Initiativen

Auswahl laufender Projekte

Die folgende Auswahl wirft einen Blick in vier laufende und noch nicht abgeschlossene Forschungsprojekte, die von der Gerda Henkel Stiftung gefördert werden und für die bereits erste Ergebnisse von aktueller Relevanz vorliegen.

 

Korrektive Gerechtigkeit

Alliiertes Rückerstattungsrecht – heutige Restitutionspraxis


Stipendiatin:
 Charis Christine Hahne, Bonn
Förderung: Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Die „Füchse“ von Franz Marc, das „Portrait Alfred Kerr“ von Lovis Corinth oder Hans von Marées „Ulanen auf dem Marsch“: Immer wieder sorgen Fälle von NS-Raubkunst für Aufsehen. Mal steht am Ende die Restitution, wie bei Franz Marcs Füchsen; mal wird das Restitutionsgesuch abgelehnt, wie im Falle des Corinth-Gemäldes. Beobachter sehen zwar beachtliche Erfolge, bemängeln jedoch auch eine inhaltliche Inkonsistenz von Entscheidungen der dezentral organisierten deutschen Restitutionspraxis. Vor 20 Jahren wurde die Gründung der „Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter“ beschlossen. Als Schlichtungsstelle kann die so genannte „Limbach-Kommission“, benannt nach ihrer ersten Vorsitzenden, rechtlich unverbindliche Empfehlungen aussprechen. Die Juristin und Kunsthistorikerin Charis Christine Hahne vergleicht die heutige Praxis von Kunstrestitutionen mit dem Rückerstattungsrecht der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg. An der Schnittstelle von Kunstrecht und Rechtsgeschichte erarbeitet sie Vorschläge für eine widerspruchsfreie Restitutionspraxis, die dem allgemeinen Gerechtigkeitssinn näherkommt und eine größere Akzeptanz findet.

 

Vegetarismus

Eine Verflechtungsgeschichte (c. 1850–1960)


Stipendiatin: PD Dr. Julia Hauser, Kassel
Förderung: Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Sachkosten.

Fleischlose Ernährung gibt es seit Menschengedenken, „vegetarisch“ isst man aber erst seit 175 Jahren. Denn erst mit der Gründung der Vegetarian Society 1847 in England, vor 175 Jahren, wurde der Begriff „vegetarisch“ gebräuchlich. Im 19. Jahrhundert war Fleisch erstmals in großen Mengen und zu erschwinglichen Preisen für die breite Bevölkerung Europas verfügbar. Zur gleichen Zeit entstand vor allem in Großbritannien, Deutschland, der Schweiz und den Vereinigten Staaten eine Bewegung, die sich für eine alternative Ernährung und Tierwohl einsetzte und mit Gleichgesinnten in anderen Teilen der Welt vernetzte. Ihrerseits fanden die neuen westlichen Vegetarier-Organisationen ebenfalls Resonanz im Ausland, vor allem in Indien. Die Globalhistorikerin PD Dr. Julia Hauser erforscht diese Verflechtungsgeschichte des Vegetarismus von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den 1950er Jahren. So zeichnet sie die Entwicklungslinien einer Lebensweise nach, die weit über den Untersuchungszeitraum hinaus wirksam wurde.

 

Human Remains

Modi des Umgangs mit menschlichen Knochen in öffentlichen Ausstellungskontexten seit dem Spätmittelalter


Stipendiat: Friedrich Jakob Becher, München
Förderung: Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Die Debatte um die Zukunft der „Human Remains“ aus kolonialen Kontexten hat vor Augen geführt, wie unterschiedlich die Reaktion auf menschliche Knochen in Ausstellungskontexten ausfällt: Die in ethnologischen Museen aufbewahrten Knochen unterscheiden sich im biologischen Sinne zwar nicht von denen medizinisch-anatomischer Sammlungen. Doch stehen vor allem sie im Zentrum provenienzhistorischer und erinnerungspolitischer Diskussionen. Ebenso werden in katholischen Kirchen selbstverständlich Reliquien verehrt, während eine künstlerische Verwendung harschen Widerspruch erntet. Diese Unterschiede interessieren den Kunsthistoriker Friedrich Jakob Becher: Im Rahmen seines Promotionsvorhabens untersucht er anhand ausgewählter Ausstellungssituationen den Umgang mit menschlichen Knochen. Darüber hinaus analysiert er die Bedingungen, unter denen sich ein Widerhall in der Öffentlichkeit mal kritischer und mal weniger kritisch gestaltet.

 

Amazonas Jetzt!

Erinnerungs- und Umweltzentren zum Erhalt des Kultur- und Naturerbes


Projektleitung:
 Prof. Dr. Gefferson Ramos Rodrigues (Universidade Federal do Oeste do Pará), Brasilien, Dr. Emilie Stoll (Institut des sciences humaines et sociales du CNRS), Frankreich
Förderung: Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Übernahme von Personal-, Reise- und Sachkosten.

Am 7. September 2022 jährt sich die Unabhängigkeit Brasiliens von der ehemaligen portugiesischen Kolonialmacht zum 200. Mal. Welche Folgen die einstige Kolonialisierung für die Mensch-Natur-Beziehung, aber auch für die lokale Kultur bis heute hat, untersucht ein Team um den Historiker Prof. Dr. Gefferson Ramos Rodrigues im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará. Immer noch führt die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen dazu, dass zusammen mit dem Regenwald auch Lebensraum und Kultur der indigenen Bevölkerung zerstört werden. Um materielles und immaterielles Kulturerbe zu retten, baut die Forschergruppe in zwei abgelegenen Kommunen des Amazonasgebietes gemeinsam mit der dortigen Bevölkerung Erinnerungs- und Umweltzentren auf. Dort werden mündliche Quellen zu traditionellem Wissen im Umgang mit der Natur und zur Veränderung der Landschaft sowie Dokumente aus öffentlichen und privaten Archiven (Verwaltungsakten, Karten von Grundstücken, Zeugnisse zur familiären Landwirtschaft) gesammelt, konserviert, digitalisiert und öffentlich zugänglich gemacht. So entsteht auch eine Grundlage für die Einrichtung geschützter Gebiete für die Bevölkerung des Unteren Amazonas.