„Da weinte er im Urwasser, denn er konnte seine Mutter, die Kuh, nicht sehen und die Menschen entstehen aus den Tränen seines Auges. Er lacht, nachdem er sie erblickte, und die Götter entstehen als Speichel“. So gibt eine kosmogonische Inschrift des griechisch-römischen Tempels von Esna den altägyptischen Schöpfungsmythos der Menschen und Götter durch den kindlichen Sonnengott wieder. Aus den Sekreten des Allherren entsteht das Leben der Welt.
Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen göttlicher Wesen spielen in vielen Religionen eine zentrale Rolle – man denke nur an den Wein als Blut Christi. Dennoch fehlte bislang ein Überblickswerk zu diesem Themenkomplex für das Alte Ägypten. Diese Lücke zu schließen, ist das Anliegen der Ägyptologin Dr. Natalie Schmidt, die auf Basis hauptsächlich hieroglyphischer und hieratischer Quellen einen Zeitraum von circa 2.500 Jahren untersucht hat – beginnend mit den Pyramidentexten und endend mit den Tempeln und Papyri der griechisch-römischen Zeit. Die Sekrete der Götter des Alten Ägypten lassen diese zuweilen recht menschlich erscheinen. So verletzen die Götter sich selbst oder werden verwundet und vergießen rotes Blut. Sie erkranken und fiebern oder brechen in Schweiß aus. Das Sonnenkind kann sein Auge erst nach Überwindung der sekretierenden Augenkrankheit „bjdj“ öffnen und Osiris zieht sich im Zuge seiner Krönung eine eiternde Wunde zu.