VI. Skizze einer Siedlungsgeschichte und -entwicklung von Bubon

von Oliver Hülden

Die erneute Betrachtung der archäologischen Befunde und die erstmalige Analyse eines aussagekräftigen Spektrums an diagnostischen Keramikfunden erlauben es, das bisher gezeichnete Bild der Siedlungsgeschichte und -entwicklung von Bubon und seinem Umland nicht unerheblich zu ergänzen[1]. In den vorangegangenen Kapiteln erfolgte zunächst die Darstellung der einzelnen Befunde und Funde, wobei mitunter schon Zusammenhänge zwischen ihnen hergestellt wurden. Jetzt werden diese Stränge zu einem diachronen Gesamtbild vereint, das freilich weiterhin lückenhaft bleiben muss und die politische Geschichte Bubons nur insofern berücksichtigt, als sie für die Interpretation der archäologischen Befunde von Belang ist. Im Hinblick auf das Umland ist in diesem Zusammenhang noch einmal besonders darauf hinzuweisen, wie gering die Zahl der dort registrierten Befunde ausfällt und dass deren Auffindung eher dem Zufall denn einer systematischen Vorgehensweise geschuldet ist.

 

Der Dikmen Tepe in vorhellenistischer Zeit

Als Ergebnis der Forschungen des Jahres 2006 werden einige bemalte Scherben vom Dikmen Tepe provisorisch der archaisch/klassischen Zeit zugewiesen und mit einer Besiedlung entsprechender Zeitstellung in Verbindung gebracht[2]. Diese Keramikfunde sind jetzt einer fachgerechten Analyse unterzogen und durch Neufunde erweitert worden, wodurch die bloße Annahme zur Gewissheit wurde[3].

Den größten Teil des vorhellenistischen Keramikmaterials bilden Fragmente, die sich einer mit Streifen, Wellenbändern oder Kreisdekor in unterschiedlichen Brauntönen bemalten, wohl lokal produzierten Gebrauchsware zuordnen lassen (z. B. Abb. 826. 1; 817. 1). Während einzelne Stücke dieser Gruppe aufgrund einer möglicherweise langen Laufzeit bis in die frühhellenistische Zeit hinabreichen könnten, weisen die weiteren Scherben, die sich unter anderem der ›Black-on-red‹- und ›Black-on-buff-Keramik zuweisen oder sogar mit ostgriechischen bzw. karischen Waren verbinden lassen (z. B. Abb. 816. 1; 719. 1; 812. 1), eindeutig in die archaische Epoche. Der Dikmen Tepe war demnach spätestens ab dem 7. Jh. v. Chr. besiedelt. Ein Hinweis auf einen etwaigen lydischen Zusammenhang, wie er für die Siedlung am Gölhisar Gölü (›Alt-Kibyra‹) angenommen wird[4], existiert allenfalls in einem einzigen Keramikfragment mit bichromem Dekor (Abb. 1920. 1). Dieser Negativbefund findet seine Entsprechung in Balbura und in Çaltılar[5].

Eine vorarchaische Besiedlung ist bisher nicht nachzuweisen, was auf Balbura und Oinoanda gleichermaßen zutrifft[6]. Außerdem scheint sich abgesehen von den erwähnten möglichen längeren Laufzeiten einzelner Stücke aus dem vorhellenistischen Keramikmaterial nach dem 6. Jh. v. Chr. eine Fundlücke aufzutun, die ungefähr bis an die Wende vom 3. zum 2. Jh. v. Chr. reicht. Sie besteht freilich nicht nur in Bubon, sondern betrifft weite Teile der Kabalis[7]. Die Ursache liegt einerseits wohl im Fehlen von Importen entsprechender Zeitstellung sowie in den bisher schwer einschätzbaren Laufzeiten und der feinchronologischen Unterteilung der lokalen Keramikwaren. Andererseits wird erwogen, dass damals kaum sesshafter Ackerbau die Lebensgrundlage vieler Menschen bildete, sondern dass diese einer Wanderweidewirtschaft (Transhumanz) nachgingen, die üblicherweise kaum materielle Spuren hinterlässt[8]. Die Lebensverhältnisse und die materielle Kultur im betreffenden Zeitraum bleiben jedenfalls unklar.

Über das konkrete Ausmaß der aus der Fundkeramik erschlossenen frühen Besiedlung des Dikmen Tepe lassen sich nur Mutmaßungen anstellen. So sind die Abarbeitungen auf der höchsten Felserhebung seines Gipfels wohl als Reste einer kleinen Burganlage zu deuten (Abb. 250. 5), die das Zentrum und den Nukleus einer Hangsiedlung bildete[9]. Der Burg lässt sich möglicherweise das nur wenige Meter unterhalb gelegene Felsgrab (Abb. 250. 30) zuordnen, das demnach aus archaisch/klassischer Zeit stammen müsste und als herrschaftliche Familiengrabanlage zu interpretieren wäre[10]. Ab welcher Zeit und in welcher Weise die ›Burg‹ dann auch das unterhalb gelegene Plateau einbezog, auf dem heute nur noch die Überreste der byzantinischen Zitadelle gut zu erkennen sind, ist nicht bekannt. Nur ungenau abzuschätzen ist auch die Ausdehnung der Hangsiedlung. Die Menge und der Streubereich der vorhellenistischen Keramikscherben legen aber nahe, dass die Siedlung, die wohl im Wesentlichen aus Wohnbauten bestand[11], durchaus den gesamten oberen Hangbereich des Dikmen Tepe eingenommen hat. Welchen Namen der Ort damals trug, ist nicht überliefert.

 

Interessanterweise könnte diese Entwicklung der frühen Siedlung auf dem Dikmen Tepe auf niedrigerem Niveau eine Entsprechung in der Balburike finden. Dort hat J. J. Coulton an einem Ort mit dem heutigen Namen Mendan Ova eine offenbar residenzartige und mit einem »high status occupant« verbundene Gipfelbefestigung (»heavy masonry structure«) samt einem wohl zugehörigen Felsgrab beschrieben, die aus archaischer Zeit stammen dürfte und aus der im Hellenismus und in der Kaiserzeit eine Hangsiedlung hervorging[12]. Darüber hinaus scheinen sich die Anlagen auf dem Dikmen Tepe und in der Mendan Ova mit dieser Entwicklung in eine große Gruppe von Gipfelbefestigungen einzureihen, die in vielen Gebieten Kleinasiens vorkommen, sich zumindest teilweise als Phänomen der Zeit der achämenidischen Herrschaft zuweisen lassen und wohl mit ähnlichen gesellschaftlichen Verhältnissen zu erklären sind[13].

Im Hinblick auf die insbesondere klassische Zeit sollte die weiter oben angesprochene Lücke innerhalb des frühen Keramikspektrums nicht zum Anlass genommen werden, einen Abbruch der Besiedlung im Zeitraum zwischen ca. 500 v. Chr. und der Gründung des hellenistischen Bubon zu postulieren. Während auf dem Dikmen Tepe selbst zwar unmittelbare Erkenntnisse für diesen Zeitraum fehlen, vermögen die beiden in einiger Distanz gelegenen Felsgräber KIB 251 (Abb. 251. 1) und KIB 259 (Abb. 259. 1) vielleicht diese Lücke zu füllen. So ist zumindest im Fall von Grab KIB 259 für eine Datierung noch in das 4. Jh. v. Chr. plädiert worden, was im Übrigen im selben Maße auf das lykische Felsgrab KIB 277 bei Kirazlıyayla zutrifft (Abb. 277. 1), das ohne nachvollziehbaren Kontext im ländlichen Raum liegt. Für das Felsgrab KIB 251 wird dagegen schon einer späteren, sprich hellenistischen Datierung der Vorzug gegeben.

Wer in allen drei Fällen die Grabinhaber  gewesen sind, muss offenbleiben. Insbesondere bei dem Grab bei Kirazlıyayla wird man aber zuvorderst an einen Lykier oder eine Person mit einem starken Bezug zu Lykien denken wollen. Abgesehen von dieser Grabanlage lässt sich kein weiterer von den wenigen Umlandbefunden mit der vorhellenistischen Zeit in Verbindung bringen. Insofern kann ein Bild der Besiedlung des ländlichen Raumes um den Dikmen Tepe nicht einmal ansatzweise skizziert werden und bleibt als Forschungslücke bestehen.

Das neugegründete Bubon der hellenistischen Zeit

Während Ausdehnung und Status der vorhellenistischen Siedlung auf dem Dikmen Tepe unbekannt sind, handelte es sich bei der wohl im ausgehenden 3. Jh. v. Chr. gegründeten Siedlung, die erstmalig mit dem Namen Bubon verbunden ist[14], um den Zentralort einer Polis mit urbanem Charakter. Die konkreten Hintergründe und Abläufe dieser Gründung oder Neugründung am selben Ort sind unbekannt. Einigkeit herrscht aber darüber, dass es sich bei den Akteuren um eingewanderte Pisider, möglicherweise vorrangig aus Termessos, handelte[15]. Ungefähr zur selben Zeit wurden auch Kibyra, Oinoanda und Balbura, also jene drei Städte, mit denen Bubon später die Tetrapolis bildete, von Pisidern gegründet.

Umgestaltungen der Kaiserzeit und der byzantinischen Zeit bestimmen das heutige Bild der Ruinen von Bubon, weshalb auch die Kartierung der oberflächlich erhaltenen baulichen Überreste im Wesentlichen diesen letzten Zustand wiedergibt (Abb. 250. 1). Sie dürften primär aber die einzelnen Gebäude selbst betroffen haben, wohingegen die generelle Strukturierung der Stadt wohl tatsächlich in die hellenistische Zeit zurückreicht. Es ist nämlich kaum einzusehen, warum die Pisider bei ihrer Gründung zunächst auf eine städtebauliche Konzeption nach griechischem Vorbild verzichtetet haben sollen[16]. Wie lange sie allerdings im Anschluss für die Umsetzung dieser Konzeption brauchten, ist eine andere Frage. Vielerorts, d. h. auch in Pisidien selbst, ist das Aufkommen griechischer Elemente jedenfalls erst ab dem 2. Jh. v. Chr., oftmals sogar erst ab der Jahrhundertmitte, zu beobachten[17].

Architektonisch lassen sich jedenfalls keine Überreste gesichert mit der Frühzeit des hellenistischen Bubon verbinden. Man wird aber annehmen dürfen, dass das Gipfelplateau als Akropolis ausgebaut und befestigt wurde. Möglicherweise errichtete man dort auch einen Tempel, der vielleicht der Artemis geweiht war[18]. Trifft die Annahme zu, dass eine Stadtmauer existierte (Abb. 250. 86), so gab diese wie in Balbura vermutlich von Beginn an den Rahmen für die übrige Siedlung vor[19].

Wegen der Lage am Hang mit teilweise erheblichem Gefälle und wenigen ebenen und für eine großzügigere Bebauung geeigneten Flächen ist wohl auch davon auszugehen, dass das Zentrum mit der Agora und den angrenzenden öffentlichen Bauten schon in der Frühphase der hellenistischen Stadt geschaffen worden war und seine Grundstruktur die Jahrhunderte überdauerte. Zu dieser Grundstruktur könnten der gesamte talseitige Substruktionsbau (›Südhalle‹) und weitere Teile des Agorabereichs gehört haben (Abb. 250. 39), die so massiv gebaut wurden, dass sie den Erdbeben der römischen Zeit trotzen konnten. Ob dort auch schon das Gymnasion und das Stadion bestanden, ist zumindest im ersten Fall wahrscheinlich, aber nicht belegbar. Auch das Theater (Abb. 250. 66) könnte damals schon errichtet worden sein[20].

 

Das hellenistische Bubon hat also wohl im Verlauf des 2. Jhs. v. Chr. die Gestalt einer nach griechischem Vorbild geprägten Kleinstadt angenommen. Orientiert man sich am postulierten Verlauf der Stadtmauer und den grob geschätzten Siedlungsgrenzen, so betrug die Siedlungsfläche in hellenistischer Zeit ungefähr 3 bis 4 ha, womit Bubon deutlich kleiner ausfällt als das von seinen topografischen Bedingungen und seiner Lage her vergleichbare Balbura zur Zeit seiner Gründung[21].

Der keramische Befund fügt sich im Großen und Ganzen in das Bild der städtebaulichen Entwicklung ein[22]: Während sich mit der Zeit der Stadtgründung lediglich zwei Scherben verbinden lassen (Abb. 868. 1), verteilt sich das übrige, deutlich zahlreichere hellenistische Material verhältnismäßig gleichmäßig auf das 2./1. Jh. v. Chr. oder gehört schon an den Übergang vom späten Hellenismus zur frühen Kaiserzeit. Hinsichtlich der Formen fügen sich die Fragmente weitgehend in das Spektrum ein, das von anderen Orten im westlichen Kleinasien zur selben Zeit bekannt ist[23].

Bei den gesammelten Scherben handelt es sich um eine reine ›grab collection‹. Diese Art und Weise des Sammelns dürfte zweifellos eine Erklärung für den hohen Anteil an Feinkeramik sein[24], weshalb eine quantitative oder qualitative Aufschlüsselung nur wenig Sinn hat und unterbleibt. Gewisse Tendenzen scheinen aber erkennbar zu sein. So zeichnen sich unter den Herkunftsorten der von K. Kugler herangezogenen Vergleichsstücke offenbar keine Schwerpunkte zu Gunsten bestimmter regionaler oder überregionaler Produktionszentren ab. Ein Teil der Keramik, der sich aber weder quantifizieren noch genauer umreißen lässt, wird auch lokal hergestellt worden sein, was für die Gebrauchskeramik ohnehin in einem erheblichen Maße gelten dürfte. Im Hinblick auf die Produktion von Feinkeramik bilden zwei Fragmente von Modeln (Abb. 1869. 1) unter den Fundstücken sicherlich keinen zwingenden Beweis, können aber auch nicht ignoriert werden, zumal sich der Vergleich mit Balbura aufdrängt, wo die Produktion von Feinkeramik nachgewiesen ist und in der Mitte des 2. Jhs. v. Chr. mit Reliefbechern einsetzt[25].

 

Von den erhaltenen Gräbern dürften zwei in hellenistischer Zeit entstanden sein. Es handelt sich einerseits um das im Zusammenhang mit den wohl etwas früher anzusetzenden Felsgräbern schon weiter oben erwähnte Grab KIB 251 (Abb. 251. 1), für das eine entsprechende Datierung, mithin vielleicht das 2. Jh. v. Chr., vorgeschlagen wird. Damit würde das Grab in die erste Phase nach der pisidischen Gründung fallen, womit sich die Frage nach seinem Hintergrund stellt. Da das zur Bestattung einer Familie genutzte Grab einen herrschaftlichen Charakter besitzt, könnte am ehesten über eine Verbindung mit der Tyrannis in Bubon spekuliert werden.

Ähnlich vage muss auch die Einordnung des exzeptionellen und insofern auch als Elite-Grab zu bezeichnenden Sarkophagkastens KIB 253 im Archäologischen Burdur bleiben (Abb. 253. 1). Insbesondere die Beibehaltung der zunächst erwogenen Frühdatierung in die erste Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. hätte sich als schwierig erwiesen, weil der Sarkophag dann einige Jahrzehnte älter als die angenommene Gründung des hellenistischen Bubon gewesen wäre. Seine jetzt favorisierte chronologische Einordnung, welche die Spanne vom 3./2. Jh. v. Chr. bis in die späthellenistische Zeit/frühe Kaiserzeit umfasst, vereinfacht die Zuordnung auch nicht wesentlich, zumal der ursprüngliche Aufstellungskontext unbekannt ist.

Am ehesten kommt sicher die Verbindung mit einem Grabbau in Frage, wobei sich die Gestaltung des Kastens kaum anders als mit der Aufstellung in einer Dreiergruppe von Sarkophagen erklären lässt. Der zuletzt von J. J. Coulton unterbreitete Vorschlag, der Sarkophag stamme ursprünglich gar nicht aus Bubon, sondern sei erst später und möglicherweise im Rahmen seiner inschriftlich belegten sekundären Nutzung dorthin verbracht worden[26], eröffnet zwar eine neue Perspektive und entbindet die Kabalis von einer Bedeutung für das Entstehen der frühen Girlandensarkophage, gehört aber dennoch in den Bereich der Spekulation.

 

Es verbleibt, den Blick wenigstens kurz auf das Umland zu richten, obwohl von dort nur sehr wenige Erkenntnisse für die hellenistische Zeit vorliegen. Unter der Prämisse, dass die mit der Gründung verbundene pisidische Neuordnung der Verhältnisse auch den ländlichen Raum betroffen hat, wären dort allerdings ebenfalls Siedlungsaktivitäten zu erwarten. Auf dem Territorium von Balbura, wo die Datenlage besser ist, scheint dies tatsächlich der Fall gewesen zu sein: So hat J. J. Coulton hier einige Befunde mit massiven Kerngebäuden oder Einfassungsmauern hauptsächlich anhand entsprechenden Keramikmaterials in die mittelhellenistische Zeit datiert und damit der ersten Besiedlungsphase nach der Gründung zugewiesen[27]. Unter den im Umland von Bubon registrierten Befunden finden sich ebenfalls Anlagen, die insgesamt oder bei einzelnen Gebäuden eine ähnliche Bauweise zeigen und sich vor allem durch einen gewissen Befestigungscharakter auszeichnen (KIB 252KIB 255, KIB 256, KIB 258 und KIB 189; s. Abb. 252. 1; 255. 1; 256. 1; 258. 1 und 189. 10).

Lediglich von einem dieser Fundplätze (KIB 189) liegen datierbare Keramikfunde vor, die jedoch eine nachhellenistischen Datierungsrahmen vorgeben. Historische Erwägungen und zum Vergleich herangezogene regionale Analogien sprechen auch im Fall der befestigten Siedlung KIB 252 und der Gipfelbefestigung KIB 255 für eine nachhellenistische Einordnung, und eine solche ist – mit zugegebenermaßen schwächeren Argumenten – ebenso für das mutmaßliche Turmgehöft KIB 256 zu vermuten. Eine Ausnahme scheint allerdings tatsächlich die Gipfelbefestigung KIB 258 zu sein, die einen hellenistischen Kern besessen haben dürfte (Abb. 258. 10), und deren Errichtung vielleicht mit dem Konflikt zwischen Bubon und Araxa im mittleren 2. Jh. v. Chr. in Verbindung stand[28]. Wenn das zutrifft, hätten wir eine Maßnahme zur Sicherung des Territoriums der jungen Polis Bubon in hellenistischer Zeit vor uns.

Das kaiserzeitliche Bubon

In der Kaiserzeit behielt Bubon wohl seine flächenmäßige Ausdehnung von 3 bis 4 ha bei, da sich keine Anzeichen für ein Ausgreifen der Siedlung über die angenommene Trasse des hellenistischen Mauerrings hinaus finden. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu Balbura, wo in flavischer Zeit eine Verlagerung des Stadtzentrums in die Ebene stattgefunden hat[29]. Der Mittelpunkt der Stadt mit der Agora und dem Theater blieb demnach in Bubon ebenfalls erhalten[30], wobei sich dort anhand der Oberflächenbefunde keine Differenzierung von hellenistischen und kaiserzeitlichen Bauten oder Bauphasen vornehmen lässt. Eine Ausnahme bildet lediglich das in einem Bereich im Norden der Agora angesiedelte Sebasteion (Abb. 250. 68), dessen Errichtung in die neronische Zeit fällt und dessen Nutzung sich durch die Aufstellung der letzten Bronzestatuen für Kaiser Valerianus I., seinen Sohn Gallienus und dessen Frau Cornelia Salonina zumindest bis in die Mitte des 3. Jhs. n. Chr. verfolgen lässt[31].

Angesichts der exklusiven Skulpturenausstattung des Gebäudes stellt sich im Kontext der Siedlungsgeschichte von Bubon vor allem die Frage, wie die Statuen an ihrem Aufstellungsort erhalten bleiben konnten. Die einfachste und damit wahrscheinlichste Erklärung dürfte eine Einsturz des Daches und eine aufgrund der Hanglage vollständige Verschüttung des Gebäudes sein, was eigentlich nur in Folge eines Erdbebens oder einer ähnlichen Naturkatastrophe passiert sein kann. Fraglich ist dann allerdings, wann sich dieser Vorfall ereignete und warum es nicht zu einer Instandsetzung des Gebäudes samt seiner Ausstattung oder zumindest zu einer Bergung der kostbaren Bronzeskulpturen kam. H. Hellenkemper und F. Hild haben ebenfalls an ein Erdbeben als Ursache gedacht und sprechen sich für eine Datierung dieses Ereignisses in das frühe 4. Jh. n. Chr. aus[32]. Der Einsturz des Gebäudes und der Verlust seiner Funktion durch die Ausbreitung des Christentums wären demnach in gewisser Weise korreliert. Der nichterfolgte Wiederaufbau kann aber auch als Hinweis auf eine bereits zurückgehende Bedeutung, wenn nicht teilweise oder sogar völlige Aufgabe des Agorabereichs in dieser Zeit gelesen werden.

Abgesehen vom Sebasteion scheint sich der städtebauliche Zuwachs in der Kaiserzeit in Grenzen gehalten zu haben, womit Bubon, seiner Größe entsprechend, das geringste urbanistische Niveau unter den drei anderen Städten der Tetrapolis erreichte[33]. Inschriftlich tatsächlich nachweisen lässt sich das für die hellenistische Zeit nur vermutete Gymnasion, das wohl gemeinsam mit dem Stadion (Abb. 250. 46) einen Teil der ›Südhalle‹ belegte[34]. Im Nahbereich des Dikmen Tepe sind zudem Hinweise auf Wasserleitungen angetroffen worden, welche die Brunnen der Stadt speisten und daneben eine – freilich unentdeckte – Therme mit Wasser versorgt haben könnten[35]. Über die Lage, Anzahl und die Gestalt von Heiligtümern lassen sich gleichermaßen nur Mutmaßungen anstellen[36].

 

Wie viele andere Städte im lykischen Teil der Provinz Lycia et Pamphylia war Bubon von dem schweren Erdbeben des Jahres 141/142 n. Chr. betroffen, wobei am Oberflächenbefund kein Bild vom Ausmaß der Schäden und auch nicht von etwaigen Wiederaufbaumaßnahmen zu gewinnen ist. Es müssen aber öffentliche Gebäude beschädigt gewesen sein, zu deren Wiederaufbau Opramoas von Rhodiapolis die allerdings vergleichsweise geringe Summe von 2.000 Denaren stiftete[37]. Die grundsätzliche Struktur der Stadt dürfte jedenfalls durch das Erdbeben und seine Folgen keine Veränderung erfahren haben, und das dürfte bis zum Beginn der Spätantike so geblieben sein.

Eine offene Frage ist in diesem Zusammenhang, wie der ›Spolienbau‹ (Abb. 250. 51) am westlichen Rand der Agora zu interpretieren und zu datieren ist. Das Gebäude nutzte entweder die Fundamente der westlichen Säulenhalle der Agora oder eines Vorgängerbaus mit ähnlichem Grundriss, und seine Mauern sind von zahlreichen Architekturteilen anderer Bauwerke durchsetzt (Abb. 250. 55). In einer dieser Mauern kam bei den Ausgrabungsarbeiten eine Silbermünze Gordians III. zu Tage[38]. Sie dürfte für die Datierung des Baus jedoch irrelevant sein, es sei denn, man will dessen Errichtung als Folge eines weiteren Erdbebens begreifen, das 240 n. Chr. die Region erschütterte. Das würde allerdings bedeuten, dass Wiederaufbaumaßnahmen im öffentlichen Zentrum von Bubon schon in der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. nur noch notdürftig und unter Ausschlachtung anderer, danach wohl nicht mehr existenter Bauten erfolgten, was schwer vorstellbar ist. Insofern ist die Errichtung des ›Spolienbaus‹, dessen funktionale Bestimmung ebenfalls nicht bekannt ist und sich auch nicht aus dem tempelartigen Grundriss ableiten lässt, vermutlich später, d. h. nachantik, anzusetzen.

Erdbeben waren nicht die einzige Bedrohung, denen die Bevölkerung von Bubon ausgesetzt war. Im Theater wurde jener Inschriftenstein angetroffen, der im Zusammenhang mit den Umlandbefunden schon erwähnt worden ist und einen Dankesbrief des Commodus enthält[39]. Der Kaiser dankte darin den Bürgern der Stadt im Jahr 190 n. Chr. für ihren erfolgreichen und tapferen Einsatz im Kampf gegen Räuberbanden. Damit ist eine Gefahr angesprochen, der man nicht nur in Bubon, sondern in vielen Teilen der Provinz, und vor allem in den abgelegeneren ländlichen Gebieten, im 2. und 3. Jh. n. Chr. ausgesetzt war. Während einige der Räuber sicher aus wirtschaftlicher Not heraus handelten, dürften viele von ihnen zu den nichtbefriedeten und nichtsesshaft gewordenen pisidisch-isaurischen Stämmen gehört haben, die aus ihren Gebieten immer wieder in die χῶραι der Städte einfielen[40].

C. Kokkinia beschreibt Bubon demgemäß als »frontier state« des Lykischen Bundes, der sein eigenes Territorium und das des Bundes schützte und verteidigte[41]. Ungeachtet dessen schließt sie aus der gleichzeitigen Ausstattung des Sebasteions darauf, dass Bubon im betreffenden Zeitabschnitt, also der späteren zweiten Hälfte des 2. und der ersten Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. prosperierte[42]. Der Niedergang dürfte erst danach eingesetzt haben, was in den unmittelbaren Nachbarorten, also in Oinoanda und Balbura, ebenfalls und wesentlich deutlicher zu beobachten ist[43].

Die gefundene kaiserzeitliche Keramik deckt sich erneut mit den Beobachtungen am Siedlungebefund und bildet das 1. bis 3. Jh. n. Chr. gut ab. Bei den noch als späthellenistisch oder frühkaiserzeitlichen eingeordneten Scherben scheinen häufiger Bezüge nach Pergamon zu bestehen, was aber Zufall sein kann. Insgesamt sind nämlich unter den Vergleichsstücken keine Schwerpunkte zu erkennen, wie das auch bei der hellenistischen Keramik der Fall war. Vertreten ist das typische Repertoire an Formen, das auch von anderen Fundorten in Kleinasien bekannt ist. So finden sich Formen der Eastern Sigillata A (ESA), bei denen es sich aber um Nachahmungen und nicht um Importe zu handeln scheint. Darüber hinaus sind Parallelen zur Eastern Sigillata B (ESB) und Sigillata Pontica vertreten. Spannend und bei zukünftigen Forschungen im Blick zu behalten, ist schließlich, dass einige Scherben wohl der Sagalassos Red Slip Ware (SRSW) zugehören.

 

Die Kenntnis des Umlandes von Bubon ist auch für die Kaiserzeit bislang sehr beschränkt, und Fragen zur Gliederung des ländlichen Raumes, zur Landnutzung oder zu wirtschaftlichen oder anderweitigen Strukturen lassen sich kaum beantworten. Im Pass unterhalb des Kale Tepe (Abb. 254. 3), der vielleicht schon die östliche Grenze des Territoriums von Bubon in Richtung Balbura markierte[44] oder zumindest in deren Nähe lag, ist mit dem mit Ares-Heiligtum, welches mit den ἀγορανόμοι verbunden war, immerhin ein ländliches Heiligtum zu fassen. Wenn es nicht schon früher existierte, stand sein Entstehen vielleicht mit der Räubergefahr im 2. oder 3. Jh. n. Chr. in unmittelbarem Zusammenhang. Die kleine Streusiedlung, die es umgab (KIB 254), mag ebenfalls schon früher bestanden haben, und das Heiligtum wurde in sie hineingesetzt oder bildete ihren Nukleus.

Auf die besagte Bedrohung durch Räuber wird wohl auch die Errichtung der befestigten Siedlung KIB 252 auf dem Gipfel des Kale Tepe (Abb. 252. 3) zurückgehen, und Selbiges könnte der Grund für die Massivität des am Hang gelegenen Gehöfts KIB 256 (Abb. 256. 2) sein. Unklar bleibt freilich auch in diesem Szenario, in welchem konkreten Verhältnis alle diese Befunde zueinander stehen.

Mit der Siedlung KIB 189 (Abb. 189. 3) wird ein etwas sicherer Boden betreten, da sich die Bestimmung ihres zeitlichen Rahmens, der von der Kaiserzeit bis in die Spätantike reichte, nicht nur auf die baulichen Überreste und mutmaßliche historische Hintergründe stützen muss, sondern entsprechend datierte Keramikfunde vorliegen. Dafür bleibt wegen des hohen Zerstörungsgrades die Struktur der Siedlung, die sich um einen offenbar geschützten, aus einer Felserhebung bestehenden Kernbereich erstreckte, weitgehend im Dunklen.

Bei der als Gehöft identifizierten und sicher in die Kaiserzeit datierten Fundstelle KIB 190/1 (Abb. 190. 1) südwestlich von Bubon ist die Unkenntnis der baulichen Strukturen sogar noch größer. Im Gegensatz zu allen anderen Siedlungsbefunden sind mit dem ›Löwensarkophag‹ KIB 190/2 (Abb. 190. 11) und dem Grabaltar KIB 190/3 (Abb. 190. 19) aber zwei Gräber vorhanden, die wohl mit Pächtern, Verwaltern oder sogar Besitzern des Anwesens und ihren Familien in Verbindung gebracht werden können[45], auch wenn die erhaltene Inschrift auf dem Altar in dieser Hinsicht wenig aussagekräftig ist. Zu dem Sarkophag lässt sich noch anmerken, dass er ein ländliches Gegenstück zum ›Löwensarkophag‹ KIB 191 (Abb. 191. 2) darstellt, der aus der städtischen Nekropole von Bubon stammt.

Bubon in Spätantike und byzantinischer Zeit

Im Hinblick auf das spätantike und byzantinische Bubon existieren einzelne schriftliche Quellen[46]. Bezeugt ist es als Sitz eines Suffraganbischofs innerhalb der Metropolie von Myra, und darüber hinaus sind zwei Bischöfe überliefert[47]. Während der eine, Hermaios, im Zusammenhang mit dem Konzil von Konstantinopel im Jahr 381 n. Chr. in Erscheinung trat, nahm der andere, Romanos, 451 n. Chr. am Konzil von Kalchedon teil und unterschrieb im Jahr 458 n. Chr. einen Protestbrief der Bischöfe von Lykien an Kaiser Leon I. wegen der Ermordung des Patriarchen von Alexandria Proterius. Abgesehen von einem Eintrag bei Stephanus von Byzanz erschöpfen sich damit die Nachrichten aus nachantiker Zeit beinahe schon[48]. Als Bobos/Bubos Sophianupolis wird es aber noch bis in das 9. Jh. als Bistum in den Bischofslisten geführt, und nach einer Umbenennung in Proana/Proine[49] ist es dort sogar bis in das 12. Jh. gelistet. Epigraphisch tritt die Spätzeit von Bubon lediglich durch eine sekundär auf einem kaiserzeitlichen Tischfuß angebrachte, wohl frühbyzantinische Inschrift in Erscheinung[50].

 

Der archäologische Befund vermag kaum mehr Lichts ins Dunkel zu bringen[51]. Eine Reihe wenig aussagekräftiger Baureste (Abb. 250. 81; 250. 85), die sich über das Siedlungsgebiet verteilen, lässt sich vermutlich wegen der Verwendung von Mörtel der Spätphase von Bubon zuweisen, kann aber weder funktional bestimmt noch zeitlich differenziert werden. Wie in Balbura wurde die Akropolis mit einem neuen Mauerring umgeben (Abb. 250. 16)[52], in dem zahlreiche Spolien verbaut wurden, und auch in Oinoanda sind ähnliche Tendenzen zu beobachten[53]. Während diese Maßnahme in Balbura wohl schon in das 3/4. Jh. n. Chr. fällt, wobei vermutlich im 5./6. Jh. n. Chr. das in die Ebene verlagerte kaiserzeitliche Stadtzentrum von einer weiteren Mauer umgeben wurde, ist für die Akropolisbefestigung von Bubon ein etwas späteres Baudatum und ein Zusammenhang mit der Bedrohung durch die Araber vorgeschlagen worden[54]. Für alle diese Datierungsvorschläge fehlen freilich handfeste Belege, und so gestaltet es sich schwierig, die Befestigungsmaßnahmen unter historischen Gesichtspunkten miteinander in Beziehung zu setzen und Gemeinsamkeiten oder Unterschiede herauszuarbeiten[55].

Diese Problematik betrifft in gleichem Maße das Stadtzentrum von Bubon, wo sich am Oberflächenbefund im Bereich der Agora abgesehen von dem im Abschnitt zur Kaiserzeit als nachantik eingeschätzten ›Spolienbau‹ (Abb. 250. 52) keine Hinweise auf späte Baumaßnahmen ablesen lassen. Das Gebäude unbekannter Funktion spiegelt aufgrund seines hohen Spolienanteils auch eher Abriss- denn Aufbauaktivitäten wider. Eine Antwort auf die Frage, wie lange der Agorabereich in nachantiker Zeit noch genutzt wurde oder weiterhin das Stadtzentrum bildete, ergibt sich daraus aber nicht. Einen Anhaltspunkt dafür vermag aber vielleicht das bereits besprochene Sebasteion (Abb. 250. 67) zu liefern.

Bis in die Mitte des 3. Jhs. n. Chr. war es nachweislich in Benutzung, um irgendwann danach vermutlich durch einen Erdrutsch verschüttet und nicht mehr instandgesetzt zu werden. Daraus lässt sich ableiten, dass zumindest dieser Bereich im Umfeld der Agora nicht nur seine Funktion verloren hatte, sondern sogar gänzlich aufgegeben wurde. Wenn diese Entwicklung tatsächlich in das frühe 4. Jh. n. Chr. fällt, dann kann sie mit ähnlichen Prozessen in anderen Städten der Region korreliert werden. Diese Prozesse lassen sich als allmähliche Transformation beschreiben, die den Übergang von städtebaulichen Traditionen der Kaiserzeit hin zu einer frühbyzantinischen Städtekultur bildete[56]. In Bubon ist diese Entwicklung anhand der Oberflächenbefunde aber nur sehr punktuell und undeutlich zu fassen, was zweifellos in weiten Teilen der Überlieferungssituation geschuldet ist.

Diese Situation spiegelt sich auch im Keramikspektrum wider. So lassen sich innerhalb der ›grab collection‹ nur wenige Keramikfragmente mit der Spätantike und der frühbyzantinischen Zeit in Verbindung bringen. Das kann zweifellos nicht nur mit einer subjektiven oder zufälligen Selektion beim Aufsammeln erklärt werden und wird auch nicht auf die ausgeprägten Raubgrabungstätigkeiten zurückzuführen sein. So mag der Erdaushub aus den zahlreichen Raublöchern mitsamt älterer Keramik zwar punktuell die jüngere Oberflächenkeramik überlagern, von einem flächendeckenden Phänomen kann aber keineswegs die Rede sein. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang zudem, dass ausgerechnet auf der nachweislich bis zuletzt umgestalteten und besiedelten Akropolis nur vergleichsweise wenige Keramikscherben an der Oberfläche angetroffen wurden.

Die jüngsten Stücke der aufgesammelten Keramikfragmente reichen allenfalls bis in das 7. Jh. n. Chr. hinauf, wobei sämtliche Gefäße, denen sie sich zuordnen lassen, über lange Laufzeiten verfügen und insofern auch älter sein können. Mittelbyzantinische Keramik, die von jenem Zeitraum zeugen könnte, als Bubon als Bistum bestand, fehlt völlig. Dieser keramische Befund findet im Umland in Siedlung KIB 189 und Gehöft KIB 190/1 weitgehend seine Entsprechung[57], wobei auch hier die fragmentarische Überlieferungssituation zu betonen ist. Der letzte Abschnitt der Geschichte und Siedlungsentwicklung von Bubon liegt demnach ähnlich im Dunkeln wie die Frühzeit vor der hellenistischen Gründung. Was mit dem Ort in nachbyzantinischer Zeit bis zu seiner Wiederentdeckung durch die europäischen Forschungsreisenden passierte, entzieht sich ebenfalls unserer Kenntnis[58].