öffentlichen Intellektuellen und amerikanischen Geschichtsprofessorin Gerda Lerner möchte Dr. Kallenberg eine Fallstudie zum transformatorischen Einsatz von Geschlecht vorlegen. So rekontextualisiert Dr. Kallenberg Lerners Werk vor dem Hintergrund ihrer intersektionalen Erfahrungen, besonders der Deutung ihrer Erfahrungen als Jüdin. Gerda Lerners Werk und Engagement stehen außerdem exemplarisch für die frühe Wissensproduktion zu afroamerikanischer Frauengeschichte wie beispielsweise den Einfluss der Bürgerrechtsbewegung auf die Frauengeschichtsbewegung. Die Arbeit soll Lerners feministische Historiographie als einen transformatorischen, race und class einschließenden, weibliche Handlungsmacht betonenden Ansatz und daher als intersektionale feministische Frauengeschichte avant la lettre zeigen.

Women's History als Demokratisierungsgeschichte“

Ein Mitglied der Organisation „Lesbian & Gay Caucus“ während der Democratic National Convention im Madison Square Garden in New York City, August 1980

Komplementär dazu arbeitet Alexander Obermüller am zweiten Teilvorhaben „Identitätspolitik als entscheidende Politikform: Hegemoniale Kräfte im Konflikt um demokratische Partizipation in den USA“. Er schließt an identitätspolitische Diskurse und Praktiken an, indem er auf die Etablierung einer Gegenbewegung in den 1970er-Jahren eingeht, die auf die Restitution weißer, männlicher, heterosexueller Hegemonie drängte und sich dazu Identitätspolitik als Strategie aneignete. Im Zentrum seiner Betrachtungen stehen die drei konservativen Akteurinnen und Akteure Phyllis Schlafly, William J. Bennett und David Blankenhorn, die in ihren Positionen in Politik und Publizistik auf den Erhalt von Privilegien einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe abzielten. Dabei wird herauszuarbeiten sein, wie zentrale amerikanische Werte wie Freiheit, Individualismus und Selbstverantwortung an eine traditionelle Geschlechterordnung, heteronormative Lebensführung und Weißsein gekoppelt wurden. Ziel des Teilvorhabens ist es, dazu beizutragen, die derzeit so virulenten Auseinandersetzungen über eine gerechte demokratische Gesellschaftsordnung historisch zu verstehen. Hauptquellen beider Teilprojekte sind die Publikationen und Nachlässe der jeweiligen Akteurinnen und Akteure. Am Ende soll je eine Monografie stehen. Mit der Forschungsgruppe assoziiert ist Lisa Patt, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für nordamerikanische Geschichte an der Universität Erfurt, die an einer Dissertation zu Nostalgie in der Politik der Reagan-Ära arbeitet.

„Dabei wird herauszuarbeiten sein, wie zentrale amerikanische Werte wie Freiheit, Individualismus und Selbstverantwortung an eine traditionelle Geschlechterordnung, heteronormative Lebensführung und Weißsein gekoppelt wurden.“

Unterstützerinnen und Unterstützer von Donald Trump bei einer Kundgebung 2016 im Veterans Memorial Coliseum auf dem Arizona State Fairgrounds in Phoenix, Arizona