Maldadadix, Das Junge Rheinland und die neue Malerei

Birgit Schwarz

Am 29. Januar 1919 wurde in Dresden die Dresdner Sezession Gruppe 1919 um Conrad Felixmüller und Hugo Zehder gegründet mit dem Ziel, einer kommenden Kunst den Weg zu bereiten.[1] Entsprechend war Dada bereits im Juni 1919 auf der zweiten Gruppen-Ausstellung mit Werken von George Grosz und Kurt Schwitters vertreten.[2] Innerhalb der Gruppe 1919 wandte sich vor allem Otto Dix Dada zu. Er klebte „echt dadaistisch Stoffteile, Photographien, Briefausschnitte, Straßenbahnkarten, Stempelmarken und gedruckte Sinnsprüche“[3] in seine Gemälde, wurde sogar – was wenig bekannt ist, da die entsprechenden Werke verloren sind – zum Dada-Monteur.[4] Nach Aussage des Künstlers entstanden „Bilder aus Stoff, Blech, Holz, bewegliche aufklappbare verschiebbare“.[5]

 

Gleichzeitig zogen die Dadaisten in einer skandalumwobenen Tournee gegen den bürgerlichen Kunstbegriff und den etablierten Kunstbetrieb zu Felde, mit großem medialem Erfolg und prägender Wirkung bis heute: Dada wurde in der Öffentlichkeit als radikale Antikunst-Bewegung wahrgenommen. In der Folge ließ die Dresdner Kunsthandlung Emil Richter sogar eine für Herbst 1919 geplante dritte Ausstellung der Dresdner Sezession Gruppe 1919 platzen.[6]

 

Das Antikunst-Image dominiert bis heute die Wahrnehmung von Dada. Viel zu wenig wird hingegen beachtet, dass Dada auch eine Bewegung zur Erneuerung der Kunst war. Das dadaistische Manifest Richard Huelsenbecks forderte ausdrücklich eine neue Kunst. Sie sollte die „unmittelbare Vergegenwärtigung der Wirklichkeit“ sein und neue Ideale verwirklichen. Weil Dada Ja und Nein, Bejahung und Verneinung zugleich ist, bedingte die Ablehnung des konventionellen Ölgemäldes als eines spießbürgerlichen Relikts konsequenterweise auch eine dadaistische Gegenposition. In diesem Sinne adaptierte Dix das gemalte Bild als dadaistisches Medium und nannte sich programmatisch „Maldadaist“.[7] Indem er aktuelle Themen wie Kriegskrüppel, Barrikadenkampf und Lustmord aufgriff, übertrug er dadaistische Verfahrensweisen wie Collage, Assemblage und Dekomposition auf die Darstellung bzw. das Dargestellte und demonstrierte so, dass Dada als Groteske des alltäglichen Lebens längst Realität war. Durch Verwendung von Sackleinwand als Malgrund, extrem pastosen Farbauftrag und Beimischung von Sand, Glassplitter u.ä. in die Farbe, wurde die Faktur brutalisiert, durch Abdruck von Textilien oder Kammzug der Malvorgang mechanisiert und automatisiert, durch eingeklebte Elemente, Ritzungen, Löcher in der Leinwand die Farboberfläche gestört bzw. das Medium selbst in Frage gestellt.[8]

 

Im Frühjahr 1920 stellte Dix in der „Sonderausstellung der Novembergruppe“ auf der „Großen Berliner Kunstausstellung“ erstmalig Dada-Gemälde aus, parallel dazu erschien ein Dix-Artikel Theodor Däublers in der renommierten Kunstzeitschrift Das Kunstblatt.[9] Der Düsseldorfer Maler Gert H. Wollheim, der zusammen mit Otto Pankok Ausstellungen in der Galerie Neue Kunst Frau Ey auf dem Hindenburgwall 11 in Düsseldorf organisierte, wurde so auf ihn aufmerksam. In dem Gefühl, „das ist einer von uns“, nahm er nach Erscheinen des Artikels Kontakt zu Dix auf.[10] Im Spätsommer 1920 wurde schließlich erstmals Dix-Graphik in den Räumen von Johanna Ey ausgestellt, und zwar so erfolgreich, dass Dix einige Handzeichnungen und Holzschnitte nachliefern musste.[11] Als Wollheim jedoch beabsichtigte, dessen Graphiken auch in der Zeitschrift Das Ey zu publizieren, wandte Dix ein, dass er „Bildreproduktionen“ bevorzuge, da er eher Maler als Graphiker sei.[12]

 

Eine außerordentliche Bestätigung für seine Dada-Malerei brachte bald darauf die „Erste Internationale Dada-Messe“ in Berlin. Im Hauptraum nahm Dixens großes, plakatives Gemälde „Die Kriegskrüppel“ unter den meist kleineren Collagen und Schriftbildern eine herausragende Position ein.[13] Auch die dritte Ausstellung der Dresdner Sezession Gruppe 1919 konnte bald darauf, mit einem Jahr Verzögerung, stattfinden. Dix präsentierte sich mit dem Monumentalgemälde „Die Barrikade“, das, wie er auf eine Fotopostkarte an seine Eltern schrieb, „in Dresden großes Aufsehen erregte.“ (Abb. 1) Das Gemälde war durch collagierte Elemente, teils geklebt, teils genagelt, und ein Loch in der Leinwand als ein dadaistisches markiert. Zugleich reihte sich das Bild in die Tradition der Historienmalerei ein, der nach akademischer Rangordnung hochrangigsten Kunstgattung. Und zwar mit einem aktuellen und hochpolitischen Thema: einem Barrikadenkampf in Dresden anlässlich des Kapp-Putsch, eines kontrarevolutionären Putschversuches gegen die Weimarer Republik im März 1920.

 
Abb. 1 "DER RADIO=DADA DIX", Postkarte von Otto Dix an seine Eltern, 2. November 1920, 135 x 86 mm. [Bildquelle: © Kunstsammlung Gera, Otto-Dix-Archiv, Inv.-Nr. D/A 95]

Im Herbst 1920 erschien dann im dritten Heft der Zeitschrift Das Ey, das der neuen Malerei gewidmet war, ein Artikel Conrad Felixmüllers über den Dadaisten Dix.[14] Otto Pankok muss bald darauf um Übersendung von Gemälden nach Düsseldorf gebeten haben, denn Dix antwortete, dass er gerne „Ölschinken“ senden würde, doch die Transportkosten zu hoch seien. Daraufhin besuchte Pankok den Künstler wohl Ende Januar 1921 in seinem Dresdner Atelier, wo die Dada-Werke großen Eindruck hinterließen.[15] Übrigens sollte sich auch die etablierte Kunstszene bald beeindruckt zeigen: Die Frühjahrausstellung der Berliner Sezession präsentierte 1921 drei von Dixens Dada-Gemälden triptychonartig gehängt im Hauptsaal. Die Kritik attestierte ihm nun „großen Malstil“.[16]

 

Im Oktober 1921 reiste Dix auf Einladung von Johanna Ey und des Sammlers Dr. Hans Koch schließlich selbst nach Düsseldorf und hatte bei dieser Gelegenheit einige aufgerollte Gemälde im Gepäck. Er wurde von Johanna Ey herzlich empfangen und in ihrer Galerie – einem Ladenlokal mit Wohnung – untergebracht. Der Besuch lässt sich durch eine Postkarte an den Komponisten und Pianisten Erwin Schulhoff zeitlich genau bestimmen: Der Poststempel trägt das Datum 28. Oktober 1921.[17] Nur wenige Tage später, am 1. November 1921, wurde eine Max Ernst-Ausstellung bei Johanna Ey eröffnet, die erstmalig wieder Ölgemälde des Künstlers zeigte. Als Dadaist hatte Ernst zuvor nur collagiert und montiert. Nun setze er seine Collagen in großen Gemälden um. Der Kunsthistoriker William A. Camfield hat diese später als „Collage Paintings“ bezeichnet.[18]

 

Bereits im Sommer 1921 hatte der Künstlerkreis um die Galerie Neue Kunst Frau Ey den Vorstand des Jungen Rheinland übernommen und die Geschäftsräume der Künstlervereinigung an die Adresse Hindenburgwall 11 verlegt, wo nun in 14-tägigem Rhythmus Ausstellungen der Mitglieder stattfanden. Im März 1922 schlossen sich Das Junge Rheinland, die Berliner Novembergruppe und die Dresdner Sezession Gruppe 1919 zum Kartell der fortschrittlichen Künstlergruppen in Deutschland zusammen, um fortan gemeinsam die neue Kunst zu proklamieren. Als gemeinsames Organ fungierte die Zeitschrift Das Junge Rheinland, die allerdings schon vor der Gründung des Kartells als Sprachrohr der Künstlervereinigung gedient hatte und im Oktober 1921 erstmals herausgegeben worden war.

 

In der letzten Ausgabe der Zeitschrift, die bereits im Juli 1922 erschien, wurde ein Essay von Ilse Fischer mit der Überschrift „Der Dadaist (Otto Dix)“ veröffentlicht, in dem Dix als prototypischer Dadaist beschrieben wird und zugleich der Versuch unternommen wird, sein Werk vom negativen Dada-Image abzugrenzen. Zwar habe er, so Ilse Fischer, „dadaistische Reklameschinken“ fabriziert, doch nicht aufgrund dieser Werke sei er Dadaist. Entscheidend für den Dadaisten sei nicht sein Kunstprodukt, sondern seine Persönlichkeit. Diese sei zugegebenermaßen chaotisch und negativ, doch setze das Kunstwerk als positive Schöpfung dagegen einen „befreienden Gegenpol“: „Hier fällt jede Eitelkeit, Schwäche, Disharmonie. Hier erwacht sein zielbewußter Wille, gelingt ihm das Zusammenraffen der widerstreitenden Kräfte, die zwingend klare Synthese. Hier kommt er zur positiven Schöpfung. Hier liegt sein Weg zu geschlossener Größe.“[19]

 

Die Kunstgeschichtsschreibung ordnet bisher lediglich Werke mit Collage-Elementen den dadaistischen Werkphasen von Otto Dix und Max Ernst zu, d.h. dass Dada stilkritisch bestimmt und in der Folge auf einen relativ kurzen Zeitraum begrenzt wird. Dies ist methodisch falsch, da Dada eben, anders als Impressionismus, Expressionismus oder Kubismus, kein Stilbegriff ist. Bei Dix steht diese Beschränkung zudem im Widerspruch zu seinen Selbstpositionierungen bis mindestens Ende 1922. Max Ernst hat 1958 die zeitliche und stilistische Begrenzung von Dada für überhaupt unzulässig erklärt: In Dada nur eine Phase oder Etappe der Kunstgeschichte zu sehen, sei genau das Gegenteil von dem, was Dada gewollt habe.[20] Dada war eine grundsätzliche Prägung, die nicht wie ein Kunststil zu ändern oder gar abzulegen war.

 

Dix war im intensiven Wettbewerb mit den Berliner Dadaisten 1920 als Maldadaist programmatisch zum gemalten Bild zurückgekehrt. Seine großen dadaistischen Historiengemälden markierten einen Paradigmenwechsel weg von der Anti-Kunst zur Dada-Kunst, weg von der Montage hin zum Gemälde. Er leistete damit einen wesentlichen Beitrag zum „letzten positiven Stadium“ Dadas, das laut Marcel Janco „die Fundamente einer neuen sozialen Ästhetik für den Künstler gelegt hat“.[21] Von Dixens Dada-Gemälden gingen entscheidende Impulse auf Künstler des Jungen Rheinland und dem Umfeld der Galerie Neue Kunst Frau Ey aus. Vor allem Max Ernst und Gert H. Wollheim setzen seit Sommer 1921 diese Anregungen um und suchten mittels Dada Wege zur Erneuerung der Malerei.[22] Hatte das Dadaistische Manifest von 1918 die Rückkehr der Kunst zur Realität gefordert, so wurde nun in diesem Kreis der dadaistische Realismusbegriff selbst durch psychologische, irreale und surreale Aspekte erweitert und so der zwingend notwendigen dadaistischen Polarisierung unterzogen; betroffen waren davon sowohl der Herstellungsprozess des Bildes als auch das Dargestellte. Diese Erweiterung des dadaistischen Realismusbegriffes war von grundlegender Bedeutung für die Ausformung der Kunstrichtungen, welche als Surrealismus und Neue Sachlichkeit in die Kunstgeschichte eingegangen sind.