Alfred Flechtheim, Das Junge Rheinland und die rheinischen Künstler

Kathrin DuBois

Alfred Flechtheim und die rheinische Moderne vor 1919

Nachdem er seine Galerie in Düsseldorf über den Ersten Weltkrieg hinweg hatte schließen müssen, eröffnete Alfred Flechtheim 1919 ein neues Geschäft auf der Königsallee, „glaubend – und hoffend, daß ich aus Düsseldorf eine Kunststadt machen könne“.[1] Alfred Flechtheim (1878-1937), der heute als einer der wichtigsten Händler moderner Kunst des frühen 20. Jahrhunderts gilt, wollte Düsseldorf – endlich – die aktuelle Kunst nahebringen. Dazu gehörte für ihn nicht nur, die von ihm so geliebten französischen Gegenwartskünstler wie Braque, Derain oder Picasso zu platzieren: Er machte sich auch für die Künstler des Rheinlands und Westfalens stark. Für die im selben Jahr gegründete Künstlervereinigung Das Junge Rheinland wurde er anfangs ein wichtiger, aber streitbarer Verbündeter. Obwohl dieser Aspekt hinsichtlich der lokal-internationalen Geschäftsstrategie des Kunsthändlers sehr aufschlussreich ist, wurde bislang erstaunlicherweise weder Flechtheims Arbeit mit Künstlern der Region noch seiner Verbindung mit dem Jungen Rheinland hinlängliche Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Anfang soll an dieser Stelle mit besonderem Fokus auf den Düsseldorfer Künstler Werner Heuser (1880-1964) gemacht werden.

 

Alfred Flechtheim war bereits 1909 einer der Begründer des Sonderbundes Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler gewesen, der die rheinische Moderne in den Kontext internationaler, und vor allem französischer Kunst gestellt hatte und ein unmittelbarer Vorgänger des Jungen Rheinland war.[2] Ein Jahr nach der epochalen Ausstellung des Sonderbundes, die 1912 in der Nachbarstadt Köln stattfand, gab Flechtheim seine Getreidehändlerkarriere auf und wurde Galerist. Sein Programm entsprach im Wesentlichen den Inhalten der Sonderbund-Ausstellung: Er vertrat vor allem rheinische und französische Kunst.

 

Diese Mischung entsprach Flechtheims persönlichen Interessen, war aber auch strategisch sinnvoll. Er wusste früh, dass er die Breitenwirkung öffentlicher Kunstsammlungen nutzen musste, um einen rentablen Markt für seine Kunst zu schaffen. Allerdings war es aus den verschiedensten Gründen schwierig, französische Kunst an deutsche Museen zu vermitteln; auch in Düsseldorf stellte sich die städtische Ankaufskommission quer.[3] Französische Kunst verkaufte Flechtheim vorwiegend an Privatsammler,[4] und sie blieb ein unsicheres Geschäft. Zeitgleich deutsche und auch regionale Künstler zu führen, war also allein schon eine strategische Notwendigkeit. Flechtheim handelte anfangs gezielt mit Düsseldorfer Werken nicht nur des 20., sondern auch des 19. Jahrhunderts.[5] Schnell begannen jedoch die Sonderbund-Künstler zu dominieren, etwa die Mitbegründer Julius Bretz, Wilhelm Schmurr, Max Clarenbach, Walter Ophey und die Brüder Sohn-Rethel, darüber hinaus auch Werner Heuser, Wilhelm Lehmbruck, August Macke und Heinrich Nauen (Abb. 1). Dazu kamen weitere Künstler aus dem Kreis der sogenannten Rheinischen Expressionisten wie Heinrich Campendonk oder Paul Adolf Seehaus. Das spätere Mitglied des Jungen Rheinland Richard Schwarzkopf entwarf das charakteristische Signet Alfred Flechtheims (Abb. 2).

 
Abb. 1 Heinrich Nauen, Bildnis Alfred Flechtheim mit Zigarre, 1919, Öl auf Karton, 72 x 57 cm, Verbleib unbekannt (ehem. Kunstsammlungen der Stadt Düsseldorf, verm. zerstört nach Beschlagnahme als „Entartete Kunst“)

Die Gründung des Jungen Rheinland

In den Jahren 1919 und 1920 verstärkten sich Flechtheims Bemühungen um die rheinischen Künstler noch. Dies hatte sicherlich auch äußere Gründe. Zum einen verblassten die Ressentiments gegen Frankreich und französische Kunst nach dem verlorenen Krieg nicht, zum anderen erschwerte die wirtschaftliche Blockade Deutschlands die Einfuhr von Kunst aus Frankreich. Durch die Besetzung des Rheinlands und die Unsicherheiten im Verlauf der Versailler Verhandlungen war auch auf dem Kunstmarkt Vorsicht geboten und viele Händler stellten in der Folge verstärkt deutsche Künstler aus.[6] Da kam die Gründung des Jungen Rheinland Flechtheim sicherlich recht – ihm lag das Denken in Gruppen, über die man eine gute Geschichte erzählen konnte, ohnehin. Nach dem Sonderbund und den Rheinischen Expressionisten war es zum Beispiel wesentlich er, der die Legende des Pariser Café du Dôme und seiner Künstler kultivierte und verbreitete.[7] Alfred Flechtheims Stärke war, wie man heute sagen würde, das Marketing, und Das Junge Rheinland hatte das Potenzial zu einer guten Marke.

 

Doch neben etwaigen strategischen Erwägungen muss die Hinwendung nicht nur zu den jungen Rheinländern, sondern auch zum Jungen Rheinland eine Herzenssache für Flechtheim gewesen sein. Man teilte schließlich das Interesse, moderner Kunst zu einer breiteren Öffentlichkeit zu verhelfen, und konnte nun vereint auftreten: „Mit einem Schlage war die bisher zerstreute Anhängerschaft des neuen Geistes eine Macht geworden, mit der jedenfalls die reaktionäre Gegnerschaft rechnen musste.“[8] Flechtheim wird sich anfangs gerne zum Beratenden Ausschuss des Jungen Rheinland gezählt haben, zu dem auch viele seiner Freunde, Geschäftspartner und Kunden gehörten. Nicht zuletzt berief man sich auf den Sonderbund, der für seine Biographie so bedeutsam war. Ulrich Krempel schrieb 1985: „Flechtheim reagierte so prompt auf die Aktivitäten des ‚Jungen Rheinland‘, daß man davon ausgehen kann, daß zwischen beiden Seiten ständiger Informationsaustausch herrschte.“[9] Dies liegt alleine schon deshalb nahe, da er mit den in dieser Zeit maßgeblichen Künstlern der Gruppe in engem Kontakt stand. Mit vielen Mitgliedern, die bereits 1918 den Aufruf zur Mitwirkung im Jungen Rheinland erhalten hatten, hatte er bereits vor dem Krieg gearbeitet. Das gleiche gilt für die Begründer Adolf Uzarski und Arthur Kaufmann sowie die Jurys des Jahres 1919. Heinrich Nauen, der auch im Vorstand saß, hatte er bereits 1913 unter Vertrag genommen[10] und 1914 eine erste Einzelausstellung ausgerichtet; er sollte bis 1933 einer seiner meistausgestellten Künstler bleiben. Durch diese Querverbindungen war die Unterstützung der Vereinigung fast eine Selbstverständlichkeit. Darüber hinaus dürfte Flechtheim, wie Annette Baumeister vermutet, „einige Künstler, die er in seiner Galerie präsentierte, als Kandidaten vorgeschlagen haben.“[11] Hierfür kommen etwa die Dôme-Künstler Bolz, Levy, Thesing und von Wätjen in Betracht sowie die bereits verstorbenen Mitglieder Macke, Lehmbruck, Seehaus und Morgner.[12]

 

Das Junge Rheinland trat im Juni 1919 mit seiner ersten Ausstellung an die Öffentlichkeit, und Flechtheim begleitete die Aktivitäten. Sein erster Katalog nach dem Krieg enthielt eine werbende Programmschrift des Jungen Rheinland, die in einem später publizierten Sammelkatalog von zahlreichen Abbildungen mit der Bildunterschrift „ausgestellt im Jungen Rheinland“ begleitet wurde. Außerdem waren Originalholzschnitte der Mitglieder Eberhard Viegener und Richard Schwarzkopf enthalten. Bei der ersten Ausstellung der Vereinigung war Flechtheim nicht nur durch Werke der von ihm vertretenen Künstler, sondern auch durch seinen Porträtkopf von Benno Elkan präsent (Abb. 3). Schon vor Ausstellungseröffnung erwarben einige Juroren Werke für sich selbst,[13] und es ist naheliegend, dass auch die Ausschussmitglieder Käufe tätigten. Ein Exponat von Werner Heuser befand sich jedenfalls im Folgejahr in der Sammlung von Alfred Flechtheim (Abb. 4). Ein wichtiger Kunde der Ausstellung war auch das Düsseldorfer Kunstmuseum – allerdings nicht zu jedermanns Gefallen. In einem seiner folgenden Kataloge berichtete Flechtheim, wegen der vielen Ankäufe seitens des Museums habe es Proteste gegen Direktor Karl Koetschau samt Gründung eines Künstlerzusammenschlusses gegeben. Er nannte, denunzierend, alle Namen und verteidigte damit nicht nur seinen strategischen Partner Koetschau, sondern auch das Junge Rheinland, dem so viele „seiner“ Künstler zentral angehörten. Unter den kritisierten Ankäufen waren auch Bilder von Nauen, Westendorp und Macke.[14]

 

In dieser Anfangszeit gab es also eine sehr enge ideelle und personelle Verbindung zwischen der Galerie Flechtheim und dem Jungen Rheinland. Ein Blick auf die reduzierte Künstlerauswahl der Ausstellung des Jungen Rheinland in Nürnberg 1921, der letzten Ausstellung, in welcher die späteren Wortführer Gert H. Wollheim und Otto Pankok noch nicht vertreten waren, zeigt dies besonders eindrücklich: Hier wurde ein Junges Rheinland präsentiert, das mit dem rheinischen Galerieprogramm Flechtheims der Jahre um 1919/20 weitestgehend identisch war.[15] Umgekehrt zeigt eine Anzeige Flechtheims von 1919, wie hoch der Anteil der Mitglieder in seiner Galerie war (Abb. 5): Bis auf Paul Klee und Manolo zählten alle dort Genannten zum Jungen Rheinland.

 
Abb. 5 Annonce im Ausstellungskatalog „Französische Malerei bis 1914 und Deutsche Künstler des Café du Dôme“, Kestner-Gesellschaft, Hannover, Herbst 1919.

Mitglieder des Jungen Rheinland in der Galerie Flechtheim

1919 traten einige Künstler, die auch mit dem Jungen Rheinland ausstellten, neu im Galerieprogramm auf, darunter eine Reihe von Künstlerinnen, Künstlern und Architekten wie Ernst Aufseeser, Max Burchartz, Hans Dornbach, Hans Cristof Drexel, Josef Enseling, Otto Gleichmann, Adolf de Haer oder Will Lammert.[16] Sie alle arbeiteten in unterschiedlichem Maße an der Auflösung der Form, blieben dabei aber der Figuration verbunden. Mit manchen von ihnen folgte eine längerfristige Zusammenarbeit. Ob zuerst der Kontakt zu Flechtheim oder zum Jungen Rheinland bestand, müsste im Einzelfall überprüft werden.

 

Die meisten Mitglieder, die in der Galerie ab 1919 gezeigt wurden,[17] hatte Flechtheim bereits in früheren Jahren gezeigt, und nun intensivierte er die Zusammenarbeit. Zu nennen ist vor allem wieder Heinrich Nauen als ‚Flaggschiff‘ der rheinischen Künstler der Galerie Flechtheim. Aber auch viele andere waren bereits vor dem Krieg auf dem Radar des Galeristen. Adolf Uzarski hatte Flechtheim beispielsweise bereits 1914 ausgestellt, andere waren schon Anfang der 10er-Jahre in seiner Privatsammlung vertreten[18] oder er hatte sie bereits im Juli 1913 für sein Galerieprogramm vorgesehen.[19] Große Ausstellungen widmete er ab 1919 beispielsweise Werner Heuser, Adolf Uzarski, Arthur Kaufmann, Heinrich Campendonk, Walter Ophey, Max Schulze-Soelde und Otto von Wätjen. Mit mehreren Künstlern des Jungen Rheinland schloss Flechtheim im selben Jahr Verträge ab, darunter mit Viegener und Burchartz, spätestens in diesem Jahr auch mit Heuser, ab 1920 mit Peiffer-Watenphul.[20]

 

Für Flechtheim spielte neben künstlerisch-stilistischen Fragen auch die persönliche Verbindung zu den Künstlern seiner Galerie eine Rolle. Viele waren in seinem Alter, und ihm auch freundschaftlich verbunden oder teilten die gleichen Netzwerke. Gesellschaftliche Nähe allein reichte natürlich nicht aus, wie das Beispiel des Bildhauers Benno Elkan zeigt: Ein Jahr älter als Flechtheim, ebenfalls Jude, ebenfalls in Westfalen aufgewachsen, besuchte er – wenngleich nicht gleichzeitig – dasselbe Eliteinternat in der Schweiz, wichtiger noch: er verkehrte ab 1905/06 im Café du Dôme in Paris, und war mit der Schwester des wichtigen Kunstkritikers Carl Einstein verheiratet, mit dem auch Flechtheim zusammen arbeitete. Um 1910 hatte Elkan die mehrfach im Jungen Rheinland ausgestellte Büste des Kunsthändlers geschaffen. Dennoch ist keine enge Zusammenarbeit mit ihm nachzuweisen, was aber vermutlich in seinem Stil begründet liegt: Elkan blieb insgesamt stark der symbolistischen Tradition der Jahrhundertwende verhaftet, die Flechtheim in seinem Galerieprogramm nicht verfolgte.

 

Einer der Künstler, der hingegen nicht nur in ähnlichen Kreisen verkehrte, sondern auch künstlerisch in dessen Profil passte und in den Folgejahren vielfach in der Galerie Flechtheim ausstellte, ist der in diesen Jahren expressionistisch arbeitende Maler Werner Heuser. Sein Beispiel gibt Einblick in relevante Netzwerke Flechtheims und in Art und Umfang seiner Arbeit mit rheinischen Künstlern.

 

Heusers Verbindung mit dem quasi gleichaltrigen Flechtheim basiert, darin war sie typisch, auf gesellschaftlichen Verbindungen und dem gemeinsamen Bezug zu Frankreich. Sie kannten sich spätestens seit Heusers Aufenthalt 1911 in Paris, wo beide im Café du Dôme verkehrten. Im selben Jahr war Heuser bereits in Flechtheims Privatsammlung vertreten.[21] Ihre Wege könnten sich auch schon früher gekreuzt haben, im Sonderbund, dessen Mitglied Heuser ab 1910 war, oder bei der Familie Sohn-Rethel. Um 1900 wurde der Maler Karli Sohn-Rethel Werner Heusers bester Freund. 1907 heiratete er dessen Schwester Mira. Damit wurde Heuser Teil einer gesellschaftlich bestens vernetzten Düsseldorfer Künstlerdynastie, die auf die (damals) berühmten Maler Alfred Rethel und Karl Rudolf Sohn zurückgeht. Auch die älteren Brüder Karlis, Alfred und Otto, waren Maler und Mitglieder des Jungen Rheinland. Alfred und Otto waren 1908 sogar Sonderbund-Künstler der allerersten Stunde gewesen. Flechtheim stellte regelmäßig Mitglieder der Familie aus; auch mit den Vorfahren Rethel und Sohn, deren Nachlass die Familie verwaltete, handelte er anfangs. Die jüngere Generation konnte indes als künstlerisches und gesellschaftliches Bindeglied zwischen der Düsseldorfer Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts gelten.

 

Bereits bei der Konzipierung seiner Galerie 1913 plante Flechtheim eine Ausstellung Werner Heusers, die dann im Frühjahr 1914 unter dem Titel „Maximilien Luce – Otto Sohn Rethel – Werner Heuser“ realisiert wurde. Einige der dort gezeigten Bilder reisten nach Berlin in eine Ausstellung unter dem Titel „Rheinische Expressionisten“. Sie wurde in der Neuen Galerie Otto Feldmanns ausgerichtet, der selbst zu den Dômiers gezählt werden kann und als Künstler 1913 mit den Rheinischen Expressionisten ausgestellt hatte. Heuser fiel also nüchtern betrachtet in viele für Flechtheim interessante Kategorien oder konnte ihnen zugeordnet werden: Er war Dômier und Sonderbündler, Rheinischer Expressionist und angeheirateter Sohn-Rethel.

 

Werner Heuser und seine Frau teilten mit Flechtheim darüber hinaus viele gesellschaftliche Kreise, etwa den um das Düsseldorfer Schauspielhaus bzw. Louise Dumont und Gustav Lindemann oder um Herbert und Hedda Eulenberg.[22] Sie waren im Düsseldorfer Kulturleben fest integriert. Heusers Kriegsfreund Wolfgang Petzet schrieb später über die Zeit um 1919/20: „Es gab in Düsseldorf damals einfach nichts Wesentliches, an dem die Familie Heuser-Sohn nicht Anteil nahm.“ Und: „Professor Heusers Atelier war in diesem Jahr nach dem Krieg so etwas wie ein Nachmittags-Treffpunkt aller, die im traditionsreichen Kunstleben der Stadt zentral waren oder sich so fühlten.“[23] Jeden Nachmittag zwischen drei und fünf traf man sich in seinem Atelier am Wehrhahn, bis Heuser den jour fixe in das nahegelegene Café Musch verlegte. Die Gruppe um Heuser, darunter unter anderem Jankel Adler, traf sich gelegentlich auch im Künstlerverein Malkasten, der ja eigentlich als konservativ galt.[24] Spätestens Anfang 1920 wurde Heuser, zeitgleich mit Arthur Kaufmann, offizielles Mitglied.[25] Im gleichen Jahr trug er zwei Gedichte zum Buch eins des Aktivistenbundes bei. Die Beteiligung zugleich an konservativ und progressiv konnotierten Gruppen schloss sich damals nicht aus. Heuser war eben überall dabei. Natürlich auch beim Jungen Rheinland: Selbst noch im Kriegsdienst, war er bereits 1918 in der Kölner Ausstellung „Das Junge Rheinland“ vertreten gewesen und hatte dann im selben Jahr den Aufruf zur Gründung der Vereinigung erhalten. Bei der ersten Ausstellung 1919 gehörte er zur Hängekommission, zur Zentraljury und, als Vertreter von Nauen, zur Jury im Bereich der Malerei und Graphik. Als einer von sieben Künstlern zählte er somit zu allen Gremien, mit Ausnahme des Vorstands. Er selbst zeigte vier Gemälde teils religiöser Thematik und sechs Lithographien, die von Flechtheim herausgegeben worden waren. Die Drucke thematisieren den Sündenfall, von der Schöpfung über das Paradies und die Vertreibung bis zum babylonischen Turmbau. Einzelne Blätter haben kubistisch-futuristische Anklänge, insgesamt stehen sie in expressionistischer Tradition. Seine Gemälde der Zeit sind durch den Ausdrucksgehalt der Gesten gekennzeichnet und wirken oft melancholisch.

 

Förder- und Werbemaßnahmen Alfred Flechtheims

War es das erklärte Ziel des Jungen Rheinland, eine größere Öffentlichkeit für seine Mitglieder zu schaffen, so mussten sich Künstler, die wie Heuser von der Galerie Flechtheim vertreten wurden, darum nicht übermäßig sorgen. „Wen Flechtheim vertritt, der ist ein gemachter Mann, sagt man unter Künstlern“, hatte Hermann Haller einmal erklärt, der ebenfalls bei ihm unter Vertrag stand.[26] Flechtheim war auch insofern ein moderner Kunsthändler, als er es als eine seiner Pflichten gegenüber Vertragskünstlern ansah „[…] für möglichst häufiges Ausstellen, Reproduktion, Propaganda etc. zu sorgen.“[27] Das mögliche Ausmaß seines überregionalen Engagements war es, das den Kunsthändler auszeichnete, und in dieser Hinsicht konnte Johanna Ey, die Händlerin vieler Künstler des Jungen Rheinland, kein Ersatz sein.

 

Neben seinen eigenen Präsentationen brachte Flechtheim seine Künstler auch in auswärtigen Ausstellungen unter. Gesichert ist beispielsweise, dass er die große Ausstellung Deutscher Expressionismus Darmstadt 1920 mit Arbeiten aus dem Kreis des Jungen Rheinland beschickte, die dort anders als die Darmstädter oder Dresdner Sezession überraschenderweise als Künstler der Galerie firmierten.[28] Die Veranstalter der Ausstellung hatten eigentlich Einladungen zur Einsendung nicht nur an Flechtheim, sondern auch an Künstlervereinigungen versendet, darunter Das Junge Rheinland.[29]

 

Neben den Ausstellungen schöpfte Flechtheim auch viele weitere Vermarktungsmöglichkeiten aus: Er publizierte über die von ihm vertretenen Künstler in seinen Katalogen und der hauseigenen Zeitschrift Der Querschnitt, suchte für Texte namhafte Autoren, und setzte früh auf die Macht des Bildes, wie seine Übernahme der Reproduktionsrechte vieler Künstler zeigt. Auch Abbildungen brachte er vermutlich proaktiv in fremden Publikationen unter. Mit öffentlichen Sammlungen hielt Flechtheim engen Kontakt und sparte nicht an Schenkungen. Auch seine Privatsammlung, als „verlängerter Arm der Galerie“[30] verstanden, muss in gewissem Maß als Marketinginstrument begriffen werden. Von Heuser besaß er beispielsweise mindestens drei Gemälde.

 

Interessant war eine Zusammenarbeit mit Flechtheim auch, da er selbst Druckgraphiken herausgab und nicht nur den Vertrieb und die überregionale Vermarktung, sondern auch hohe drucktechnische Standards und professionell nummerierte Auflagen garantieren konnte, was im Fall der Eigendrucke vieler anderer rheinischer Künstler nicht unbedingt gegeben war.[31] Aus dem Umkreis des Jungen Rheinland entstanden z.B. Auflagen oder Mappenwerke von Burchartz, Gleichmann, Heuser, Schramm und Viegener.[32] Druckgraphiken können in gewissem Maße ebenfalls als Werbemittel verstanden werden: sie waren für Sammler ein günstiges Einstiegsmedium und konnten leicht zu Ausstellungen reisen. Bei Werner Heuser muss darüber hinaus davon ausgegangen werden, dass Flechtheim ihn ganz maßgeblich zur Druckgraphik angeregt hat, denn 29 der 31 bekannte Blätter sind bei ihm zwischen 1919 und 1921 erschienen.

 

Es ist heute schwer nachvollziehbar, wie erfolgreich der Einsatz von Alfred Flechtheim für „seine“ rheinischen Künstler war. Im Fall von Werner Heuser gelangten zwar Bilder in etliche Privatsammlungen,[33] doch vor 1933 nur wenige in Museen (Düsseldorf, Nürnberg, Wiesbaden, sämtlich 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt bzw. in einem Fall verschollen). Einen breit angelegten Versuch, seine Galeriekünstler über Partner in Frankreich bekannt zu machen, unternahm Flechtheim nicht. Doch er machte sie in Deutschland deutlich sichtbar. Zwischen 1919 und 1921 war Werner Heuser beispielsweise an so vielen Ausstellungen beteiligt wie in keinem anderen Zeitraum, eine Öffentlichkeitswirksamkeit, die mit dazu geführt haben mag, dass der Künstler 1926 eine Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie antreten konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Flechtheims Interesse an ihm zwar bereits deutlich abgeschwächt, hin und wieder zeigte er jedoch immer noch Werke des Malers in seinen Galerien. Noch 1929 entstand ein Gemälde Heusers, das Alfred Flechtheim als Clown zeigt (Abb. 6).

 
Abb. 6 Werner Heuser, Ohne Titel (Alfred Flechtheim als Clown), 1929, Öl auf Leinwand, 85 x 65 cm [Bildquelle: © Nachlass Werner Heuser]

Der Bruch mit dem Jungen Rheinland

Die Beziehung zwischen Alfred Flechtheim und dem Jungen Rheinland endete hingegen bereits viel früher. Im Zusammenhang mit der ersten Wanderausstellung der Gruppe in der Ruhmeshalle Barmen hatte sich das Junge Rheinland Anfang 1920 bei Alfred Flechtheim beschwert. Aus dem erhaltenen Antwortschreiben geht hervor, dass dieser offenbar Bilder aus Barmen hatte abholen lassen, sodass sie nicht für die Folgestation im Kunstmuseum Essen zur Verfügung standen.[34] Flechtheim wiederum zeigte sich verärgert, dass einige Mitglieder in Barmen ohne Mitteilung „refüsiert“ worden seien.[35] Er echauffierte sich außerdem darüber, dass das Junge Rheinland Erklärungen abgegeben habe, ohne dass die Generalversammlung oder der Beratende Ausschuss, dem er angehörte, involviert worden wären. Im Frühjahr 1920 trat er nach eigenen Angaben aus dem Jungen Rheinland aus, „da man meinen Rat als beratendes Vorstandsmitglied niemals eingeholt hat.“[36] Flechtheim wurde in dem zuvor genannten Schreiben wohl auch vorgeworfen, die Gruppe „zersprengen“ zu wollen. Er konterte: „Sie wissen selbst, was ich für das Junge Rheinland getan habe und wissen, daß es zum teil [sic] meinen Bemühungen gelungen ist, das Junge Rheinland zusammen zu halten, damals als die sogenannte „neueste“ Gruppe in Opposition trat.“[37] Welcher Konflikt genau gemeint ist, ist unbekannt, dennoch zeigt das Zitat Flechtheims Selbstwahrnehmung als Förderer des Jungen Rheinland.[38]

 

Auch die steigende Bedeutung Gert H. Wollheims innerhalb der Künstlervereinigung wird die Loslösung Flechtheims befeuert haben. Beide waren sowohl persönlich wie auch künstlerisch unvereinbar. Hatte Flechtheim Anfang 1920 noch dessen „Verwundeten“ (1919, Öl auf Holz, 158 x 178 cm, Privatsammlung) auf eigene Kosten nach Düsseldorf kommen lassen, lehnte er es bei Ankunft ab, das Bild auszustellen.[39] Und nachdem Flechtheim mehrfach in seinen „Mitteilungen“ werbend auf den Aktivistenbund 1919 hingewiesen hatte, dem auch Wollheim angehörte, brach er mit diesem, als er das Buch eins des Aktivistenbundes in die Hand bekam. Er hielt es – sicher auch aus Gründen der Druckqualität – für eine „Schweinerei“.[40] In Buch zwei erschien dann ein polemischer Beitrag Wollheims zu Flechtheim, indem er ihn als„überflüssiger Hampelmann an der Gesellschaft der Künstler“ und seine Künstler als seine „Schuhputzer“ bezeichnete. Demselben Pamphlet zufolge leitete Flechtheim die Geschäfte des Jungen Rheinland, was so wohl nicht richtig war, aber auf die anfängliche Bedeutung Flechtheims für die Vereinigung hinweist. In irritierender Detailtreue wird außerdem der Streit über die Qualität des ersten Heftes referiert, der mit einem Hausverbot des Aktivistenbunds in der Galerie endete.[41]

 

Diese Ereignisse zeigen nicht nur Fronten auf, sondern auch, wie sehr sich Flechtheim in diesen Jahren auf Kleinkriege innerhalb der Düsseldorfer Kunstszene einließ. Möglicherweise ist dieser Zwist ein Grund dafür, dass Werner Heuser, der in Buch eins des Aktivistenbundes noch vertreten war, danach nicht mehr in Zusammenhang mit der Gruppe gebracht werden kann. Die Allianz mit Flechtheim öffnete nicht nur Türen, sondern konnte sie auch schließen.

 

Das Verhältnis zwischen Flechtheim und dem Jungen Rheinland wurde mit der Debatte um Heinrich Nauens Annahme einer Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie sicher nicht besser. Flechtheim war natürlich auf Nauens Seite. Unter der Feder von Uzarski protestierte Das Junge Rheinland jedoch vehement gegen Nauens Verbindung mit der als reaktionär empfundenen Akademie. Flechtheim nannte dies als Grund für das Ausscheiden einiger Mitglieder (Reber, von Wedderkop und einige Maler), „und ich befürchte, dass man bald dem ‚jungen Rheinland‘ das sagen kann, was Uzarski von Nauen sagte: ‚Requiescat in pace‘, und das ist umso bedauerlicher, als das junge Rheinland in Düsseldorf eine notwendige Sache gewesen ist, die Uzarski bislang recht gut führte.“[42] Auch in anderen Sachen gab es Differenzen zwischen Flechtheim und Uzarski, der ihn bezichtigte, Verkaufserlöse seiner Bilder zu unterschlagen und Preise bei Künstlern zu drücken.[43] Uzarski veröffentlichte im zweiten Heft des Jungen Rheinland einen polemischen Beitrag gegen Flechtheim, der mit den Worten „O’flechtheim – sch’lamassel“ endete.[44] Wohl nicht zufällig erschienen danach keine Annoncen der Galerie mehr in den Blättern.

 

1921 eröffnete Flechtheim eine weitere Galerie in Berlin und verlagerte bald auch seinen Lebensmittelpunkt dorthin.[45] Obwohl er über den gleichen Zeitraum schrieb „mein Glaube an Düsseldorf und an die Expressionisten, an deren ‚unerhörte Leinwände‘ begann zu wanken“[46], war mit dem Umzug keine Abkehr von den rheinischen Künstlern intendiert, im Gegenteil: Er wollte in Berlin ursprünglich rheinische und französische Kunst vertreten.[47] Davon wurde ihm jedoch von seinem engsten Partner Daniel-Henry Kahnweiler abgeraten.[48] Er konzentrierte sich in Berlin dann, mit Ausnahmen, auf wenige Künstler aus dem Düsseldorfer Umkreis, die vermutlich alle bei ihm unter Vertrag standen: Nauen, von Wätjen, Karli Sohn-Rethel, Heuser, Drexel und Peiffer-Watenphul.[49]

 

Doch ein Comeback gab es. In dem antisemitischen Flugblatt Jüdisch-französische Kunst in Düsseldorf von 1922, dass in dieser Zeit entstand, fand es ausführliche Würdigung: Da Flechtheim seine französischen Bilder in Deutschland los werden wolle, lasse er sich anlässlich der „I. Internationalen Kunstausstellung Düsseldorf 1922“ wieder mit dem Jungen Rheinland ein. Seine Beteiligung hatte allerdings wohl mehr damit zu tun, dass er in die ersten Planungen des Jahres 1920 noch involviert gewesen war,[50] und dass das Junge Rheinland seine französische Kunst (er lieh Léger, Braque, Derain und Picasso) sowie seine internationalen Kontakte brauchte. Kurz vor Ausstellungsbeginn schrieb Flechtheim beispielsweise an den tschechischen Kubismus-Sammler und Kunsthistoriker Vincenc Kramář: „The exhibition ‚Junge Rheinland‘ (Young Rhineland) has proved an excellent progressive exhibition, and I can strongly recommend supporting it.“[51] – vermutlich ging es um kurzfristige Leihgaben für die „I. Internationale Kunstausstellung Düsseldorf 1922“. Flechtheim platzierte Annoncen im Ausstellungskatalog und druckte die Eröffnungsrede von Paul Colin in seiner Zeitschrift, dem Querschnitt, ab. Dass er allerdings nicht ganz hinter der Veranstaltung gestanden haben wird, legt ein Schreiben seines Frankfurter Geschäftspartners Gustav Kahnweiler nahe: „Die einzigen anständigen Sachen, die da sind, kommen von der Galerie Flechtheim. Es ist ein Jammer, ein unglaublicher Schaden, der damit der gesamten modernen Kunst zugefügt wird, wenn man einen solchen Dreck ausstellt wie das Junge Rheinland…“[52] Flechtheim war weder Mitglied des Ehrenausschusses noch unterzeichnete er den Gründungsaufruf der Union internationaler fortschrittlicher Künstler.[53]

 

Mit einem großen, mehrere kulturpolitische Entscheidungen der Düsseldorfer Stadtverwaltung anprangernden Beitrag unter der Überschrift Düsseldorfisches im Sommerheft des Querschnitt beendete Alfred Flechtheim seine intensiven Bemühungen um die Kunststadt Düsseldorf. Danach wurden auch die Beziehungen zur Künstlervereinigung Das Junge Rheinland sehr lose. Flechtheim nutzte höchstens noch Synergieeffekte.[54]

 

Das Ende der Beziehung zwischen Alfred Flechtheim und dem Jungen Rheinland kam einer umgreifenden Veränderung der Mitgliederstruktur zuvor, mit der sich auch die meisten Künstler, die ihm nahe standen, aus unterschiedlichen Gründen von der Vereinigung distanzierten. Der Scheidepunkt war bereits die „I. Internationale Kunstausstellung Düsseldorf 1922“. Hier kamen etliche Mitglieder neu hinzu, andere stellten das letzte Mal mit dem Jungen Rheinland aus.[55] 1923 trennte sich außerdem die Rheingruppe ab, woran Werner Heuser wohl wegweisend beteiligt war.[56] Nach 1922/23 war Das Junge Rheinland, soweit es unter diesem Namen firmierte, ein anderer Kreis, der – einmal aus dieser Perspektive betrachtet – kaum noch mit Flechtheim in Verbindung stand. Heuser, die Sohn-Rethels, Nauen, von Wätjen, überhaupt die Dôme-Künstler, genauso wie Burchartz, Dornbach und viele andere waren nicht mehr dabei. Nur wenige Künstler bildeten innerhalb des Jungen Rheinland eine Kontinuität. Dieser starke Umbruch vermittelte nach Außen jedoch auch Unsicherheit. So schrieb etwa Anfang 1924 der Leiter des Leipziger Kunstvereins Werner Teupser an den Düsseldorfer Direktor Koetschau, „ob die fragliche Vereinigung eine gute Ausstellung zusammen zu bringen in der Lage ist“, woran er wegen der Zerwürfnisse und dem Austritt namhafter Mitglieder zweifelte.[57] Das Junge Rheinland wollte offenbar in Leipzig eine Ausstellung zeigen. Von einem Zustandekommen ist bis heute nichts bekannt, wenngleich Koetschau unterstützend antwortete. Die breite Verankerung im kulturellen Establishment, welche die Vereinigung bei Gründung mit der komplexen Gremienstruktur gesucht hatte, hatte sie nun nicht mehr. Eine weitere Unterstützung durch Alfred Flechtheim hätte der Außenwirkung des Jungen Rheinland sicherlich gutgetan. Andererseits gab die Lösung von den etablierten Akteuren im Düsseldorfer Kulturbetrieb, ihren Interessen und Verpflichtungen, dem Jungen Rheinland fortan auch eine größere Freiheit.