„Die Stunden, die ich mir zur Arbeit stehle, sind meine glücklichsten (…)“ - Künstlerinnen im Jungen Rheinland

Jens-Henning Ullner

Seitdem im Herbst 1970 in der Düsseldorfer Kunsthalle unter dem Titel „Avantgarde gestern“ die erste Retrospektiv-Ausstellung über Das Junge Rheinland gezeigt wurde,[1] ist die Gruppe fortwährend als männliche Künstlervereinigung rezipiert worden. In der öffentlichen Wahrnehmung dominieren daher bis heute Künstler wie Max Ernst, Otto Dix und Gert H. Wollheim das Bild des Jungen Rheinland. Die Künstlerinnen der Vereinigung wurden hingegen stets marginalisiert, obgleich ihr Anteil keineswegs so gering gewesen ist, wie es bislang den Anschein hatte. Immerhin rund 15 % der Mitglieder waren weiblich. Unter den rund 400 Künstlerinnen und Künstlern, die zwischen 1919 und 1933 mit dem Jungen Rheinland, der Rheingruppe und der Rheinischen Sezession ausgestellt haben, befanden sich 59 Frauen (Tab. 1). Diese waren, mit Ausnahme der Architektur, in allen künstlerischen Disziplinen vertreten, wobei die Gruppe der Malerinnen und Graphikerinnen am größten war, gefolgt von Kunstgewerblerinnen und Bildhauerinnen. Manche von ihnen haben nur an ein oder zwei Ausstellungen teilgenommen, andere waren dem Jungen Rheinland über Jahre hinweg verbunden und haben die Geschicke der Vereinigung zum Teil aktiv mitgestaltet. Fast alle sind heute – 100 Jahre nach Gründung der Künstlergruppe – vollkommen aus dem Blickfeld der Kunstgeschichte verschwunden.

 

Als die befreundeten Maler Arthur Kaufmann und Adolf Uzarski zusammen mit dem Schriftsteller Herbert Eulenberg im November 1918 den Gründungsaufruf des Jungen Rheinland verfassten, richteten sie diesen zunächst ausschließlich an männliche Künstler. Obwohl die Liste der Adressaten sich auf 44 Maler, Bildhauer, Architekten und Kunstgewerbler beschränkte, forderten Kaufmann, Uzarski und Eulenberg in ihrem Zirkular nicht weniger als den „Zusammenschluß der gesamten jungen rheinischen Künstlerschaft“, um dieser „den ihnen gebührenden […] Platz im deutschen Kunstschaffen zu erobern.“[2] Die Angeschriebenen hatten das Recht, weitere potenzielle Mitstreiter vorzuschlagen,[3] weshalb der Aufruf in der Folge auch einige Künstlerinnen erreichte, die sich von den Absichten und Forderungen der Gründer angesprochen fühlten. Als das Junge Rheinland schließlich am 24. Februar 1919 offiziell ins Leben gerufen wurde, zählten sodann auch einige Künstlerinnen zu den ersten Mitgliedern. Mit der Kunstgewerblerin Irma Goecke (1895-1976) gehörte sogar eine Frau dem Gründungs-Vorstand an, womit bereits von Beginn an für einen gewissen weiblichen Einfluss gesorgt war.

 

Frauen im Vorstand

Irma Goecke, die 1895 als Tochter eines Textilkaufmanns in Paris geboren worden war, lebte seit 1914 in Düsseldorf, wo sie zunächst an der Kunstgewerbeschule studiert hatte, ehe sie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs als eine der ersten Frauen an der Düsseldorfer Kunstakademie aufgenommen wurde.[4] Ihr Lehrer Ernst Aufseeser, der zu den Adressaten des Gründungsaufrufs gehörte, hatte seine talentierte Schülerin vermutlich auf die geplante Konstituierung des Jungen Rheinland hingewiesen und mit seiner Empfehlung Gehör unter den angeschriebenen Künstlerkollegen gefunden. Mit gerade einmal 24 Jahren wurde Irma Goecke in den Vorstand des Jungen Rheinland berufen und nahm in der Folge bis 1921 an drei Ausstellungen der Vereinigung teil,[5] auf denen sie eine Reihe von Aquarellen und Zeichnungen präsentierte, insbesondere aber mit zahlreichen expressiven Stickereien vertreten war (Abb. 1), die auch das Interesse des Galeristen Alfred Flechtheim weckten, bei dem sie im Herbst 1919 ebenfalls ausstellte.[6] Bereits nach rund einem Jahr schied Goecke wieder aus dem Vorstand des Jungen Rheinland aus und beendete im Frühjahr 1921 schließlich auch ihre Ausstellungstätigkeit mit der Gruppe. Zum 1. Juni 1920 hatte sie einen Ruf an die Dortmunder Kunstgewerbeschule erhalten, wo sie bis 1940 die Textilfachklasse leiten sollte.[7] Mit dieser neuen Aufgabe reduzierte sie ihre freie künstlerische Arbeit zusehends.

 
Abb. 1 Irma Goecke, Seidenstickerei, um 1919, aus dem Katalog der ersten Ausstellung des Jungen Rheinland in der Kunsthalle Düsseldorf vom 22. Juni bis 20. Juli 1919.

Auf Irma Goecke folgte im Vorstand des Jungen Rheinland die Malerin und Graphikerin Hedwig Petermann (1877-1968), über die heute nur noch wenig bekannt ist. Auch der größte Teil ihres künstlerischen Œuvres gilt als verschollen.[8] Petermann wurde 1877 in Mühlheim an der Ruhr geboren und nahm zwischen 1904 und 1914 Privatunterricht bei dem Düsseldorfer Maler Wilhelm Eckstein. Anschließend war sie als freie Malerin und Graphikerin tätig (Abb. 2). Wohl schon bald nach der Gründung des Jungen Rheinland wurde sie Mitglied der Vereinigung und nach dem Ausscheiden von Irma Goecke 1920 schließlich als zweite Frau in den Vorstand gewählt. Sie bekleidete ihr Amt bis 1923, womit in der Hochphase des Jungen Rheinland, die spätestens mit der Abspaltung der Rheingruppe im November 1923 endete, stets eine Frau im Vorstand der Gruppe saß. Petermann nahm in dieser Zeit an mindestens vier Ausstellungen des Jungen Rheinland teil[9] und wurde von der zeitgenössischen Kunstkritik als „außergewöhnliche Begabung unter den Düsseldorfer Künstlerinnen“ gefeiert.[10]

 
Abb. 2 Hedwig Petermann, Madonna mit Kind, um 1920, Holzschnitt, 39,5 x 44,5 cm (42,8 x 50,2 cm), Kunstpalast, Düsseldorf, Inv.-Nr. K 1923-163 [Bildquelle: Foto: Kunstpalast - Horst Kolberg - ARTOTHEK]

Goecke und Petermann blieben die einzigen weiblichen Vorstandsmitglieder des Jungen Rheinland. Erst 1929 sollte mit der Keramikerin Felicitas Klatte (1891-1956) erneut eine Frau dem Vorstand der Rheinischen Sezession angehören. Sie hatte dort bis 1930 das Amt der Schatzmeisterin inne.[11]

 

Doch wie groß war der Einfluss dieser Frauen innerhalb des Jungen Rheinland tatsächlich? Eine Frage, die aufgrund fehlender Quellen nicht eindeutig zu beantworten ist und bis heute Raum für Spekulationen bietet. Einen Anhaltspunkt gibt allein die Auswertung der Ausstellungskataloge der Gruppe. Diese zeigt, dass in den Anfangsjahren bis 1922, in denen mit Goecke und Petermann stets eine Vertreterin der Frauen im Vorstand saß, die Beteiligung von Künstlerinnen an den Ausstellungen des Jungen Rheinland höher gewesen ist, als in späteren Jahren.[12] Ein Umstand, der überrascht, trat doch erst gegen Ende der 1920er Jahre die erste Künstlerinnengenration an, die eine akademische Ausbildung erhalten hatte, welche Frauen bis zum Inkrafttreten der Weimarer Verfassung 1919 verwehrt worden war. Die verbesserte Ausbildungssituation trug also, anders als zu vermuten wäre, nicht zu einer signifikanten Zunahme der Ausstellungsbeteiligungen von Frauen bei. Goecke und Petermann haben sich vermutlich beide nach Kräften für die Belange der Künstlerinnen der Gruppe und deren Sichtbarkeit auf den Ausstellungen eingesetzt, wenngleich über die konkreten Inhalte ihrer Vorstandstätigkeit nur gemutmaßt werden kann. Auch für Felicitas Klatte ist hierzu nichts überliefert. Dokumente oder Aufzeichnungen haben sich diesbezüglich für keine der drei Frauen erhalten. Der Einfluss Petermanns war jedoch nach derzeitigem Kenntnisstand erheblich größer, als der von Irma Goecke oder Felicitas Klatte. Petermann gehörte neben Arthur Kaufmann, Adolf Uzarski und Gert H. Wollheim zu den Unterzeichnerinnen des Boykott-Aufrufs gegen die „Große Düsseldorfer Kunstausstellung von 1922“ und war vermutlich auch an der Organisation der „I. Internationalen Kunstausstellung Düsseldorf 1922“ im Warenhaus Tietz beteiligt, die das Junge Rheinland als Gegenveranstaltung zur „Großen Düsseldorfer Kunstausstellung“ organisierte.[13] Hedwig Petermann kann also mit Fug und Recht als kunstpolitische Aktivistin bezeichnet werden, wodurch sie aus der Gruppe der Frauen herausragt. Ihr Wirkungsradius erreichte jedoch bei weitem nicht alle Aktivitäten der Vereinigung.

 

Keinen erkennbaren Einfluss hatte sie etwa auf die inhaltliche Gestaltung der Zeitschrift Das Junge Rheinland, die während ihrer Vorstandstätigkeit erschien. In den zehn zwischen Oktober 1921 und Juli 1922 herausgegebenen Heften blieb die Präsenz der weiblichen Mitglieder gering. Unter den 44 in der Zeitschrift vorgestellten Künstlern befanden sich lediglich drei Frauen: Die Malerin Nora Dahlen (1864 – nach 1928), die Bildhauerin Amely Dannemann (1890-1967) sowie die Malerin und Graphikerin Margarethe Aldinger (1896-1943).[14] Die Zeitschrift Das Junge Rheinland war vor allem geprägt durch ihren Schriftleiter Gert H. Wollheim sowie die verantwortlichen Autoren Adolf Uzarksi und Karl Schwesig.[15] Keine Künstlerin gehörte der Redaktion des Blattes an, weshalb sie in der Zeitschrift wohl nur eine untergeordnete Rolle spielen.

 

Künstlerinnen in der Weimarer Republik

Waren Frauen also bereits auf den Ausstellungen des Jungen Rheinland unterrepräsentiert, so wird am Beispiel der Zeitschrift die anhaltende Missachtung weiblichen Kunstschaffens in jenen Jahren noch stärker deutlich. Will man sich mit der Rolle der Künstlerinnen im Jungen Rheinland auseinandersetzen, so ist es demnach unerlässlich, sich auch mit der generellen Situation von Künstlerinnen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen. Trotz einer deutlich verbesserten Ausbildungssituation seit Inkrafttreten der Weimarer Verfassung kämpften viele Künstlerinnen auch in den 1920er und -30er Jahren noch immer um gesellschaftliche Anerkennung.[16] Diese Anstrengungen zeigen sich auch in den Biografien von zahlreichen Künstlerinnen des Jungen Rheinland. Ein großer Teil der weiblichen Mitglieder war im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts geboren worden und hatte damit ähnliche Karrierewege beschritten. Die Ausbildung der meisten beteiligten Künstlerinnen hatte über teure Damenakademien, Privatunterricht und Kunstgewerbeschulen geführt, da Frauen der Zugang zu staatlichen Akademien bis 1919 verwehrt geblieben war.[17] Doch obwohl mit der Öffnung der Akademien eine wichtige Hürde auf dem Weg zur gesellschaftlichen Anerkennung des Künstlerinnenberufs genommen worden war und weibliches Kunstschaffen nun zusehends vom Vorwurf des Dilettantismus befreit wurde, sahen sich viele Künstlerinnen weiterhin massiven Vorbehalten gegenüber ihrer künstlerischen Arbeit ausgesetzt. Noch 1928 – also fast zehn Jahre nach der Gründung des Jungen Rheinland – veröffentlichte der Stuttgarter Kunsthistoriker Hans Hildebrandt eine Abhandlung mit dem Titel Die Frau als Künstlerin, in der er Frauen die Eignung für den Künstlerinnenberuf nahezu absprach und die Qualität ihrer Arbeiten stets hinter der ihrer männlichen Kollegen ansiedelte. So heißt es bei Hildebrandt: „Die Kunst der Frau begleitet die Kunst des Mannes. Sie ist die zweite Stimme im Orchester, nimmt die Themen der ersten Stimme auf, wandelt sie ab, gibt ihnen neue eigenartige Färbungen; aber sie klingt und lebt von jener.“[18]

 

Mit dieser vorurteilsbeladenen Sicht auf die künstlerische Produktion von Frauen stand Hildebrandt Ende der 1920er Jahre nicht allein da. Auch in der nach wie vor patriarchal geprägten Gesellschaft der Weimarer Republik war dieser Standpunkt weit verbreitet. Hinzu kamen für viele Frauen weiterhin private Hürden bei der Ergreifung des Künstlerinnenberufs. Denn bürgerliche Zwänge und die finanzielle Abhängigkeit vom Elternhaus oder dem Ehemann setzten den künstlerischen Ambitionen vieler Frauen häufig schnell ein jähes Ende. Angesichts dieser äußeren Umstände blieb die Lage zahlreicher Bildender Künstlerinnen zum Teil noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein äußerst angespannt.[19]

 
Abb. 3 Marie Laué, Porträtfoto von Marta Worringer, um 1920 [Bildquelle: Bildzitat aus: Marta Worringer – „meiner Arbeit mehr denn je verfallen“, Ausst.-Kat. hg. v. Verein August Macke Haus e.V. anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im August Macke Haus in Bonn, Bonn 2001, S. 56.]

Künstlerinnen im Jungen Rheinland zwischen Tradition und Aufbruch

Doch zurück zum Jungen Rheinland. Die Gruppe der Künstlerinnen ist, und das erscheint bemerkenswert, ein Spiegel der gesamten Vereinigung. Ähnlich heterogen wie die komplette Künstlergruppe umfasst auch sie Vertreterinnen der unterschiedlichsten Generationen,[20] Stilrichtungen und politischen Ansichten. Auch das künstlerische Selbstverständnis der beteiligten Frauen war trotz vielfach ähnlicher Grundvoraussetzungen höchst unterschiedlich. Marta Worringer (1881-1965) (Abb. 3) etwa, die als Malerin, Graphikerin, Buchillustratorin und Textilkünstlern aktiv war, stellte ihre künstlerische Tätigkeit stets hinter ihren Aufgaben als Ehefrau und Mutter zurück und entsprach damit ganz den damaligen Rollenvorstellungen. Nur wenn es ihre Zeit erlaubte, zog sie sich zur Arbeit ins Atelier zurück.[21] Dementsprechend klein ist ihr hinterlassenes Œuvre und vergleichsweise kurz die Liste ihrer Ausstellungsbeteiligungen. Dennoch ließ sie ihre Freundin Louise Dumont, die Gründerin des Düsseldorfer Schauspielhauses, in einem Brief aus dem Jahr 1924 wissen: „Die Stunden, die ich mir zur Arbeit stehle, sind meine glücklichsten und seltsamerweise sogar meine wahren Erholungsstunden. Ich weiß um den Egoismus des künstlerischen Schaffens, weiß um den Selbst-Genuß. Aber es scheint, dass ich auf beides noch nicht verzichten kann.“[22] Trotz ihrer zurückhaltenden Art entwickelte sich Marta Worringer in den 1920er Jahren zu einer höchst erfolgreichen und vielbeachteten Künstlerin, über die auch die zeitgenössischen Presse zumeist wohlwollend berichtete. So betitelte sie etwa der Bonner Generalanzeiger als „begnadete Künstlerin, die mehr in den Vordergrund treten sollte“.[23] Auch im Jungen Rheinland blieb Marta Worringer eher im Hintergrund, bot bei ihren beiden Ausstellungsteilnahmen 1920 und 1922 aber dennoch einen bemerkenswerten Einblick in ihr breit gefächertes künstlerisches Schaffen.[24]

 

Ganz anders als Worringer trat ihre Künstlerkollegin Lotte B. Prechner (1877-1967) an die Öffentlichkeit. Trotz Ehemann und Tochter widmete sie sich ohne große Rücksicht auf familiäre Verpflichtungen ihrer künstlerischen Ausbildung und trieb ihre Karriere von Anfang an mit großem Ehrgeiz voran.[25] Prechner nahm sich, was bis dato nur Männern zugestanden wurde und hatte Erfolg damit. Die zeitgenössische Kunstkritik lobte ihre „Sicherheit in der Heraushebung des Wesentlichen“ und attestierte Prechner eine „stark zupackende Kraft“, durch die sie immer wieder in die Nähe von Käthe Kollwitz gerückt wurde, der sie auch in ihren Sujets nahestand.[26] Beeinflusst durch ihre Tätigkeit als Kriegsmalerin im Ersten Weltkrieg entstanden bis Anfang der 1930er Jahre vor allem zahlreiche sozialkritische Werke, in denen Prechner die Not der Bevölkerung in Folge des Krieges abbildete (Abb. 4 und 5).[27] Mit diesen ebenso aufrüttelnden wie eindringlichen Arbeiten machte sie sich im Rheinland in kürzester Zeit einen Namen und gehörte schon Anfang der 1920er Jahre zu den profiliertesten Künstlerinnen der Region. 1921 schloss sich Prechner dem Jungen Rheinland an und war in der Folge die am häufigsten auf den Ausstellungen des Jungen Rheinland bzw. der Rheinischen Sezession vertretene Künstlerin.[28] Auffällig ist, dass sie dort zunächst ausschließlich mit graphischen Arbeiten vertreten war, wenngleich bereits zu Beginn der 1920er Jahre auch Gemälde und Skulpturen zu ihrem Œuvre gehörten. Erst im Herbst 1928 zeigte Lotte B. Prechner auf der Jahresausstellung des Jungen Rheinland das im selben Jahr entstandene Gemälde „Epoche“ (Abb. 6) das heute als ihr Hauptwerk gilt.[29]

Abb. 4 Lotte B. Prechner, Hinter Gitter, um 1920, Linolschnitt, 42 x 32,4 cm (34 x 26 cm), Kunstpalast, Düsseldorf, Inv.-Nr. K 1952-70. [Bildquelle: © Nachlass Lotte B. Prechner / Foto: Kunstpalast - Horst Kolberg - ARTOTHEK]
Abb. 5 Lotte B. Prechner, Heimatlos, um 1920, Holzschnitt, 36,8 x 28,5 cm (32,4 x 24,4 cm), Kunstpalast, Düsseldorf, Inv.-Nr. K 1952-67. [Bildquelle: © Nachlass Lotte B. Prechner / Foto: Kunstpalast - Horst Kolberg - ARTOTHEK]
Abb. 6 Lotte B. Prechner, Epoche, 1928, Öl auf Leinwand, 105 x 85,5 cm, "Friedrich-Ebert-Stiftung e.V., Bonn [Bildquelle: © Nachlass Lotte B. Prechner / Foto: Friedrich-Ebert-Stiftung e.V.]
 
Abb. 7 Trude Brück, Selbstbildnis, 1924, Kaltnadelradierung, 36 x 28,5 cm (23,7 x 17,3 cm), Kunstpalast, Düsseldorf, Inv.-Nr. K 1960-53 [Bildquelle: Foto: Kunstpalast - Horst Kolberg - ARTOTHEK]

Ähnlich selbstbewusst präsentierte sich zur selben Zeit die Malerin und Graphikerin Trude Brück (1902-1992) (Abb. 7), die 1922 Mitglied des Jungen Rheinland wurde und zu den jüngsten weiblichen Mitgliedern der Vereinigung gehörte. Die 1902 in Breslau geborene Brück hatte sich im Frühjahr 1921 heimlich, gegen den Willen ihrer Eltern, an der Düsseldorfer Kunstakademie beworben und dort noch im Oktober desselben Jahres ein Studium bei Ludwig Heupel-Siegen begonnen. 1923 wurde sie schließlich Schülerin von Heinrich Nauen, der 1919 zu den Gründungsmitgliedern des Jungen Rheinland gehört hatte und 1921 als erster „moderner“ Professor an die Akademie berufen worden war.[30]

 

In Düsseldorf fand Trude Brück auch außerhalb der Akademie rasch Anschluss an die junge Kunstszene und wurde als eine der wenigen Frauen Anfang der 1920er Jahre sogar zeitweilig in den Kreis um Johanna Ey aufgenommen, in deren Galerie sie fortan regelmäßig verkehrte. Nach einer Frankreichreise mit Nauen hatte sie dort 1925 und 1926 zwei Einzelausstellungen.[31] Trude Brück pflegte Kontakte zu zahlreichen Künstlern des „Ey“-Kreises, war jedoch insbesondere mit Otto Pankok, Gert H. Wollheim und Karl Schwesig eng befreundet, mit dem sie sich während ihrer Ausbildung obendrein für ein Jahr das Atelier teilte.[32] Die Ateliergemeinschaft mit dem impulsiven und politisch aktiven Schwesig war zwar nur von kurzer Dauer, beeinflusste die junge Künstlerin aber nachhaltig. Beide begegneten sich im Atelier künstlerisch auf Augenhöhe, wovon gegenseitige Porträts zeugen (Abb. 8 und 9).

 
Abb. 8 Karl Schwesig, Trude Brück, 1922, Radierung, 27,8 x 21,2 cm, Stadtmuseum Landeshauptstadt Düsseldorf, D 2756 [Bildquelle: © Nachlass Karl Schwesig / Foto: Stadtmuseum Landeshauptstadt Düsseldorf]
Abb. 9 Trude Brück, Bildnis des Malers Karl Schwesig, 1922, Kaltnadelradierung, 30,7 x 39,8 cm (17,3 x 23,7 cm), Kunstpalast, Düsseldorf, Inv.-Nr. K 1960-48 [Bildquelle: Foto: Kunstpalast - Horst Kolberg - ARTOTHEK]

Nach dem Abschluss ihres Studiums verließ Trude Brück das Rheinland bereits 1928 wieder und trat auf Drängen ihres Vaters eine Stelle als Zeichenlehrerin an einem Mädchengymnasium in Saarbrücken an. Für die Malerin sicher nicht mehr als ein Kompromiss zur finanziellen Absicherung, denn auch im Saarland widmete sie sich weiterhin ihrer freien künstlerischen Arbeit. Erst nach dem Verlust großer Teile ihres Werkes bei einen Bombenangriff 1943 beendete Trude Brück geschockt und entmutigt ihre künstlerische Karriere, die somit kaum mehr als 20 Jahre umfasst.[33]

 

Trude Brück gehört neben einer ganzen Reihe weiterer Mitglieder des Jungen Rheinland zur sogenannten „verschollenen Generation“.[34] Durch die Kunstdoktrin der NS-Zeit und kriegsbedingte Verluste weiter Teile ihres Œuvres geriet sie wie so viele Künstlerinnen und Künstler deren Karriere in der Weimarer Republik ihren Anfang nahm, nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit. Nur wenigen Künstlerinnen aus dem Umkreis des Jungen Rheinland gelang es überhaupt, nach 1945 noch einmal an alte Erfolge anzuknüpfen, auch wenn viele ehemalige Mitglieder, darunter beispielsweise die Kölner Malerin Käthe Schmitz-Imhoff (1893-1985) oder die aus Stralsund stammende Malerin Edith Dettmann (1898-1987) bis ins hohe Alter und damit weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein künstlerisch tätig blieben. Einige, wie etwa die Weseler Bildhauerin Eva Brinkmann (1896-1977),[35] überlebten zumindest im regionalen Gedächtnis. Andere, wie die Malerinnen Marta Hegemann (1894-1970) und Marie von Malachowski-Nauen (1880-1943), wurden im Zuge des Künstlerinnenbooms der 1990er Jahre wiederentdeckt, wenngleich auch ihr Bekanntheitsgrad bis heute kaum über das Rheinland hinausreicht.[36]

 

Künstlerinnenforschung ist allerorten noch immer vielfach Grundlagenforschung, die in der Regel – soweit vorhanden – über Nachlässe und damit die Auswertung persönlicher Hinterlassenschaften und sonstiger zeitgenössischer Quellen führt. Ein aus wissenschaftlicher Sicht unerlässlicher Ansatz, der jedoch häufig nicht die erhofften Informationen zutage fördert – so auch in diesem Fall. Die wenigen erhaltenen Nachlässe von Künstlerinnen aus dem Umkreis des Jungen Rheinland geben unglücklicherweise kaum Auskunft über das Verhältnis der Frauen zur Vereinigung. Empfanden sie die Zeit ihrer Mitgliedschaft rückblickend als zu unbedeutend für ihre weitere Karriere oder sind etwaige Aufzeichnungen darüber in den Wirren des Zweiten Weltkriegs schlicht verloren gegangen? Irma Goecke hinterließ zwar einige Kataloge aus der Zeit des Jungen Rheinland, verschwieg ihre Zugehörigkeit zu der Künstlervereinigung in einem 1961 maschinenschriftlich verfassten Lebenslauf jedoch völlig. Für ihre Düsseldorfer Zeit erwähnt sie dort nur ihr Studium bei Ernst Aufseeser sowie die Einrichtung eines eigenen Ateliers. Bei der Auflistung ihrer frühen Ausstellungsbeteiligungen blieb Goecke ebenfalls vage. Hier führt sie lediglich die Teilnahme an Kollektiv-Ausstellungen in Berlin, Düsseldorf und Den Haag an, ohne dabei näher auf einzelne Schauen einzugehen.[37] Auch die Nachlässe von Amely Dannemann und Käthe Schmitz-Imhoff, die im Rheinischen Archiv für Künstlernachlässe in Bonn verwahrt werden,[38] geben keinen Aufschluss über das Verhältnis der Künstlerinnen zum Jungen Rheinland oder gar über Vereinsinterna. Im Hinblick darauf ist nur das bekannt, was die erhaltenen Kataloge über die Ausstellungsbeteiligungen der beiden Frauen verraten. Von einigen Künstlerinnen des Jungen Rheinland ist über 80 Jahre nach Auflösung der Vereinigung sogar kaum mehr überliefert, als der bloße Name.

 

Es bleibt daher umso mehr zu hoffen, dass die Frauen der Künstlervereinigung, durch die anlässlich des Jubiläumsjahres neu angestoßene Forschung zum Jungen Rheinland, künftig wieder stärker in den Fokus geraten. Denn noch immer wird im Zusammenhang mit der Vereinigung meist nur eine Frau erwähnt: Johanna Ey, die als „Mutter Ey“ zwar für viele Künstler der Gruppe eine wichtige Unterstützung war, dabei von wenigen Ausnahmen abgesehen, aber stets eine reine „Männerförderin“ blieb. Als Zentrum des Jungen Rheinland hat Arthur Kaufmann sie in seinem 1925 entstandenen Gruppenporträt „Die Zeitgenossen“ festgehalten. Nur zwei andere Frauen befinden sich auf dem Gemälde, sind jedoch mitnichten Künstlerinnen der Vereinigung. Es handelt sich um die Schauspielerin Hilde Schewior, die als Ersatz für den heillos mit Wollheim zerstrittenen Uzarski ihren Platz im Bild fand, sowie Elisabeth Kaufmann, die Ehefrau des Malers Arthur Kaufmann.[39] Keine Künstlerin des Jungen Rheinland hat Eingang in das monumentale Gemälde gefunden. Kaufmann erschien anscheinend keine wichtig genug, um neben den Gründervätern der Gruppe eingereiht zu werden. Die Frauen blieben wie so häufig außen vor!