II. Bubon. Eine zur Tetrapolis von Kibyra gehörende Kleinstadt

von Oliver Hülden

Die Überreste von Bubon (KIB 250) erstrecken sich über den Gipfel und die Hänge des Dikmen Tepe, eines aus der Ferne kegelförmigen Hügels, dessen Spitze aber tatsächlich ein recht geräumiges und im Norden von einer kleinen Felserhebung überragtes Plateau einnimmt (Abb. 250. 2). Flächenmäßig erreichte die Siedlung eine Größe von ungefähr 3 bis 4 ha[1].

Viele der Überreste sind erst durch die Raubgrabungsaktivitäten der letzten Jahrzehnte an die Oberfläche gekommen und waren zuvor verschüttet und unter der Erde verborgen[2]. Mehrzählig handelt es sich um stark gestörte Überbleibsel von Bauten, deren Grundrisse sich nur partiell ermitteln lassen und deren konkrete Funktionen, Zusammenhänge und Datierungen gewöhnlich unklar sind. Dennoch konnte 2006 ein erster Gesamtplan der Siedlung erstellt werden, der 2008 publiziert wurde[3] und jetzt in einer überarbeiteten Version vorliegt.

Abb. 250. 1 İbecik, Dikmen Tepe: Stadtplan von Bubon (KIB 250) [Bildquelle: © ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt]
 

Die Akropolis

Zu den wenigen Bauten der Siedlung, die sich genauer einordnen lassen, zählt zunächst die wohl byzantinische Befestigung, deren Mauern das gesamte als Akropolis dienende, ca. 80 × 30 m große Gipfelplateau des Dikmen Tepe umschlossen (Abb. 250. 18)[4]. Abarbeitungen in der Oberfläche der kleinen Felserhebung am nördlichen Ende des Plateaus dürften auf die Existenz einer älteren turmartigen Burganlage hinweisen (Abb. 250. 5), wohingegen die übrige Bebauung der Akropolis unklar bleibt. Von ihr zeugen nur noch einige Felsabarbeitungen (Abb. 250. 25) sowie Überreste zerstörter Gebäude, eines davon mit einem großen Steinbecken (Abb. 250. 26).

Der nachantike Befestigungsring, der entlang der Geländekante des Plateaus verläuft und vermutlich einer älteren Mauertrasse folgt, hat keine Türme. Im Norden lassen sich beiderseits der ›Burg‹ aber wohl zwei Zugänge ausmachen, wobei der westliche wohl die Form eines kleinen Kammertors (›Nordtor‹ [?]) hatte (Abb. 250. 11). Im Südosten ist dem Akropolismauerring am Fuß einer schräg verlaufenden Felsformation, über die ein aus Felsstufen bestehender Weg geführt ist, eine mit zwei Türmen versehene ›Sperrfestung‹ vorgeblendet (Abb. 250. 23). Sie gehört zu den am besten erhaltenen Bauten von Bubon und ist sicher in byzantinischer Zeit entstanden. In ihren Mauern sind einige Säulentrommeln verbaut, die auf die Existenz eines Tempels auf der Akropolis hindeuten könnten[5].

 

Das Felsgrab unterhalb der ›Burg‹

Mit dem Akropolisareal räumlich und wahrscheinlich auch durch einen Weg verbunden ist ein zwar schlichtes, aber recht großes Felsgrab, das ca. 30–40 m südwestlich unterhalb der ›Burg‹ gelegen ist (Abb. 250. 34)[6]. Aufgrund der Brüchigkeit des Fels ist seine Fassade samt dem Zugang weitgehend ausgebrochen und lässt nur noch die beidseitige Flankierung durch ›Anten‹ erkennen. Möglicherweise war die Fassade ursprünglich aufwendiger gestaltet, worauf auch hindeuten könnte, dass das gesamte Grab durch einen in den Felsen getriebenen umlaufenden, heute aber stark verschütteten ›Gang‹ wie ein Kubus freigestellt worden ist (Abb. 250. 36; 250. 32).

Die mit einer Grundfläche von ca. 5,0 × 5,0 m geräumige Grabkammer ist deutlich besser als die Fassade erhalten (Abb. 250. 37). Ihre Decke weist die Form eines flachen Satteldaches auf, und ihr Boden ist verschüttet, weshalb über etwaig vorhandene Abarbeitungen keine Aussage getroffen werden kann. Die Kammerrückwand zeigt neben einer horizontalen langrechteckigen Nische, die sich aufgrund ihrer Abmessungen für eine Körperbestattung eignet, eine weitere, senkrechte, die oberhalb der ersten in die Felswand eingetieft ist. Sie ist von geringer Tiefe und fällt auch insgesamt etwas kleiner aus als die erste Nische, wobei ihre Funktion unklar bleiben muss (Abb. 250. 35)[7].

 

Das städtische Zentrum: Agora mit Stadion (?), ›Spolienbau‹, Theater und Sebasteion

Auf einer ausgedehnten, ca. 150 m langen und ca. 80 m tiefen Geländestufe südöstlich unterhalb der Akropolis und ungefähr auf halber Höhe des Dikmen Tepe ist das Stadtzentrum von Bubon mit seinen öffentlichen Bauten gelegen. Von ihnen sind die Agora, ein kleines Theater, ein Sebasteion und ein nachantiker, aus Spolien errichteter Bau noch vergleichsweise gut oberirdisch erhalten.

Die Agora präsentiert sich zunächst als große, rechteckige Platzanlage[8]. Im Süden war sie von einem lang gestreckten Stockwerkbau begrenzt (›Südhalle‹), der durch ein zumindest im östlichen Teil aus gleich großen, tonnenüberwölbten Räumen (vier davon erhalten) von ca. 7,0 × 6,0 m Grundfläche bestehendes Substruktionsgeschoss den bis zu ca. 8,0 m betragenden Niveauunterschied zur unterhalb folgenden Geländestufe überbrückte (Abb. 250. 39). Weite Teile dieses stellenweise tief verschütteten Untergeschosses, das aus großen, pseudoisodom verlegten Quadern errichtet worden ist, stehen hoch an und lassen die Gewölbeansätze noch erkennen (Abb. 250. 42).

Wie das Obergeschoss gestaltet war, ist nur zu vermuten, wobei von einem Geschoss im Sinne eines geschlossenen Baukörpers vielleicht gar nicht gesprochen werden kann. Zur Platzanlage hin dürfte zwar eine Abgrenzung durch eine Säulenstellung oder Säulenhalle (in dorischer Ordnung [?], Abb. 250. 43) bestanden haben, dahinter erstreckte sich aber ein vermutlich offener Bereich mit mindestens fünf Sitzreihen (Abb. 250. 48), der – von mindestens einem Durchgang durchbrochen – die gesamte Länge des Gebäudes einnahm. Zu Füßen der letzten Stufe dürfte eine Freifläche angeschlossen haben, die somit von den Tonnengewölben der Substruktionsräume getragen wurde und talseitig lediglich eine Brüstung aufgewiesen haben könnte.

Es liegt auf der Hand, in dieser Anlage das Stadion von Bubon erkennen zu wollen, und einen solchen Identifizierungsvorschlag haben auch schon frühere Forscher unterbreitet, ohne dass jemals ein alternativer Deutungsvorschlag gemacht worden wäre[9]. Die Gestaltungsweise und auch die Kombination mit der ›Südhalle‹ sind als ungewöhnlich zu bezeichnen, zumal die Sitzstufen nur auf einer Seite der Freifläche zu finden sind. All das dürfte aber auf die begrenzte Auswahl größerer ebener Freiflächen am Dikmen Tepe zurückzuführen sein und findet Parallelen in Lykien[10]. Trifft diese Deutung zu, so ist in diesem Bereich der Agora und möglicherweise in unmittelbarer Verbindung mit dem Stadion wohl auch das inschriftlich erwähnte Gymnasion von Bubon zu suchen[11].

 

Auch auf den anderen drei Seiten dürfte die ca. 120 × 40 m große Platzanlage der Agora von Hallenbauten (in dorischer Ordnung [?], Abb. 250. 43) begrenzt gewesen sein. An ihrem westlichen Ende finden sich ungefähr auf oder etwas vor der Linie, auf der die dortige Halle gelegen haben dürfte, die Überreste eines rechteckigen, aus Spolien errichteten Baus von ca. 12,0 m Länge und ca. 7,0 m Breite (›Spolienbau‹; Abb. 250. 50)[12]. Das noch partiell sichtbare Fundament dieses Baus, dessen Blöcke ebenso sorgfältig verlegt wie bearbeitet sind, könnte durchaus von einem älteren Tempel stammen (Abb. 250. 51; zu sehen an der westlichen Langseite, rechts im Bild). Von diesem könnte zudem ein Teil der verbauten und verstreut in unmittelbarer Nähe liegenden Architekturteile zumeist dorischer Bauordnung stammen (Abb. 250. 53; 250. 55; 250. 56), wenn sie nicht wie die übrigen Bauglieder den Hallen der Agora oder anderen, nicht weiter bekannten Bauten in diesem Bereich zuzuweisen sind[13]. Anders als soeben für seinen möglichen Vorgängerbau geschehen, ist eine funktionale Einordnung des ›Spolienbaus‹ nicht möglich. Fest steht lediglich, dass er nach Auflassung der Agora oder zumindest nach deren massiver baulicher Veränderung entstanden sein muss und insofern als nachantik zu betrachten ist.

 

Im Osten lässt sich das Ende der Platzanlage nur erahnen, da diese offenbar in eine weitere Freifläche von ca. 40 × 40 m überging. Von ihr finden sich Reste der nördlichen Einfassung und einer Baustruktur an der Nordostecke (Abb. 250. 45), wohingegen im Süden auf Höhe der ›Südhalle‹ der Agora, aber leicht in der Orientierung abweichend ein ›Mauereck‹ aus Quadern von einer Begrenzung zeugt. Diese Baustruktur unterscheidet sich von der ›Südhalle‹ durch ihr isodomes Mauerwerk und die Lotkante an ihrer Ecke (Abb. 250. 60). Sie bildet auch nicht die südöstliche Ecke der oberhalb gelegenen Freifläche, sondern liegt etwa auf halber Strecke von deren Südseite. Insofern bildete das ›Mauereck‹ nicht einfach die Fortsetzung der ›Südhalle‹ der Agora, sondern gehörte wohl zur Terrasse eines separaten Bauwerks, mit der ebenfalls der Niveauunterschied zur unterhalb gelegenen Geländestufe überbrückt wurde. Wie dieser Übergang genau gestaltet war und welchem konkreten Zweck er diente, ist oberflächlich jedoch nicht mehr zu erkennen. Eine weitere, erneut kleinere (ca. 30 × 30 m) und ebenfalls architektonisch gerahmte Freifläche (für einen Tempel [?][14]) scheint zudem weiter östlich anzuschließen und leitet zu einem Geländesporn über, auf dem die Reste einiger größerer Bauten liegen[15].

Auf der Nordseite der Agora und der soeben beschriebenen östlich anschließenden größeren Freifläche steigt das Gelände zur nächst höheren Geländestufe an. Der Niveauunterschied dürfte hier auf ca. 120 m Länge durch eine womöglich durchgehende Terrassenmauer (mit vorgeblendeter Säulenhalle [?]) überbrückt worden sein, wovon noch einzelne Mauerreste zeugen. Während im Westen ein kleines Theater mit vielleicht 1.500 Sitzplätzen die gesamte Tiefe dieser höheren Geländestufe einnimmt (Abb. 250. 63)[16], ist deren Verbauung im östlichen Teil weitgehend unklar.

Nur ein Bauwerk lässt sich dort mit dem Sebasteion im rückwärtigen, erneut terrassierten Teil der Geländestufe ausmachen (Abb. 250. 67). Selbst nach der Ausgrabung in der Folge von Raubgrabungstätigkeiten bleibt die Kenntnis dieses mit den Bronzestatuen von wahrscheinlich 14 Kaisern und Kaiserinnen ausgestatteten Baus oder Baukomplexes aber unvollständig[17]. Auszugehen ist wohl von einem Gebäude mit mindestens drei Räumen, dessen Zentrum der Saal mit den Statuen war. Das Sebasteion ist der einzige bislang nachgewiesene Sakralbau von Bubon.

 

Zum weiteren Stadtgebiet, seiner Bebauung und Infrastruktur

Von den übrigen Teilen des Stadtgebiets von Bubon lässt sich nur noch eine vage Vorstellung gewinnen[18]. Aus der Prämisse, dass Städte im Hellenismus kaum ohne eine eigene Befestigung auskommen konnten, und aus stellenweise erkennbaren Mauerbettungen im westlichen Randgebiet des Südhanges des Dikmen Tepe sowie einem Versturzstreifen an dessen südlichem Fuß (Abb. 250. 86) wird auf die Existenz einer Stadtmauer geschlossen[19]. Über ihre konkrete Gestaltung und die Ausstattung mit Türmen sowie Toren lässt sich aber keine Aussage mehr treffen.

Auch wenn seine Grenzen demnach mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind, so lässt sich das Stadtgebiet von Bubon doch als ca. 300 m breiter Streifen beschreiben, der von der Akropolis über den gesamten Südhang bis zum Fuß des Dikmen Tepe reichte. Das Stadtzentrum bestand aus den zuvor beschriebenen öffentlichen Bauten um die Agora, welche den einzigen größeren und ebenen Geländeabsatz nutzten, der am sonst steilen Hang zu finden ist. Oberhalb, unterhalb sowie zu beiden Seiten dieses Zentrums verteilten sich die übrigen Bauten, von denen viele sicherlich Wohnhäuser waren.

Von diesen größtenteils verschütteten Bauten kamen einzelne Mauerabschnitte und in den Fels geschlagene Rückwände an vielen Stellen durch die Anlage zahlreicher Raublöcher, die den gesamten Hang überziehen, ans Tageslicht. Funktional lassen sich weder die einzelnen Bauten noch ihre Räumlichkeiten bestimmen. Neben Wohnbauten dürften hier auch Werkstätten und Läden zu finden sein, ohne dass sich diese aber eindeutig identifizieren ließen. Alle diese Bauten reihten sich offenbar in dichter Folge auf den schmalen Geländestufen der steileren Hangabschnitte aneinander und folgten mit ihrer Ausrichtung deren Konturen. Die meisten dürften wenig komplex gebaut gewesen sein und auch nur über eine geringe Größe verfügt haben.

Eine etwas großzügigere Bebauung ist lediglich nördlich von jener ca. 30 × 30 m großen Freifläche auszumachen, die weiter oben schon besprochen wurde und sich östlich an die Agora anschließt. Hier setzt sich die große Geländestufe mit den öffentlichen Bauten in einem kleinen Sporn fort, auf dem sich die Grundmauern einiger Gebäude abzeichnen, die vielleicht zu einem größeren oder mehreren Baukomplexen gehörten (Abb. 250. 80). Um welche Art von Gebäuden es sich handelte, ist ungewiss, eine Deutung als repräsentativere Wohnhäuser ist aber denkbar. Vereinzelt verbaute oder verstreut umherliegende Spolien (Abb. 250. 82) wie die Verwendung von Mörtel lassen zumindest auf nachhellenistische Nutzungsphasen schließen, ohne dass sich über diese aber Genaueres sagen ließe.

 

Knapp 100 m unterhalb der ›Südhalle‹ der Agora passiert der Ziegenpfad, der den heutigen Aufweg über den Südhang zum Gipfelbereich bildet, die aus großen Quadern errichtete Ecke einer sonst verschütteten Terrassierung (Abb. 250. 73). In ihrer unmittelbaren Umgebung liegen verstreut Bauteile, die offensichtlich von Ehrenmonumenten stammen, darunter vier mit Inschriften versehene Statuenbasen (Abb. 250. 76) und wenigstens vier Sitzbänke mit gedrechselten Beinen (Abb. 250. 78)[20]. Eine Verschleppung dieser allesamt in das 2./3. Jh. n. Chr. zu datierenden Bauteile von einem oder mehreren anderen Orten ist wenig wahrscheinlich, zumal sich Reste einer Basis in situ befinden (Abb. 250. 74). Wie sie allerdings arrangiert waren und in welchem konkreten Zusammenhang sie zueinander oder mit der Terrassierung standen, lässt sich nicht sagen.

Denkbar wäre zumindest, dass diese Monumente öffentlicher Ehrung auf einen Weg Bezug nahmen, bei dem es sich dann wohl um eine, wenn nicht die Hauptachse von Bubon handelte. Unterhalb der Monumentgruppe folgte offenbar bereits die Siedlungsgrenze mit der angenommenen, heute hier aber überhaupt nicht mehr sichtbaren Stadtmauer. Trifft das entworfene Bild von diesem Areal zu, so müsste hier auch ehemals ein Zugang zur Stadt in Form eines Tors gewesen sein. Auffällig ist schließlich, dass die Inschriften auf den Basen zumindest teilweise früh verstorbene Mitglieder der lokalen Elite ehrten, weshalb C. Kokkinia zu dem Urteil gelangte, »daß dieses kleine Plateau mit dem schönen Ausblick, den Sitzbänken und den vielen Statuen weniger als ein Ort anzusehen ist, wo die Familien der Elite ihrer Eitelkeit freien Lauf lassen konnten, sondern vielmehr als Stätte begriffen werden muß, an der geliebter, und vielleicht auch beliebter, früh verstorbener Menschen gedacht wurde«[21].

 

In welcher Art das übrige Stadtgebiet durch Wege erschlossen war, verbirgt sich unter dicken Erdschichten. Da die Bebauung vielfach der Geländesituation folgte, dürfte dies auch für die Wegverbindungen gelten, bei denen es sich vielfach um schmale, bei senkrechtem Verlauf zum Hang wohl als Treppen oder Rampen gestaltete Gassen gehandelt haben wird.

Angesichts fehlender Quellen auf und im Bereich des Dikmen Tepe musste die Versorgung mit Frischwasser von anderer Seite erfolgen. In einem Gebäude östlich der Akropolis findet sich ein rechteckiges Bassin, das wahrscheinlich als Zisterne diente (Abb. 250. 84). Einerseits ist demnach damit zu rechnen, dass in Bubon in dieser Weise auch an anderer Stelle Regenwasser gesammelt wurde. Andererseits haben sich an zwei Orten in der östlichen wie südöstlichen Umgebung des Dikmen Tepe Reste tönerner Rohrleitungen gefunden, durch die Wasser nach Bubon transportiert worden war. Wie das Wasser dann in die höheren Areale der Stadt gelangte und wie es insgesamt verteilt wurde, entzieht sich erneut unserer Kenntnis. Anzumerken ist im Zusammenhang mit der Wasserversorgung noch, dass in Bubon bislang die Existenz einer Thermenanlage nicht nachzuweisen, vielleicht aber zu vermuten ist.

Nekropolen und Gräber

Mit Ausnahme des beschriebenen Felsgrabes unterhalb der Akropolis (Abb. 250. 30) dürften sich die Gräber von Bubon extra muros auf einzelne Nekropolenbereiche am Fuß des Dikmen Tepe verteilt haben. Einige von ihnen lagen sicher entlang von Straßen und Wegen und damit auch in größerer Distanz zur Siedlung. Über diese Nekropolen und Gräber lässt sich nur noch sehr eingeschränkt etwas sagen, wobei die Situation zu Zeiten der früheren Forschungsreisenden wenig besser war. So berichten diese von zerstörten Gräbern, die sie vor allem auf der West- und Ostseite des Dikmen Tepe angetroffen haben und bei denen es sich vor allem um Sarkophage und Grabsäulen oder Grabaltäre[22], teilweise mit Inschrift, gehandelt hat[23].

Diese spärliche Reste ergänzen zehn weitere mit Inschriften versehene Grabsäulen/Grabaltäre und der Türsturz eines Grabbaus, die ins nahe gelegene İbecik verschleppt wurden[24]. Die Mehrzahl dieser Monumente ist heute verschollen, und ihr letzter am Ort verbliebener Zeuge ist die Bodenplatte eines Sarkophags, der am Südfuß des Dikmen Tepe in einer Böschung steckt. Er allein dürfte noch ungefähr einen der ehemaligen Nekropolenbereiche von Bubon markieren und damit den Rückschluss erlauben, dass die weiter oben postulierten Siedlungsgrenzen zutreffen und sich das Stadtgebiet ehemals nicht bis in die Ebene ausdehnte[25].

Angesichts solch weitgehender Zerstörungen ist es ein glücklicher Umstand, dass vier Gräber erhalten geblieben sind, deren – bis auf eine Ausnahme nochmalige – Betrachtung zudem überaus lohnenswert ist. Bei ihnen handelt es sich zunächst um die beiden in etwas größerer Entfernung zum Dikmen Tepe gelegenen Felsgräber KIB 251 und KIB 259, die M. Seyer erstmalig ausführlicher besprochen hat[26]. Sie sind ihrer Bauweise entsprechend in situ und verfügen gegenüber ihrem Pendant unterhalb der Akropolis über aufwendiger gestaltete oder zumindest besser erhaltene Fassaden. Hinsichtlich ihrer Zuordnung gibt es keine eindeutigen Hinweise. Ihre Lage und der Mangel an anderweitigen, potenziell mit ihnen zu verbindenden Siedlungsplätzen in der Nähe lässt aber am ehesten an einen unmittelbaren Zusammenhang mit Bubon denken[27]. Zudem dürfte für sie die weiter oben angesprochene Straßenanbindung gelten.

 

Die Fassade von KIB 251 ist ionisch geprägt, diejenige von KIB 259 indes dorisch, und auch sonst lassen sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden Gräbern feststellen. So verfügt das nördlich des Dikmen Tepe gelegene Exemplar über einen Pronaos, der seiner Fassade eine größere Tiefe verleiht, als es bei seinem südlichen Pendant der Fall ist. Durch diese Vorhalle besitzt das Grab zudem eine zweite ›Fassade‹, die neben einem aufwendig gerahmten Eingang zur Grabkammer zwei wohl als Scheinfenster zu interpretierende Nischen aufweist[28].

Die Kammern beider Gräber mit ihren durch Schiebetüren verschließbaren Zugängen und den U-förmig entlang den Seitenwänden aus dem Fels herausgeschlagenen Klinen sind dagegen ähnlich gestaltet[29]. Ein Unterschied besteht allerdings im Hinblick auf die Decke: Während diese bei KIB 259 flach ausfällt, besteht sie bei KIB 251 aus einem leichten Tonnengewölbe. Aufgrund einiger baulicher Details geht M. Seyer zudem davon aus, dass das am Ortsrand von İbecik gelegene Felsgrab unfertig geblieben ist, zieht daraus aber keine weiteren Schlussfolgerungen[30]. Auf die Benutzbarkeit des Grabs als Ort von Bestattungen hatte diese vermeintliche oder tatsächliche Unfertigkeit jedenfalls keine Auswirkung.

Für beide Felsgräber führt Seyer allgemein lykische sowie karische und damit südlich der Kabalis/Kibyratis beheimatete und von griechischer Architektur beeinflusste Parallelen an[31]. Diese werden in die zweite Hälfte des 4. und in das 3. Jh. v. Chr. datiert, und eine solche zeitliche Einordnung erscheint Seyer auch für die zwei Exemplare bei Bubon als naheliegend. Allerdings verweist er auch auf die kleine, zuletzt noch gewachsene Gruppe von Felsgräbern lykischen Typs in der Kabalis/Kibyratis und der Milyas hin, deren Errichtung zumindest auf eine von Lykien ausgehende kulturelle Beeinflussung zurückzuführen ist. Möglicherweise stand dieser Einfluss sogar konkret mit einer Eroberung dieser Gebiete in der ersten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. durch den ostlykischen ›Dynasten‹ Perikle von Limyra im Zusammenhang[32]. Mit seiner Favorisierung eines frühhellenistischen Baudatums setzt Seyer die beiden Gräber von Bubon allerdings von diesen spätklassischen lykischen Gräbern ab und betrachtet sie dementsprechend als deren Nachläufer.

Diese grundsätzlich plausible zeitliche wie kulturelle Einordnung lässt sich durch einige Gedanken ergänzen, wozu insbesondere auf die oben schon hervorgehobene Verschiedenheit der Fassaden beider Gräber zurückzukommen ist. Diese soll jedoch weniger an der Verwendung unterschiedlicher griechischer Architekturordnungen (ionisch versus dorisch) oder deren Details (Säulen versus Pilaster) als vielmehr an der allgemeinen Konzeption der Fassaden festgemacht werden. So präsentiert sich die Fassade von KIB 259 (Abb. 259. 2) trotz einer gewissen Plastizität als eher flach. Dieses Merkmal setzt das Grab deutlich von KIB 251 ab und verbindet es mit einer Vielzahl entsprechend gestalteter Felsgräber mit griechischen Fassaden in Lykien, wie sie in größerer Zahl etwa in den Nekropolen von Limyra zu finden sind[33]. Schon von M. Seyer angeführte Vergleichsbeispiele, die vor allem aus dem karisch-lykischen Grenzgebiet um den Golf von Telmessos (Fethiye) stammen, sind sogar noch ähnlicher und lassen sich durch weitere Gräber, insbesondere aus Idyma, ergänzen[34]. Darüber hinaus bieten ein Felsgrab in Araxa und eines auf der Antiphellos (Kaş) vorgelagerten Insel Megisti gute Vergleichsmöglichkeiten[35].

Das Grab KIB 259 lässt sich demnach von KIB 251 abgrenzen, und es findet sich auch eine eigene Gruppe von Parallen im lykisch-karischen Übergangsgebiet und in Lykien. Für diese Gräber könnte auch noch ein spätklassisches Baudatum in Frage kommen, wobei die einigermaßen datierbaren Exemplare gewöhnlich der zweiten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. zugewiesen werden[36]. Damit wäre das Grab zwischen İbecik und Elmalıyurt zeitlich etwas später anzusetzen als die weiter oben genannte und mit der möglichen Eroberung der Kabalis durch Perikle von Limyra in Verbindung gebrachten Gruppe von Felsgräbern, deren Fassaden vollständig in Anlehnung an die lykische Holzbauweise gestaltet sind.

Mit KIB 277 (Abb. 277. 1) liegt eines von ihnen tatsächlich nur ca. 18 km Luftlinie westlich von Bubon entfernt, nahe dem Dorf Kirazlıyayla, und es kann im Gegensatz zu den übrigen Vertretern der Gruppe auch anhand einer Inschrift auf seiner Fassade in das 4. Jh. v. Chr. datiert werden[37]. Insofern ließe es sich durchaus mit der möglichen Eroberung der Kabalis durch Perikle von Limyra in Zusammenhang bringen, kann aber ebenso etwas später in der zweiten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. angesetzt werden.

Die Diskussion um die Datierung von KIB 259 führt demnach zu keinem eindeutigen Ergebnis. J. J. Coulton hat das zuletzt noch einmal durch seine grundsätzliche Skepsis gegenüber den nördlichen Eroberungen des Perikle von Limyra und den Hinweis auf möglicherweise bis in den späten Hellenismus reichende Nachläufer der Felsfassadengräber im lykischen Kernland zum Ausdruck gebracht[38]. Daher möchte er die in der Kabalis nichtheimischen Felsfassadengräber auch weniger eingewanderten Lykiern zuweisen als vielmehr Angehörigen der lokalen Eliten, die dadurch ihren hohen Status zur Schau gestellt hätten. Eine plausible Erklärung, warum diese Eliten ausgerechnet eine fremde Grabform übernommen haben sollten, als diese am Herkunftsort, also in Lykien selbst, zwar noch für Nachbestattungen genutzt wurde, aber ansonsten schon nicht mehr aktuell und überdies so stark mit der lykischen Identität in klassischer Zeit verbunden war[39], bleibt Coulton allerdings schuldig[40]. Auch wenn das Grab KIB 259 also selbst nicht zu den eindeutig lykischen Gräbern gehört, so ist es wohl dennoch wie die in Lykien anzutreffenden vergleichbaren Felsgräber mit griechischen Architekturelementen so stark mit ihnen verbunden, dass hier eine noch spätklassische Datierung im 4. Jh. v. Chr. postuliert werden kann, ohne dass sie aber zweifelsfrei zu belegen wäre.

Ein wenig anders dürfte es sich hingegen mit Grab KIB 251 (Abb. 251. 1) verhalten, obgleich dieses ebenfalls Übereinstimmungen mit den Felsfassadengräbern im lykisch-karischen Grenzgebiet aufweist[41], die aber eher allgemeiner Natur sind. Die durch seine tiefe Vorhalle erzeugte Plastizität in Kombination mit den stämmigen Frontsäulen setzt das Grab aber doch stärker von seinem Pendant KIB 259 ab, als dass es mit diesem vor einem gemeinsamen Hintergrund betrachtet werden kann. Stattdessen kommt für das Grab wohl tatsächlich ein nachklassischer Zeitansatz in Betracht, der aber über eine Einordnung als hellenistisch nicht hinauskommt.

Auf der Suche nach Parallelen bietet sich bei diesem Grab auch ein Wechsel des Blickwinkels an. So zeigt die Fassade des ›Gerdek Kaya‹ genannten und gewöhnlich in das 2. Jh. v. Chr. datierten Felsgrabes nahe Çukurca in Phrygien zwar dorische Architekturelemente, ist aber im Hinblick auf die Tiefe der Vorhalle und die Scheinfenster vergleichbar[42]. Gleiches trifft auf ein ebefalls als ›Gerdek‹ bezeichnetes Felsgrab beim Dorf Karakoyunlu in Paphlagonien zu, das Gemeinsamkeiten mit KIB 251 zeigt, sich in den Details aber auch deutlich von diesem unterscheidet und in das letzte Drittel des 4. Jhs. v. Chr. oder auch hellenistisch datiert wird[43].

 

Abgesehen von den beiden Felsfassadengräbern lassen sich ein Sarkophagdeckel und ein Sarkophagkasten der Nekropole von Bubon zuweisen. Während der Deckel (KIB 191) verschleppt und heute im Hof der am südwestlichen Ortsausgang von İbecik gelegenen örtlichen Forstverwaltung aufgestellt worden ist[44], befindet sich der ebenfalls verschleppte und nicht zugehörige Kasten schon seit einigen Jahren im Archäologischen Museum von Burdur (KIB 253)[45]. Der mit einer von vier Alabastra getragenen Girlande, einer Scheintür und der Grabinschrift verzierte Kasten hat in der Forschung einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen, was insbesondere in einer lebhaftten Diskussion um seine chronologische Einordnung mündete. Die Einzelheiten dieser Kontroverse wurden an anderer Stelle bereits dargestellt[46], weshalb hier zunächst ihr Ergebnis – unter Berücksichtigung der seither erschienenen neuen Literatur und einiger bisher wenig beachteter Details – noch einmal wiederzugeben und leicht zu ergänzen ist. Wie sich der außergewöhnliche Sarkophag anschließend in die Siedlungsgeschichte von Bubon einordnen lässt, wird in Kapitel VI im Abschnitt zum hellenistischen Bubon zu klären sein.

Nach einer ersten eingehenden Analyse des Kastens gelangte V. M. Strocka zu dessen Datierung in die erste Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. und damit zu der Erkenntnis, in ihm eines der frühesten Exemplare eines Girlandensarkophags vor sich zu haben[47]. Da die auf der Frontseite angebrachte Inschrift für einen Herakleon und seine Kernfamilie jedoch aus dem 2. Jh. n. Chr. stammt, sei sie mit einer sekundären Nutzung des Sarkophags zu verbinden. Die grundsätzliche Einschätzung des Kastens als hellenistisch, der zunächst allein die Auffassung von F. Işık entgegenstand, Sarkophag und Inschrift könnten doch gleichzeitig und in die spätantoninische Zeit zu datieren sein[48], darf gewiss als zutreffend betrachtet werden. Allerdings hat mittlerweile eine Annäherung der Positionen stattgefunden, und die Datierungsansätze bewegen sich nunmehr zwischen dem 3./2. Jh. v. Chr. und der späthellenistischen sowie frühen Kaiserzeit, womit zumindest die Diskussion um die Gleichzeitigkeit von Kasten und Inschrift obsolet scheint[49].

Der Diskussion um die Datierung des Sarkophags sind keine neuen Einsichten hinzuzufügen. Stattdessen soll den Konsequenzen aus der vergleichsweise frühen zeitlichen Einordnung noch ein wenig Aufmerksamkeit zukommen. So ist der Sarkophag nicht nur innerhalb der Nekropole von Bubon isoliert, sondern hellenistische Sarkophage sind aus der gesamten Kabalis/Kibyratis nicht bekannt[50]. Vielmehr war die Verbreitung dieses Grabtyps in der Region offenbar auf die Kaiserzeit mit einem Schwerpunkt im 2. und 3. Jh. n. Chr. beschränkt, wofür der in der Folge zu behandelnde ›Löwensarkophagdeckel‹ KIB 191 als stellvertretendes Beispiel betrachtet werden kann.

Die ohnehin schon exponierte Stellung des Sarkophags wird durch den verwendeten Marmor und die hohe Qualität der Bearbeitung bei gleichzeitiger schlichter Eleganz verstärkt. Nicht grundlos ist daher der Gedanke geäußert worden, er sei nicht in der Region selbst, sondern an einem anderen Ort in Kleinasien hergestellt worden[51]. Sicher belegen ließe sich das freilich, wenn überhaupt, nur durch naturwissenschaftliche Analysen zur Herkunftsbestimmung, die aber derzeit nicht möglich sind. J. J. Coulton hat jedenfalls in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass die frühe Stellung des Sarkophags durch eine fremde Herkunft und erst sekundäre Verbringung nach Bubon (für die Bestattung des Herakleon und seiner Familie [?]) leichter zu erklären wäre, weil damit der Kabalis/Kibyratis für die Entwicklung der frühen Girlandensarkophage wie der hellenistischen Sarkophage generell keine Bedeutung zukäme[52].

Ein weiterer Gedanke lässt sich den bisherigen Überlegungen hinzufügen: Beachtung haben die Klammerlöcher auf den beiden Kastenschmalseiten gefunden – allerdings nur die beiden am oberen Rand[53]. Die beiden anderen Löcher, die ungefähr parallel zu den anderen am unteren Rand angebracht sind (Abb. 253. 3; 253. 5), blieben hingegen außen vor, weshalb sie für die Interpretation auch keine Rolle spielten. Erklärt wurden daher die oberen Löcher mit einer Verklammerung des Kastens mit dem heute fehlenden Deckel, was zum Schutz der im Sarkophag vorgenommenen Bestattungen geschehen sei. Eine analoge Erklärung ist jedoch für die beiden unteren Klammerlöcher ausgeschlossen. Deshalb ist vielleicht die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass alle vier Klammerlöcher erst zu einer Zeit angebracht wurden, als der Sarkophag schon nicht mehr für Bestattungen genutzt worden war, sondern in einem völlig anderen baulichen Zusammenhang verklammert war[54].

Das lässt zum Abschluss dieser revidierten Betrachtung des Girlandensarkophags von Bubon noch einmal dessen möglichen Aufstellungskontext in den Fokus rücken. Dazu ist angemerkt worden, dieser ließe sich nicht mehr feststellen, weshalb eine Aufstellung unter freiem Himmel ebenso denkbar sei wie die Aufstellung in einem Grabbau[55]. Diese Auffassung dürfte indes nicht zutreffen. Vielmehr dürfte der Sarkophag tatsächlich in einem Gebäude aufgestellt gewesen sein, wobei die Ausarbeitung von lediglich zwei Kastenseiten nahelegt, dass er dort nicht allein stand, sondern zu einem Ensemble gehörte. So sprechen die kleinen Bossen auf der Rückseite (Abb. 253. 6) für die Annahme, dass sie in entsprechende Vertiefungen in einer Wand eingepasst waren, vor der der Kasten platziert war. Nicht unmittelbar mit einer Wand verbunden, aber ihr zumindest zugewandt gewesen sein, wird auch die bis auf die Fußleiste nichtausgearbeitete rechte Schmalseite (Abb. 253. 4). Damit dürfte der Sarkophag innerhalb eines Grabbaus zu einem U-förmig aufgestellten Dreierensemble gehört und dessen linke Seite gebildet haben. Der Sarkophag wäre also kein Einzelstück gewesen.

 

Von einem anderen Sarkophag in den Nekropolen von Bubon stammt der Deckel KIB 191[56]. Auf seinem Satteldach lagert ein fast vollständig erhaltener Löwe, bei dem vor allem der mit einer prachtvollen Mähne ausgestattete Kopf auffällt (Abb. 191. 7). Sarkophage mit solchen ›Löwendeckeln‹, die das Raubtier fast durchweg in gleicher Körperhaltung zeigen, sind hauptsächlich in Balbura und der Balburike, in den südlichen Teilen der Kibyratis und spärlicher in der Oinoandike anzutreffen[57]. Angesichts dieses Verbreitungsgebiets lässt sich kaum davon sprechen, die ›Löwensarkophage‹ seien als typisch für Pisidien zu betrachten[58]. Vielmehr sind sie wohl als kulturelle Marker eines durch Zuwanderung zwar pisidisch mitgeprägten[59], aber deutlich kleineren Gebiets zu betrachten und müssen dementsprechend eine Bedeutung für die dort ansässige Bevölkerung oder zumindest einen Teil von ihr besessen haben[60].

Der Löwe blickt aufgrund seiner Stärke in der orientalischen, anatolischen und griechischen Welt auf eine lange Tradition als Symbol der Herrschaft und der Sieghaftigkeit zurück, und im sepulkralen Kontext tritt eine Bedeutung als Grabwächter oder apotropäisches Zeichen hinzu[61]. Das Ruhen der massigen Löwenkörper mit ihren anscheinenden wachsam aufgerichteten Köpfen auf den Sarkophagdeckeln legt den Gedanken nahe, sie primär als Grabwächter betrachten zu wollen[62]. Ebenso denkbar ist es aber, die Löwen als Symbole von Stärke und Tapferkeit aufzufassen und demgemäß mit Eigenschaften zu verbinden, die das Selbstverständnis der Bewohner der Balburike und der benachbarten Gebirgszonen prägten und Unterscheidungsmerkmale gegenüber der Bevölkerung in den Ebenen darstellten[63]. Mit dieser Interpretation erweist sich die Wächterfunktion nicht als obsolet, der die eigene Identität betreffende Repräsentationsgedanke hinter den Löwendarstellungen rückt aber deutlich in den Vordergrund.

Diese Sichtweise unterstreicht eine Inschrift, die eine auf den Friedhof von Elmalıyurt verschleppte kaiserzeitliche Grabsäule ziert[64]. Aus ihr erfahren wir nämlich, dass ein Kallikles, Sohn des Komon, für seine Frau und seine Tochter Statuen aufgestellt hat – und für sich selbst einen Löwen[65]. In welcher Form man sich das Monument vorzustellen hat, ist ungewiss, es dürfte aber nicht von einem ›Löwensarkophag‹, sondern von einer (auf der Säule selbst [?]) aufgestellten rundplastischen Löwenskulptur auszugehen sein[66]. Für den grundsätzlichen Sachverhalt, dass sich Kallikles auf seinem Grab durch eine Löwendarstellung repräsentiert wissen wollte, dürfte deren formale Ausführung freilich unerheblich sein.

In der Körperhaltung und einigen grundsätzlichen Gestaltungsmerkmalen lässt sich der Deckel aus İbecik gut mit anderen Exemplaren aus dem weiter oben umrissenen Verbreitungsgebiet der ›Löwensarkophage‹ vergleichen. Ein häufig anzutreffendes Detail stellt etwa dar, dass die linke Vordertatze seines Löwen auf dem Schädel eines Stiers ruht (Abb. 191. 6)[67]. Das Raubtier hat also Beute gemacht, was G. H. R. Horsley als »a good illustration of the lion symbolising the destructive power of death« betrachten möchte, um damit dem Symbolgehalt des Löwen eine weitere Nuance hinzuzufügen[68].

Auch der Löwe auf einem Deckel, der sekundär neben dem Zugang zum zentralen Teegarten von Çavdır aufgestellt ist, hat seine linke Vorderpranke auf einen Stierkopf gelegt[69]. Sein Kopf ist ebenfalls hoch erhoben, die Haarsträhnen seiner Mähne sind ähnlich ausgearbeitet, und das Gesicht wird gleichermaßen durch einen abgeflachten, fast wie ein Nimbus wirkenden Mähnenrand gerahmt. Die Strähnen zergliedern sich allerdings in deutlich längere und weniger geschwungene Stränge, wodurch sie sich von ihren züngelnden und teils ornamentalen Pendants[70] des qualitätvolleren Löwen aus Bubon (Abb. 191. 9) absetzen. Eine etwas bewegtere »radial mane« zeigt hingegen der Löwe eines Sarkophagdeckels aus Ambarcık, der heute im Garten des Museums von Burdur liegt[71]. Auch hier springen bei genauerer Betrachtung jedoch sofort Unterschiede ins Auge, und diese betreffen gleichermaßen viele andere Details dieses vorzüglich erhaltenen Exemplars. Ähnlich verhält es sich schließlich mit einem Deckel in der Nekropole von Balbura, dessen Löwe zwar Gemeinsamkeiten mit KIB 191 besitzt, die sich auf die Haltung und Details des Körpers beziehen, aber über eine andere Form der Mähnengestaltung verfügt, die durch dickere, leicht gewellte Locken ohne Angabe einzelner Haare charakterisiert ist[72].

Ein dem ›Löwendeckel‹ aus Bubon unmittelbar an die Seite zu stellendes Exemplar lässt sich nach diesem zugegebenermaßen kursorischen Vergleich schwerlich ausmachen[73], und auch das noch in Kapitel IV zu behandelnde zweite Stück aus dem Umfeld von Bubon (KIB 190/2; Abb. 190. 11) zeigt nur die besagten allgemeinen Übereinstimmungen. Damit liegt trotz des weitgehend identischen Schemas, dem die Körperhaltung der Löwen auf den Sarkophagdeckeln folgt, eine überaus große Variationsbreite an individuellen Gestaltungsmerkmalen vor. Die daraus resultierende Schwierigkeit, wenn nicht Unmöglichkeit, stilistische und im weiteren Verlauf chronologische Anhaltspunkte zu gewinnen oder sogar einzelne Werkstätten zu identifizieren, ist augenscheinlich. Da der Deckel von İbecik selbst also keine über eine allgemeine Zuweisung in die römische Kaiserzeit hinausgehenden Hinweise auf seine Datierung offenbart und mit anderen Exemplaren allenfalls stilistisch grob verbunden werden kann, lässt er sich chronologisch nur ungenau in jenen Rahmen einordnen, der durch inschriftlich datierbare ›Löwensarkophage‹ von anderen Orten vorgegeben wird. Dieser Rahmen umfasst das 2. und 3. Jh. n. Chr. und lässt sich wahrscheinlich auf die Zeit zwischen ca. 150 und 230 n. Chr. eingrenzen[74].