»Black Majesty« drehten die Thaws noch in Schwarz-Weiß. Für »The Great Silk Route« und »India« verwendeten sie dann den neuen Farbfilm Magnacolor von Kodak. Was für heutige Sehgewohnheiten realitätsnäher als schwarz-weißes Material erscheint, war Ende der 1930er Jahre jedoch noch so außergewöhnlich, dass für Zeitgenoss/inn/en eher das Gegenteil zutraf. Travelogues wie derjenige der Thaws trugen erst dazu bei, den Farbfilm mit der Wiedergabe von Wirklichkeit zu verknüpfen. Wo Larry und Peggy »Black Majesty« schließlich schneiden ließen, ist nicht bekannt. Überliefert ist jedoch, dass ein professioneller Sprecher die Tonspur mit dem zeitgenössischen Lichttonverfahren bei der Radio Corporation of America in New York aufnahm. »The Great Silk Route« und »India« stellte Larry gemeinsam mit dem Kameramann John Boyle in Hollywood fertig. Hierfür engagierte er nicht nur einen Sprecher, sondern auch den Komponisten Edward Kilenyi, der die 205Filmmusik schuf, und einen Autor, der den Sprechertext verfasste. Die Tonspur produzierte diesmal die Firma Western Electric. Das übrige Material, das an die Unterrichtsfilmabteilung von Kodak und an die Newsreel-Abteilungen von Fox und Universal ging, bearbeiteten diese selbst.
Vor allem der Ton veränderte die Filme und machte aus dem Seh- zugleich ein Hörerlebnis. Auf diese Weise ließ sich mehr Information in den Filmen unterbringen, die nun nicht mehr statt der Bilder, sondern parallel zu diesen vermittelt wurde. Die Musik konnte darüber hinaus bestimmte Stimmungen unterstreichen oder erzeugen. Das engte wiederum den Interpretationsrahmen der Filme für die Zuschauer/innen deutlich stärker ein, als dies die gelegentlichen Zwischentexte getan hatten.
Visualität
Die visuelle Dimension der professionellen Filme besaß im kolonialen Kontext Afrikas und Indiens eine gesteigerte Bedeutung. Denn hier rückten Menschen in den Fokus der Aufnahmen, über die es vermeintlich visuell validiertes Wissen zu produzieren galt, das nicht selten ein asymmetrisches Machtverhältnis begründete und naturalisierte. Dieses war eingebunden in ein komplexes Geflecht aus kolonialer Verwaltung, Wissenschaft und Entertainmentindustrie oder, wie Paul S. Landau treffend formuliert: »Ethnography, the administration of ›tribes‹ under colonial rule, and photography and cinema, all impinged on one another’s domains.« Dabei unterscheiden sich die Afrika- und Indienfilme insofern von den Amateurfilmen, als nun auch Larry zum Protagonisten avancierte und gemeinsam mit Peggy vor der Kamera stand. Die Blickhierarchien entfalteten sich hier weniger zwischen dem Paar oder den Thaws und ihren Kameramännern, sondern zwischen diesen und den Einheimischen. In den detailliert geplanten Drehsituationen in Afrika und Indien verpflichtete die »Vorderbühne« vor der Kamera die Gefilmten noch mehr zu einer gut koordinierten Interaktion, und die Grenzen des Sichtfelds wurden umso unüberwindlicher.
Peggy beschrieb in ihrem Reisetagebuch, welche Machtbeziehungen die Dreharbeiten zu »Black Majesty« prägten und sich in den Film einschrieben. Über eine Szene in der Stadt Zinder in der Südsahara hielt sie fest:
I watched Tom photograph […] and Larry in his element ordering with a wave of his hand three hundred men to advance and another wave of his hand and a few 206shouted imprecations for emphasis to 500 horsemen to fade into the background. I was much amazed to see them commanded into the town then commanded to come out about 5 times. But finally wearied I approached him to tell him I was leaving. He waved me away loftily with »don’t bother me« and went on waving crowds hither & thither & so I left him as a witness remarked »playing god«.
Peggy mag bei den Zahlen der Reiter übertrieben und ironisch überspitzt formuliert haben, ihre Wortwahl und die Tatsache, dass sie die Begebenheit festhielt, sind dennoch bemerkenswert. Larry als Regisseur in einer gottgleichen Position zu beschreiben, bringt dabei das hierarchische Verständnis auf den Punkt, mit dem die Thaws die Drehsituationen beurteilten. Peggys Beobachtung verweist darauf, dass die Blickhierarchien im kolonialen Kontext nicht mehr nur ›männlich‹ waren, sondern sich vielmehr neben dem male gaze auch ein imperial und colonial gaze etablierte. Verwoben mit den kolonialen Machtstrukturen ist der Blick der Kamera hier ein umso wirkmächtigeres Instrument, um insbesondere ethnische und vergeschlechtlichte Ungleichheiten herzustellen und zu legitimieren. In diesem Zusammenhang fordert Norbert Finzsch jedoch zu Recht, den Blick nicht allein auf dessen unterwerfende Wirkung zu reduzieren. Stattdessen betont er: »An alternative strategy of reading the racist gaze would consist of a deliberate search for signs of a non-normative view in which the racialized and sexualized Other is able to return the gaze.«
Performativität
Inwiefern sowohl die Filmenden als auch die Gefilmten über Handlungsmacht verfügten, lässt sich anhand der performativen Dimension der professionellen Filme zeigen. Im Gegensatz zu den Amateurfilmen, die allen Absprachen zum Trotz ein gewisses Maß an Spontanität und Unberechenbarkeit kennzeichnete, planten die Thaws die Aufnahmen zu »Black Majesty«, »The Great Silk Route« und »India« geradezu akribisch. Den Reisen lag ein strikter Zeitplan zugrunde, der die Aufenthalte und deren Dauer vorgab. Wie das Tagebuchzitat über Thomas Hogan und sein von Hollywood beeinflusstes Afrikabild illustriert, hatten die Thaws und ihre Kameramänner darüber hinaus sehr konkrete Vorstellungen davon, was wie gefilmt werden sollte. Das machte es oftmals notwendig, Szenen mehrfach zu drehen, und manchmal verbrachten die Thaws einen ganzen Tag damit, eine bestimmte Begebenheit aufzuführen.
Tatsächlich unterschied Larry selbst explizit zwischen »taking pictures of […] inanimate objects« und »making pictures of […] people«. In einem organisatorischen Brief im Vorfeld der Indienreise an den Direktor des britischen Imperial Institute 207erläuterte er: »In making pictures, events just don’t happen; they must be made to happen. […] [W]e could never record the event properly as it actually happens […]. The only solution is making the event happen to order.« Diese Aussage unterstreicht noch einmal die performative Dimension, betonte Larry doch sogar im Zusammenhang mit gestellten Szenen den Handlungsaspekt – das »making« – des Filmens.
Dafür waren die Thaws maßgeblich auf die Unterstützung der Autoritäten vor Ort angewiesen, sodass die kolonialen Machthierarchien bis in die konkreten Drehsituationen und in die Filme selbst hineinwirkten. In Afrika kooperierten Larry und Peggy mit belgischen, französischen und britischen Kolonialbeamten wie Gouverneuren, Bezirksvorstehern und Offizieren der Fremdenlegion. Diese vermittelten den Kontakt zu lokalen Eliten, machten selbst zahlreiche Vorschläge und ließen etwa Dorfbewohner/innen Rituale aufführen, die sie für filmenswert hielten. Zudem kümmerten sie sich darum, dass immer genügend einheimische Protagonist/inn/en bereitstanden, die taten, was das Paar von ihnen verlangte. Im Vorfeld der Indienreise baten die Thaws darüber hinaus das U.S. State Department um Hilfe, das unter anderem einen Kontakt zum India Office der britischen Regierung vermittelte. Dieses wandte sich wiederum an die Verwaltungen von Britisch-Indien und der indischen Fürstenstaaten sowie sogar an den Leiter der britischen Kolonialverwaltung, den Vizekönig von Indien, Lord Linlithgow. Auf diese Weise erhielten Larry und Peggy Drehgenehmigungen, materielle Unterstützung und – am wichtigsten – Zugang zu den Maharadschas, die dann auch eine entsprechend prominente Rolle im Film spielten.
Einerseits lenkten Larry, Peggy und ihre Kameramänner die Handlungen ihrer Protagonist/inn/en vor der Kamera und drohten mitunter bei fehlender Kooperationsbereitschaft mit Sanktionen durch den Kolonialapparat. Andererseits hat Elisabeth Edwards mit Blick auf koloniale Fotografien gezeigt, dass einheimische ›Schauspieler/innen‹ nicht einfach passiv und machtlos waren, sondern noch so kleine Handlungsspielräume kreativ zu nutzen wussten. So lässt sich die »Vorderbühne« vor der Kamera im kolonialen Kontext auch mit Mary Louise Pratt als »Kontaktzone« begreifen: »[T]he space of colonial encounters, the space in which peoples geographically and historically separated come into contact with each other and es208tablish ongoing relations, usually involving conditions of coercion, radical inequality, and intractable conflict.« Der Fokus auf den Kontakt zielt darauf ab, den interaktiven und prozesshaften Charakter der Begegnungen zu betonen, die von einer Machtasymmetrie geprägt, aber nicht determiniert waren. Die Thaws versuchten in ihren Afrikafilmen, die kolonialen Kontaktzonen aus einer überlegenen – amerikanischen und weißen – Perspektive abzubilden, während es im Nahen Osten und in Indien um den Pomp staatlicher Repräsentation ging. Ein Austausch fand freilich auch jenseits der Kamera statt, aber dennoch meist mit Blick auf den nächsten Dreh. Dabei schufen Larry, Peggy und ihre Kameramänner in den Drehsituationen ganz spezifische Kontaktzonen, die den Regeln des Filmens unterworfen waren und sich in einem bestimmten Raum, dem Kamerasichtfeld, und einer vorgegebenen (Lauf-)Zeit entfalteten.
Unter Bezugnahme auf die feministische Filmtheorie und die Subaltern Studies fragt E. Ann Kaplan in einem abgewandelten Zitat von Gayatri Chakravorty Spivak »can the subaltern look?« und »how does the subaltern look?« Im Zusammenhang mit den Filmen der Thaws rücken neben den Blicken der Gefilmten auch ihr Handlungsspielraum und ihre Handlungsmacht in den Fokus. Hier geht es also weniger um die Frage »can the subaltern speak?«, sondern vielmehr darum, welche visuellen Spuren Handlungsmacht hinterließ. So lässt sich erstens die Medienkompetenz der Gefilmten in den Blick nehmen. Die Maharadschas etwa, aber auch die afrikanischen Bediensteten der Thaws wussten sehr genau, wie man sich vor einer Kamera verhielt, und wurden auch überwiegend auf Augenhöhe mit dem Paar dargestellt. Inwiefern zeigte sich zweitens in den Filmen und Drehsituationen widerständiges oder zumindest eigensinniges und unberechenbares Verhalten? Drittens muss untersucht werden, wie die Thaws schließlich mit diesen Zeugnissen von Handlungsmacht umgingen, indem sie das Material im Studio bearbeiteten und (um-)deuteten.
Vor dem Hintergrund dieser drei Dimensionen entfaltet sich die Analyse von »From Cairo to Cape«, »Black Majesty«, »The Great Silk Route« und »India« analog zum vorangegangenen Amateurfilmkapitel. Das erste Kapitel beschäftigt sich dabei mit den Afrikafilmen, das zweite untersucht die Filme zum Nahen Osten und zu Indien. Die Professionalisierung der Thaws und ihrer Filme spielte sich außerdem auf unterschiedlichen Ebenen von den Vorführungskontexten der Filme über die Gesellschaftsberichterstattung bis zu den Werbeanzeigen ab. Diesen Zusammenhängen widmet sich ein drittes Kapitel.