Die I. Internationale Kunstausstellung im Warenhaus Tietz

Andrea von Hülsen-Esch

Zur Vorgeschichte

Von Beginn an war ein explizites Ziel des Jungen Rheinland, Ausstellungsmöglichkeiten für die „jungen und jüngsten rheinischen Künstler durch eine starke Organisation“ zu schaffen, zunächst im Rheinland, dann aber auch überregional, primär in Form von Wanderausstellungen.[1] Bereits die ersten Ausstellungen, an denen sich über 100 Künstlerinnen und Künstler beteiligten, zeigten, dass es nicht um kleine Ausstellungsgelegenheiten ging, sondern darum, jenseits der akademisch geprägten Auswahlverfahren – beispielsweise auch durch den von Akademiedirektor Fritz Roeber gegründeten Verein zur Veranstaltung von Kunstausstellungen – Zugang zu großen Kunstausstellungen zu haben, die durchaus auch dem Verkauf der Kunstwerke dienen sollten. Die „Große Kunstausstellung Düsseldorf“, das jährliche Ausstellungsforum junger Kunst, wurde von eben jenem Verein zur Veranstaltung von Kunstausstellungen und der Arbeitsgemeinschaft der bildenden Künstler Düsseldorfs organisiert, wobei die Arbeitsgemeinschaft eine Art Vertretung der in Düsseldorf gebildeten Künstlervereinigungen war, worunter Das Junge Rheinland sehr schnell die größte geworden war.[2] Inhaltliche Differenzen mit dem Verein zur Veranstaltung von Kunstausstellungen und vielleicht auch eine leichte Überschätzung der eigenen Position führten dazu, dass Das Junge Rheinland am 14. Juli 1921 aus der Arbeitsgemeinschaft austrat und zum Boykott der nächsten „Großen Kunstausstellung 1922“ aufrief.[3] Damit war aber auch die Notwendigkeit gegeben, eine andere Möglichkeit für die Mitglieder des Jungen Rheinland zu schaffen, ihre Kunst in einem großen Rahmen auszustellen. Ob man, wie eine spätere Quelle vermuten lässt, mit einer „Internationalen Kunstausstellung“ einen Plan des Jungen Rheinland aufgriff, der bereits im Oktober 1920 dem Verein zur Veranstaltung von Kunstausstellungen vorgelegt worden war,[4] oder ob eine solche Ausstellung dem zunehmenden Engagement von Gert H. Wollheim und anderen, vermehrt politisch hervortretenden Künstlern,[5] zu verdanken war, muss im Zusammenhang mit der „I. Internationalen Kunstausstellung“ diskutiert werden. Treibende Kraft war sicherlich auch der Wille, mit dem Jungen Rheinland als autarke Künstlervereinigung gemeinsam mit anderen Künstlergruppen stärker und überregional präsent zu werden. Zunächst aber soll nachgezeichnet werden, welche städtischen und staatlichen Entscheidungsträger die „I. Internationale Kunstausstellung“ im Warenhaus Tietz abgelehnt haben und aus welchen Gründen dies geschah, bevor die Ausstellung selbst kurz beleuchtet werden soll.

 

Gewagt war es allemal, eine internationale Ausstellung mit der Beteiligung vieler französischer Künstler im damals noch von den Franzosen besetzten Rheinland zu veranstalten,[6] und zumindest aus der Perspektive der preußischen Regierung in Berlin war dies der springende Punkt, der freilich keinesfalls zu einer Verweigerung der Überlassung von Ausstellungsräumlichkeiten führen musste, wie zu zeigen sein wird. Darüber hinaus aber gab es eine Reihe weiterer Hemmnisse, die eine solche Ausstellung erschwerten und die hier kurz im chronologischen Verlauf dargelegt sein sollen. Die Hefte 9 und 10 der Zeitschrift des Jungen Rheinland vom Juli 1922 enthalten ein fiktives Gespräch, das Gert H. Wollheim mit einem Düsseldorfer Gegner der Internationalen Ausstellung aus dem Kreise der (Kunstakademie-) Professorenschaft führt – er nennt ihn „Professor Düsselbert von der Rheinseit“ –, und in dem er die wesentlichen Punkte der Vorgeschichte benennt.[7] Ein großer Stein des Anstoßes war, neben der Tatsache, dass diese „I. Internationale Ausstellung“ nach dem Krieg nicht im Kunstpalast stattfinden konnte, auch, dass die Stadt z.B. 300 000 Mark für die Finanzierung der „Großen Kunstausstellung“ bereit gestellt hatte, der „I. Internationalen Kunstausstellung“ aber einen Zuschuss von 50 000 Mark für Organisation, Reisespesen, Kunsttransporte aus dem Ausland etc. versagte.[8] Es wird deutlich, dass die Ausstellung zunächst für Essen in Zusammenarbeit mit dem damaligen Direktor des Folkwang-Museums, Ernst Gosebruch, geplant war, dieser dann aber wohl mit der Begründung, er „müsse sich um sein Folkwangmuseum kümmern und hätte nicht Raum genug in seiner Stirne für zwei solche Pläne“,[9] absagte. Diese Reaktion war – so stellt es Wollheim dar – möglicherweise einem Einwirken des Kunstakademiedirektors Roeber auf den Museumsdirektor Gosebruch sowie seitens der Stadt Düsseldorf auf den Essener Oberbürgermeister geschuldet. Vordergründig haben die Städte Essen und Düsseldorf es abgelehnt, die Ausstellung zu unterstützen, weil angeblich das Reich und das Ministerium es für eine „Taktlosigkeit“ hielten, eine solche Ausstellung zu diesem Zeitpunkt in Düsseldorf zu veranstalten.[10] Wollheim zufolge hatte Reichs-Kunstwart Edwin Redslob bereits schriftlich seine Zustimmung gegeben, als Ehrenausschußmitglied bei der „I. Internationalen Kunstausstellung“ mitzuwirken, diese Zusage jedoch dann telegraphisch mit „empörenden Ausdrücken“ der Beschimpfung auf Uzarski zurückgenommen, „[...] der ihn betrogen haben sollte in einem Brief. Als ich ihn bei Gelegenheit bat, mir doch die Briefstelle zu zeigen, womit der Betrug getätigt worden war, stellte sich heraus, dass Herr Reichs-Kunstwart Redslob sich geirrt hatte.“[11] Neben allen politisch-taktisch im Hintergrund wirkenden Rangeleien stellt den Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung zwischen dem Reich und dem Jungen Rheinland die Tatsache der Besetzung der Rheinlande durch die Franzosen dar: Reichs-Kunstwart Redslob vertritt den Standpunkt, dass der Impuls zu einer solchen Ausstellung vom Reich bzw. der „besonderen Abteilung für die besetzten Gebiete“ hätte kommen müssen: „[...] ich war in Berlin, da habe ich den Herrn Reichs-Kunstwart besucht und wollte hören, wie sich denn nun die Behörden zu unserer Angelegenheit stellen. Der war kolossal aufgeregt. Meinte, die Art wäre falsch, weil die Franzosen hier wären. Dann hätte man ihn, mein Gott, ihn, den Herrn Kunstwart, eher fragen sollen, man hätte sich gleich ans Reich wenden sollen.“[12] Wollheim hingegen beharrt darauf, dass Künstler keine Rücksicht auf die Politik zu nehmen hätten, sondern das genaue Gegenteil der Fall sei: „Wir fühlen uns berechtigt, als deutsche Künstler (Kartell fortschrittlicher Künstlergruppen in Deutschland), in diesem Falle die Rücksicht der Regierung zu verlangen. Die diplomatischen Erfordernisse, die für die Regierungen für die internationalen Kunstausstellungen vorhanden sind, können im Hinblick auf diese Kunstausstellung der Union nicht als obligatorisch bezeichnet werden, da diese völlig außerhalb jeder Politik ist und mit staatlichen Gesichtspunkten nicht zu rechnen hat, sondern eine rein künstlerische Angelegenheit bedeutet.“[13] Hier tritt Wollheims anarchische Position zutage, mit der er für eine bedingungslose Freiheit der Kunst eintrat, für die er auch mehrfach vor Gericht zog.[14] Den Aspekt einer von der offiziellen Politik losgelösten, jedoch durchaus im Sinne einer europäischen Einigung wirkenden, Verbindung durch die Kunst werden später auch Artur Kaufmann als erster Vorsitzender des Jungen Rheinland, der Schriftsteller Kasimir Edschmidt und von französischer Seite der Graphiker und Maler Paul Colin in ihren Grußworten anlässlich der Eröffnung der Ausstellung betonen.[15]

 

Ganz offensichtlich aber bestehen bei Regierenden und Künstlern divergierende Einschätzungen der Lage, bei denen selbstverständlich eine Künstlergruppe – zumal eine nicht angepasste – im Vergleich mit regierenden Behörden den Kürzeren ziehen muss. Hinzu kommt jedoch auch, dass die Rangeleien zwischen Preußen und den Rheinlanden durchaus ebenfalls eine Rolle gespielt haben: Gert H. Wollheim hatte über den Reichs-Kunstwart Kontakt zu Wilhelm Waetzoldt aufgebaut, der damals Ministerialreferent im Preußischen Kultusministerium und ab 1927 Generaldirektor der Preußischen Museen war.[16] Im Verlaufe eines Gesprächs zwischen Waetzold und Wollheim stellte sich heraus, dass die Stadt Düsseldorf gegenüber den Künstlern immer das Reich vorgeschoben hatte mit der Behauptung, das Reich wolle keine Internationale Kunstausstellung wegen der französischen Besatzung: „Ich habe dem Herrn Geheimrat einen Brief vom Oberbürgermeister gezeigt, in dem erklärt wurde, daß die Entscheidung des Ministeriums entscheidend gewesen sei [...] der Herr Geheimrat Waetzoldt war der Ansicht, daß die Stadtverwaltung von Düsseldorf gar keinen Grund habe, ihre Entscheidungen von Reich und Preußen abhängig zu machen. Er meinte sogar, daß im Gegenteil die Stadtbehörde eine hervorragendere Stellung zu diesen Dingen zu gewinnen hätte, als das Land und das Reich.“ [17] Fakt ist also, dass die Stadt Düsseldorf völlig unabhängig von Berlin die Genehmigung hätte geben können, und dass man in Berlin offenbar lediglich getadelt hat, dass eine solche Ausstellung in Düsseldorf – und nicht in Berlin! ­–­ stattfinden sollte.[18] Darüber hinaus aber scheint auch die konservative Künstlerschaft das Ihrige dazu getan zu haben, um die Ausstellung zu vereiteln. So resümiert Otto Wilhelm Ferdinand Schreiner, gen. Gerth Schreiner, 1939 retrospektiv: „Vom ‚Ey‘ aus wurde die erste große internationale Kunstausstellung organisiert, die nach dem Kriege in Deutschland stattfand. Dabei war die größte Schwierigkeit nicht, die Widerstände der ausländischen Maler zu überwinden, sondern die der republikanischen städtischen Behörden“,[19] wie auch die progressive Düsseldorfer Lokal-Zeitung unter der Rubrik „Kunstschau“ am 3. Juni vermerkt: „Rein technisch organisatorisch gesehen ist das, was ein paar energische Männer in wenigen Wochen hier geleistet haben, bewundernswert. Galt es doch, Fäden zu knüpfen und zu ordnen, die in Jahren des Krieges schier hoffnungslos zerwirrt und gerissen waren; Verhandlungen nach vielen Seiten zu führen, Geldnöten, die infolge der schnöden Haltung der Stadtverordnetenmehrheit noch drückender gemacht wurden, zu begegnen und mancher Schwierigkeit Herr zu werden, die aus dem Uebelwollen einflußreicher und nachgeordneter Stellen immer von neuem entstanden.“[20] Was es damit auf sich hat, erläutert Schreiner folgendermaßen: „Diese [i.e. die städtischen Behörden] gaben nämlich den Protesten der ‚Alten Künstler‘ – die alle darauf hinausliefen: Werke von Künstlern aus den ‚Feindbundländern‘ auszustellen, solange Teile von Deutschland von den ‚Feinden‘ besetzt seien, kränke den nationalen Stolz – nach und verweigerten Ausstellungsräume. Aber die Ausstellung fand doch statt (Abb. 1). Das Warenhaus Tietz stellte dafür ein Stockwerk zur Verfügung. Und sie wurde ein großer Erfolg, obwohl kein Repräsentant der republikanischen Behörden sie eröffnete.“[21] Die Düsseldorfer Lokal-Zeitung vermeldet unter „Notizen“ am 3. Juni 1922, dass der „Preußische Kultusminister Dr. Boelitz und der Finanzminister von Richter [...] in Begleitung der übrigen von der Regierung aus Berlin hier anwesenden Herren unter Führung des Herrn Bürgermeisters“ und des Direktors Koetschau am 1. Juni die „Internationale Kunstausstellung Düsseldorf 1922 im Hause Leonhard Tietz Aktien-Gesellschaft“ besichtigt hätten[22] – also vier Tage nach der offiziellen Eröffnung.

 
Abb.1 1922, Fritz Lewy, 1. Internationale Kunstausstellung Düsseldorf 1922, Buchumschlag

Ausstellungen im Warenhaus Tietz

Zwar konnten die Organisatoren offensichtlich keinen Beamten der preußischen Regierung für die Eröffnung der Ausstellung gewinnen, doch liegt auf der Hand, dass die Eröffnung der „I. Internationalen Kunstausstellung“ auf den Tag nach der Eröffnung der „Großen Kunstausstellung Düsseldorf“ (Abb. 2) gelegt worden war, in der Hoffnung, hier doch noch den in Düsseldorf anwesenden preußischen Beamten zu einem Grußwort bewegen zu können. Auch scheint deutlich zu sein, dass, nachdem der Kunstpalast als Ort für eine solche Ausstellung im Jahre 1922 endgültig abgesagt worden war, die „I. Internationale Kunstausstellung“ als direkte Konkurrenz-Veranstaltung auch in demselben zeitlichen Rahmen wie die „Große Kunstausstellung Düsseldorf“ geplant wurde – allerdings handelte es sich hierbei eher um eine Gelegenheit, die Internationalität der Zusammenkunft von Avantgarde-Künstlern zu visualisieren als um eine sorgsam geplante Ausstellung.[23]

 
Abb. 2 1922, O. Kuhler, Große Kunstausstellung Düsseldorf 1922, Buchumschlag
Abb. 3 Gesamtansicht Alleestraße: Bazarstraße, Foto 1919

Nachweislich kündigte Wollheim bereits Anfang März in einem Schreiben an den Direktor der Städtischen Kunstsammlungen Karl Koetschau an, dass voraussichtlich „in den letzten Maitagen ... der erste offizielle Kongreß der jungen Künstler der ganzen Welt“ eröffnet werde, und auch die Planung einer Internationalen Ausstellung wird erwähnt.[24] Dadurch wurde allerdings die Frage nach den Räumlichkeiten für ein solches Unterfangen virulent. Hier kommt nun die Firma Leonhard Tietz A.G. ins Spiel, für die Ausstellungen im eigenen Hause durchaus nichts Unbekanntes waren, hatte sie doch bereits 1909 einen eigenen Kunstsalon im neuen Warenhaus Tietz in Düsseldorf (Abb. 3) eröffnet.[25]

 

Bei dem Kunstsalon, einer fruchtbaren Vereinigung von Kunst und Kommerz, wie sie im Düsseldorfer Haus bereits an der Fassade des Gebäudes durch die allegorische Bauplastik sichtbar gemacht worden war, handelte es sich keineswegs um eine Erfindung von Leonhard Tietz, denn Vorläufer von Kunstsalons in Warenhäusern gab es bereits in Frankreich,[26] London[27] und in den U. S. A.,[28] seit der Jahrhundertwende auch bei Wertheim in Berlin.[29] Der Kunstsalon im neuen Düsseldorfer Warenhaus Tietz gehörte allerdings zu den frühen Einrichtungen dieser Art (Abb. 4): Mit vier hintereinander gestaffelten, in Ahorn (Abb. 5) und Ebenholz ausgeführten geschlossenen Räumen, vom Erfrischungsraum aus zu begehen und zur Königsallee hin mit großen Tageslichtfenstern versehen (Abb. 6), bot er eine – anscheinend nach dem Vorbild Wertheims an der Leipziger Straße in Berlin gestaltete – Raumfolge,[30] die wie ein Museum zum konzentrierten Betrachten von Kunst einlud, über die man danach bei einer Erfrischung streiten konnte.[31] Die gesamte zweite Etage war mit exklusiven Waren bestückt, die im weitesten Sinne zur Raumausstattung gehörten beziehungsweise Luxusartikel für das zahlungskräftige Bürgertum darstellten.[32] In der Festschrift zur Eröffnung des Warenhauses wird zwar betont, dass sich mit dem Kunstsalon die „künstlerische Absicht“ verbinde, „hunderten und abermals hunderten [Personen] Gelegenheit zu geben, sich an der Schönheit künstlerischen Schaffens immerwährend zu erfreuen“ ;[33] doch so sehr der Aspekt der Sensibilisierung des Publikums für einen guten und zeitgemäßen Geschmack hier auch vordergründig stimmig sein mag[34] – schon die Zeitgenossen haben klar erkannt, dass mit diesem Konzept neue Käuferschichten erschlossen werden sollten: Die neuen Abteilungen bekräftigten die bei Leonhard Tietz bereits seit 1905 zu beobachtende Tendenz, „die vertikale Ausdehnung in den Qualitäten“ zu befördern und neue Käuferschichten anzulocken.[35] Leonhard Tietz selbst war der Moderne gegenüber aufgeschlossen; als Kunstsammler und Kunstmäzen stiftete er bereits 1910 dem Kölner Wallraf-Richartz-Museum das Gemälde „Das Jagdfrühstück“ von Gustave Courbet und ließ sich 1911 von Max Liebermann portraitieren.[36] Zum Zeitpunkt der Gründung des Kunstsalons 1909, nachdem die Galerie Schulte in Düsseldorf geschlossen hatte und es nicht viele Ausstellungsgelegenheiten für Künstlerinnen und Künstler im Rheinland gab – abgesehen von den akademischen Ausstellungen –, schien die Hoffnung berechtigt, dass der Kunstsalon Tietz eine wichtige Rolle im Kunstleben einnehmen könnte.[37]

 
Abb. 4 Warenhaus Tietz Düsseldorf, Kunstsalon im II. Obergeschoss
Abb. 5 Warenhaus Tietz Düsseldorf, Kunstsalon im II. Obergeschoss
Abb. 6 Warenhaus Tietz Düsseldorf, Kunstsalon im II. Obergeschoss

Diesen Faden griff Adolf Uzarski auf, der 1910 als Werbegraphiker zur Leonhard Tietz A.G. kam und über Jahre die Gestaltung der Werbung verantwortete.[38] Der bis 1914 kontinuierlich mit Ausstellungen bestückte Kunstsalon Tietz scheint zwar den Kriegsereignissen zum Opfer gefallen zu sein, doch haben wir Anfang 1917 Nachricht von der Ausstellung „Die Kunst im Kriege“, eine Wanderausstellung von Karl-Ernst Osthaus, die nicht in den Räumlichkeiten des Kunstsalons gezeigt wurde, sondern in „neu hergerichteten, würdigen Räumen“, deren Eingangsraum Uzarski gestaltet hat.[39] Er war es auch, der die Direktion des Warenhaus’ Tietz überzeugen konnte, Räumlichkeiten für die „I. Internationale Kunstausstellung“ zur Verfügung zu stellen – und aufgrund der wohlwollenden Aufnahme seines satirischen Romans „Möppi“ bei dem französischen Stadtkommandanten war auch die offizielle Genehmigung kein Problem.[40] Uzarski konnte bei seiner Anfrage an Alfred Leonhard Tietz, dem Sohn des Firmengründers und damaligen Geschäftsführer des Düsseldorfer Hauses, nicht nur die Tradition von Ausstellungen im Warenhaus Tietz (Abb. 7) ins Feld führen, sondern sich offensichtlich auch auf dessen Kunstsinnigkeit verlassen: Tietz war Werkbundmitglied und Mitglied des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe in Hagen sowie passionierter Kunstsammler.[41] Die Ortsangaben, wo genau sich die „I. Internationale Kunstausstellung“ im Warenhaus befunden hat, sind unterschiedlich. Wedderkop ironisiert in seiner Besprechung der Ausstellung in der Weltbühne das Setting mit den folgenden Worten: „Diese begann bei Tietz, wo der Olbrich-Dom von Unterhosen, Blusen und Hosenträgern entleert war, um Kasimir Edschmid, magermilchigen Clarté-Leuten, lächelnden Japs und andern Freunden Platz zu machen.“[42] Die Zeitungen geben an, dass die Ausstellung im Lichthof des Warenhaus Tietz (Abb. 8) eröffnet worden sei;[43] auch die Düsseldorfer Lokal-Zeitung kündigt in ihrer Ausgabe vom 17. Mai an, dass die „1. Internationale Kunstausstellung Düsseldorf 1922 ... am Sonntag den 28. Mai, pünktlich 11 ½ Uhr, im großen Lichthof der Leonhard Tietz-Aktiengesellschaft eröffnet“ werde.[44] Dafür habe die Direktion des Warenhauses Teile der Verkaufsfläche räumen lassen[45] ­­– den Düsseldorfer Nachrichten ist zu entnehmen, dass die Werke „in würdiger Weise“ im vierten Stock ausgestellt worden seien.[46] Vermutlich wird die festliche Eröffnung mit Reden, umrahmt von einer Kammerorchesterformation des städtischen Orchesters, im Lichthof stattgefunden haben, die Ausstellung selbst jedoch auf der vierten Etage platziert gewesen sein.

 
Abb. 7 1917, Adolf Uzarski, Zeitgenössische Graphik, Plakat
Abb. 8 Großer Lichthof, Foto um 1910: 20

Die I. Internationale Kunstausstellung 1922

Ausgestellt wurden „812 Kunstwerke von 344 Künstlern aus 19 Ländern“, wie aus dem Katalog hervorgeht (Abb. 9).[47] Einige Zeitungskritiker betonen, dass die Ausstellung hastig konzipiert worden sei, heben aber auch hervor, dass, eingedenk der kurzen Vorbereitungszeit ein beachtlicher Querschnitt der Moderne zustande gekommen sei.[48] Allerdings wird auch deutlich, dass der Gegensatz zwischen der internationalen Ausstellung mit den Werken „die man als „expressionistisch“ sich zu bezeichnen gewöhnt hat“ sowie mit einer großen Anzahl abstrakter Malerei, vor allem aus den osteuropäischen Ländern, und der „Grossen Kunstausstellung“ nicht größer hätte sein können.[49] Zugleich bemerkt die Kunstkritik, dass repräsentative Werke ausländischer Künstler fehlen würden, freilich ohne diese im Einzelnen zu nennen.[50] Im Katalog werden die Künstlerinnen und Künstler alphabetisch und getrennt nach ihrer nationalen Zugehörigkeit aufgeführt; sofern sie einer Künstlervereinigung zugehören, wird diese hinter dem Namen angegeben (Abb. 10 und 11). Zumindest für die deutschen Künstlerinnen und Künstler geht aus den Zeitungskritiken hervor, dass sie nach Zugehörigkeit zu Künstlervereinigungen in Einzelräumen gezeigt werden,[51] die ausländischen Künstlerinnen und Künstler hingegen sind nach ihrer nationalen Zugehörigkeit geordnet:[52] „Die ausländische Kunst ist im allgemeinen nach Nationalitäten getrennt gezeigt. Es wäre auch ein anderes Prinzip möglich gewesen: man hätte etwa nach formalen Gesichtspunkten hängen können. Dann wäre noch deutlicher als jetzt der außerordentliche Einfluß hervorgetreten, den die französische Kunst in der Kultur der Farbe und dem konstruktiven Stil des Bildes auf die europäische Malerei ausgeübt hat.“[53] Zu Recht betonen Stephan von Wiese und Susanne Anna, dass die Künstler hier ihre Netzwerke aktiviert haben, die zunächst einmal über die Mitgliedschaft in anderen Künstlervereinigungen, die auch hinter den Namen vermerkt werden, sichtbar werden. Dass Mitglieder der Dresdner Sezession und der Novembergruppe zahlreich vertreten sind, muss nicht verwundern, hatte sich Das Junge Rheinland doch am 11. März 1922 mit diesen Gruppierungen zum Kartell fortschrittlicher Künstlergruppen Deutschlands zusammengeschlossen, das den Nukleus für die ebenfalls beim Zusammenschluss zum Kartell gegründete Union der internationalen fortschrittlichen Künstler bildete.[54] Dieses Kartell hatte zum Ziel, die junge Kunst „gegenüber staatlichen und städtischen Einrichtungen“, „gegenüber Künstlergruppen, welche gemäß ihrer Art sich zum Kampf gegen die junge Kunst veranlaßt fühlen“ zu stärken, „Ausstellungsmöglichkeiten größeren Stils“ zu erreichen und permanente Ausstellungsräume in verschiedenen Städten einzurichten.[55] Inga Rossi-Schrimpf hat in ihrem Beitrag für die belgischen Künstler nachgezeichnet, welche Künstler jeweils die Bindeglieder zu den anderen Gruppierungen und Künstlern waren;[56] zu eruieren bleibt, welche Dynamik sich während der Vorbereitungen ergeben hatte. Schließlich war die Galerie Der Sturm 1912 in Berlin aus einer vergleichbaren Gegenveranstaltung zur Kölner Sonderbund-Ausstellung entstanden,[57] und auch aus dem Sturm Herwarth Waldens sind einige Künstler vertreten – vermutlich vermittelt über Johannes Molzahn, der zugleich Mitglied des Jungen Rheinland war. Auch Laszlo Moholy-Nagy und Laszlo Peri werden aus diesen Netzwerken stammen, wohl auch die tschechischen Künstler, deren Werke allerdings nicht zur Ausstellung gelangten, weil sie an der Grenze festgehalten worden waren.[58] Sie wurden im Raum des Sturm, der von der heimischen Kritik als „ideologisch absolute Kunst“ abqualifiziert wurde, im Anschluss an die Künstler des Jungen Rheinland ausgestellt.[59] Von der Vielfalt der vertretenen Richtungen zeugt auch der Anspruch Jankel Adlers auf Einrichtung einer „Sektion jüdischer Künstler“ innerhalb der Ausstellung, wie aus einem Brief an Franz Wilhelm Seiwert hervorgeht – was schließlich aber nicht realisiert wurde.[60] Über ihn kamen die polnischen Künstler aus dem Umkreis des Yung Yidish nach Düsseldorf, wohingegen die Beteiligung Picassos an der Ausstellung – sowie die der französischen Expressionisten – ohne die Unterstützung Alfred Flechtheims kaum möglich gewesen wäre. Der Kontakt zu Wassily Kandinsky, der das Vorwort im Ausstellungskatalog schrieb, könnte auf Alfred Flechtheim oder auf Max Ernst zurückzuführen sein, der bereits im Begriff war, sich in Paris niederzulassen und Kandinsky noch aus der Vorkriegszeit und den Blaue-Reiter-Kreisen gut kannte.

 
Abb. 9 I. Internationale Kunstausstellung, Kataloginnenseite [Bildquelle: Ausst.-Kat. I. Internationale Kunstausstellung Duesseldorf 1922, vom 28. Mai bis 3. Juli 1922 im Hause Leonhard Tietz A.G. Düsseldorf. Veranstalter: „Das Junge Rheinland“, Düsseldorf, Verlag „Das Junge Rheinland“, 1922, S. 34-35]
Abb. 10 I. Internationale Kunstausstellung, Kataloginnenseite [Bildquelle: Ausst.-Kat. I. Internationale Kunstausstellung Duesseldorf 1922, vom 28. Mai bis 3. Juli 1922 im Hause Leonhard Tietz A.G. Düsseldorf. Veranstalter: „Das Junge Rheinland“, Düsseldorf, Verlag „Das Junge Rheinland“, 1922, S. 14]
Abb. 11 I. Internationale Kunstausstellung, Kataloginnenseite [Bildquelle: Ausst.-Kat. I. Internationale Kunstausstellung Duesseldorf 1922, vom 28. Mai bis 3. Juli 1922 im Hause Leonhard Tietz A.G. Düsseldorf. Veranstalter: „Das Junge Rheinland“, Düsseldorf, Verlag „Das Junge Rheinland“, 1922, S. 15]

Ein sorgfältiges Übereinanderlegen der Beziehungsgeflechte könnte die Gemengelage der Ausstellung, an der Das Junge Rheinland mit 94 Künstlerinnen und Künstlern – also weniger als einem Drittel – beteiligt war, klären. Die Bedeutung der Präsenz internationaler Kunst und Künstler, die allen das Überkommene der traditionellen Akademie-Ausbildung vor Augen führte, war den Zeitgenossen wohl bewusst: „Im ganzen gesehen gestattet die Ausstellung einen ausgibigen [sic] Ueberblick über das Werk der fortschrittlichen europäischen Kunst. Sie zeigt manche formalistische Verranntheit, manche literarische Gebärde, manche ästhetische Einengung. Aber sie zeigt dagegen den kolossalen künstlerischen Gewinn, den das künstlerische Schaffen durch die Sprengung traditioneller Bande, ererbter künstlerischer Vorschriften und Gepflogenheiten menschlicher Einstellung – oder Ausschaltung – erfahren hat.“[61] Der Verkauf von Bildern einiger internationaler Künstler bereits in der ersten Woche zeigt, dass das Publikum diese Einschätzung teilte.[62]

 

Die Ausstellung war ein Kunst-politisches Ereignis, das die divergierenden Kräfte im Jungen Rheinland offenlegte. Jedoch war sie nicht der Anlass für die Präsenz der internationalen Künstler in Düsseldorf: Anlass war der Kongreß Union der internationalen fortschrittlichen Künstler, der am Tag nach der Ausstellungseröffnung begann.[63] Die zunehmende Politisierung und Theoretisierung, eine unbedingte Forderung Wollheims und anderer Organisatoren des Kongresses, war zugleich der Scheidepunkt im Jungen Rheinland, das eben nicht für eine einheitliche Kunstrichtung, sondern für die „junge Kunst“ an sich stehen wollte.

 

Die Ausstellung als Kulminationspunkt war auch zugleich der Wendepunkt im Jungen Rheinland: Zwar stellte das Warenhaus Tietz im November 1923 der dann als Splitterpartei ausgegründeten Rheingruppe nochmals Räumlichkeiten für ihre erste Ausstellung „Bild im Raum“ zur Verfügung, diesmal die Möbelabteilung, doch gab es danach keine regelmäßigen Ausstellungen im Warenhaus Tietz wie vor dem Ersten Weltkrieg.[64] Die Geschichte aller Kunstereignisse im Warenhaus Tietz allerdings ist eng mit dem Kunstgeschehen der Moderne im Rheinland und mit der Vorgeschichte des Jungen Rheinland verbunden – und ist noch lange nicht aufgearbeitet.