IV. Professionalisierung – Popularisierung – Verwertung

1981. Vom Reisefilm zum Expeditionsfilm: Materialität – Visualität – Performativität

Nachdem die Thaws im Frühjahr 1935 von ihrer Afrikareise nach New York zurückgekehrt waren, hatten sie große Pläne für ihren neuen Film »From Cairo to Cape«. Sie wollten ihn kommerziell verwerten – etwa als Unterrichtsmaterial oder für kurze Newsreel-Beiträge – und dieses Mal eine breitere Öffentlichkeit erreichen.[1] Obwohl die handwerklich mangelhafte Qualität des Films dieses Vorhaben vereitelte, gelang es Larry und Peggy dennoch, damit Schlagzeilen zu machen. Denn wie bereits erwähnt, luden sie immerhin Maury Paul alias Cholly Knickerbocker zur festlichen Vorführung in ihr Apartment ein, der anschließend von der Party und dem Film berichtete. Damit nicht genug, zog Paul in seinem Artikel auch eine Parallele zwischen den Thaws und Osa und Martin Johnson, die in den 1920er und 1930er Jahren mit ihren dokumentarischen Afrika- und Südseefilmen enorme Berühmtheit erlangt hatten: »As embryo Mr. and Mrs. Martin Johnson«, verkündete Paul, »the Thaws simply ›ain’t‹ embryo. They’re the real thing«.[2] Er ging sogar noch einen Schritt weiter und behauptete: »[T]he Thaws, to put it bluntly, out-Johnsoned Mr. and Mrs. Martin Johnson. From what I hear, ›Larry‹ and ›Peggy‹ are planning to go back to Africa […] to make more motion pictures.«[3]

Tatsächlich hatte der Cholly Knickerbocker recht, und die Thaws traten 1936 eine weitere Reise nach Afrika an, die sie von Algier durch die Sahara bis nach Nairobi führte und aus der der neunzigminütige Film »Black Majesty« (1937) hervorging. ­Daran schloss sich 1939/40 eine Fahrt nach und durch Indien an. Aus diesem Filmmaterial entstanden die beiden siebzig- und achtzigminütigen Feature-Filme »The Great Silk Route« und »India« (beide 1940). Hierbei handelte es sich nicht mehr ›nur‹ um Urlaubsreisen, auf denen Larry selbst die Kamera bediente. Stattdessen planten die Thaws zwei Großprojekte, bei denen die filmische Professionalisierung und die Professionalisierung ihrer Personen Hand in Hand gehen sollten. Diese Entwicklung lässt sich an mehreren Punkten festmachen: Erstens gründete das Paar zur Finanzierung mit der Trans-Africa Inc. bzw. der Trans-Asia Inc. zwei ­eingetragene Körperschaften, deren Aktien New Yorker Freund/inn/e/n 199erwarben.[4] Damit verband Larry seinen eigentlichen Beruf als Broker mit der angestrebten Karriere in der Unterhaltungsindustrie. Zweitens nahm das Paar jeweils einen professionellen Kameramann samt elaborierter technischer Ausrüstung mit. 1936/37 begleitete die Thaws mit Thomas Hogan ein anerkannter Experte nach Afrika, der für die Newsreel-Abteilungen von Pathé und Paramount arbeitete.[5] Für die Indienfilme gewannen Larry und Peggy mit John W. Boyle außerdem einen profilierten Kameramann, der bereits zahlreiche Hollywood-Spielfilmproduktionen und Dokumentarfilme gedreht hatte. Drittens proklamierten die Thaws nun sogar, ethnologisches und geografisches Wissen zu produzieren, und ließen sich die neue wissenschaftliche Ausrichtung durch Kooperationen mit der National Geographic Society und dem American Museum of Natural History bestätigen. 1936 und 1939 organisierten sie viertens zu Beginn der Reisen Pressekonferenzen in New York, an Bord der Schiffe und bei der Ankunft in Algier bzw. in Paris, um eine maximale Medialisierung zu erzielen, bevor sie für mehrere Monate aus dem High Society-Leben ausschieden. Mit »Black Majesty«, »The Great Silk Route« und »India« veranstalteten Larry und Peggy dann fünftens Galafilmvorführungen in New York, gingen auf Vortragsreisen durch die USA und stellten die Filme Vereinen und gemeinnützigen Organisationen zur unentgeltlichen Vorführung zur Verfügung. Darüber hinaus verkauften sie Filmmaterial als Newsreels an Time Inc., 20th Century Fox und Universal sowie an die Lehrfilmabteilung von Eastman Kodak. Sechstens schließlich schlossen die Thaws für die Drehs wie für die Zeit nach den Reisen Werbeverträge unter anderem mit Standard Oil und der Autofirma Studebaker ab.

Osa und Martin Johnson wiederum, die ihre Filme etwa durch 20th Century Fox verleihen ließen und sich 1930 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere befanden, entschieden sich in »Across the World with Mr. and Mrs. Johnson« für eine bemerkenswerte Anfangsszene (Szene 78).[6]

Szene 78 »Across the World with Mr. and Mrs. Johnson«, R: Osa und Martin Johnson, USA 1930, 120 Min., Osa and Martin Johnson Museum.

 

Hier sieht man das Paar bei einer privaten Filmvorführung im kleinen Kreis. Die erste Einstellung zeigt Osas handschriftliches Redeskript und informiert die Zuschauer/innen: »Martin and I want you to be among our guests today evening at our apartment.« Die Gäste tragen Abendgarderobe und plaudern angeregt miteinander, bevor Martin am Filmprojektor alle zu ihren Sitzen bittet und mit der Vorführung beginnt. So ähnlich dürfte wohl 1935 auch die Soirée bei den Thaws ausgesehen haben. Damit stellten sich die Johnsons weniger als professionelle Medienschaffende dar, sondern 200versuchten, sich als nahbare und glamouröse Gastgeber im High Society-Kontext zu verorten.

Die kommerzielle Filmverwertung und die private Abendveranstaltung bezogen sich wechselseitig aufeinander und führen vor Augen, dass sich Professionalisierung hier auf unterschiedlichen Ebenen abspielte: Für Larry und Peggy bedeutete sie, technisches Wissen und Können verfügbar zu machen, eine angestrebte Verwissenschaftlichung, finanziellen Gewinn und vor allem größere Publika. Die Johnsons dagegen lebten von ihren Filmen und versuchten in diesem Fall, ihre Personen stärker in den Vordergrund zu rücken und ihr Privatleben ganz im Sinne der High Society zu verberuflichen. Professionalisierung, so wird deutlich, war keineswegs ein einseitiger Prozess, der nur zu mehr Wissenschaftlichkeit und weniger privaten Einblicken führte. Wie sich die frühen Filme der Thaws in einem Spektrum zwischen Amateur- und Profitum verorten lassen, befanden sich auch ihre professionellen Filme in einem Spannungsfeld aus Unterhaltungsindustrie, Gesellschaftsberichterstattung und Wissenschaft.

Mit ihren Afrika- und Indienfilmen ordneten sich Larry und Peggy in das ethnologische Dokumentarfilmgenre ein, das sich in den 1920er und 1930er Jahren ausformte, jedoch noch nicht unter diesem Label firmierte.[7] Neben Osa und Martin Johnson, die sich einer gleichermaßen exotisierten Tier- wie Menschenwelt in ­Afrika und der Südsee widmeten, zählten vor allem motorisierte Expeditionen wie Sahara-Durchquerungen mit eigens dafür ausgerüsteten Autos zu den beliebten Themen.[8] Diese Filme standen in der Tradition des frühen Reisefilms etwa eines Burton Holmes und wurden zumeist ebenfalls als Travelogues bezeichnet. Dabei nahmen sie aber zunehmend die Perspektive einer wissenschaftlichen Expedition ein und zeigten in einer never-seen-before-Manier Orte und Kulturen, die sie zugleich verfremdeten und enthnologisierten. Bestimmte Authentifizierungsstrategien sollten dazu beitragen, den faktualen Charakter der Filme hervorzuheben:[9] Oftmals übernahm ein Erzähler die Sicht eines Reiseteilnehmers und berichtete unmittelbar und im Präsens von der Unternehmung.[10] Charakteristisch war außerdem, dass die Filme ihre Drehbedingungen offenlegten und eine episodische Er201zählweise weder einem elaborierten Plot folgte noch auf einer Ursache-Wirkung-Struktur basierte.[11] Insbesondere die neuen Möglichkeiten des Tonfilms – das Voiceover eines Erzählers oder Geräusche vom Aufnahmeort – spielten für die neuen Travelogues eine zentrale Rolle. Sie machten zum einen das Filmerlebnis spannender und unterhaltsamer für die Zuschauer/innen; zum anderen kreierten sie aber auch ein realitätsnäheres Seherlebnis, da keine Zwischentexte mehr den Filmfluss unterbrachen.[12] Die Stimme aus dem Off war freilich stets die eines Mannes, sodass der attestierte Wahrheitsgehalt der Filmbilder wie derjenige der männlichen Erzählung jeweils voneinander profitierten.[13] Für die großen Filmstudios stellten diese Filme schließlich rentable Projekte dar, weil die meisten Expeditionsteilnehmer/innen wie die Thaws die Kosten selbst übernahmen.[14]

Dass dokumentarische Filme die Vergangenheit nicht einfach widerspiegeln, sondern vielmehr zeitgenössisch spezifischen Verfahren der Wirklichkeitskonstruktion folgen, ist in der historischen Forschung inzwischen unumstritten.[15] In dieser Hinsicht unterschieden sich die professionellen Travelogues der Thaws nicht von ihren Amateurfilmen. Tatsächlich bestehen »Black Majesty«, »The Great Silk Route« und »India« außerdem ganz überwiegend aus gestellten Aufnahmen. Große lokale Ereignisse, die unabhängig von den Thaws stattfanden, wie die Feier zum Ende des Ramadan in Agadéz oder die Hochzeit der Enkeltochter des Maharadschas von Bikaner, waren die Ausnahme. Darüber hinaus lassen sich die Expeditionsfilme der 1930er Jahre aber auch nicht trennscharf von zeitgenössischen Spielfilmen unterscheiden. Dana Benelli zeigt etwa, dass sich erfolgreiche Produktionen wie »Trader Horn« (1931), »Tabu« (1931), »S. O.S. Iceberg« (1933) oder »Die weiße Hölle vom Piz Palü« (1929) ästhetisch und narrativ stark an den Travelogues orientierten und dadurch als besonders authentisch und realitätsnah galten.[16] Die Filme der Thaws wiederum illustrieren, dass dieser Prozess nicht nur in eine Richtung funktionierte. Larry, Peggy und ihre Kameramänner hatten während ihrer eigenen Drehs stets aktuelle Hollywoodstreifen im Blick. Ein Eintrag aus dem Tagebuch, das Peggy während der Afrikareise 1936/37 führte, bringt dies besonders eindrucksvoll auf den Punkt. Sie schrieb über Thomas Hogan, den Kameramann von »Black Majesty«:

Tom is very funny about the photography. He never photographs things as they are […] naturally but he insists they be done the way Hollywood imagines Africa 202to be so we are sometimes quite hysterical as he teaches natives how to hold their babies, grind their corn, light their fire etc. In other words things they’ve done in a certain way for untold generations are changed to conform to what Hollywood and the great American public expect natives in Africa to do.[17]

Dieses Zitat lenkt den Fokus ganz grundsätzlich auf die Frage, wie ein bestimmtes Wissen generiert und als solches gekennzeichnet wird.[18] Die Rolle der (Massen-)Medien für die Konstruktion und Verbreitung von Wissen kann in diesem Zusammenhang nicht überschätzt werden und lässt sich mit Dorit Müller als eine »Mediengeschichte des Wissens« perspektivieren.[19] Während die Europa- und Palm Beach-Filme nicht den Anspruch erhoben, objektives geografisches und ethnologisches Wissen zu vermitteln, war dies ein besonderes Merkmal der professionellen Filme. Das zeigt sich zum einen an deren Inhalt und Machart, wobei die Filme gerade nicht nur auf geografischem und ethnologischem Fachwissen basierten, sondern auch Afrikabilder aus amerikanischen Spielfilmen oder Informationen über die Maharadschas aus der Gesellschaftsberichterstattung aufgriffen. Zum anderen hing es aber vor allem vom Vorführungskontext ab, ob die Filme als wissenschaftlich, als rein unterhaltend oder als Zwischenform galten. Schrieb ihnen beispielsweise eine Vorführung vor den Mitgliedern der National Geographic Society einen naturwissenschaftlichen Mehrwert zu, verstärkte eine Aufführung in einem New Yorker Grandhotel eher die Verbindung zur High Society und Hollywood. Die Newsreels im Vorprogramm von Spielfilmen schließlich verbanden Information und Unterhaltung. So lässt sich deshalb grundsätzlich mit Philipp Sarasin festhalten, dass »die verschiedenen Formen der Repräsentation, des Zeigens und damit des Herstellens von Evidenz, aber auch die unterschiedlichen Weisen der Zirkulation […] das Wissen verändern«.[20]

Um diese komplexe Gemengelage aus Professionalisierung, Verwissenschaftlichung und Popularisierung zu fassen, bietet es sich an wie zuvor bei den Amateurfilmen, die materielle, visuelle und performative Dimension der Afrika- und Indienfilme in den Blick zu nehmen.

Materialität

Auf ihrer Afrikareise von Kairo nach Kapstadt 1934/35 benutzten die Thaws noch eine Amateurfilmkamera, die Larry bediente. Zurück in New York nahmen sie in 203einer separaten Tonaufnahme einen Sprechertext auf, der heute jedoch nicht mehr erhalten ist.[21] Diese Neuerung veränderte das Endprodukt deutlich, weil der fertige Film nun auf Texttafeln verzichten konnte. Die überlieferte Version von »From Cairo to Cape« bleibt damit für heutige Zuschauer/innen unvollständig. Für die zweite Afrikareise wie für die Fahrt nach Indien erwarb das Paar dagegen für die engagierten Kameramänner professionelles Equipment. Hier nahmen sie jeweils drei Kameras mit, die mit 35-Millimeter-Film liefen: zwei Eyemos der Firma Bell & Howell sowie eine Mitchell-Kamera der gleichnamigen Firma.[22] Überwiegend filmten die Kameramänner, teilweise aber auch Larry und selten Peggy.

In technischer Hinsicht funktionierten die Modelle von Mitchell und Bell & Howell recht ähnlich. Die Eyemo kam 1925 auf den Markt und war wegen ihrer handlichen Größe (ca. 20 x 15 x 15 cm) sehr beliebt für Newsreel-Aufnahmen.[23] Die Thaws besaßen eine der neueren Eyemo-Versionen aus den 1930er Jahren, die sowohl mithilfe eines Federwerks als auch mit einem elektrischen Motor über eine Batterie oder einen Stromanschluss betrieben werden konnten.[24] Die Kamera fasste eine Spule mit 100 Fuß bzw. 30 Metern Film, die bei 24 Bildern pro Sekunde eine Minute lang lief. An das von den Thaws verwendete Modell ließ sich zudem ein Doppelmagazin für zwei 400-Fuß- bzw. 121-Meter-Rollen montieren, mit denen man viereinhalb Minuten drehen konnte.[25] Die größeren Filmrollen machten die Verwendung eines Stativs zwar nicht zwingend notwendig, aber doch bequemer.[26]

Die Kamera verfügte über einen Objektivrevolver mit mindestens drei Vorsatzlinsen. Drehte man die entsprechende Linse vor das Bildfenster, ließ sich dadurch die Entfernung des zu filmenden Gegenstandes regulieren.[27] Die Mitchell-Kameras waren größer und unterschieden sich von den Bell & Howell-Versionen vor allem dadurch, dass sie leiser liefen und sich deshalb besser für Tonfilme im Studio eigne204ten.[28] Die technischen Entwicklungen verbesserten die Drehmöglichkeiten enorm. Waren die Thaws in Afrika noch auf gutes Wetter und Tageslicht angewiesen, funktionierten die Kameras während der Indienreise dagegen schon in geschlossenen Räumen. Neben dem Kamera-Equipment selbst nahmen die Thaws nun auch Scheinwerfer und Lichtreflektoren auf ihre Reisen mit, um die Drehorte besser ausleuchten zu können.[29] Das führte zu einer widersprüch­lichen Situation: Die neue Kameratechnik machte es einerseits möglich, länger und weniger eingeschränkt zu filmen, als das noch in den 1920er Jahren der Fall war. Andererseits musste eine Szene vor dem Drehbeginn nun erst aufgebaut und ihr Ablauf umso mehr geplant werden. In »Black Majesty« filmte Larry den Kameramann Thomas Hogan hinter der Mitchell-Kamera; hier sieht man zum einen, wie groß die Kamera war und wie sich die Gefilmten vor ihr gruppieren mussten, um ins Bild zu passen (Szene 79). Zum anderen illustriert die Szene, dass das professionelle Filmen so außergewöhnlich war, dass es sich aus Larrys Sicht lohnte, diesen Vorgang selbst zu visualisieren. Zugleich wirkte es authentisierend, die eigenen Drehbedingungen aufzudecken.

Szene 79 »Black Majesty«, Margaret und Lawrence Thaw, 1936/37, 90 Min., Imperial War Museum.

 

»Black Majesty« drehten die Thaws noch in Schwarz-Weiß. Für »The Great Silk Route« und »India« verwendeten sie dann den neuen Farbfilm Magnacolor von Kodak. Was für heutige Sehgewohnheiten realitätsnäher als schwarz-weißes Material erscheint, war Ende der 1930er Jahre jedoch noch so außergewöhnlich, dass für Zeitgenoss/inn/en eher das Gegenteil zutraf.[30] Travelogues wie derjenige der Thaws trugen erst dazu bei, den Farbfilm mit der Wiedergabe von Wirklichkeit zu verknüpfen. Wo Larry und Peggy »Black Majesty« schließlich schneiden ließen, ist nicht bekannt. Überliefert ist jedoch, dass ein professioneller Sprecher die Tonspur mit dem zeitgenössischen Lichttonverfahren bei der Radio Corporation of America in New York aufnahm.[31] »The Great Silk Route« und »India« stellte Larry gemeinsam mit dem Kameramann John Boyle in Hollywood fertig. Hierfür engagierte er nicht nur einen Sprecher, sondern auch den Komponisten Edward Kilenyi, der die 205Filmmusik schuf, und einen Autor, der den Sprechertext verfasste.[32] Die Tonspur produzierte diesmal die Firma Western Electric. Das übrige Material, das an die Unterrichtsfilmabteilung von Kodak und an die Newsreel-Abteilungen von Fox und Universal ging, bearbeiteten diese selbst.

Vor allem der Ton veränderte die Filme und machte aus dem Seh- zugleich ein Hörerlebnis. Auf diese Weise ließ sich mehr Information in den Filmen unterbringen, die nun nicht mehr statt der Bilder, sondern parallel zu diesen vermittelt wurde. Die Musik konnte darüber hinaus bestimmte Stimmungen unterstreichen oder erzeugen. Das engte wiederum den Interpretationsrahmen der Filme für die Zuschauer/innen deutlich stärker ein, als dies die gelegentlichen Zwischentexte getan hatten.

Visualität

Die visuelle Dimension der professionellen Filme besaß im kolonialen Kontext Afrikas und Indiens eine gesteigerte Bedeutung. Denn hier rückten Menschen in den Fokus der Aufnahmen, über die es vermeintlich visuell validiertes Wissen zu produzieren galt, das nicht selten ein asymmetrisches Machtverhältnis begründete und naturalisierte. Dieses war eingebunden in ein komplexes Geflecht aus kolonialer Verwaltung, Wissenschaft und Entertainmentindustrie oder, wie Paul S. Landau treffend formuliert: »Ethnography, the administration of ›tribes‹ under colonial rule, and photography and cinema, all impinged on one another’s domains.«[33] Dabei unterscheiden sich die Afrika- und Indienfilme insofern von den Amateurfilmen, als nun auch Larry zum Protagonisten avancierte und gemeinsam mit Peggy vor der Kamera stand. Die Blickhierarchien entfalteten sich hier weniger zwischen dem Paar oder den Thaws und ihren Kameramännern, sondern zwischen diesen und den Einheimischen. In den detailliert geplanten Drehsituationen in Afrika und Indien verpflichtete die »Vorderbühne« vor der Kamera die Gefilmten noch mehr zu einer gut koordinierten Interaktion, und die Grenzen des Sichtfelds wurden umso unüberwindlicher.

Peggy beschrieb in ihrem Reisetagebuch, welche Machtbeziehungen die Dreharbeiten zu »Black Majesty« prägten und sich in den Film einschrieben. Über eine Szene in der Stadt Zinder in der Südsahara hielt sie fest:

I watched Tom photograph […] and Larry in his element ordering with a wave of his hand three hundred men to advance and another wave of his hand and a few 206shouted imprecations for emphasis to 500 horsemen to fade into the background. I was much amazed to see them commanded into the town then commanded to come out about 5 times. But finally wearied I approached him to tell him I was leaving. He waved me away loftily with »don’t bother me« and went on waving crowds hither & thither & so I left him as a witness remarked »playing god«.[34]

Peggy mag bei den Zahlen der Reiter übertrieben und ironisch überspitzt formuliert haben, ihre Wortwahl und die Tatsache, dass sie die Begebenheit festhielt, sind dennoch bemerkenswert. Larry als Regisseur in einer gottgleichen Position zu beschreiben, bringt dabei das hierarchische Verständnis auf den Punkt, mit dem die Thaws die Drehsituationen beurteilten. Peggys Beobachtung verweist darauf, dass die Blickhierarchien im kolonialen Kontext nicht mehr nur ›männlich‹ waren, sondern sich vielmehr neben dem male gaze auch ein imperial und colonial gaze etablierte.[35] Verwoben mit den kolonialen Machtstrukturen ist der Blick der Kamera hier ein umso wirkmächtigeres Instrument, um insbesondere ethnische und vergeschlechtlichte Ungleichheiten herzustellen und zu legitimieren. In diesem Zusammenhang fordert Norbert Finzsch jedoch zu Recht, den Blick nicht allein auf dessen unterwerfende Wirkung zu reduzieren. Stattdessen betont er: »An alternative strategy of reading the racist gaze would consist of a deliberate search for signs of a non-normative view in which the racialized and sexualized Other is able to return the gaze.«[36]

Performativität

Inwiefern sowohl die Filmenden als auch die Gefilmten über Handlungsmacht verfügten, lässt sich anhand der performativen Dimension der professionellen Filme zeigen. Im Gegensatz zu den Amateurfilmen, die allen Absprachen zum Trotz ein gewisses Maß an Spontanität und Unberechenbarkeit kennzeichnete, planten die Thaws die Aufnahmen zu »Black Majesty«, »The Great Silk Route« und »India« geradezu akribisch. Den Reisen lag ein strikter Zeitplan zugrunde, der die Aufenthalte und deren Dauer vorgab. Wie das Tagebuchzitat über Thomas Hogan und sein von Hollywood beeinflusstes Afrikabild illustriert, hatten die Thaws und ihre Kameramänner darüber hinaus sehr konkrete Vorstellungen davon, was wie gefilmt werden sollte. Das machte es oftmals notwendig, Szenen mehrfach zu drehen, und manchmal verbrachten die Thaws einen ganzen Tag damit, eine bestimmte Begebenheit aufzuführen.

Tatsächlich unterschied Larry selbst explizit zwischen »taking pictures of […] inanimate objects« und »making pictures of […] people«. In einem organisatorischen Brief im Vorfeld der Indienreise an den Direktor des britischen Imperial Institute 207erläuterte er: »In making pictures, events just don’t happen; they must be made to happen. […] [W]e could never record the event properly as it actually happens […]. The only solution is making the event happen to order.«[37] Diese Aussage unterstreicht noch einmal die performative Dimension, betonte Larry doch sogar im Zusammenhang mit gestellten Szenen den Handlungsaspekt – das »making« – des Filmens.

Dafür waren die Thaws maßgeblich auf die Unterstützung der Autoritäten vor Ort angewiesen, sodass die kolonialen Machthierarchien bis in die konkreten Drehsituationen und in die Filme selbst hineinwirkten. In Afrika kooperierten Larry und Peggy mit belgischen, französischen und britischen Kolonialbeamten wie Gouverneuren, Bezirksvorstehern und Offizieren der Fremdenlegion. Diese vermittelten den Kontakt zu lokalen Eliten, machten selbst zahlreiche Vorschläge und ließen etwa Dorfbewohner/innen Rituale aufführen, die sie für filmenswert hielten. Zudem kümmerten sie sich darum, dass immer genügend einheimische Protagonist/inn/en bereitstanden, die taten, was das Paar von ihnen verlangte. Im Vorfeld der Indienreise baten die Thaws darüber hinaus das U.S. State Department um Hilfe, das unter anderem einen Kontakt zum India Office der britischen Regierung vermittelte. Dieses wandte sich wiederum an die Verwaltungen von Britisch-Indien und der indischen Fürstenstaaten sowie sogar an den Leiter der britischen Kolonialverwaltung, den Vizekönig von Indien, Lord Linlithgow.[38] Auf diese Weise erhielten Larry und Peggy Drehgenehmigungen, materielle Unterstützung und – am wichtigsten – Zugang zu den Maharadschas, die dann auch eine entsprechend prominente Rolle im Film spielten.

Einerseits lenkten Larry, Peggy und ihre Kameramänner die Handlungen ihrer Protagonist/inn/en vor der Kamera und drohten mitunter bei fehlender Kooperationsbereitschaft mit Sanktionen durch den Kolonialapparat. Andererseits hat Elisabeth Edwards mit Blick auf koloniale Fotografien gezeigt, dass einheimische ›Schauspieler/innen‹ nicht einfach passiv und machtlos waren, sondern noch so kleine Handlungsspielräume kreativ zu nutzen wussten.[39] So lässt sich die »Vorderbühne« vor der Kamera im kolonialen Kontext auch mit Mary Louise Pratt als »Kontaktzone« begreifen: »[T]he space of colonial encounters, the space in which peoples geographically and historically separated come into contact with each other and es208tablish ongoing relations, usually involving conditions of coercion, radical inequality, and intractable conflict.«[40] Der Fokus auf den Kontakt zielt darauf ab, den interaktiven und prozesshaften Charakter der Begegnungen zu betonen, die von einer Machtasymmetrie geprägt, aber nicht determiniert waren.[41] Die Thaws versuchten in ihren Afrikafilmen, die kolonialen Kontaktzonen aus einer überlegenen – amerikanischen und weißen – Perspektive abzubilden, während es im Nahen Osten und in Indien um den Pomp staatlicher Repräsentation ging. Ein Austausch fand freilich auch jenseits der Kamera statt, aber dennoch meist mit Blick auf den nächsten Dreh. Dabei schufen Larry, Peggy und ihre Kameramänner in den Drehsituationen ganz spezifische Kontaktzonen, die den Regeln des Filmens unterworfen waren und sich in einem bestimmten Raum, dem Kamerasichtfeld, und einer vorgegebenen (Lauf-)Zeit entfalteten.

Unter Bezugnahme auf die feministische Filmtheorie und die Subaltern Studies fragt E. Ann Kaplan in einem abgewandelten Zitat von Gayatri Chakravorty Spivak »can the subaltern look?« und »how does the subaltern look[42] Im Zusammenhang mit den Filmen der Thaws rücken neben den Blicken der Gefilmten auch ihr Handlungsspielraum und ihre Handlungsmacht in den Fokus. Hier geht es also weniger um die Frage »can the subaltern speak?«, sondern vielmehr darum, welche visuellen Spuren Handlungsmacht hinterließ. So lässt sich erstens die Medienkompetenz der Gefilmten in den Blick nehmen. Die Maharadschas etwa, aber auch die afrikanischen Bediensteten der Thaws wussten sehr genau, wie man sich vor einer Kamera verhielt, und wurden auch überwiegend auf Augenhöhe mit dem Paar dargestellt. Inwiefern zeigte sich zweitens in den Filmen und Drehsituationen widerständiges oder zumindest eigensinniges und unberechenbares Verhalten? Drittens muss untersucht werden, wie die Thaws schließlich mit diesen Zeugnissen von Handlungsmacht umgingen, indem sie das Material im Studio bearbeiteten und (um-)deuteten.

Vor dem Hintergrund dieser drei Dimensionen entfaltet sich die Analyse von »From Cairo to Cape«, »Black Majesty«, »The Great Silk Route« und »India« analog zum vorangegangenen Amateurfilmkapitel. Das erste Kapitel beschäftigt sich dabei mit den Afrikafilmen, das zweite untersucht die Filme zum Nahen Osten und zu Indien. Die Professionalisierung der Thaws und ihrer Filme spielte sich außerdem auf unterschiedlichen Ebenen von den Vorführungskontexten der Filme über die Gesellschaftsberichterstattung bis zu den Werbeanzeigen ab. Diesen Zusammenhängen widmet sich ein drittes Kapitel.