Bühnenkünstler im Jungen Rheinland.
Das Beispiel Walter von Wecus: Bühnengestalter und Lehrer

Arnulf Fleischer

Bühnenkunst

Die Gestaltung der Theaterbühne ist Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts einem fundamentalen Wandlungsprozess unterworfen: Das dichtungsneutrale, illusionistisch-naturalistische Bühnenbild wird durch die an der Dichtung orientierte, künstlerisch gestaltete Raumbühne abgelöst: Die Bühnengestaltung wird zu einer eigenständigen Kunst. Protagonisten dieses Wandlungsprozesses sind Adolphe Appia[1] und Gordon Craig[2]. Die Entwicklung vom naturalistischen Bühnenbild zum konstruktiv-abstrakt gestalteten Bühnenraum zeigt sich deutlich im exemplarischen Vergleich zweier im Abstand von 20 Jahren entstandenen Entwürfe zu Stücken über die Heilige Johanna von Orleans. Noch naturalistisch gestaltet ist das 1905 entworfene Bühnenbild des Theaterateliers Mühldorfer zu Friedrich von Schillers „Die Jungfrau von Orleans“, mit dem historisch-naturalistisch gestalteten Dom von Reims im Mittelpunkt, mit fiktiven Stadthäusern im Vordergrund, gemaltem Licht, malerisch gestalteten Schatten und Soffitten (Abb. 1) dem Walter von Wecus´ 1925 gestalteter Bühnenraum zu Bernard Shaws „Die heilige Johanna“, mit seiner expressiven Farbgestaltung, einem abstrakten Dom als Dreieck und einem abstrakten Gemäuer mit Podesten und Stufen gegenüber steht (Abb. 2).

 
Abb. 1 Bühnengestaltung: Bühnenbild Friedrich von Schiller Die Jungfrau von Orleans; Bühnenbildentwurf Atelier Julius Mühldorfer & Co., Bremen 1905 [Bildquelle: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln]
Abb. 2 Bühnengestaltung: Bühnenraum George Bernard Shaw Die heilige Johanna; Bühnenraumentwurf Walter von Wecus, Stadttheater Bonn 1925, Regie Walter Falk [Bildquelle: © Theatermuseum Düsseldorf]

Bühnenkünstler im Jungen Rheinland

Die Bühnenkünstler des Jungen Rheinland tragen in den 1920er Jahren wesentlich zur Etablierung der modernen Bühnengestaltung an namhaften Theatern bei. Sechs weitgehend vergessene Mitglieder des Jungen Rheinland haben ihren künstlerischen Schwerpunkt in der neuen räumlichen Bühnengestaltung (Abb. 3). Ebenso wie bei anderen Kunstgattungen, sind auch bei den Bühnenkünstlern generationsübergreifend Lehrer und Schüler Mitglieder des Jungen Rheinland. Zu nennen sind Fritz Lewy, Werner Schramm und Walter von Wecus als Schüler des Architekten Wilhelm Kreis, Eduard Sturm als Schüler des Malers Christian Rohlfs, wiederholt Fritz Lewy und Walter von Wecus als Schüler des Graphikers Ernst Aufseeser,[3] sowie schließlich Egon Wilden als Schüler des Malers und Das Junge Rheinland-Gründungsmitglieds Heinrich Nauen. Bis auf Ewald Dülberg haben alle Bühnenkünstler ihr erstes Engagement an Düsseldorfer Theatern. Des Weiteren konzentriert sich Ewald Dülberg auf die Oper, alle anderen legen ihren Fokus auf das Schauspiel. Eduard Sturm ist mit Bühnengestaltungen für 257 Theaterstücke allein in Düsseldorf der produktivste Bühnenkünstler des Jungen Rheinland. Ernst Aufseeser, Heinrich Campendonk, Joseph Enseling, Max Ernst, Robert Pudlich und Adolf Uzarski sind Junge Rheinland-Künstler mit dem künstlerischen Schwerpunkt Malerei, die vereinzelt auch Bühnen gestaltet haben.

 
Abb. 3 Bühnenkünstler im Jungen Rheinland mit Schwerpunkt Bühnenkunst; Darstellung Arnulf Fleischer [Bildquelle: Arnulf Fleischer]

Eines der anfänglich proklamierten Ziele des Jungen Rheinland ist, „[…] den jungen und jüngsten rheinischen Künstlern durch eine starke Organisation Gelegenheit zu geben, ihre Arbeiten ohne den Druck kunstfeindlicher Mächte in großen und gewählten Ausstellungen zu zeigen, zunächst im Rheinland […].“[4] Anders als bei bildenden Künstlerinnen und Künstlern eignen sich die Ausstellungen des Jungen Rheinland jedoch nicht für die Präsentation und Vermarktung von Bühnenkunst. Bühnenkunst ist meist Auftragsarbeit mit Bezug auf ein bestimmtes Theaterstück. Ihre Zielgruppe wird nicht durch Sammler, Galeristen oder Museumsdirektoren repräsentiert, sondern durch die Vertreter von Theatern und das Publikum. So sind 1919 im Rahmen der ersten Ausstellung des Jungen Rheinland in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf sowie auch in den Folgeausstellungen der Vereinigung Bühnenkünstler zwar mit Gemälden vertreten, nicht aber mit Bühnenentwürfen.[5] Einzige Ausnahme ist die Junge Rheinland-Ausstellung aus dem Jahre 1921 in der Kunsthalle Düsseldorf, bei der immerhin Fritz Lewy mit Bühnenbildern vertreten ist.[6] Auch auf Ausstellungen der Galerie Neue Kunst Frau Ey sind die Bühnenkünstler stets nur mit ihrem malerischen Œuvre präsent.[7] Auf Ausstellungen, die das Junge Rheinland nicht organisiert, ist Walter von Wecus auch mit anderen Jungen Rheinland-Künstlern vertreten (Abb. 4).[8] Es ist nicht nachweisbar, inwieweit diese Ausstellungsengagements über Das Junge Rheinland erfolgen oder eigenständig durch die Künstler.

 
Abb. 4 Nicht-Bühnenkunstausstellungen: Walter von Wecus mit Das Junge Rheinland-Mitgliedern [Bildquelle: Arnulf Fleischer]

Der Bühnenkünstler Walter von Wecus

Walter von Wecus prägt neben seiner künstlerischen Gestaltung von Bühnen maßgeblich die Bühnenkunstprofession nach 1926 durch seine Aufbau- und Entwicklungsarbeit des ersten Lehrstuhls für Bühnenkunst im deutschsprachigen Raum an der Kunstakademie Düsseldorf.

 

Walter von Wecus wird am 8. Juli 1893 in Düsseldorf geboren (Abb. 5) und besucht dort ab 1904 das Königliche Hohenzollern Gymnasium. Er verlässt es vorzeitig mit dem Zeugnis der Quarta im Dezember 1908. Die humanistische Schulbildung scheint ihm nicht zu liegen: Bis auf Zeichnen mit sehr gut, sind die Noten in den anderen Fächern mangelhaft bis ungenügend.[9] Vom Wintersemester 1908/09 bis zum Wintersemester 1913/14 studiert er anschließend an der Kunstgewerbeschule Düsseldorf mit besonderer Architekturabteilung die Wilhelm Kreis seit Juli 1908 leitet. [10] Diverse Autorinnen und Autoren bezeichnen fälschlicherweise Peter Behrens als Lehrer von Walter von Wecus, obwohl Behrens im September 1907 nach Berlin übersiedelt.[11] Walter von Wecus unterbricht sein Studium von April 1910 bis Mai 1912 und absolviert eine Lehre zum Maler und Anstreicher. Er erlernt dabei die Praxis der Farbkomposition. Flankierend reist er in dieser Zeit zu Studienzwecken nach München, Paris und Berlin, wo er an der Ausmalung verschiedener sakraler und profaner Gebäude beteiligt ist.

Abb. 5 Walter von Wecus, Selbstbildnis, Buntstift auf Karton, 1914 [Bildquelle: Nachlass Walter von Wecus, Ursula und Franz Hecker, Meerbusch]
 

Seine ersten Bühnenbilder erstellt Walter von Wecus bereits 1910. Nach einem Besuch der Neuinszenierung von Friedrich Hebbels „Judith“ im Düsseldorfer Schauspielhaus mit der Bühnenausstattung von Eduard Sturm entwickelt Walter von Wecus einen Gegenentwurf, der seiner Vorstellung von der bühnenmäßigen Umsetzung des Stückes besser entspricht (Abb. 6). Dieses erste Bühnenbild eines orientalischen Zeltlagers ist geprägt von kubischen Formen, gepaart mit expressiver Farbigkeit. Neben dem violetten Horizont stechen insbesondere der monochrom-graublaue Tuchvorgang und die starken Farbkontraste des Flächendekors auf dem Baldachin von Thron und Liege sowie die Addition von Farbringen zu einer Kreisscheibe hervor. Wesentliche Inspirationsquelle sind Bilder der französischen Avantgarde, die von Wecus im Rahmen der ersten Sonderbund-Ausstellungen in Düsseldorf kennenlernt.[12] Neben anderen von Wecus Bühnenbildern aus vier Theaterstücken stellt die Galerie Alfred Flechtheim 1920 den Bühnenbildentwurf zu „Judith“ aus,[13] seine einzige Bühnenkunstausstellung in einer klassischen Galerie. Die Presse resümiert 1920: „Unter Theatermalern ragt v. Wecus als ein wesentlich zu neuer Geschmacksform kommender Künstler weit hervor.“[14]

Abb. 6 Walter von Wecus, Erstes Bühnenbild zu Judith von Friedrich Hebbel 1910 [Bildquelle: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln]
 

1914 meldet sich von Wecus als Freiwilliger zum Kriegsdienst und wird dem Reserve-Infanterie-Regiment 261 zugeteilt. Vom operativen Kriegseinsatz befreit widmet er sich der künstlerischen Darstellung der Kriegsgeschehnisse seines Regimentes.[15] Seine Bilder zeugen nicht vom Schrecken des Krieges wie die Bilder von Otto Dix, sondern zeigen Frontroutinen der Soldaten beim Wachdienst oder beim Patroullieren (Abb. 7). Nach seiner Rückkehr nach Düsseldorf hat er Kontakt zum Fotografen Erwin Quedenfeldt,[16] einem Mitbegründer des Aktivistenbundes 1919.[17] Von Wecus stellt einige seiner szenischen Entwürfe und Zeichnungen in dessen Fotoatelier aus. Im Rahmen der regelmäßigen Treffen des Aktivistenbundes pflegt er Kontakte zu Jungen Rheinland-Künstlern wie Otto Pankok, Adolf Uzarski oder Gert H. Wollheim.

 
Abb. 7 Walter von Wecus, Stellung auf der Vimy-Höhe, 28.2.-12.4.1917, Verbindungspatrouille am rechten Flügel des vordersten Kampfgrabens, in: Walter von Wecus, Bilder zur Geschichte des Reserve Infantrie Regiments 261 [Bildquelle: Nachlass Walter von Wecus, Ursula und Franz Hecker, Meerbusch]

Bühnenkünstlerisches Theaterengagement

Das bühnenkünstlerische Theaterengagement von Walter von Wecus lässt sich schwerpunktmäßig in zwei Perioden unterteilen: In Düsseldorf insbesondere am Schauspielhaus 1919-1922 und in Bonn insbesondere am Stadttheater 1922-1932.[18]

 

Walter von Wecus wird durch den interimsmäßigen Direktor Paul Henkels für die Spielzeit 1919/20 als Bühnengestalter am Schauspielhaus Düsseldorf engagiert.[19] Paul Henckels ist Mitglied des Aktivistenbundes 1919 und hat Walter von Wecus dort kennengelernt. Louise Dumont und Gustav Lindemann verlängern das Engagement im Mai 1920 bis 1922.[20] Die Bühnenentwürfe von Walter von Wecus für das Schauspielhaus Düsseldorf sind, wie der Dramatiker Heinrich-Wilhelm Keim dies formuliert, geprägt von einem, „[…] Vermögen, die Eigenartigkeit der im Bühnenstück liegenden dichterischen, künstlerischen und geistigen Werte zu erkennen und in moderne Formgebung zur Anschauung zu bringen … und um die Schauspieler in deren Entwicklung zu unterstützen […].“[21]

 

Walter von Wecus wechselt mit der Spielzeit 1921/1922 zum Stadttheater Bonn unter der Intendanz von Albert Fischer.[22] In Bonn ist von Wecus vor die Aufgabe gestellt, das Theater auf die in Düsseldorf bewährte, moderne, auf ein Theaterstück bezogene, individuelle Bühnenraumgestaltung umzustellen.[23] Er setzt dafür wie schon in Düsseldorf, variable Podeste, Säulen und quadratische, abgestufte sowie kreisförmige Bodenlandschaften und Hebebühnen ein.[24] Bühnenkunst von Walter von Wecus wird im Rahmen zahlreicher Bühnenkunst spezifischer Gemeinschaftsausstellungen präsentiert. Am Stadttheater Bonn hat Walter von Wecus 1923 seine einzige Einzelbühnenkunstausstellung.[25]

 

Insgesamt gestaltet Walter von Wecus die Bühnen von 179 Theaterproduktionen: davon 45 in Düsseldorf und 114 in Bonn. Der Rest sind vereinzelte Bühnengestaltungen für diverse andere Theater.[26] In beiden Städten handelt es sich um eine Mischung aus Bühnenklassikern von Schiller, Goethe oder Shakespeare sowie zeitgenössischen Theaterstücken von Franck, Heynicke oder Röttger, für die er die Bühnen gestaltet. Walter von Wecus gestaltet auch regelmäßig begleitende Theaterpublikationen wie etwa die Festschrift 25 Jahre Düsseldorfer Schauspielhaus oder die Blätter des Bonner Stadttheaters (Abb. 8).

Abb. 8 Walter von Wecus, Bühnenengagement in Bonn, Blätter des Bonner Stadttheaters, 1928 [Bildquelle: Walter von Wecus, Blätter des Bonner Stadttheaters, Bonn 1928]
Abb. 9 Walter von Wecus Szenenentwurf zu Friedrich Hebbel „Gyges und sein Ring“, Farbstift Kreide, Uraufführung 19. August 1919 Schauspielhaus Düsseldorf, Regie Fritz Holl [Bildquelle: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln]
 

Im Folgenden werden aus seiner Frühzeit, „[…] wahrhaft exemplarische Bühnenbilder […]“[27] kurz vorgestellt, die den bühnengestalterischen Umbruch zu Farbkontrasten, expressiver Formgebung und innovativer Bühnentechnik Anfang der 1920er Jahre charakterisierten. Der erste Bühnenentwurf, der hier betrachtet wird, ist zu Friedrich Hebbels „Gyges und sein Ring“, Erstaufführung Schauspielhaus Düsseldorf 19. August 1919, Regie Fritz Holl (Abb. 9).

 

Nach seiner Berufung an das Düsseldorfer Schauspielhaus 1919 ist die erste Aufgabe von Walter von Wecus die Konzeption und gestalterische Umsetzung von Friedrich Hebbels „Gyges und sein Ring“. Es handelt sich um ein mystisch, märchenhaftes Drama „dessen Stoff zeitlos ist.“[28] Walter von Wecus hat sich intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt, dem Grundprinzip bei all seinen Theaterproduktionen, um damit den bühnenkünstlerischen „[…] Ausdruck für das Dichterlebnis“[29] zu schaffen. 1854 schrieb Hebbel diese Tragödie, die auf die von Herodot (5. Jahrhundert v. Chr.) in seinen Historien erzählte Geschichte von Gyges und seinem Zauberring zurückgeht. König Kandaules drängt Gyges, ihn im Schutze der unsichtbar machenden Zaubermacht des Ringes nachts in das Gemach seiner späteren Gemahlin Rhodope zu begleiten und ihm vorab deren Schönheit zu bestätigen. Damit verstößt Kandaules gegen die in der indischen Heimat seiner Frau heilige Sitte, dass nur der Vater der Braut und später ihr Ehegatte sie entschleiert sehen darf, denn Rhodopes Schleier ist Teil ihres Wesens.[30]

 

Diese fiktive Handlung wird bühnengestalterisch als Grundstimmung umgesetzt. Unabhängig von seinen Bühnenkunstvorstellungen wird der Bühnenraum vor dem Hintergrund der kritischen wirtschaftlichen Situation der Nachkriegszeit als eine „sparsame geometrische Raumarchitektur“[31] gestaltet. Walter von Wecus ist zwar im Rahmen dieser Dichtung szenografisch frei, seine Bühnengestaltung hat aber noch nicht die Radikalität seiner späteren Bühnengestaltung. Die expressionistische Anmutung mit Hintergrundelementen des beginnenden Art Deco, die pastellige Farbigkeit der indirekten Beleuchtung der transparenten, seidenbespannten, sich nach oben verjüngenden, leichten, lichterwerdenden Pfeilerpaare ohne illusionistische archäologische Attribute.[32] Die schräge Bühne stimuliert den Schauspieler zu anderen Bewegungsabläufen. Durch die entsprechende Beleuchtung entsteht ein „Lichtabgrund“ [33] mit unterschiedlichen Farbspielen und -rhythmen, die dem Schauspieler eine etwas dämonische Anmutung verleiht. „Eine neue Form des Bühnenbildes […] die zugleich d[ie] sichtbar gewordene[n] Bewegungsideen über innere und äußere Vorgänge, Steigungen und Entscheidungen […] den Schauspieler in deren Stellungssymbolik zu unterstützen hat.“[34] Der Boden hebt sich bis zu 1,50 Meter zur Hinterbühne, er ist in die Form des Bildes organisch einbezogen […] eine zu beiden Seiten aufgetürmte, ins Transzendentale sich verjüngende Fläche.“[35] Durch besondere Lichteffekte wird die dramaturgische Situation ausgedeutet. Rhodope wurde in den herabfallenden, blass gelben Seidenbahnen des Schlafgemaches durch eine Lichtinsel fokussiert. Auch andere Gegenstände werden durch Licht interpretiert: diese tauchen auf, verschatten, vergrößern. Auch erscheint eine Statue der Göttin Hestia als überdimensionierte Schattenprojektion.[36]

 

Fünf Bühnenbilder zu „Gyges und sein Ring“ werden neben 14 weiteren von von Wecus Bühnenbildern zu vier Theaterstücken 1920 in der Galerie Alfred Flechtheim ausgestellt.[37]

 

Der zweite Bühnenentwurf ist zu dem zeitgenössischen Theaterstück: „Der Kreis“ von Kurt Heynicke, uraufgeführt im Schauspielhaus Düsseldorf am 2. Oktober 1920 (Abb. 10), unter der Regie von Louise Dumont.

 
Abb. 10 Walter von Wecus Szenenentwurf zu Kurt Heynicke, Der Kreis, Bleistift, Kohle, Uraufführung 2. Oktober 1920, Schauspielhaus Düsseldorf, Regie Louise Dumont [Bildquelle: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln und Nachlass Walter von Wecus, Ursula und Franz Hecker, Meerbusch]

In einem Brief an die Regisseurin formuliert Kurt Heynicke seinen Bühnengestaltungsanspruch: „[…] der Ausstattung sind die einfachsten Möglichkeiten von Nur-Linie und Licht gegeben […] jede herkömmliche Dekoration ist zu vermeiden.“[38] Diesem Anspruch folgend, verbindet Walter von Wecus in seinem Bühnenbild den „architektonischen Aufbau mit abstrakt-symbolischer Geometriesierung“[39] und gestaltet den atmosphärischen Bühnenraum als einen zeitlosen Raum und als „Nicht-Ort“[40], im Gegensatz zu einem Raum, der von Dekoration und Materialvielfalt geprägt wird. Walter von Wecus abstrahiert die zentrale Handlung mit sparsamem und effizientem Einsatz der Mittel[41], so wie von Heynicke gefordert. Der Schauspieler bewegt sich auf einer für damalige Verhältnisse innovativen, exzentrisch angelegten, kreisförmigen Hebe- und Drehbühne und wird gezielt durch Lichtkegel ausgeleuchtet. Der auf dem Bühnenboden aufliegende Kreisring steigt nach hinten bis zu 2,50 Meter an. In den zeitgenössischen Rezensionen wird die Bühnengestaltung im Gegensatz zu dem dichterisch schwachen Stück durchweg positiv aufgenommen. So ist die Rede von einem „literarisch unzulänglichen, schwachen Stück, das hohe Anforderungen an die Bühnengestaltung stellt.“[42]

 

An anderer Stelle ist zu lesen: „Die Inszenierung ist dem Stück nicht nur nichts schuldig geblieben: Sie hat ihm vielfach die Monumentalität gegeben, um die der Dichter sich meist vergebens bemühte.“[43] Und weiter heißt es: „Wie Walter v. Wecus das Stück auf die Bühnen brachte, daß war für mich das größte Ereignis des Abends.“[44] Und sogar: Die Drehbühne sorge technologisch für „den nötigen Fluß“[45] des Stückes.

 

Bühnenkünstlerisches Hochschulengagement

Das bühnenkünstlerische Engagement von Walter von Wecus führt ihn schließlich selbst als Lehrer an die Düsseldorfer Kunstakademie. Walter Kaesbach,[46] der nach dem Tod von Fritz Roeber 1924 das Rektorat der Kunstakademie übernimmt, führt eine Reorganisation und Erweiterung des Lehrangebotes durch.[47] Im Mai 1925 beauftragt er Walter von Wecus mit dem Auf- und Ausbau der Klasse für Bühnenkunst, der ersten Klasse dieser Art im deutschsprachigen Raum. 1926 wird Walter von Wecus zum Hochschulprofessor ernannt.[48] Er hat den Lehrstuhl bis zu seiner Emeritierung 1958 durchgängig inne.[49] Aus der Einsicht heraus, dass die Gestaltung des Bühnenraumes ein künstlerisches Schaffen darstellt, richtet Walter von Wecus die Bühnenkunstklasse an der Kunstakademie Düsseldorf ein. Zielsetzung der akademischen Ausbildung ist nach eigener Auskunft dabei:

 

„[…] die aus dem musikalischen oder dichterischen Werk sich ergebende, dem Werk dienende Szenenform mit den einfachsten künstlerischen Mitteln auszudeuten und damit der jeweiligen Aufführung ein einheitliches künstlerisches Gesicht in Bühnenbild, Kostüm und Licht zu geben, im freien künstlerischen Schöpfungsakt der Dichtung sinnlich-räumliches Leben zu verleihen.“[50]

 

Das Unterrichtsprinzip beruht auf Projekt- und der am Theater zu praktizierenden Teamarbeit, bei der erfahrene und weniger erfahrene Studierende zusammenarbeiten. Ein enger Kontakt zum Theater ist notwendig, damit im Unterricht nicht nur akademische Theorie betrieben wird. Walter von Wecus pflegt deshalb eine Arbeitsgemeinschaft zum Schauspielhaus Düsseldorf, um theoretisches Wissen mit praktischer Anwendung und Umsetzung zu verknüpfen. Die enge Schnittstelle zum Schauspielhaus Düsseldorf wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass Louise Dumont und Gustav Lindemann Ehrenmitglieder der Klasse für Bühnenkunst an der Kunstakademie werden.[51] Walter von Wecus gelingt es, den persönlichen Bühnengestaltungsstil seiner Schülerinnen und Schüler zu fördern und zu entwickeln, statt sie zu einem ‚von Wecus-Stil‘ zu erziehen. Er macht seinen Studierenden vielmehr klar, „[…] es handelt sich nicht um eine Stilfrage, sondern um eine Aufgabe. Um die Aufgabe, die jeweils der Dichter stellt.“[52] An anderer Stelle sagt er: „Lesen Sie bitte das Stück […] und lassen Sie sich los, frei, ohne Hemmungen und leben sie nur Ihre inneren Eindrücke!“[53] Um die Bühnengestaltung aus den besonderen künstlerischen und dichterischen Voraussetzungen des Theaterstückes zu entwickeln, wird der Unterricht geteilt, wobei Walter von Wecus für die bühnenkünstlerische Erziehung und der Dramaturg Heinrich-Wilhelm Keim für die literaturästhetische und dramaturgische Unterweisung zuständig ist.[54]

 

Das Signet der Bühnenkunstklasse (Abb. 11) gestaltet der Graphiker Ernst Aufseeser, von Wecus´ ehemaliger Lehrer an der Kunstgewerbeschule, Mitglied des Jungen Rheinland und Kollege an der Kunstakademie Düsseldorf. Walter von Wecus konzipiert fünf synergetisch verbundene Studienbereiche für sein Studium der Bühnenkunst,[55] die strukturell-inhaltlich der Bühne als Gesamtkunstwerk entsprechen, korrespondierend mit der Bühnenkunsthierarchie von Adolphe Appia. Zu den Studienbereichen gehören: der Bühnenraum, die Bühnenfarbe, der Schauspieler,[56] die dramatische Dichtung und die Bühnentechnik (Abb. 12). Schließlich lernen die Studierenden auch die inhaltliche Bearbeitung und graphische Gestaltung der Ankündigungsplakate und Programme zu den Theaterstücken.

Abb. 11 Signet der Bühnenkunstklasse der Kunstakademie Düsseldorf, Gestaltung Ernst Aufseeser, 1926 [Bildquelle: Faltblatt Staatliche Kunstakademie Düsseldorf 1926]
Abb. 12 Studienbereiche der Bühnenkunstklasse der Kunstakademie Düsseldorf, Darstellung Arnulf Fleischers nach Faltblatt Staatliche Kunstakademie Düsseldorf 1926 [Bildquelle: Arnulf Fleischer]
 

Regelmäßig stellt Walter von Wecus Arbeiten seiner aktuellen und ehemaligen Schülerinnen und Schüler aus, um ihnen eine Kommunikationsplattform vor fachinteressiertem Publikum zu geben und um Kontakt zu potentiellen Arbeitgebern herzustellen.[57] In diesem Kontext besteht keine Schnittstelle der von Wecus-Schüler zum Jungen Rheinland. Des Weiteren werden Bühnengestaltungen für regionale Bühnen unter den Studierenden im Rahmen von Wettbewerben ausgelobt.[58]

 

Es gibt keine präzisen Angaben über die Anzahl der Studierenden, die zwischen 1925 und 1958 bei Walter von Wecus studieren.[59] Auf jeden Fall sind die Klassen mit ständig fünf bis sechs Schülerinnen und Schülern von den 1920er Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg vergleichsweise klein. Die Auswahl der Studierenden erfolgt auf Grundlage eines anspruchsvollen Anforderungsprofils, mit dem Ziel, die Eintrittsbarriere hoch zu halten, so dass „[…] der Nachwuchs im rechten Verhältnis zum Bedarf der Theater steht.“[60] Eine wesentliche Eintrittsvoraussetzung ist die qualifizierte Zeichentechnik, welche in den vorbereitenden Grundsemestern erlernt und professionalisiert werden sollte.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhöht von Wecus die Studierendenzahl der Klasse für Bühnenkunst auf durchschnittlich ca. zehn pro Jahr, um dem gestiegenen Bedarf an Bühnenkünstlern gerecht werden zu können.

 

Zu den bedeuteten Absolventen in den ersten Jahren seiner Professur, die das Vor- und Nachkriegstheater in Deutschland maßgeblich beeinflussen gehören u. a. Max Fritzsche, der Begründer des Darmstädter Stils mit hohem Abstraktionsgrad und dem nachexpressionistischen Bochumer Stil, Helmut Jürgens und Gerd Richter die zeitweise als Professoren für Bühnenkunst in München bzw. in Stuttgart arbeiten sowie Ernst Rufer mit Theaterengagements in Oldenburg und Magdeburg.

 

Obwohl Walter von Wecus heute vor allem für seine Bühnenentwürfe bekannt ist, ist er ein regelrechter Gattungs- und Stilpluralist. Neben der Bühnenkunst widmete er sich der Malerei (s. z. B. Abb. 13), der Keramik, dem Design sowie der Architektur. Stilistisch orientierte er sich am Expressionismus ebenso wie am Naturalismus, Kubismus, Konstruktivismus, Art Deco und dem Bauhaus. Er entwarf Möbel und Lampen, entwickelte ganze Beleuchtungskonzepte. Beispiele sind die beiden sogenannten „Lichtorgeln“ am Haupteingang zum Ausstellungsgelände „Schaffendes Volk“ 1937[61]. Das Junge Rheinland-Mitglied und von Wecus´Akademiekollege Edwin Scharff erschafft die beiden monumentalen Skulpturen „Rossbändiger“[62] in unmittelbarer Nähe zu den „Lichtorgeln“ (Abb. 14).

Abb. 13 Walter von Wecus als Maler: Walter von Wecus, Stadtansicht Düsseldorf, Öl auf Karton, o. J., verm. Anfang 1920er Jahre [Bildquelle: Nachlass Walter von Wecus, Ursula und Franz Hecker, Meerbusch]
Abb. 14 Walter von Wecus Lichtorgel-Installation bei Tag mit Rossbändigern von Edwin Scharff, Foto der Lichtorgel bei Tag, Haupteingang Reichsausstellung „Schaffendes Volk“ (heute Nordpark) 1937 [Bildquelle: Nachlass Walter von Wecus, Ursula und Franz Hecker, Meerbusch]
 

Walter von Wecus trat auch als Landschafts- und Gebäudearchitekt in Erscheinung. In letzter Funktion gestaltet er Zuschauer- und Bühnenräume u. a. für die Theater in Mönchengladbach und Rheydt, die heute jedoch nicht mehr existieren. Damit schließt sich ein Kreis: Walter von Wecus entwirft nicht nur Bühnenkunst und bildet Bühnenkünstler aus, sondern er gestaltet auch den Rahmen und die Räumlichkeiten, in denen ebendiese Bühnenkunst stattfindet. Von Wecus ist also ein künstlerisches Multitalent, und steht damit ganz in der Tradition des Jungen Rheinland, dessen vielseitige Ausrichtung insbesondere in den Anfangsjahren ein Alleinstellungsmerkmal der Künstlervereinigung ist.