Projekt
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Adornos Schüler

Adornos Schüler

Die Frankfurter Schule in der „alten“ Bundesrepublik

Stipendiat

Dr. Jörg Später, Freiburg im Breisgau

Förderung

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Vorhaben durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reisekosten.

Jürgen Habermas (geb. 1929) war 1964 bis 1971 als Nachfolger Max Horkheimers Professor für Philosophie und Soziologie in Frankfurt.

Die kritische Theorie ist das große Vermächtnis Max Horkheimers und Theodor W. Adornos. Sie hat die Geistes- und Politikgeschichte der Bundesrepublik nachhaltig geprägt – nicht zuletzt durch den Nachfolger auf Horkheimers Lehrstuhl, Jürgen Habermas. Dieser und weitere Anhänger der „Frankfurter Schule“ stehen im Zentrum des Projekts des Historikers Dr. Jörg Später. Anhand zwölf ausgewählter Schüler und Schülerinnen, die zwischen 1949 und 1962 an das Institut für Sozialforschung kamen, beschreibt Dr. Jörg Später, das Nachleben der Frankfurter Schule. Zu den zwölf Akademikerinnen und Akademikern tritt stellvertretend für viele Zaungäste aus Kunst und Kultur der „angenommene Sohn“ Adornos, wie Gretel Adorno ihn nannte, Alexander Kluge.

Dr. Später analysiert zunächst, welche Zusammenhänge zwischen den dreizehn Schülern unter dem „Direktor“ Adorno entstanden. Es vollzog sich – zumindest intentional von Adorno so betrieben – eine Schulbildung, auch wenn sich die Schüler jeweils sehr unterschiedlich auf diese Schule bezogen und zum Teil nichts miteinander zu tun hatten. Gleichwohl entstanden in dieser Zeit Grüppchen, die sich später zu Lagern verfestigen sollten. In den Geistes- und Sozialwissenschaften, aber auch in der literarischen Öffentlichkeit stieg die „Frankfurter Schule“ zu einer Diskursmacht auf – mit dem tumultartigen Höhepunkt um 1968, als der Deutsche Soziologentag in Frankfurt zu Gast war und inmitten rebellischer Studenten die Frage diskutierte, ob man in einer „Industriegesellschaft“ oder im „Spätkapitalismus“ lebte.

Der Regisseur Alexander Kluge (geb. 1932) und seine Schwester und Hauptdarstellerin Alexandra Kluge (geb. 1932) während der Dreharbeiten zu dem Spielfilm ‚Abschied von gestern‘, Regie: Alexander Kluge, Deutschland 1967

Dr. Später folgt den Schülern Adornos biografisch, beobachtet, was sie über die anderen Schülerinnen und Schüler dachten, und rekonstruiert die Rolle der Kritischen Theorie in ihrer Arbeit. Mit dem Tod Adornos zerfiel der Zusammenhalt. Das geistige Erbe, das die Zeitgenossen „Schule“ nannten, fasst Dr. Später als einen „Denkraum“ auf, in dem sich eine Tradition im Reden und Streit über sie verändert. Dieser Wandel wird als Ergebnis kollektiver Prozesse und Interaktionen verstanden und dargestellt. Dazu gehört auch, dass ein Denkraum mit äußeren Einflüssen in Beziehung steht, die ihn ebenfalls verändern. Die Rezeption der Kritischen Theorie durch die Öffentlichkeit und die wissenschaftlichen Fachöffentlichkeiten spielt dabei eine wichtige Rolle. Im Kontakt mit äußeren Faktoren – wie dem Feld der Wissenschaft, dem politischen Milieu oder der öffentlichen Diskussion – lassen sich die Modifikationen erklären, die dieser „Denkraum“ nicht aus sich selbst heraus leisten konnte.

Der so entstandene „Resonanzraum“ wird anhand konkreter Ereignisse und Akteure vorgestellt, philosophische wie wissenschaftliche Texte und Diskussionen auf die Lebenswelt der Schüler und ihrer Rezipienten heruntergebrochen. Dabei werden diachrone Geschichten der Individuen gewonnen, die Denken als soziales Phänomen greifbar machen.

„Ein intellektuelles ‚Roadmovie‘, das ein spezifisches Schlaglicht auf Westdeutschland zwischen Kriegsniederlage und Wiedervereinigung wirft.“

Die Monographie soll aufzeigen, wie die Schülerinnen und Schüler Adornos nach dessen Tod 1969 mit der Erbschaft umgegangen sind, die ihnen das geistige Oberhaupt der „Frankfurter Schule“ hinterlassen hatte – jede und jeder für sich, in der Auseinandersetzung mit den anderen Erben und vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Entwicklungen der 1970er und 1980er Jahre. Beabsichtigt ist, Kritische Theorie zu erzählen und damit einen Beitrag zur politisch-kulturellen Physiognomie der „alten“ Bundesrepublik zu leisten: So soll ein intellektuelles „Roadmovie“ entstehen, das ein spezifisches Schlaglicht auf Westdeutschland zwischen Kriegsniederlage und Wiedervereinigung wirft.

Das Adorno-Denkmal auf dem Campus Westend in Frankfurt am Main