Vorwort

Durch schwere Gewässer navigiert kein einzelner Lotse, sondern die gesamte Crew. Dank engen Zusammenhalts und schneller Anpassung des Teams ist es gelungen, die Gerda Henkel Stiftung durch ein weiteres schwieriges Jahr zu steuern, ohne ihren Auftrag und die Qualität ihrer Arbeit aus den Augen zu verlieren. Keine leichte Aufgabe, denn die Pandemie betraf nicht nur unsere Arbeitsprozesse und Antragsverfahren, sondern hatte in ihrem zweiten Jahr gravierende Auswirkungen auf sämtliche Lebensbereiche – vor allem auf die globale Mobilität, die durch Einreisebeschränkungen und Quarantäneregeln im Personenverkehr erschwert wurde.

Diesen massiven gesellschaftlichen Verwerfungen sah sich auch die Gerda Henkel Stiftung gegenüber: Stipendiaten und Projektpartner mussten erhebliche Einschränkungen und Verzögerungen in Kauf nehmen, um Ihren Forschungen nachzukommen und insbesondere internationale Kooperationsprojekte waren gezwungen, weitgehend ohne verlässliche Reisemöglichkeiten zu planen. Das Jahr 2021 war insgesamt keine gute Zeit für Reisen, aber offenbar, um über Reisen, Verkehr und Mobilität nachzudenken und zu schreiben – das spiegelt sich in vielen Förderprojekten der Stiftung wider: wandernde Mönche, nomadische Kulturen sowie Entdecker, die mit ihren Reisen eine neue Hautkultur schufen, und die Verkehrserziehung der Bundesrepublik, die unsere Individualmobilität bis heute prägt.

Zu den globalen Herausforderungen gehörte auch die politische Entwicklung in Afghanistan. Als international aktive Förderinstitution unterstützt die Gerda Henkel Stiftung dort seit vielen Jahren die Bewahrung von Kulturerbe – im Bereich der Restaurierung, der Digitalisierung archäologischer Sammlungen und der Weiterbildung von Beschäftigten in Museen. Als im August 2021 nach dem Abzug der US-amerikanischen Truppen und ihrer Verbündeten die Taliban die Macht übernahmen, suchte die Stiftung umgehend den Kontakt zu Geförderten sowie zu bewährten Partnern in Wissenschaft und Politik. Innerhalb weniger Wochen verabschiedete das Kuratorium einen „Temporären Förderschwerpunkt für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Museumspersonal und Intellektuelle aus Afghanistan“ und stattete ihn mit Mitteln in Höhe von insgesamt 1,5 Millionen Euro aus. Ziel ist insbesondere die Unterstützung von Frauen, die als Wissenschaftlerinnen, Richterinnen, Menschenrechtlerinnen und Journalistinnen in exponierten Stellungen tätig waren und sich – neben dem Verlust ihrer beruflichen Zukunft – einer existentiellen Bedrohung ihrer persönlichen Sicherheit ausgesetzt sehen. Inzwischen konnten bereits die ersten Stipendien vergeben werden.

Zu den erfreulichen Ereignissen des Jahres zählte, dass die Herbstsitzung der Stiftungsgremien zum ersten Mal seit 2019 wieder in Präsenz stattfinden konnte. Unter strengen Hygiene- und Testauflagen konnten Kuratorium, Wissenschaftlicher Beirat und Finanzausschuss im Stiftungshaus zusammentreten. Dabei wurden erstmals Projekte im neuen Teilbereich II des Forschungsschwerpunkts Demokratie „Transformationen der Demokratie?“ bewilligt. Die neue Förderlinie erweitert den bisherigen historischen Ansatz um gegenwartsanalytische und prognostische Zugriffe aus dem gesamten Spektrum der Geistes- und Sozialwissenschaften. Knapp 800.000 Euro gewährte die Stiftung zur Durchführung von Analysen, die helfen sollen, sich gegenwärtig anbahnende tiefgreifende Veränderungsprozesse zu erforschen, auch um nach den Konturen der kommenden demokratischen Gesellschaft Ausschau zu halten.

Anlässlich dieser Sitzung wurden satzungsgemäß die Kuratoriumsmitglieder Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Gehrke und Prof. Dr. Ulrich Lehner verabschiedet, die sich in den vergangenen 20 Jahren unschätzbare Verdienste um die strategische Ausrichtung der Stiftung erworben haben, sowie Prof. Dr. Ute Daniel und Prof. Dr. Martin Jehne, deren achtjährige Amtszeit im Wissenschaftlichen Beirat endete. Ihnen allen gilt unser besonderer Dank für ihr langjähriges und prägendes Engagement.

Das weltwirtschaftlich schwierige Jahr wirkte sich auch auf das Kurswertvermögen der Gerda Henkel Stiftung aus: Erneut fiel es gegenüber dem Vorjahr – von 736,2 Millionen Euro zum 31. Dezember 2020 auf 690,2 Millionen Euro zum 31. Dezember 2021. Dennoch stellte die Stiftung mit 17 Millionen Euro mehr Mittel für die Förderung wissenschaftlicher Vorhaben als im Vorjahr bereit.

Insgesamt verdankt die Gerda Henkel Stiftung ihren andauernden Erfolg ihren Gremien, denen es gelungen ist, wieder neue inhaltliche Impulse zu setzen und die Tätigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle konstruktiv zu begleiten. Allen Kolleginnen und Kollegen sei an dieser Stelle sehr herzlich für ihren vorbildlichen Einsatz, ihr hohes Engagement und Durchhaltevermögen gedankt!

Mit Blick auf die Situation in der Ukraine beginnt auch das neue Jahr mit schweren Verwerfungen, deren Folgen noch nicht absehbar sind. Die weitere Entwicklung dieser Ereignisse wird für die Stiftung neue Aufgaben mit sich bringen, denen wir uns mit Überzeugung stellen werden.