Projekt
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Europäische Sicherheit in einer sich verändernden Welt

Europäische Sicherheit in einer sich verändernden Welt

Allgemeine Abrüstung zwischen internationaler Organisation und staatlicher Souveränität in den 1890er–1930er Jahren

Stipendiat

Prof. Dr. Haakon Andreas Ikonomou, Kopenhagen

Förderung

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Vorhaben durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Veranstaltungskosten.

„Die Waffen nieder!“ forderte die Pazifistin Bertha von Suttner 1889 und wurde zur Stimme der Abrüstungsbewegung. In Anbetracht immer neuer Auseinandersetzungen wie dem Deutsch-Französischen Krieg (1870–1871) oder der Balkankrise (1875–1878) und neuer Technologien wie dem gefürchteten Giftgas wurden die Abrüstungsbestrebungen eine wichtige Wegmarke auf der Suche der europäischen Großmächte nach einer neuen Art der internationalen Konfliktbeilegung abseits des Krieges. 1899 verdichteten sich diese Bemühungen, als auf Veranlassung des russischen Zaren Nikolaus II. eine Friedenskonferenz in Den Haag einberufen wurde. Diese sollte erstmals nicht einen bestehenden Konflikt lösen, sondern einen Rahmen für zukünftige Konfliktlösungen schaffen.

Hier setzt das Forschungsprojekt des Historikers Prof. Dr. Haakon Andreas Ikonomou an, der die gemeinsamen Bemühungen um Sicherheit und generelle Abrüstung zwischen den 1890er und 1930er Jahren aus der Perspektive der internationalen Organisation allgemein und speziell des europäischen Multilateralismus untersucht. Dass diese Bemühungen letztendlich scheiterten, bewegte Bertha von Suttner zu der frustrierten Diagnose: „Dumme verstockte Menschheit. Im Haag wehren sie sich gegen die Konsequenzen des erwachten Pazifismus“ – Professor Ikonomou jedoch sieht die Chance, aus der Geschichte für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu lernen, indem er fragt: Warum hat es nicht funktioniert? Wie wurde Abrüstung konkret organisiert und institutionalisiert? Welche Spannungen  wurden durch zentrale Akteure produziert und überwunden oder warum unterlagen sie ihnen?

„War die allgemeine Abrüstung ein frustrierter Versuch, Krisen im etablierten europäischen Staatensystem zu deeskalieren, oder das produktive Scheitern einer globalen Ordnungspolitik?“

Am Beispiel der Haager Friedenskonferenzen 1899 und ihrer Fortsetzung 1907 zeigt Professor Ikonomou die fundamentale Dynamik auf, die die Abrüstungsbemühungen charakterisiert: Das Wechselspiel zwischen Institutionen und Öffentlichkeit. Die Staaten und ihre Institutionen entwickelten akribisch einen juristischen Rahmen für eine eigentlich politische Angelegenheit, die ihre Kerninteressen berührte, während die neue globale Öffentlichkeit Taten forderte.

In einem zweiten Schritt analysiert Professor Ikonomou das ständige Generalsekretariat des Völkerbundes (1919–1946), das in Teilen die Arbeit der Haager Konferenzen fortsetzte. Die Schrecken des Ersten Weltkriegs hatten Abrüstung und Sicherheit ins Zentrum internationaler Organisationsbemühungen gerückt. Zunächst schien der kriegsmüden Öffentlichkeit die Einrichtung einer neuen Institution, deren Hauptaufgabe es war, multilaterale Abkommen und Abrüstung zu erleichtern, als zentraler Schritt in die richtige Richtung, doch wurden die hohen Erwartungen bald enttäuscht: Obwohl die Verantwortung zu handeln bei den Großmächten lag und es die wichtigste Aufgabe der Sekretariatsmitarbeiter hätte sein sollen, wurde die Abrüstung weder hier noch dort als Priorität angesehen.

Zeitlich zwischen der Haager Konferenz und dem Völkerbund liegt die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, der Erste Weltkrieg. Gerade anhand des Scheiterns der Haager Bemühungen soll herausgearbeitet werden, welche Sicherheitsvorstellungen hinter den einzelnen Versuchen standen und ob diese sich durch den Misserfolg weiterentwickelten. War die allgemeine Abrüstung ein frustrierter Versuch, Krisen im etablierten europäischen Staatensystem zu deeskalieren, oder das produktive Scheitern einer globalen Ordnungspolitik? Die daraus resultierende Gesamtschau über Entwicklungslinien und Brüche wird aufzeigen, welche Lehren die Europäische Union 100 Jahre danach für eine Zeit ziehen kann, in der die globale Ordnung wieder von desintegrativen Tendenzen und wachsender Unsicherheit bedroht ist.

Die Forschungsergebnisse werden neben der wissenschaftlichen Veröffentlichung in die Entwicklung eines Kurses im Rahmen eines Masterprogramms eingehen, der den Studierenden einen historisch fundierten Einblick in Abrüstungs-, Rüstungskontroll- und Sicherheitsdiskurse vermitteln soll.

Karikatur „Camouflage“ von 1932