Initiativen

Auswahl laufender Projekte

Die folgende Auswahl wirft einen Blick in vier laufende und noch nicht abgeschlossene Forschungsprojekte, die von der Gerda Henkel Stiftung gefördert werden und für die bereits erste Ergebnisse von aktueller Relevanz vorliegen.

 

Die Nation feiern

Zur Politik nationaler Feiertage in der Türkei nach Atatürk, 1938–2020


Stipendiat:
Dr. Nadav Solomonovich, Haifa (Israel)
Förderung: Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reisekosten.

Antikabir, das Mausoleum Mustafa Kemal Atatürks in Ankara

Vor einhundert Jahren, am 29. Oktober 1923, rief Mustafa Kemal Pascha, der später den Ehrennamen „Atatürk“ („Vater der Türken“) erhielt, die moderne Türkische Republik aus. Bis heute ist der 29. Oktober als „Cumhuriyet Bayramı“ („Feiertag der Republik“) einer der wichtigsten nichtreligiösen Feiertage in der Türkei. Am 10. November, Atatürks Todestag, gedenkt die Türkei zudem jedes Jahr ihres Staatsgründers. Um die Festlegung dieser nationalen Feiertage und die politische Deutungshoheit darüber wurde seit dem Tod Atatürks aber immer wieder gerungen.

Der Historiker Dr. Nadav Solomonovich untersucht, welche politischen Ziele mit der Festlegung von Feiertagen verfolgt und wie diese von religiösen Gruppen, politische Fraktionen und ethnische Minderheiten rezipiert wurden. Anhand von vier Fallbeispielen – dem „Atatürk-Gedenktag“, dem „Feiertag der Nationalen Souveränität und des Kindes“, dem „Tag der Arbeit und Solidarität“ und dem „Tag der Freiheit und der Verfassung“ – zeichnet er bis hin zur Einführung neuer und Umdeutung bestehender Feiertage durch die aktuelle AKP-Regierung nach, wie sich der türkische Nationalismus im 20. und 21. Jahrhundert entwickelte. Er macht zudem deutlich, welche Rolle nationalen Feiertagen bei diesem Prozess zukam.

 

Das Bauhaus

Design und Akteure im Nationalsozialismus


Stipendiatin:
Prof. Dr. Elizabeth Otto, Buffalo (USA)
Förderung: Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reisekosten.

Iwao Yamawaki, Der Schlag gegen das Bauhaus, Photomontage, 1932

Viele Darstellungen zur Geschichte des Bauhauses stellen für die Zeit ab 1933 vor allem die Exilschicksale einiger seiner Mitglieder in den Mittelpunkt: Nachdem die Nationalsozialisten die wirkmächtige Kunstschule zur Auflösung gezwungen hatten, emigrierten Bauhäuslerinnen und Bauhäusler nach Israel, Großbritannien und in die USA. Insbesondere in den Vereinigten Staaten gaben namhafte Protagonisten erfolgreich ihre Ideen an die nächste Generation weiter.

Eine solche Konzentration auf die transatlantische Abkehr von Nazi-Deutschland wird nach Ansicht der US-amerikanischen Kunsthistorikerin Prof. Dr. Elizabeth Otto der komplexen Bauhaus-Wirklichkeit jedoch nicht gerecht. Denn die überwiegende Mehrheit der 1.250 Lehrenden und Lernenden blieb. Entweder begrüßten sie die neue Zeit und überlebten oder kamen darin um. Ihnen widmet Elizabeth Otto eine Monographie. In einem ersten Teil fragt Professor Otto danach, wie präsent das Bauhaus-Design in Wohnhäusern, Druckkultur und Film im Nationalsozialismus war: Wie und mit wem ging es unter der NS-Diktatur weiter? Ein zweiter Teil handelt von Tätern und Opfern des Holocaust. So etwa plante der Bauhaus-Architekt Fritz Ertl die Baracken, Gaskammern und Krematorien von Auschwitz. In einem Epilog erinnert Elizabeth Otto an ein alternatives Vermächtnis des Bauhauses, abseits aller Gestaltung.

 

Die Bermuda-Konferenz 1943

Die Verhandlungen über die Rettung jüdischer Flüchtlinge und ihr Scheitern


Projektleitung:
Dr. Sebastian Musch, Osnabrück
Förderung: Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Vorhaben durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Die Verhandlungsführer George Hall, Harold Dodds, Richard Law, Sol Bloom, Osbert Peake im April 1943 auf Bermuda

Im April 1943 trafen sich Gesandte der Vereinigten Staaten und Großbritanniens auf der britischen Inselgruppe Bermuda, um über die Rettung von Jüdinnen und Juden aus den vom nationalsozialistischen Deutschland besetzten Ländern Europas zu beraten. Die Diplomaten diskutierten mögliche Ausreiserouten und Aufnahmeländer, erörterten den Freikauf von Flüchtlingskontingenten durch Devisenzahlungen und die Aufnahme von Gesprächen mit dem Nazi-Regime. Doch schon zehn Tage nach Verhandlungsbeginn mussten die Verhandlungsführer das Scheitern der Konferenz eingestehen.

Das Forschungsprojekt, geleitet von Dr. Sebastian Musch, widmet sich der Vorgeschichte und dem Verlauf der Konferenz, ihren Protagonisten und Beobachtern, den Gründen für ihr Scheitern und ihren Folgen. Zum 80. Jahrestag wird die Bermuda-Konferenz in ihrer Bedeutung für die Geschichte des Holocaust, die alliierte Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg, aber auch für die Flucht- und Migrationsforschung im 20. Jahrhundert sichtbar.

 

Südafrika

Demokratie und Utopie einer Regenbogennation


Projektleitung:
PD Dr. Jürgen Schraten, Gießen
Förderung: Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Vorhaben durch die Gewährung von Forschungsstipendien sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten

Vor dreißig Jahren, im Dezember 1993, nahmen Nelson Mandela und Frederik de Klerk in Oslo gemeinsam den Friedensnobelpreis entgegen. Kurz darauf verabschiedete das Parlament Südafrikas eine Übergangsverfassung, mit der erstmals alle Südafrikanerinnen und Südafrikanern das Wahlrecht erhielten. Viele politische Gruppierungen, die das Modell Demokratie ablehnten – manche von ihnen gewaltsam –, ließen sich so weit befrieden, dass im Folgejahr Wahlen möglich wurden.

Eine südafrikanisch-deutsche Forschergruppe unter Leitung des Sozialwissenschaftlers PD Dr. Jürgen Schraten untersucht in diesem Zusammenhang die Idee von Südafrika als einer „Regenbogennation“. Zurückgehend auf die Integrationsfiguren Desmond Tutu und Nelson Mandela machte diese Idee den anfänglichen Erfolg beim Übergang des Landes zur parlamentarischen Demokratie möglich, brachte in der Folge aber auch historisch bedingte Konflikte mit sich.

Die Forscherinnen und Forscher verfolgen drei solcher Konflikte durch das 19. und 20. Jahrhundert. Ihre Längsanalysen gelten der Grenzregion zwischen dem Nordwesten Südafrikas und Botswana, dem unabhängigen Lesotho zwischen Selbstbestimmung und Südafrikanischer Zollunion sowie der Geschichte der Gewerkschaften bis zur Abschaffung der Apartheid.