Initiativen

Die neue Förderlinie erweitert den historischen Ansatz um gegenwartsanalytische und prognostische Zugriffe.

Teilbereich II des Förderschwerpunkt Demokratie

Transformationen der Demokratie? Oder: Konturen der kommenden demokratischen Gesellschaft

Im Berichtsjahr wurde erstmals der zweite Teilbereich des Förderschwerpunkts Demokratie ausgeschrieben. Die Förderlinie ergänzt dabei das seit 2019 bestehende Förderprogramm, in dem sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus historischer Perspektive mit der Geschichte der Auseinandersetzungen über die Grundlagen gesellschaftlicher Ordnung und der Suche nach der guten Gesellschaft befassen. Die neue Förderlinie erweitert den historischen Ansatz um gegenwartsanalytische und prognostische Zugriffe aus dem gesamten Spektrum der Geistes- und Sozialwissenschaften. Beantragt werden können Mittel zur Durchführung von Analysen, die helfen sollen, sich gegenwärtig anbahnende, tiefgreifende Transformationsprozesse besser zu verstehen und in unterschiedlichen Dimensionen (politisch, technologisch, sozial) nach den Konturen der kommenden Gesellschaft Ausschau zu halten. Das Kuratorium der Gerda Henkel Stiftung bewilligte in der ersten Auswahlrunde Mittel für insgesamt vier Forschungsprojekte.

Eine Studie, die von Prof. Dr. Shahram Akbarzadeh und Prof. Dr. Ihsan Yilmaz geleitet und an der Deakin University im australischen Melbourne durchgeführt wird, analysiert die ambivalenten Auswirkungen, die digitale Technologien auf die Entwicklung der Demokratie in der mehrheitlich muslimischen Welt haben. Die Forschergruppe berücksichtigt sowohl grundsätzlich demokratiefördernde Entwicklungen, wie beispielsweise die positiven Auswirkungen, die soziale Medien auf Vernetzung und Mobilisationsfähigkeit demokratischer Bewegungen haben, als auch demokratiegefährdende Aspekte, wie die Folgen elektronisch-induzierter staatlicher Überwachung auf das Leben der Bürger. Untersucht werden in vergleichender Perspektive die vier Länder Ägypten, Iran, Pakistan und die Türkei.

Ein zweites Vorhaben nimmt die Praxis der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer und den sie begleitenden gesellschaftlichen Diskurs in den Blick. Die Forschungsarbeiten, die von Dr. Lena Laube (Universität Bonn) und Dr. Mareike Gebhardt (Universität Münster) geleitet werden, gehen davon aus, dass im Ringen um das Für und Wider der Rettungsaktivitäten nicht bloß der richtige Umgang mit Flüchtlingen, sondern auch grundsätzliche Fragen der Gestalt der zukünftigen Demokratie Europas verhandelt werden. In drei Teilprojekten werden dabei zunächst die rechtlichen und politischen Beziehungen des mediterranen Grenzregimes analysiert und in einem Ländervergleich von Deutschland, Italien und Spanien die zivilgesellschaftlichen Reaktionen auf die Rettungspolitik beleuchtet. Schließlich wird in einem demokratietheoretischen Exkurs die Bedeutung der Praxis für die Ausgestaltung der zukünftigen Demokratie in den Blick genommen.

Proteste gegen die Kriminalisierung ziviler Seenotrettung, NRW 2021

Abolitionismus ist eine politische und soziale Bewegung, die sich für die Überwindung staatlicher Gewaltinstitutionen wie Gefängnisse und Polizei einsetzt. Dessen Nutzbarmachung als Impuls und theoretischer Ansatz für moderne Demokratietheorien stehen im Zentrum des Vorhabens von Prof. Dr. Daniel Loick. Das an der Universität Amsterdam verortete Vorhaben widmet sich dem Thema unter drei unterschiedlichen Gesichtspunkten: eine Teilstudie setzt sich mit Abolitionismus als aktueller politischer Bewegung in Nordamerika auseinander; eine weitere Teilstudie untersucht historische Dekolonisierungsbestrebungen in Hinblick auf abolitionistische Elemente und in einem synthetisierenden Zugriff wird das Potential abolitionistischer Bestrebungen für die Ausgestaltung radikaler Demokratietheorien diskutiert.

Der verbarrikadierte Eingang des Buchladens „Moon Palace Books“ in Minneapolis im Juni 2020 mit Graffiti als Antwort auf die George-Floyd-Proteste.

Mit dem gegenseitigen Verhältnis von (Selbst-)Präsentation politischer Subjekte und ihrer politischen Repräsentation beschäftigt sich das Vorhaben von Dr. Julian Müller, Dr. Astrid Séville und Dr. Christian Kirchmeier. Ihren Forschungen an der LMU München und der Universität Groningen liegt eine zentrale Beobachtung zugrunde: Jüngere politische, soziale und technische Entwicklungen, wie die Auflösung traditioneller politischer Zugehörigkeiten, neue Muster von Vergemeinschaftung oder auch die Veränderungen der Kommunikationsformen durch Digitalisierung und soziale Medien führen dazu, dass sich die Art und Weise der Selbstdarstellung politischer Interessensgruppen oder sozialer Milieus stark verändert. Dieser Wandel bringt jedoch auch mit sich, dass eingeübte Macht- und Repräsentationsverhältnisse der liberalen Demokratie an Einfluss verlieren. Die Forscher gehen daher der Frage nach, wie sich politische Kommunikation verändern muss und welche neuen Formen politischer Für- und Ansprache entwickelt werden sollten, um sich dieser Herausforderung zu stellen.

Politische Ansprache im zentralen Medium ihrer Zeit: Der 35. Präsident der USA John Fitzgerald Kennedy