Wie fast überall in Europa, entstanden auch in Belgien in der Zeit ab 1917/18 verschiedene neue, oft auch kurzlebige Künstlerinitiativen. Sie propagierten eine neue Welt(-ordnung), internationale Zusammenarbeit und neue Kunstformen. Von einem futuro-kubo-Expressionismus kam die junge belgische Avantgarde in kurzer Zeit zur Abstraktion, der „Plastique Pure“. Sowohl die Idee der Gemeinschaftskunst als auch des internationalen Pazifismus wurde aufgenommen. Gleichzeitig arbeitete man daran die vierjährige Isolierung zu überwinden und ein durch Besatzung und Exil zersplittertes Kunstmilieu wiederaufzubauen. Das Verhältnis zu Deutschland war schwierig: Während die Mehrheit in Belgien gegen Deutschland eingestellt war, bedeutete der große Systemumbruch in Deutschland für eine Minderheit die Hoffnung, die Weltrevolution auch nach Belgien zu holen. Zu ehrlichem künstlerischen Interesse an der zeitgenössischen deutschen Kunst, kamen dementsprechend anti-bürgerliche Rebellion, politischer Aktivismus, vorherige Verbindungen und teils auch Opportunismus als Beweggründe, warum viele dieser Initiativen in irgendeiner Weise den Kontakt nach Deutschland suchten. Am weitesten ging zunächst die Gruppe Lumière, die als gemäßigt revolutionär bezeichnet werden kann, und Paul Colin, der Herausgeber der Zeitschrift L’Art libre, die auch untereinander in engem Kontakt waren und der pazifistischen Clarté-Bewegung nahestanden. Paul Colin bereiste ab 1918 fast alle deutschen Provinzen, um sich vor Ort ein Bild von dem ehemaligen Feind zu machen und so dem Geist von Versailles etwas entgegenzusetzen. Er veröffentlichte anschließend seine Eindrücke. Lumière, die insbesondere den zeitgenössischen Holzschnitt als expressionistisches Ausdrucksmittel par excellence förderten, luden ihrerseits nach Krieg und Besatzung bereits 1921 deutsche Künstler zu ihren Ausstellungen ein. Darunter u. a. Max Burchartz und Franz M. Janssen, die auch Mitglieder des Jungen Rheinland waren. Die deutschen Künstler stellten schließlich 1923 gemeinsam mit Lumière in Amsterdam aus. Künstler von Lumière nahmen wiederum im Oktober 1922 an der „Internationalen Ausstellung revolutionärer Künstler“ in Berlin teil (Abb. 2). Diese wurde von der im März desselben Jahres gegründeten Gruppe Die Kommune organisiert, die als Vorläufer der Kölner Progressiven gilt. Es stellten u.a. Jankel Adler, Otto Freundlich, Raoul Hausmann, Stanislaw Kubicki, Franz Wilhelm Seiwert und von Lumière zumindest Henri van Straten und Joris Minne aus. Diese beiden belgischen Künstler sollen zuvor an dem Düsseldorfer Kongress teilgenommen und zu der Gruppe gehört haben, die die Veranstaltung gemeinsam mit Kubicki aus Protest gegen einen Schulterschluss mit dem traditionellen Kunstbetrieb verlassen hat. Demnach wäre die Teilnahme der Belgier an der Berliner Ausstellung eine Folge der Ereignisse in Düsseldorf. Auch Tristan Rémy, der Autor der Notiz über den Kongress in Lumière, hatte die Gruppe um Kubicki und Freundlich in Düsseldorf kennengelernt und war mit diesen nach Berlin zurückgereist. Bereits vor dem Düsseldorfer Kongress war Rémy zudem mit den Lumière-Dissidenten um Maurice van Essche von Ça ira! in Kontakt getreten. Eine Verbindung zwischen dem Berliner und Antwerpener Kreis über Rémy erscheint daher ebenso plausibel. Lumière selbst hatte sich zudem seit dem Vorjahr über Friedrich Wilhelm Hübner um Ausstellungsmöglichkeiten in Deutschland bemüht und hatte seit 1920 mit Künstlern wie mit Conrad Felixmüller Kontakt, der Holzschnitte mit u.a. van Straten tauschte. Ein von Otto Freundlich an den Kopf von Lumière, Roger Avermaete, adressierter Brief von August 1922 stellte dann eine Mitarbeit seines Kreises an der Antwerpener Zeitschrift in Aussicht. Im selben Brief lud er die Antwerpener zur Teilnahme an der Berliner Ausstellung ein und sandte zwei Manifeste, die „erklären, warum man sich von den anderen Künstlergruppen getrennt habe“. Aufschluss über die genauen Umstände des Erstkontaktes dieser beiden Künstlergruppen gibt auch dieses isolierte Dokument nicht. Doch ist ein Schulterschluss beider Gruppen kohärent. Beide verwehrten sich dem traditionellen Kunstbetrieb und verschrieben sich einem pazifistischen internationalem Netzwerk, ohne der Figuration den Rücken zu kehren.