V. Resümee und Ausblick - Perspektiven auf die High Society

335Im Oktober 1958 schrieb eine empörte Leserin unter dem sprechenden Pseudonym »Bored Stiff« einen Brief an die beliebte Ratgeberkolumne »Dear Abby«[1] und beschwerte sich:

Some relatives of my husband just have come back from Europe where they took 6,500 feet of film and 200 colored slides. They invited all their relatives and friends over, locked the door and made us sit there and watch the whole boring thing. You couldn’t even sleep through it because they took turns talking about every picture.[…] These relatives are supposed to be high society. Is this your idea of a party or am I crazy?[2]

Als die Times Union diese Zeilen druckte, waren Larry und Peggy längst kein Teil der High Society mehr. Nach dem Höhepunkt ihrer Karrieren 1940/41 wurde es ruhiger um die Thaws, und zunehmend weniger Artikel erwähnten die beiden auf den Society Pages. Die Medienbiografie des Paares beschäftigte sich mit den aufwendigen Maßnahmen der High Society, mediale Sichtbarkeit – und damit gesellschaftlichen Status – immer wieder zu aktualisieren. Wie lässt sich aber der ›mediale Tod‹ beschreiben, der das Leben zwar nicht physisch beendete, aber doch sozial einen massiven Einschnitt bedeutete? Dahinter stand ein Prozess, der letztlich zur medialen Unsichtbarkeit führte.

Hatte der Cholly Knickerbocker 1924 noch scherzhaft kritisiert, dass Peggy die New Yorker Zeitungen geradezu mit ihren Porträts überflute, konnte rund zwanzig Jahre später davon keine Rede mehr sein. Während der übergewichtige Larry dem jugendlichen Schönheitsideal der High Society schon länger nicht mehr entsprach, gelang es nun auch der alternden Peggy immer seltener, stellvertretend für beide ihren High Society-Status zu erneuern. Die Thaws galten schlicht nicht länger als berichtens- und sehenswert. Hinzu kam, dass die Söhne der Thaws als junge Männer das Interesse der Klatschreporter/innen – wie Larry als Junggeselle in den frühen 1920er Jahren – kaum bedienten und den High Society-Status ihrer Eltern nicht fortführten. Insgesamt handelte es sich um ein prozesshaftes Ausscheiden, das sich 336zunächst auf der medialen Ebene vollzog und sich langsamer räumlich auswirkte. Larry und Peggy gingen in den 1940er Jahren durchaus noch auf Partys und luden Gäste zu sich ein, die meisten ihrer Bekannten durchlebten aber freilich eine ähnliche Veränderung.

Das Paar war jedoch nicht einfach durch eine jüngere und attraktivere Generation ersetzt worden. Wie »Bored Stiff’s« Beschwerdebrief zeigt, waren mittlerweile diejenigen medialen Formate und Vorführungsweisen veraltet, mit denen es den Thaws früher so erfolgreich gelungen war, das Interesse der Society Pages auf sich zu ziehen. Für den ›medialen Tod‹ des Paares, oder besser: für sein mediales Verblassen, gibt es also mehrere Gründe, die sich nur zum Teil an Larrys und Peggys Personen festmachen lassen.

Tatsächlich erlebte die High Society Anfang der 1940er Jahre massive Veränderungen, die sich auf einer räumlichen, personellen und medialen Ebene niederschlugen. New York und Palm Beach – bis dahin die Hauptstädte des amerikanischen High Society-Lebens – verloren zu Gunsten von Palm Springs, Nassau und vor allem Hollywood an Bedeutung. Während in den 1920er und 1930er Jahren High Society und Filmstars als weitgehend unabhängige und gleichwertige Gruppen wahrgenommen wurden, galten die New Yorker/innen im Gegensatz zu den professionellen Schauspieler/inne/n an der Westküste nun zunehmend ›nur‹ noch als Prominente. Als im Juli 1942 Maury Paul starb, verlor die High Society außerdem einen der wichtigsten Klatschreporter, der sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt hatte.

Besonders deutlich wirkte sich darüber hinaus der Kriegseintritt der USA auf das Leben der High Society in New York sowie auf die amerikanische Gesellschaftsberichterstattung aus. Pauls berühmter Kollege Walter Winchell etwa kehrte den Society Pages den Rücken und arbeitete fortan als Kriegsberichterstatter. Der Stamm­fotograf des El Morocco, Jerome Zerbe, der die scheinbar ungestellten Schnappschüsse der High Society populär gemacht hatte, ging zur U.S. Navy.[3] Zugespitzt formuliert fielen dem amerikanischen war effort wichtige Stützen der Gesellschaftsberichterstattung zum Opfer.

Zwar existierten in New York weiterhin die schicken Nachtclubs und Restaurants wie das El Morocco, der Stork Club oder das Colony – die früher so illustren Gäste suchte man inzwischen allerdings vergeblich. Lucius Beebe jedenfalls zeigte sich wenig begeistert von der neuen Besetzung aus Regierungsbeamten, Soldaten und europäischen Flüchtlingen. Er beklagte:

There were rich French refugees with manners which would have outraged a Colorado mining-camp in gold-rush days. There were the camp followers of Federal Government in Washington full of idealism […] and more practical visions of champagne for themselves, and there were members of the armed forces from Elko, Nevada, and Cedar Rapids, Iowa, who had hoped to always see New York 337and be shoved around the Astor Bar but had never dreamed of doing it at the expenses of the taxpayers.[4]

Schließlich veränderte sich während des Zweiten Weltkriegs auch die Gesellschaftsberichterstattung selbst. Die Themen verschoben sich und richteten sich verstärkt an konservativeren Werten aus. Die Society Pages priesen nun die Institution der Ehe und ein traditionelles sorgendes Frauenbild, während zuvor wechselnde Romanzen und gescheiterte Beziehungen zu den beliebtesten Themen gezählt hatten. Nach ihrer Hochzeit 1942 distanzierte sich etwa das ehemalige glamour girl Brenda Frazier öffentlichkeitswirksam in einem Zeitungsinterview von den früheren durchfeierten Nächten in New Yorker Nachtclubs.[5] Das Interview, so betonte außerdem der Verfasser des Artikels, hatte Brendas Ehemann genehmigt. Diese inhaltliche Neuausrichtung lag nicht zuletzt daran, dass das staatliche Office of War Information und das privat organisierte Writers’ War Board Medienschaffenden nahelegten, ein entsexualisiertes und domestiziertes Frauenbild zu propagieren. Dahinter stand die Auffassung, dass Frauen, die einen glamourösen, konsumorientierten und selbstbestimmten Lebensstil verfolgten, kaum dazu bereit seien, bisher von Männern dominierte Arbeiten im blue collar-Sektor zu übernehmen.[6]

Insgesamt lag der Fokus der Gesellschaftsberichterstattung nun weniger auf dem ausschweifenden Lebenswandel der High Society, sondern auf ihrer Opferbereitschaft.[7] So kreisten die Artikel zunehmend um Spendenaktionen für Kriegshilfen und den Einsatz von Mitgliedern der High Society, die sich als freiwillige Luftschutzhelfer/innen in den Dienst des Vaterlandes stellten. Diese neuen Themen machten auch vor der Cholly Knickerbocker-Kolumne nicht Halt, und die frühere Rubrik »These Fascinating Ladies« wurde kurzerhand in »Society in the War Effort« umbenannt.[8] Gerade der Verzicht auf Konsum war ein zentraler Bestandteil der staatlichen Propagandakampagnen und richtete sich freilich an alle Amerikaner/innen.[9] Dem Aufstiegsversprechen der High Society stand dieser neue Lebensstil 338jedoch geradezu diametral entgegen, denn: »Rationing seemed counter to American individualism and dreams of abundance«.[10]

Während sich Peggy recht bereitwillig in die mediale Unsichtbarkeit fügte, versuchte Larry vergeblich, diesem Schicksal zu entkommen. Ende der 1940er Jahre hatte er noch mehrere Ideen für neue Projekte mit Hollywoodstudios und der National Geographic Society, die aber alle abgelehnt wurden. Anfang 1949 reiste er deshalb auf eigene Faust durch Australien und nahm Material für einen neuen Film auf, den er allerdings nie verwirklichte.[11] Larry verkannte offenbar nicht nur, dass seine High Society-Karriere zu Ende war; er verstand auch nicht, dass sich die Massenmedien selbst verändert hatten und er mit seinen Filmen inzwischen kaum mehr jemanden beeindrucken konnte. Für Larry und Peggy stellte die Wende zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Verbreitung des Fernsehens und der Etablierung eines neuen medialen Ensembles einen ebenso tiefen Einschnitt dar wie die vorige Jahrhundertwende für die Upper Class: ›in‹ waren nun andere.

Die Medienbiografie der Thaws führte die Merkmale und Wirkungsweisen der High Society in den 1920er und 1930er Jahren deutlich vor Augen. Abschließend gilt es, diese Zusammenhänge noch einmal hervorzuheben und in vier Thesen zu skizzieren.

Erstens. Das Aufstiegsversprechen der High Society. Mit der High Society entwickelte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine neue soziale Formation, die versprach, eine Alternative zum sozialen Aufstieg über wirtschaftlichen Erfolg zu bieten. Indem sie sich maßgeblich über massenmediale Sichtbarkeit konstituierte, war sie tatsächlich offener und dynamischer als die Upper Class des Gilded Age, zugleich blieb die Zugehörigkeit zur High Society aber unsicher und musste immer wieder erneuert werden. Deshalb stand die High Society zur restlichen Gesellschaft nicht nur in einem klassenspezifischen Oben-Unten-Verhältnis, sondern entfaltete sich auch auf einer horizontalen Ebene in einer spannungsvollen Beziehung zwischen innen und außen, ›in‹ und ›out‹. Auf diese Weise überwand die High Society einerseits soziale Schranken – und zog andererseits neue Grenzen. Denn wie die Arbeit gezeigt hat, rückten in der High Society Nationalität, Geschlecht, Klasse und Ethnie zumindest teilweise als gesellschaftliche Ausschlusskriterien in den Hintergrund, während sich räumliche Exklusivität zu einem symbolischen Wert entwickelte. Dagegen traten Alter und Körper als soziale Strukturkategorien in den Vordergrund und begründeten neue In- und Exklusionsmechanismen, die im Grunde bis heute wirkmächtig sind.[12] Was in den Artikeln der Society Pages der 1920er und 1930er Jahre zunächst implizit angelegt war – die Austauschbarkeit der 339High Society-Mitglieder, der eigene Körper als Ressource und die Öffnung zur Unterhaltungsindustrie – verdichtete sich in den 1940er Jahren zu konkreten Aufstiegsgeschichten. In diesem Sinne spricht Maren Möhring zu Recht davon, dass sich bereits in den 1920er Jahren »die Formung des eigenen Körpers zu einem individuell konsumierten Gegenstand« abzeichnete.[13]

Die High Society griff in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer weiter aus und entfaltete zunehmend eine stärkere gesellschaftliche Prägekraft, die seit den 1950er Jahren einen umso rasanteren medialen und gesellschaftlichen Wandel begründete. Mochte es in den 1910er und 1920er Jahren noch exzentrisch wirken, das eigene Verhalten an den Regeln der Massenmedien auszurichten, ist dies im 21. Jahrhundert selbstverständlich geworden, nicht nur für Individuen, sondern für ganze gesellschaftliche Teilbereiche, die sich wie die Wissenschaft oder die Politik an den medialen Logiken orientieren und offen nach medialer Sichtbarkeit streben.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Praktiken der Selbstmedialisierung, die wir heute frei nach dem Motto broadcast yourself mit Facebook, Instagram oder Youtube verbinden, erst mit der Entstehung des Internets einsetzten oder nicht vielmehr Teil einer historischen Entwicklung sind, die bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Anstatt also diese Phänomene bloß in einem kulturpessimistischen Licht zu betrachten, sollten vielmehr verstärkt die medialen Logiken dahinter beleuchtet und ihr Potenzial, gesellschaftliche Beziehungen zu gestalten, ernstgenommen werden. In diesem Zusammenhang kann der Blick zurück durchaus unseren Blick für die eigene Gegenwart schärfen. Nicht zuletzt Caroline Astors Nervenzusammenbruch 1906, den Eric Homberger als Folge ihrer Überforderung mit der neuen Gesellschaft deutet,[14] verweist auf einen besonderen Aspekt: Aus mediengeschichtlicher Perspektive verbindet die Zeitgenoss/inn/en aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Grunde mehr mit den Menschen der Spätmoderne als mit der Generation ihrer Eltern, die noch in den vergleichsweise starren Strukturen des späten 19. Jahrhunderts aufgewachsen waren. Die High Society verkörperte und beförderte einen fundamentalen Wandel, dessen Folgen heute noch spürbar und aktuell sind. Denn wie auch Andreas Reckwitz festhält, fand im 20. Jahrhundert »eine tiefgreifende Transformation der Strukturprinzipien, der kulturellen Legitimationsformen und der affektiven Erregungsstrukturen der Gesellschaft der Moderne als Ganze statt [...], ein Strukturwandel, dessen Tragweite erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts wirklich erkennbar wird.«[15]

Zweitens. Ambivalenzen der Professionalisierung. Die Geschichte der High Society im Allgemeinen und diejenige der Thaws im Speziellen regen dazu an, Professiona340lisierung als historischen Untersuchungsgegenstand wie als heuristischen Begriff neu zu konzeptualisieren. Um nicht von vornherein von einem alternativlosen und zielgerichteten Prozess auszugehen, der zu mehr Institutionalisierung und Regulierung führte (oder zumindest darauf abzielte), sollte Professionalisierung weniger vom Endpunkt her gedacht werden. Hannes Siegrist etwa beschreibt drei idealtypische Ausprägungen, die »Professionalisierung von oben, die durch den Staat bestimmt wird […] von unten, die von [einer] Berufsgruppe aktiv betrieben wird […] [und] von außen [durch die] Übernahme eines fremden Musters«.[16] Während die Impulse hier aus unterschiedlichen Kontexten stammen, ist deren Zielrichtung doch immer die gleiche. Stattdessen können aber Konflikte, Rückschläge und Eigendynamiken verstärkt in den Fokus rücken, wenn man hervorhebt, dass dieser Prozess nicht zwangsläufig zu einem einzigen Ergebnis führen musst. Ergänzend zu Siegrist lässt sich im Zusammenhang mit der High Society also eine Art innere Professionalisierung in den Blick nehmen, die prekär und widersprüchlich blieb.

Denn wie das Beispiel der Thaws zeigt, musste die Verberuflichung der eigenen Person und des eigenen Lebens nicht bedeuten, eine klar definierte Profession zu etablieren oder einen bestehenden Beruf – etwa in der Unterhaltungsindustrie – zu ergreifen. Vielmehr ging es darum, die eigene Sichtbarkeit in unterschiedliche Gesellschaftsbereiche zu übertragen und dort in Form von finanziellen Gewinnen, größeren Publika oder mehr Einfluss zu verwerten. Dabei handelte es sich, so wurde deutlich, um einen ergebnisoffenen Prozess, der die Filmindustrie, die Werbebranche, die geografischen und ethnologischen (Populär-)Wissenschaften und das Militär berührte. Bemerkenswerterweise gingen diese Bereiche aber nicht Hand in Hand und beförderten einen Professionalisierungsprozess. Stattdessen folgten sie jeweils eigenen Gesetzen und Logiken und be- oder verhinderten eine geradlinige Entwicklung, die damit kein Ziel erreichte. Schließlich wollte die Gesellschaftsberichterstattung auch weiterhin über ›echte‹ und nahbare Privatpersonen berichten.

Gerade diese Offenheit wiederum begründete auch das Aufstiegsversprechen der High Society: Man musste eben nicht zwingend Ölbaron werden, um dazuzugehören. Darüber hinaus war Professionalisierung in der High Society nicht nur offen in ihrem Ausgang, sie blieb auch unabgeschlossen. Das bot die Möglichkeit, aber zugleich auch den Zwang, sich immer wieder neu zu erfinden. Denn Professionalisierung im High Society-Kontext erwies sich als ebenso flüchtig wie die mediale Sichtbarkeit. Einen gewissen Status erreicht zu haben, bedeutete nicht notwendigerweise, diesen für immer innezuhaben.

Gründe für diese ambivalentere Lesart zeichneten sich darüber hinaus auch auf zwei weiteren Untersuchungsebenen der Arbeit ab: Zum einen zeigte sich anhand der Filmquellen, dass es wenig ergiebig ist, trennscharf zwischen Amateurfilm und professionellem Film zu unterscheiden, sondern von einem wechselseitigen Verhältnis auszugehen ist. Zum anderen lässt sich Ähnliches im Kontext der Konstruktion 341und Verbreitung von Wissen betonen. So hat die neuere Forschung zur Wissensgeschichte und Wissenschaftspopularisierung festgestellt, dass es kein wissenschaftlich-professionelles Wissen einerseits und ein populäres Wissen andererseits gibt. Im Vordergrund steht vielmehr ein komplexer Austausch zwischen unterschiedlichen Akteuren, Wissensbeständen und medialen Formaten. Diese drei Aspekte kennzeichneten die High Society-Karriere der Thaws.

Drittens. Der High Society-Blick auf die Welt. Auf ihren Reisen betrachteten die Thaws die Welt als weiße Amerikaner, aber vor allem im Spiegel der High Society. Das heißt auf der einen Seite, dass die High Society einen Deutungsrahmen für sie bereitstellte, innerhalb dessen sie Erfahrungen und Erlebnisse wahrnahmen und interpretierten. In dieser Hinsicht geben ihre Filme einen außergewöhnlichen Einblick in vorherrschende Geschlechterrollen, Familienbilder, Vorstellungen von Ethnie oder Konsumweisen. Auf der anderen Seite bedeutet es aber vor allem, dass Larry und Peggy die Welt durch die Linse ihrer Kamera sahen. Indem sie diejenigen Medialisierungspraktiken nachvollzogen, die ihre herausgehobene gesellschaftliche Stellung erst begründeten, ging es ihnen nie nur um die Erfahrung oder den Distinktionsgewinn der Reisen. Im Vordergrund stand immer deren Medialisierung. So waren die Thaws stets auf der Suche nach etwas Zeigbarem; das galt für Sehenswürdigkeiten und Landschaften ebenso wie für Menschen und Körperpraktiken.

Aus dieser doppelten High Society-Perspektive ordneten die Thaws in ihren Filmen die Welt. Dabei verschränkten sie räumliche und inhaltliche Dimensionen und verknüpften Europa mit Konsum, Palm Beach mit der sportlichen Arbeit am Körper, Afrika mit Körperpflege und den Nahen Osten und Indien mit Politik. Auf diese Weise visualisierten – und das heißt immer auch konstruierten – sie geografische Entitäten wie Europa als einheitlichen Konsumraum jenseits von staatlichen Landesgrenzen. Palm Beach erschien als exklusiver Innenraum, und Afrika wurde zum ethnologischen Themenpark. Der Nahe Osten und Indien schließlich zerfielen in souveräne Einzelstaaten. Zugleich setzten Larry und Peggy die Orte, die sie filmten, in Relation zu den USA sowie zur High Society: Europa etwa unterschied sich kaum vom New Yorker High Society-Leben, Afrika dagegen umso mehr, während das Paar den Nahen Osten und Indien in die Nähe der Vereinigten Staaten rückte. Dreh- und Angelpunkt war in Europa, Palm Beach und Afrika der Körper, der konsumierte, Sport trieb oder sich rein(lich) hielt und diese Zusammenhänge performativ herstellte. Im Nahen Osten und Indien verschob sich der Fokus dann von den Thaws selbst auf den Schauwert staatlicher Repräsentationen. Diese Verbindungen zeigen, dass die High Society bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann, sich in Ansätzen zu einer transnationalen Formation zu entwickeln, wobei aber auch deutliche Grenzen und Ungleichzeitigkeiten zwischen den USA, Europa, Afrika und Asien sichtbar wurden.

Dabei wird ein wesentlicher Punkt deutlich: Die Thaws eigneten sich die Welt auf eine eklektische Art und Weise an, die gesellschaftliche Ungleichheit, Armut und Unterdrückung ausklammerte. Die Norm, an der Larry und Peggy fremde Länder ma342ßen, war eine westliche Moderne, in der sich Vorstellungen von Zivilisation und Fortschritt verdichteten.[17] In Afrika führte das wenig überraschend zu einer rassistisch aufgeladenen Erzählung, die zudem stark von amerikanischen Hollywoodfilmen geprägt war. Im Nahen Osten und Indien nahm dieses Idealbild darüber hinaus ganz eigene Formen an. Großstädtisches Flair, technische Errungenschaften und insbesondere die High Society-Infrastruktur aus Grandhotels, Clubs und Pferderennbahnen waren seine Signifikanten. Bemerkenswerterweise geriet dadurch allerdings ein wesentlicher Aspekt aus dem Fokus: Der Blick der High Society war zwar ein genuin westlicher, das damit verknüpfte »normative Projekt« (Heinrich August Winkler) spielte in den filmischen Darstellungen aber schlicht keine Rolle. Davon abgekoppelt reproduzierten die Thaws antidemokratische Modernitätsnarrative, indem sie – im nationalsozialistischen Deutschen Reich ebenso wie im Iran oder in den indischen Fürstenstaaten – die technischen Leistungen oder den repräsentativen Pomp der Machthaber ungefiltert zur Schau stellten. In anderen Worten: Wer sich auf Reisen in erster Linie für den Schauwert schneller Autos, exklusiver Partys und funkelnder Diamanten interessierte, ließ sich davon leicht blenden – und blendete damit zugleich die menschenverachtenden politischen Realitäten in den jeweiligen Ländern aus.

Viertens. Perspektiven einer Visual History. Die Visual History kann und soll »einen ganz eigenen Zugang zur Vergangenheit öffnen«.[18] Tatsächlich ermöglicht es die Visual History – durchaus im wörtlichen Sinne –, genauer hinzusehen. Wie auch diese Arbeit gezeigt hat, machen Bilder – und zumal bewegte – viele Aspekte sichtbar, die einer Schriftquelle oftmals verschlossen bleiben. Wenngleich das freilich nicht bedeutet, dass diese eine akkuratere oder gar ›wahre‹ Version der Vergangenheit vermitteln würden, können sie aber doch andere Perspektiven eröffnen und Ambivalenzen offenlegen. Denn insbesondere technisch erzeugte Bilder hängen nicht nur von derjenigen Person ab, die sie macht, sondern ebenso von denjenigen, die abgebildet werden. Das trifft selbst auf inszenierte und durchgeplante Aufnahmen zu.

Der Blick des/der Historikers/in auf die Bildquelle sollte sich dabei zunächst auf die Materialität des Mediums richten. Auch ein technisch erzeugtes Bild kommt schließlich nicht ›einfach so‹ zustande, es hängt vielmehr ganz wesentlich von der Beschaffenheit des Aufnahmeapparates wie vom Trägermaterial ab. Diese prägen ebenso den Aufnahmeort wie den Zeitpunkt und die Komposition (Einstellung und Perspektive) einer Fotografie oder Filmszene; in letzterem Fall auch die Dauer.

Während der klassische Zugang der Visual History in erster Linie auf die visuelle Dimension einer Quelle abzielt, hat die vorliegende Arbeit deutlich gemacht, dass eine Analyse im Grunde unvollständig bleiben muss, wenn nicht zugleich die materielle und performative Dimension in den Blick genommen wird. Auf diese Weise lassen 343sich zum einen die Wirkungsmacht von Bildern, ihre Verbreitungskontexte und Nutzungsweisen miteinbeziehen. Zum anderen versucht dieser dekonstruktivistische Ansatz bewusst, hinter das fertige Endprodukt – hinter die Bildoberfläche – zu blicken und den Entstehungsprozess offenzulegen. Diese Perspektivenerweiterung führt vor Augen, wie sich Sehgewohnheiten durchsetzten, wie sich bestimmte Motive trans- und plurimedial verbreiteten und auf welchem technischen Wissen und Können Bilder stets basieren. So brechen scheinbare Gewissheiten auf, und komplexere Zusammenhänge treten zutage. In ihren Filmen vollzogen die Thaws und ihre Kameramänner etwa ganz im Sinne des tourist gaze bekannte Darstellungsweisen nach und orientierten sich dabei an denjenigen Menschen und Sehenswürdigkeiten, die zeitgenössisch als typisch galten und stellvertretend für eine Stadt, Region oder ein Land standen. Dabei handelte es sich allerdings um mehr als die simple Nachahmung einer etablierten Sehweise. Tatsächlich hing es wesentlich vom Medium und seinen Eigenschaften ab, was auf welche Weise abgebildet wurde. Film und Fotografie boten unterschiedliche Blicke, die an die Beherrschung der jeweiligen Technik und ihre materiellen Bedingungen geknüpft waren.

Zweitens legt der Fokus auf den Entstehungskontext von Bildern die genuin performative Aufnahmesituation offen. Damit treten die in der Forschung vernachlässigten Akteure in den Vordergrund, die vor der Kamera agieren. Tatsächlich eröffnen die Filme der Thaws eine breite Perspektive auf die unterschiedlichsten menschlichen und nichtmenschlichen Akteure sowie auf diverse Formen von Medienkompetenz. Dabei zeigte sich, dass es – nicht allein in den 1920er Jahren – eben keine Selbstverständlichkeit war, zu wissen, wie man sich vor einer Filmkamera verhalten sollte. Wie Larry erst lernen musste, vom statischen Sehen der Fotografie zum dynamischeren Filmen überzugehen, mussten sich auch Larrys und Peggys Familie und Freund/inn/e/n diejenigen Praktiken aneignen, die eine Filmaufnahme erforderte. So ließ sich untersuchen, welche Rolle soziale Strukturkategorien wie Geschlecht, Alter, Körper, Klasse oder Ethnie in diesem Zusammenhang spielen, wie sie sich in die Bilder einschreiben und zu scheinbar objektiven Wahrheiten gerinnen. Hier zeigte sich, dass eine so verstandene performative Dimension des Films das Potenzial hat, Ambivalenzen aufzudecken und vermeintlich eindeutige Asymmetrien infrage zu stellen. Dem male bzw. imperial gaze waren die Gefilmten nie nur passiv ausgeliefert; so konnte die Arbeit nicht zuletzt im kolonialen Kontext Afrikas vielfältige Formen von agency sichtbar machen.

Ein besonderer Mehrwert der Visual History liegt nun, wie sich gezeigt hat, darin, dass sie es ermöglicht, unterschiedliche Themenfelder gemeinsam in den Blick zu nehmen, die sonst vor allem getrennt voneinander untersucht werden, und dabei ihre spezifischen Verknüpfungen sichtbar zu machen. So konnte die Untersuchung ein klassisches Thema der Gesellschaftsgeschichte – die Entstehung einer sozialen Formation – aus einer neuen Perspektive beleuchten und dessen inhärenten Zusammenhang mit der Medien-, Geschlechter- und Tourismusgeschichte sowie mit den Postcolonial Studies und der Geschichte der Wissenschaftspopularisierung offenle344gen. Darüber hinaus wurde deutlich, dass Filme die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts auf einzigartige Weise prägten, virulente Vorstellungen, Sehnsüchte und Ängste aufgriffen und selbst wirkmächtige Deutungsangebote machten. Dies gilt jedoch nicht allein für diese Jahrzehnte, entwickelten sich filmische Darstellungen vom Kino über das Fernsehen bis zu heute allgegenwärtigen Videoclips doch zweifellos zu gesellschaftsprägenden Leitmedien. Nicht zuletzt dieser Zusammenhang spricht für den Mehrwert eines geschichtswissenschaftlichen Ansatzes, der visuelle Medien analysiert, anstatt diese – wenn überhaupt – nur illustrativ zu verwenden. Denn so paradox es zunächst klingen mag, eine umfassende Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts lässt sich nicht ohne bewegte Bilder schreiben.