Das Junge Rheinland – gegründet, gescheitert, vergessen?

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erholte sich der Kunstmarkt nur langsam. Für Künstlerinnen und Künstler waren staatliche Aufträge so gut wie nicht vorhanden, der private Verkauf von eigenen Werken nahezu unmöglich. In der unmittelbaren Nachkriegszeit bildeten sich daher auch im Rheinland sehr schnell Künstlergruppen, mit deren Hilfe die Mitglieder leichter an Ausstellungen partizipieren und Teil einer solidarischen Interessensgemeinschaft werden konnten. Im Unterschied zum übrigen Deutschland bedingte die politische Situation im umkämpften Rheinland allerdings eine eher separatistische und regionale Prägung der entstehenden Künstlervereinigungen.

 

Die erste und mit Abstand größte Gruppierung nach dem Ersten Weltkrieg im Rheinland war Das Junge Rheinland, gegründet in Düsseldorf am 24. Februar 1919. Hier versammelten sich Künstlerinnen, Künstler und Intellektuelle der unterschiedlichsten Tendenzen und Fachrichtungen – Malerei und Grafik, Architektur und Kunstgewerbe, Gestaltung und Typografie, Dichtung und Schauspiel –, um die Düsseldorfer Kulturszene und die Vernetzung mit Künstlern anderer Regionen in Deutschland und Europa zu befördern. Bis 1932 waren über 400 Künstlerinnen und Künstler für kürzere oder längere Zeit mit der Düsseldorfer Künstlergruppe und ihren Nachfolgevereinigungen (Rheingruppe und Rheinische Sezession) verbunden. Gemeinsam verfolgten die beteiligten Künstlerinnen und Künstler das Ziel, lokal und überregional Ausstellungsmöglichkeiten und „Sichtbarkeit“ für die junge rheinische Kunst zu schaffen.

 

Der Kunstpalast und das Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität hatten sich im Vorfeld des Jubiläumsjahres 2019 zusam­men­geschlossen, um der Forschung zum Netzwerk der Künstlervereinigung neue Impulse zu geben. Im Forschungsprojekt „Das Junge Rheinland 1919-1932. Dynamiken eines Künstlernetzwerks“, gefördert von der Gerda Henkel Stiftung, wurden die Zusam­mensetzung und die Vernetzung der Gruppe untersucht. Im Mittelpunkt des Projekts standen dabei sowohl Fragen nach dem künstlerischen Spektrum, der wechselnden personellen Zusammensetzung des Jungen Rheinland sowie dem künstlerischen Austausch der beteiligten Akteure untereinander als auch deren politischer Positionierung. Es wurden große Teile der Graphischen Sammlung des Museums zu den Künstlern des Jungen Rheinland neu aufgearbeitet und in einer Datenbank erfasst, außerdem zahlreiche Quellen zu Personen, Werken, Ausstellungen und Publikationen des Jungen Rheinland gesammelt.

 

Zu den wichtigsten – und auch bislang in der Kunstgeschichtsschreibung stets hervorgehobenen – Protagonisten gehören die Maler Gert H. Wollheim, Arthur Kaufmann, Adolf Uzarski und Max Ernst, die Dichter Herbert Eulenberg und Theodor Däubler, Kunsthistoriker wie Karl Koetschau und Walter Cohen, Kunsthändler wie Alfred Flechtheim, Johanna Ey und Hans Koch. Diese wurden in den bisherigen Forschungen mit ihren Verdiensten um Das Junge Rheinland und in zwei großen Ausstellungen 1985 und 2008 auch entsprechend gewürdigt. Daneben gab es jedoch eine Vielzahl, in der heutigen Forschung kaum wahrgenommener Mitglieder, deren (internationale) Netzwerke, Reisen, stilistische Richtungen, Ausstellungsverhalten, Präsenz am Kunstmarkt und Aktivitäten im Rahmen des Jungen Rheinland nicht nur über die Künstlervereinigung, sondern weit darüber hinausgehend über das Rheinland als regionales Kunstzentrum Aufschluss geben, das in den 1910er aber auch noch in den frühen 1920er Jahren durchaus als Scharnier zwischen Paris und Berlin fungierte. Der den Mitgliedern des Jungen Rheinland eigene avantgardistische Anspruch, wurde, so scheint es, auch in der kunsthistorischen Rezeption einigen wenigen wohlbekannten Mitgliedern – wie beispielsweise Gert H. Wollheim, Max Ernst, Karl Schwesig – zugesprochen, die anderen künstlerischen Positionen wie auch die Präsenz der Künstler mit diesem Verbund im Vergleich zu anderen Künstlergruppen wenig erforscht.

 

Ein Großteil der beteiligten Künstlerinnen und Künstler stammte aus Düsseldorf und der näheren Umgebung. Die meisten von ihnen hatten an der Düsseldorfer Kunstakademie oder an der Kunstgewerbeschule studiert. Doch auch auswärtige Künstler, von denen viele ebenfalls zeitweise in Düsseldorf studiert hatten, gehörten der Gruppe an oder waren bei den Ausstellungen des Jungen Rheinland vertreten, beispielsweise Milly Steger (Berlin) oder Bernhard Hoetger (Worpswede). Insbesondere nach Berlin, Darmstadt, Dresden und Nürnberg bestanden enge Verbindungen. 1921 stellte Das Junge Rheinland in Nürnberg, 1922 und 1925 in Berlin und 1924 im Rahmen der „Ersten deutschen Kunstausstellung“ sogar in Moskau aus. Mit der „I. Internationalen Kunstausstellung“ 1922 im Düsseldorfer Warenhaus Tietz und dem zeitgleich stattfindenden „1. Kongress der Union fortschrittlicher internationaler Künstler“ zog der Vorstand des Jungen Rheinland internationale Künstler in die Stadt. Die Bewertung der Künstlervereinigung in der Presse ist höchst unterschiedlich: Georg Howe erwähnte 1922 in der Zeitschrift Die Kunst für alle die „radikale Gruppe ‚Das junge Rheinland‘“, zuvor wurde sie mit ihren Ausstellungen eher als eine Art Sammelbecken beliebiger Positionen charakterisiert. Insgesamt ist die Geschichte des Jungen Rheinland sehr wechselhaft und geprägt von mehreren Abspaltungen, inneren und äußeren Konflikten sowie einer Auflösung mit anschließender Neugründung. 1923 spaltete sich die Rheingruppe ab, 1928 schlossen sich beide zur Rheinischen Sezession zusammen, wobei sie als eigenständige Vereine bestehen blieben. 1932 zeigte Das Junge Rheinland seine letzte Ausstellung.

 

Die in diesem Band versammelten Tagungsbeiträge unterbreiten neue Forschungsergebnisse zu einigen Facetten dieses wichtigen Kapitels der Moderne im Rheinland und möchten zur weiterführenden Auseinandersetzung mit der Künstlervereinigung anregen. Mit den einführenden Beiträgen zur kulturellen Situation nach dem Ersten Weltkrieg (Enno Stahl) und zur Gründung der Künstlervereinigung (Patricia Nünning) werden die alltäglichen und politischen Umstände hervorgehoben, die einen Zusammenschluss notwendig erscheinen ließen, um den Zugang zum Kunstmarkt durch eigene Ausstellungsmöglichkeiten als künstlerische Überlebensstrategie zu erschließen. Erstmals wird mit der Analyse der Satzung deutlich, dass Das Junge Rheinland durchaus nach einem wohlbekannten Modell, demjenigen des Sonderbundes agiert, jedoch peinlich darauf bedacht ist, die damaligen Fehler in der Struktur der Vereinigung nicht zu wiederholen. Netzwerkbildung, Politisierung der Mitglieder und ästhetische Positionen konkurrierten sehr bald mit den eingangs formulierten Zielen der Vereinigung und verändern die Außendarstellung; Otto Dix‘ dadaistische Phase wurde bislang nicht in diesen Zusammenhang eingeordnet (Birgit Schwarz). Wie unterschiedlich die künstlerischen Positionen innerhalb der Künstlervereinigung waren, verdeutlicht der Beitrag über die zahlreichen Portraits der Mitglieder untereinander und von den ihnen verbundenen Kunsthändlern (Gunda Luyken). Diese Diversität ist Zeichen der Offenheit gegenüber ästhetischen Richtungen und Ungebundenheit von akademischen Traditionen zugleich, so dass das Junge Rheinland in einem Moment der Krisis im Jahr 1922 zu einem Motor auch für die überregionale Entwicklung von anderen Künstlergruppen werden konnte. Dieser Aspekt sowie die konkreten politischen Umstände der „I. Internationalen Kunstausstellung“ im Warenhaus Tietz sind bislang noch nicht hinreichend beleuchtet worden. Deutlich wird, dass ein ganzes Intrigengeflecht von konkurrierenden lokalen Künstlern und Institutionen in Düsseldorf versucht hat, diese internationale Ausstellung zu ver- und behindern – und auch, dass die Protagonisten sich hinter einem vermeintlichen Verbot aus Berlin versteckt haben (von Hülsen-Esch). Welche – im Nachhinein betrachtet: ungenutzten – Chancen und Möglichkeiten sich mit dieser Ausstellung für das Rheinland verbunden haben, wird durch die beiden Beiträge mit Blick auf die Verbindungen nach Belgien (Inga Rossi-Schrimpf) und das östliche Europa, vor allem nach Polen und Russland (Malgorzata Stolarska- Fronia), erstmals sichtbar. Die Forschungen zum Sturm in Berlin mit vergleichbaren Merkmalen der Gruppenzusammensetzung in einem bestimmten Zeitraum, zum zuletzt besonders fokussierten Bauhaus ­und zum Jungen Rheinland zeigen, dass die Unterschiede und die Besonderheiten von Künstlergruppen mit dem Fokus auf die Netzwerkbildung und jenseits von Ausstellungsgelegenheiten und polemischen Auseinandersetzungen völlig neue Erkenntnisse zutage fördern.

 

Ein weiteres Kapitel gilt der Beziehung der Sammler, Kunsthändler und Museumsleute der Region zum Jungen Rheinland – bereits sehr früh haben diese Protagonisten Mitglieder des Netzwerks in ihren jeweiligen Portefeuilles. Die Kunstmarktforschung, eine noch vergleichsweise junge Disziplin innerhalb der Kunstgeschichte, hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen, da sich durch die Beschäftigung mit Händlern und Sammlern in ausgewählten Regionen oder bezogen auf einzelne Künstler bzw. Künstlergruppen oft völlig neue Aspekte im Hinblick auf Netzwerke und die Rolle der untersuchten Protagonisten im zeitgenössischen Kunstbetrieb ergeben. Zwei der wichtigsten und zugleich am besten erforschten Händler im Zusammenhang mit dem Jungen Rheinland sind der Galerist Alfred Flechtheim und die Düsseldorfer „Künstlermutter“ Johanna Ey, deren Händlertätigkeit sich in Art und Umfang jedoch erheblich voneinander unterschieden hat. Während Flechtheim, der 1909 zu den Mitbegründern des Sonderbundes gehört hatte, international vernetzt war und bis 1932 Galerie-Filialen in Düsseldorf, Köln, Frankfurt und Berlin betrieb, trat Johanna Ey eher als lokales Unikum in Erscheinung deren Verkaufs- und Ausstellungspolitik starken persönlichen Sympathien unterworfen war und kaum marktstrategischen Überlegungen folgte. Kathrin DuBois widmet sich in ihrem Beitrag den Verbindungen zwischen Alfred Flechtheim und dem Jungen Rheinland und erläutert am Beispiel des Malers und Gründungsmitglieds Werner Heuser die umfangreichen Maßnahmen, die der Kunsthändler zur Vermarktung und Förderung „seiner“ Künstler nutzte. Deutlich wird anhand des Beitrags aber auch, wie schnell sich Flechtheim und das Junge Rheinland nach anfänglich fruchtbarer Zusammenarbeit aufgrund wachsender Differenzen wieder entzweiten. Der Maler Werner Heuser steht dabei zugleich beispielhaft für die vielen vergessenen Künstler der Moderne, die nach dem Ersten Weltkrieg als Teil der rheinischen Avantgarde neue Wege beschreiten wollten, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber zunehmend aus dem Blickfeld der Kunstgeschichte gerieten. Auch Inga Rossi-Schrimpf geht in ihrem Beitrag über das Junge Rheinland und die belgische Avantgarde auf Alfred Flechtheim ein, dessen Verbindungen nach Belgien bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreichen. Flechtheim unterhielt seither nicht nur strategisch wichtige Kontakte zu Händlern und Sammlern im Nachbarland, sondern bemühte sich auch darum, deutsche, respektive rheinische Künstler in belgischen Ausstellungen zu positionieren. Flechtheim erscheint hier einmal mehr als grenzüberschreitender Kunstvermittler.

 

Allerdings gab es, auch das hat das Forschungsprojekt zu Tage gefördert, viele weitere Galeristen, die in den 1920er und 1930er Jahren mit Werken des Jungen Rheinland handelten. Dazu gehörten der Düsseldorfer Arzt und Sammler Dr. Hans Koch, der zwischen 1918 und 1920 das „Graphische Kabinett von Bergh und Co.“ betrieb, ehe er es an den Kunsthändler und Verleger Israel Ber Neumann übergab, Hans Trojanski, der in Düsseldorf ab 1924 ein nach ihm benanntes „Buch- und Kunstkabinett“ führte, sowie die in Köln tätigen Händler Dr. Andreas Becker (Galerie Becker-Newmann 1925-1937), Casimir Hagen (Richmod Galerie 1926/27) und Hermann Abels (Kunstsalon Hermann Abels 1919-1947), deren Tätigkeit in Hinblick auf das Junge Rheinland jedoch noch weiter zu untersuchen ist.

 

Einige der Genannten, darunter auch Alfred Flechtheim und Johanna Ey, handelten nicht nur mit Werken von Künstlerinnen und Künstlern des Jungen Rheinland, sondern sammelten diese selbst auch aktiv. Über ihre Kunden – die Sammlerinnen und Sammler aus der Zeit zwischen 1919 und 1933 – ist bis heute allerdings nur wenig publiziert worden, was vielfach daran liegt, dass etliche Sammlungen infolge des Zweiten Weltkriegs zerstört bzw. zerschlagen wurden und sich nur in den seltensten Fällen Bestandskataloge oder ähnliches erhalten haben, die Auskunft über die ehemals vorhandenen Werke geben könnten. Rekonstruiert werden konnte zuletzt jedoch die Sammlung des Kölner Rechtsanwalts Josef Haubrich, dessen Sammeltätigkeit im Hinblick auf das Junge Rheinland sich im vorliegenden Band Filomena Lopedoto gewidmet hat. Ihr Beitrag zeigt, wie stark Haubrich als Sammler am direkten Kontakt zu den Künstlern interessiert war und wie sehr er sich dabei selbst als Teil der rheinischen Kunstszene verstand. So engagierte sich Haubrich in den 1920er Jahren nicht nur aktiv im Kölnischen Kunstverein, sondern blieb der Avantgarde auch nach 1933 weiterhin treu. Mit der Übergabe seiner Sammlung expressionistischer Kunst an die Stadt Köln im Mai 1946 trug Haubrich schließlich sogar zur Schließung eklatanter Lücken in den Städtischen Kunstsammlungen bei, die infolge der restriktiven NS-Kulturpolitik entstanden waren.

 

Einen Sammler gänzlichen anderen Typs behandelt Claudia Delank in ihrem Beitrag. Mit Georg Oeder widmet sie sich einem der ersten Sammler japanischer Kunst in Deutschland, der zwar selbst keine Werke des Jungen Rheinland erwarb, mit seiner Sammelleidenschaft aber Impulse auf die rheinische Kunstszene ausübte und für eine gewisse Japanbegeisterung bei lokalen Künstlern wie Heinrich Nauen oder Walter Ophey sorgte. Oeder, einst selbst als Landschaftsmaler in Düsseldorf tätig, hatte seit den 1880er Jahren in seiner direkt neben dem Künstlerverein Malkasten gelegenen Villa eine umfangreiche Sammlung japanischer Farbholzschnitte und Keramiken zusammengetragen, die er nicht nur regelmäßig auf Ausstellungen präsentierte, sondern interessierten Gästen auch in seinen Privaträumen zugänglich machte.

 

Sammler waren jedoch nicht nur mit Kunsthändlern, sondern auch mit Museumsleuten in Kontakt. Der hier erstmals ausgewertete Briefwechsel zwischen Karl Koetschau und Walter Cohen (Gloria Köpnick) zeigt, welche Fäden gesponnen wurden und wie lebendig der Austausch zwischen Museumsleuten auch über das Rheinland hinaus war.

 

Ebenso aktuell wie die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Kunsthandel ist die seit einigen Jahren erstarkende Künstlerinnenforschung. Auch die Künstlerinnen des Jungen Rheinland haben bislang kaum Beachtung bei der Untersuchung der Vereinigung gefunden, weshalb die Tagung in diesem Bereich ebenfalls für neue Impulse sorgen konnte. So gibt Jens-Henning Ullner in seinem Beitrag über die Künstlerinnen des Jungen Rheinland erstmals einen dezidierten Überblick über die rund 60 weiblichen Mitglieder der Gruppe, von denen einige sogar im Vorstand tätig waren und auf diese Weise die Geschicke des Jungen Rheinland aktiv mitgestaltet haben. Anhand einzelner Beispiele zeigt der Beitrag auch, wie unterschiedlich das künstlerische Selbstverständnis der beteiligten Frauen gewesen ist, die ab 1919 zwar formal eine gewisse Gleichberechtigung erhalten hatten, sich aber nach wie vor mit den patriarchalen Strukturen der Weimarer Republik konfrontiert sahen.

 

Bereits in den 1980er Jahren als Teilbereich der Jungen Rheinland-Forschung beachtet, aber selbst in weiten Teilen noch immer ein wissenschaftliches Desiderat, ist das Theater bzw. die Bühnenkunst im Umkreis der Künstlervereinigung. Letzterer widmet sich Arnulf Fleischer in seinem Beitrag über Walter von Wecus, der als künstlerisches Multitalent nicht nur für zahllose Bühnenentwürfe verantwortlich zeichnete, sondern auch als Maler, Gestalter und Architekt in Erscheinung trat, womit er der heterogenen Kunstauffassung des Jungen Rheinland im besten Sinne entsprach. Von Wecus revolutionierte das Bühnenbild im Rheinland in den 1920er Jahren mit einer nie da gewesenen expressiven Farbigkeit und neuartigen Lichteffekten. Als Leiter der Klasse für Bühnenkunst an der Düsseldorfer Kunstakademie teilte er seine Gestaltungsprinzipien ab 1925 schließlich auch mit nachfolgenden Künstlergenerationen und prägte so noch die Bühnenästhetik der Nachkriegszeit.

 

Bislang nur am Rande beachtet worden ist die Rolle der religiösen Kunst innerhalb des Jungen Rheinland. Dabei machte sie gerade in den Anfangsjahren nach dem Krieg einen nicht unerheblichen Teil der in den Ausstellungen präsentierten Werke aus. Beispielhaft für die starke Fraktion christlicher Kunst im Rheinland steht der von Daniel Cremer vorgestellte katholische Künstlerkreis Der Weiße Reiter. In diesem 1919 von Karl Gabriel Pfeill in Neuss initiierten Zusammenschluss versammelten sich neben Theologen und Schriftstellern auch zahlreiche bildende Künstler, die zeitgleich Mitglied im Jungen Rheinland waren. Daneben verband die beiden Künstlervereinigungen auch ein gemeinsames Unterstützer-Netzwerk aus Sammlern, Kunsthistorikern, Mäzenen und Museumsangestellten, dessen Rolle noch nicht abschließend aufgearbeitet ist. Auch im Werk des ursprünglich aus Aachen stammenden Bildhauers Ewald Mataré spielte die religiöse Kunst eine zentrale Rolle. An seiner Person zeigt der Beitrag von Luise Maslow auf, wie das Junge Rheinland bewusst den Kontakt zu Künstlern in anderen Städten knüpfte und versuchte, durch deren Präsenz im Rheinland die hiesige Entwicklung avantgardistischer Kunst zu unterstützen.

 

Die abschließenden Beiträge geben einen Ausblick auf die unterschiedlichen Situationen, mit denen sich die Künstlerinnen und Künstler des Jungen Rheinland infolge der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ab 1933 konfrontiert sahen. Am Beispiel des Malers Richard Gessner diskutiert Evgeniya Makarova die vielfältigen Facetten künstlerischer Anpassungsstrategien („artistic compliance“) infolge des Machtwechsels. Sie macht deutlich, dass diese Anpassung bei Gessner ein schrittweiser Prozess ist, der sich keineswegs nur auf seine künstlerische Entwicklung reduzieren lässt. Vielmehr manifestiert er sich zugleich auch in Gessners Beziehung zu staatlichen Institutionen, wie der Kunstakademie, und in einer deutlichen Verschiebung seines persönlichen Netzwerks. Neben dieser detaillierten Einzelstudie gibt der Beitrag von Yubii Noda einen breiter angelegten Überblick über verschiedene Schicksale von Künstlerinnen und Künstlern des Jungen Rheinland während der Zeit des Nationalsozialismus. Die Offenheit und schiere Größe der Vereinigung führte nicht nur zu einer breiten künstlerischen Vielfalt, sondern auch zu einer politischen Heterogenität der Gruppe. Während einigen Künstlerinnen und Künstlern rechtzeitig die Flucht ins Ausland gelungen war, wurden viele andere aufgrund ihrer künstlerischen Positionen, ihrer politischen oder persönlichen Überzeugungen oder ihrer Religionszugehörigkeit verfemt, verhaftet und gefoltert oder gar in Konzentrationslagern ermordet. Zugleich gab es aber eben auch jene ehemaligen Mitglieder, die sich von den Nationalsozialisten vereinnahmen ließen oder sich obendrein wissentlich und willentlich in ihren Dienst stellten.

 

Auch nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland blieb die Situation der meisten ehemaligen Mitglieder des Jungen Rheinland schwierig. Nur wenige von ihnen konnten in der Nachkriegszeit an ihre einstigen Erfolge anknüpfen. Wie Kay Heymer in seinem Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des Jungen Rheinland deutlich macht, erhielten die Künstlerinnen und Künstler zunächst vor allem auf lokaler Ebene durch Werner Doede, den neuen Direktor der Düsseldorfer Kunstsammlungen, Unterstützung in Form von ersten Ankäufen und kleineren Ausstellungen. Die Geschichte und Bedeutung der Künstlervereinigung traten dabei jedoch größtenteils in den Hintergrund. Sie rückte erstmals 1970 anlässlich der Ausstellung „Avantgarde gestern“ wieder in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit. Seitdem ist das Junge Rheinland immer wieder in größeren Ausstellungen vorgestellt worden, zuletzt 2019 unter dem Titel „Das Junge Rheinland. Zu schön, um wahr zu sein“ im Düsseldorfer Kunstpalast. Die Künstlervereinigung ist somit heute keineswegs vergessen. Ungeachtet ihrer überregionalen Bedeutung bleibt sie jedoch in den meisten Überblicksdarstellungen zur Kunst der 1920er Jahre zumeist nur eine Randnotiz.

 

Bereichert von den Erkenntnissen der hier versammelten Beiträge danken wir allen Autorinnen und Autoren für ihre inspirierenden Vorträge sowie anregenden Diskussionsbeiträge während der Tagung und für ihre Mitarbeit am vorliegenden Band. Dieser hat von der beständigen Begleitung durch Lena Horn und ihrer akribischen Wachsamkeit bei der redaktionellen Bearbeitung in erheblichem Maße profitiert; dafür sei ihr an dieser Stelle herzlichst gedankt! Ermöglicht aber wurden sowohl die Tagung als auch die vorliegende Publikation insgesamt nur durch die großzügige Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, deren Förderung des Projekts und der weiterführenden Forschungen grundlegend für die nun einsetzende, systematische Erfassung der erhaltenen Schätze in den rheinischen Archiven und andernorts ist.

 

Düsseldorf, im September 2020
Andrea von Hülsen-Esch, Jens-Henning Ullner, Daniel Cremer