802.2. »Getting in« – High Society-Räume in New York
»Society isn’t staying home and entertaining any more. Society is going out to dinner, out to night life, and letting down the barriers.«[1] Diesen Schluss zog Maury Paul im Februar 1919, als er abends eine Gruppe von High Society-Angehörigen im Ritz Carlton beobachtete. Scharfsinnig prägte er daraufhin den Begriff der café society, der wesentliche Eigenschaften der High Society bündelte: ihre Konsumorientierung, ihr auf mediale Sichtbarkeit ausgerichtetes Auftreten und eine scheinbare Nahbarkeit.[2] Zugleich lenkte er die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Raum für diese soziale Formation. Die »Verräumlichung sozialer Prozesse« gibt Aufschluss über gesellschaftliche Zugehörigkeiten, den Institutionalisierungsgrad einer Gruppe und ihre Praktiken.[3] Welche Rolle, so muss also gefragt werden, spielte die Medialisierung der High Society für die räumlichen Ensembles, in denen sie sich aufhielt, und wie beeinflussten wiederum diese Räume die High Society? Die Entwicklung der High Society war erstens eng mit der Geschichte New Yorks verknüpft. Zweitens spielten Zuschreibungen von öffentlich und privat eine zentrale Rolle für die Nutzung und Deutung unterschiedlicher Raumkonstellationen.[4]
81So, wie sich das kulturelle und geschäftliche Leben der Upper Class im Gilded Age in New York – genauer gesagt in Manhattan – konzentrierte, stellte die Stadt auch in den 1920er und 1930er Jahren das Zentrum der amerikanischen High Society dar.[5] Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen, die Nordamerika um die Jahrhundertwende prägten und zur Entstehung der High Society beitrugen, wirkten sich so sichtbar auf das Stadtbild aus, dass New York für viele Zeitgenoss/inn/en geradezu symptomatisch für diesen Wandel stand.[6] Während es beispielsweise vor 1900 keine Hochhäuser an der Wall Street gegeben hatte, glich das Bankenviertel 1929 einer Schlucht aus Wolkenkratzern, in denen die neuen Börsen- und Versicherungsunternehmen untergebracht waren und wo auch Larry sein Büro hatte. Die Fifth Avenue, an der sich noch bis in die 1890er Jahre prunkvolle Villen reihten, verkörperte zwei Jahrzehnte später »the very idea of ›retailing and shopping‹«.[7] In den 1920er Jahren erstreckte sich der angesehene Teil Manhattans zudem auch auf Midtown und das Theaterviertel rund um den Broadway – eine Entwicklung, die noch einmal die Affinität der High Society zur Unterhaltungsindustrie sichtbar macht. Während der ersten Depressionsjahre verfielen die Theater, Restaurants und Nachtclubs am Broadway zwar zunehmend, in den frühen 1930er Jahren erholte sich die Gegend aber rasch wieder. In dieser Zeit siedelte sich auch eine Reihe von hochpreisigen Nachtclubs rund um die 50th Street East an, wo High Society und Gesellschaftsreporter/innen zu einem Stelldichein zusammenkamen. Für die späten 1930er Jahre hielt Eve Brown schließlich fest: »socially the world ended at Washington Square on the south and Central Park on the north.«[8] Damit brachte sie eine zentrale Annahme der soziologischen und historischen Raumforschung auf den Punkt, nämlich dass Raum und Gesellschaft in einem relationalen Verhältnis stehen und sich stets gegenseitig konstituieren.[9]
Mit der Entstehung der High Society setzte bereits in den 1890er Jahren ein Trend ein, den Zugang zu als privat markierten Räumen wie Häusern und Apartments weniger stark zu reglementieren.[10] Analog dazu nahm die Bedeutung halböffentlicher Räume wie Restaurants, Theater und Nachtclubs zu. Aufgrund der steigenden Immobilienpreise kamen die Stadthäuser in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts aus der Mode und wurden durch nicht minder luxuriöse Wohnungen in Apartmenthäusern und Hotels auf der Upper East Side ersetzt. Damit fanden auch 82die sogenannten »home entertainments« im großen Stil ein Ende.[11] Zu den berühmtesten zählten die Winterbälle von Caroline Astor, deren (zweites) Haus auf der Fifth Avenue über 1.000 Menschen fasste und deren Gästelisten dennoch berüchtigt für ihre Exklusivität waren.[12] Larry und Peggy bezogen nach ihrer Hochzeit 1924 ein Apartment im Park Lane Grandhotel; die Verbindung zu diesem Ort brachte Peggy bei Maury Paul sogleich den Spitznamen »Mrs. ›Park Lane‹ Thaw« ein.[13] In den folgenden fünfzehn Jahren mieteten die beiden unterschiedliche Wohnungen und Stadthäuser auf der Fifth Avenue, der Park Avenue und um die 60th Street East herum. Ab 1931 bewohnten sie etwa ein Haus (13th East 69th Street) auf der Upper East Side mit einundzwanzig Zimmern und einem Aufzug, das sie 1938 für ein Apartment (666 Park Avenue) mit dreißig Zimmern aufgaben.
In ihren Domizilen empfingen die Thaws in den 1920er und 1930er Jahren immerhin noch bis zu fünfzig Gäste zu Cocktail- und Dinnerpartys. Der entscheidende Unterschied zum Gilded Age war nun allerdings weniger die Anzahl der Besucher/innen. Für die High Society handelte es sich dann um eine gelungene Party, wenn auch ein/e Reporter/in unter ihnen war, der/die ausführlich über die Gästeliste, die Garderobe und den Verlauf des amüsanten Abends schrieb. »No hostess«, so erläuterte Beebe, »considered her party a success […] unless it received favorable notices in next day’s newspapers.«[14] So war Maury Paul beispielsweise nicht nur im Winter 1938 vorsorglich als Ehrengast zu Larrys und Peggys Einweihungsfeier im neuen Park Avenue-Apartment geladen.[15] Auch ein halbes Jahr später konnte er hautnah von der Kristallhochzeit der Thaws berichten, wobei er keinen Zweifel daran ließ, dass er sich mitten im Geschehen aufgehalten hatte:
At the »Larry« Thaws’ »Crystal Wedding« anniversary […] [t]he happily married Frederic Parker Humphreys dancing in the handsome pickled-pine drawing room. Brunette Mrs. Albert Dewey […] – the life of the party. And what I like about Mrs. Dewey: she NEVER whispers! […] Clever Valentina admiring the g-o-r-g-e-o-u-s pastel colored gown she had designed for Mrs. Lawrence Tibbett.[16]
Artikel wie diese demonstrierten nicht nur, dass ihre Autor/inn/en räumlich, sondern auch sozial ›in‹ bzw. ›Insider‹ waren und selbst zu der illustren Gesellschaft zählten, über die sie schrieben. Während sich Mary Brush Williams 1916 noch damit 83begnügen musste, Larrys Apartment nur zu beschreiben, flankierte Maurys Artikel nun ein Foto, das Larry und Peggy beim Toast in ihrem Salon zeigte (Abb. 10).