Projekt
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Die Tiefe der Oberfläche

Die Tiefe der Oberfläche

Haut in der frühneuzeitlichen Welt, 1450–1750

Stipendiat

Prof. Dr. Craig Koslofsky, Urbana

Förderung

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Vorhaben durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums.

Die Haut ist nach wie vor ein Distinktionsmerkmal. Die menschliche Existenz wird tiefgreifend vom Bewusstsein der eigenen und anderer Hautfarben geprägt. Wie aber ist es dazu gekommen? Dieser Frage geht der Historiker Prof. Dr. Craig Koslofsky im Zeitalter der Entdeckungen (1450–1750) nach, denn die Frühe Neuzeit war der Wendepunkt für die globalgeschichtliche Bedeutung der Haut.

Der wachsende globale Handel, allen voran der Sklavenhandel, brachte unterschiedliche Körper und Hautpraktiken in Kontakt miteinander. Die bis dahin distinkten Hautkulturen Asiens, Europas, Afrikas, der Amerikas und Ozeaniens begannen sich zu mischen und sich dadurch zu verändern. Das Resultat waren hybride Praktiken, wie indigen nordamerikanische Tätowierungen auf europäischen Körpern oder europäische Brandzeichen auf versklavten Afrikanern. Diese Praktiken kombinierten Methoden äußerst unterschiedlicher Kulturen, die Haut wahrzunehmen und für neue Zwecke zu kennzeichnen. Das Resultat war der Aufstieg der Hautfarbe zum Hauptmerkmal menschlicher Unterschiedlichkeit – vergleichbar nur mit Geschlechtsmerkmalen.

Diese Entwicklung bezeichnet Professor Koslofsky in Anlehnung an Frantz Fanon als Epidermalisation. Das ursprüngliche Konzept beschrieb die Reduktion eines Individuums auf seine Haut beziehungsweise auf seine Hautfarbe. Im Rahmen seines Projektes stellt Professor Koslofsky jedoch fest, dass die moderne Epidermalisation teilweise von ästhetischen und inklusiven afrikanischen und amerikanischen Hautpraktiken abstammt, die älter sind als die Entstehung der europäisch-atlantischen Welt. Also muss der Begriff erweitert werden, um alle sozialen Deutungszuschreibungen auf die Haut durch kulturelle und historische Diskurse zu beschreiben.

„Die Haut war keine Kategorie, anhand derer ihre Welt kulturell oder ökonomisch organisiert wurde.“

Als die Europäer im 15. Jahrhundert begannen, den Atlantik zu überqueren, betrachteten sie sich noch nicht als „weiß“: Die Haut war keine Kategorie, anhand derer ihre Welt kulturell oder ökonomisch organisiert wurde. Drei Jahrhunderte später jedoch war die atlantische Welt und mit ihr die europäische Sicht der gesamten Welt in hohem Maß epidermalisiert. Begriffe wie „blanc“ und „nègre“ waren zu wirkmächtigen juristischen Kriterien geworden, und ein neues hautbezogenes Vokabular war entstanden, das soziale Klassifikationen widerspiegelte, so zum Beispiel die Worte „Mulatte“ oder „Métis“. Erst durch den Kontakt mit den westafrikanischen und amerikanischen Gesellschaften, in denen der Haut – im Gegensatz zur Kleidung in europäischen Gesellschaften – als Träger sozialer Distinktionsmerkmale große Bedeutung zukam, entstand ein System der schwarz-weißen Epidermalisation, in dessen Zentrum die Haut als Aushängeschild von Status und Identität stand: Mit der jetzt als „weiß“ bezeichneten europäischen Haut an der Spitze einer Hierarchie, die nun nicht mehr auf den Praktiken der Hautveränderung, sondern auf der Hautfarbe selbst basierte.

Dabei versucht Professor Koslofsky erstmals verschiedene Forschungsrichtungen miteinander zu verbinden, die sich bislang in zahllosen Unterdisziplinen des Rechts, der Medizin, der Naturphilosophie und Theologie ausdifferenziert hatten. Innerhalb dieser zunehmend formalisierten oder verwissenschaftlichten Rahmen entstand das moderne Verständnis von Haut, das aber bislang nicht übergreifend erforscht worden ist.

Die Forschungsergebnisse werden in einer Monographie erscheinen, die der Geschichte der Haut über alle Grenzen hinweg folgt, um ein Aggregat von alltäglichen und im Wortsinn verkörperten Linien zu unserer modernen epidermalisierten Welt aufzuzeigen.