I. Vorwort und Einleitung

von Oliver Hülden

Im Jahr 1995 begann T. Corsten mit Genehmigung und Unterstützung der türkischen Antikenverwaltung in Ankara mit Feldforschungen im westlichen Teil der türkischen Provinz Burdur. Den Ausgangspunkt bildete die antike Stadt Kibyra, wobei Corstens Hauptinteresse zunächst den zahlreichen Inschriften im Stadtgebiet selbst sowie im Umland galt[1]. Bei seiner Suche nach epigraphischen Zeugnissen registrierte er aber auch zahlreiche archäologische Fundstellen und Funde in der näheren und weiteren Umgebung von Kibyra, die er partiell in seine Forschungen einbezog[2].

Im Rahmen dieses von Corsten geleiteten Kibyratis-Projekts erstellte C. Kokkinia (Institute for Historical Research/National Hellenic Research Foundation, Athen) zwischen 2004 und 2006 sodann nicht nur ein Corpus der Inschriften der zur kibyratischen Tetrapolis gehörenden Polis Bubon (Dikmen Tepe) bei dem türkischen Dorf İbecik im Landkreis Gölhisar, sondern initiierte auch eine Dokumentation und Analyse zugehöriger archäologischer Kontexte durch O. Hülden[3]. Zwei Jahre später wurden die Ergebnisse dieser Untersuchungen sowohl in einem gedruckten Sammelband als auch online publiziert[4].

Karte 1 Karte des südwestlichen Kleinasiens mit Lage von Bubon [Bildquelle: © ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt]
 

Während der epigraphische Teil des Sammelbandes den damals bekannten Bestand an Inschriften abbildet, blieb die Aufnahme der mit Bubon verbundenen archäologischen Hinterlassenschaften, die im Wesentlichen auf die Kampagne des Jahres 2006 beschränkt war, hinter einer solchen Vollständigkeit zurück[5]. Immerhin gelang eine weitgehend flächendeckende Aufnahme der an der Oberfläche noch sichtbaren baulichen Überreste innerhalb des Siedlungsgebiets von Bubon und die Erstellung eines entsprechenden Stadtplans. Ergänzend wurden zudem zwei Felsfassadengräber durch M. Seyer sowie einige Fundstellen im Umfeld von İbecik und Elmalıyurt durch O. Hülden und M. Stoll im Zuge extensiver Begehungen untersucht[6].

Die erfolgreiche Zusammenarbeit auf epigraphischem und archäologischem Gebiet in Bubon bildete ab 2008 den Auftakt für eine neue Phase des Kibyratis-Projekts unter der gemeinsamen Leitung von T. Corsten und O. Hülden[7]. Die Förderung erfolgte von da an durch die Gerda Henkel Stiftung und erstreckte sich über insgesamt sechs Feldkampagnen bis in das Jahr 2014. Von 2009 bis 2012 verfolgte das Projekt unter dem Titel »Die Kibyratis. Tradition und Transformation einer kleinasiatischen Kulturlandschaft« (AZ 11/F/09) das Ziel, die materielle Kultur des Gebiets erstmalig systematischer zu erforschen. Dabei rückte sehr rasch eine Konzentration auf die Vorgängersiedlung (›Alt-Kibyra‹) des erst in hellenistischer Zeit gegründeten Kibyra in den Vordergrund[8]. Anschließend lag der Fokus auf der Kaiserzeit mit dem in der Bezeichnung des Folgeprojekts »Wirtschaftliche Organisation und Struktur des ländlichen Raumes im kaiserzeitlichen Kleinasien am Beispiel der Kibyratis« (AZ 35/F/13) umrissenen Schwerpunkt.

Seit 2014 befindet sich das Kibyratis-Projekt mit dem Ende der Feldkampagnen in der Türkei in der abschließenden Publikationsphase. Insbesondere zwei Veränderungen erwiesen sich seither als richtungsweisend: Zum einen übersiedelte der archäologische Teil des Projekts im März 2016 mit O. Hülden vom Institut für Klassische Archäologie der LMU München an das Österreichische Archäologische Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAI/ÖAW) in Wien. Zum anderen war von der Gerda Henkel Stiftung wenige Monate zuvor ein hauseigenes Projekt initiiert worden, um den von ihr geförderten Projekten eine Online-Plattform für die Veröffentlichung von digitalen Publikationen (EDIT. Digitale Publikation Gerda Henkel Stiftung) zur Verfügung zu stellen. Diese Plattform soll ausgewiesenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglichen, die Ergebnisse ihrer Forschungen im Bereich der historischen Geisteswissenschaften rasch und dauerhaft sowohl der wissenschaftlichen Community als auch einer interessierten Öffentlichkeit zu vermitteln. Für die technische Umsetzung dieser neuen Form des Publizierens griff die Stiftung auf die bewährte Zusammenarbeit mit der PLEX GmbH zurück, und als eines der Pilotprojekte wählte sie das Kibyratis-Projekt aus.

Abb. 250. 2 İbecik: Dikmen Tepe mit den Siedlungsresten von Bubon (KIB 250) von Südwesten [Bildquelle: © ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt]
 

An der Publikation der Feldforschungen in der Kabalis/Kibyratis ist seither einige Jahre gearbeitet worden. Die Tätigkeiten umfassten nicht nur die Eingabe der zahllosen Einzeldaten und analytischen Texte, sondern auch die fortwährende technische Erweiterung und Anpassung der Plattform im Hinblick auf eine möglichst umfassende und optimal verknüpfte Präsentation aller Ergebnisse bei einem gleichzeitig einheitlichen und vor allem benutzerfreundlichen Erscheinungsbild. Vielfach gingen diese Adaptionen erst aus Phasen des Experimentierens hervor, was die aufgrund der enormen Fülle der Daten und Informationen ohnehin schon zeitaufwendigen Arbeiten weiter in die Länge zog. Daraus ist zuletzt die Erkenntnis erwachsen, vom Ziel der gemeinsamen Vorlage aller Ergebnisse abzusehen und stattdessen mehrere Publikationen im Sinne von in sich weitgehend geschlossenen Einzelstudien vorzulegen. Vor diesem Hintergrund rückte die archäologische Erforschung von Bubon und seinem Umland erneut in den Fokus. Dort fanden nämlich in den Jahren 2011 und 2012 kleinere Nachuntersuchungen statt, durch die noch bestehende Desiderate in den 2008 publizierten Ergebnissen beseitigt und neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten.

Im Wesentlichen erstreckt sich dieser Erkenntnisfortschritt auf die erstmalige Vorlage und Analyse eines breiteren Spektrums von Keramikscherben aus Bubon selbst und von zwei Fundplätzen in seiner Umgebung. Damit wird eine entsprechende Wissenslücke gefüllt, was nicht nur für die Archäologie und Siedlungsgeschichte von Bubon selbst von hoher Bedeutung ist, sondern auch für dessen Vergleichbarkeit mit anderen Orten in der Region, wobei hier zuvorderst Kibyra und Sagalassos zu nennen sind. Nur geringfügig geschmälert wird die Bedeutung dadurch, dass das Aufsammeln der Keramikscherben aufgrund einer starken zeitlichen Begrenzung nicht systematisch erfolgt ist, weshalb ein nur vergleichsweise beliebiger Ausschnitt des Spektrums erfasst werden konnte[9]. Eine Darstellung des aktuellen Forschungsstands zu Bubon erweist sich demnach als prädestiniert für den ersten Band der »Einzelstudien des Kibyratis-Projekts«.

Im Folgenden werden nun die bereits publizierten Ergebnisse der Forschungen zu Bubon von 2006 kurz zusammengefasst und mit den neuen Erkenntnissen und Beobachtungen der Feldforschungen 2011 und 2012 zusammengeführt. Die Betrachtung der einzelnen baulichen Befunde von Bubon bildet dabei den Rahmen für die anschließende Auswertung der Keramikfunde durch J. Gebauer und K. Kugler. Schließlich werden beide Stränge verbunden, um in eine aktualisierte Skizze der Siedlungsgeschichte und -entwicklung von Bubon zu münden. In gleicher Weise erfolgt im Anschluss die Auswertung der besagten Umlandbefunde, wobei auch in diesem Fall frühere Erkenntnisse mit neuen Wahrnehmungen kombiniert sind.

Abb. 250. 4 İbecik, Bubon (KIB 250): Blick von der Akropolis nach Norden auf İbecik [Bildquelle: © ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt]