Darüber hinaus scheinen die Thaws sogar mit den iranischen Behörden vereinbart zu haben, vor etwaigen Veröffentlichungen erst deren Einverständnis einzuholen. Zumindest den Artikel für das National Geographic Magazine legte Larry dem iranischen Gesandten in Washington D. C. vor, der sogleich bat, einen Abschnitt zu streichen, in dem die Thaws berichteten, wie sie nach einer Autopanne im Iran einen Tag lang auf Ersatzteile warten mussten. Der Gesandte fürchtete, sein Land könne dadurch in den Augen der amerikanischen Leser/innen rückständig erscheinen: »[S]hould you not think you might do without this part, for it is truly not very flattering, nor does it make a particularly good impression on the reader.« Diesem Gesuch kamen die Thaws bereitwillig nach und strichen die entsprechenden Zeilen. Das Beispiel belegt noch einmal besonders gut, dass auch die Regierungen der bereisten Länder die Filme und Artikel der Thaws in Bezug auf ihre Außenwirkung 288für wichtig hielten und selbst großen Wert auf ein – nach amerikanischem Vorbild – fortschrittliches Image legten.
Die positive Darstellungsweise der Türkei und des Iran entsprach der zeitgenössischen Modernisierungseuphorie, die in den 1930er Jahren die USA und Europa erfasste und von der Vorstellung ausging, mithilfe von Technologie, Industrie, Architektur und Wissenschaft ganze Gesellschaften zum Besseren verändern zu können. Was sich in den 1950er und 1960er Jahren nicht nur in den Vereinigten Staaten zur sogenannten »Modernisierungstheorie« verdichtete, prägte bereits die Zwischenkriegszeit maßgeblich. In dieser Hinsicht dürften die türkischen und iranischen Großprojekte den Thaws und ihrem Kameramann vertraut erschienen sein. Allerdings war die Modernisierungsfrage in Nordamerika deutlich mit der Stärkung demokratischer Werte verknüpft. Dass die Thaws in der Türkei und dem Iran mit Modernisierungsdiktaturen konfrontiert waren, blendet »The Great Silk Route« jedoch aus. Dieser wohlwollende Blick mag auch am amerikanischen Selbstverständnis gelegen haben, der die USA in einer Rolle als Modernisierungshelfer für diejenigen Nationen sah, die scheinbar noch nicht auf der gleichen Entwicklungsstufe angekommen waren. Die Thaws inszenierten sich in beiden Filmen nicht zuletzt selbst als Vorbilder, die dem König von Afghanistan und dem Maharadscha von Mysore mit ihrem Wohnmobil technische Innovationen näherbrachten.
Während sich die Erwartungen des State Department an die Thaws nur vermuten lassen, macht das Beispiel Großbritanniens konkret nachvollziehbar, welch große politische Bedeutung die Behörden ihren Filmen beimaßen. Nachdem das amerikanische Ministerium einen Kontakt zum britischen India Office vermittelt hatte, 289zeigte sich dessen Information Department hoch interessiert an dem Projekt und schrieb an den Vizekönig von Britisch-Indien, Lord Linlithgow, sowie an die einzelnen Provinzialverwaltungen. Federführend wirkte hier A. H. Joyce, der die Öffentlichkeitsarbeit der britischen Regierung für Indien in den 1930er Jahren maßgeblich prägte. Der Direktor des Imperial Institute, Sir Harry Lindsay, wandte sich darüber hinaus ebenfalls an die britischen Gouverneure und an die Verwaltungen der indischen Fürstenstaaten, also an diejenigen Gebiete, die während des British Raj von 1858 bis 1947 nicht direkt von Großbritannien, sondern von lokalen Herrschern regiert wurden.
Die Thaws kamen mit dem Britischen Empire in Kontakt, als es sich in einer tiefgreifenden Transformationsphase befand. Nach dem Ersten Weltkrieg vergrößerte sich dessen Herrschaftsgebiet noch einmal; mit der räumlichen Ausdehnung ging jedoch keine stärkere Vormachtstellung Großbritanniens einher. Vielmehr standen die gewachsenen Aufgaben und Verpflichtungen in einem deutlichen Gegensatz zu den wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen des Empire, sodass Patrick Cohrs von einer »danger of strategic ›over-extension‹« spricht. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Interesse der britischen Kolonialverwaltung an Filmmaterial, das das Empire in einem positiven Licht darstellte. Vor allem das Imperial Institute unter der Leitung von Harry Lindsay setzte auf Filme als Instrument zur Herrschaftsstabilisierung.
Hier lohnt ein genauerer Blick auf diese Institution. Das Imperial Institute wurde 1887 anlässlich des fünfzigsten Krönungsjubiläums von Queen Victoria gegründet. Es sammelte zum einen Wissen über das Empire und stand Politik und Wirtschaft beratend zur Seite; dabei arbeitete es auch eng mit dem Empire Marketing Board zusammen. Zum anderen informierte es die englische Bevölkerung über die weltweiten Besitzungen des Empire. Zu diesem Zweck verfügte das Imperial Institute über Ausstellungsräume und seit 1927 auch über ein eigenes Kino samt Filmarchiv, das seine Bestände kostenlos an Schulen und Vereine verlieh. Diese dokumentarischen Unterrichtsfilme (ca. fünfzehn Minuten auf sechzehn Millimeterrollen) hielt Harry Lindsay für äußerst wichtig, um das Empire zu erhalten. In einer Rede zum Thema »India’s Place in Empire Films« erläuterte er im Januar 1939, wie zentral es aus seiner Sicht sei, Filme im Rahmen des Geschichts- und Geografieunterrichts einzusetzen: »Every lesson in history or geography should have behind it some sort of emotional stimulus which will help it along and set it through. That is just the stimulus which a 290really first-class ›background‹ film can provide. […] [T]he work of the Empire Film Library is of the order of a great national and Empire service.«
Während der Bestand zu Kanada und Südafrika Ende der 1930er Jahre 391 bzw. 143 Filme umfasste, verfügte das Institut nur über fünfzig Indienfilme. Gerade nach diesen war die Nachfrage allerdings besonders groß. So erklärte sich Lindsay bereit, den Thaws Kontakte nach Indien zu vermitteln, forderte dafür allerdings als Gegenleistung Filmmaterial für sein Archiv. Dieses sollte »the life, scenery or industries of India« illustrieren und vor allem die großen Stahlwerke und Kohleminen in den britischen Gebieten thematisieren. Larry akzeptierte dieses Angebot bereitwillig. Nicht nur die Politiker in London erkannten allerdings den Wert von Filmen für das Empire. Die britischen Gouverneure von (u. a.) Kalkutta, Madras, Bombay, Assam und nicht zuletzt der Sekretär des indischen Vizekönigs wie auch die Verwaltungen der indischen Fürstenstaaten aus Mysore und Hyderabad unterstützten die Thaws sofort. Dabei schlugen sie selbst zahlreiche Drehorte vor. Der Gouverneur von Bihar zeigte sich sogar enttäuscht darüber, dass seine Provinz nicht im Reiseplan vorkam, und bat Harry Lindsay, dem Paar den Besuch von Bihar ans Herz zu legen. Als Gegenleistung für ihr Entgegenkommen erhielten die Regierungen und Herrscher schließlich Kopien der Filme und Fotos aus ihren jeweiligen Ländern und konnten das Material somit auch selbst für ihre innenpolitischen Zwecke nutzen.
Die Maharadschas und die High Society
Obwohl viele britische Gouverneure ihre Unterstützung zugesagt hatten, standen in »India« letztlich die indischen Fürstenstaaten im Mittelpunkt. Diese machten ein Drittel des Subkontinents aus, ihre Zahl schwankte zwischen 500 und 600 und umfasste Staaten wie Hyderabad mit rund sechzehn Millionen Einwohner/inne/n sowie eine Reihe kleinerer Reiche mit nur 200 Untertan/inn/en. Die Thaws wählten für »India« freilich die bedeutenderen unter ihnen aus und konzentrierten sich dabei auf deren Herrscherdynastien. So zeigt der Film die Maharadschas von Patiala, Jaipur, Jodhpur, Bikaner, den Thronfolger des Maharanas von Udaipur, den Geakwad 291von Baroda, den Nizam von Hyderabad und seine Söhne sowie deren Ehefrauen. Die britische Kolonialverwaltung blendet der Film dagegen weitgehend aus, die indische Unabhängigkeitsbewegung kommt gar nicht vor. Dieser Fokus ist bemerkenswert, denn zum einen standen die Thaws im Vorfeld der Reise in engem Kontakt mit den britischen Behörden. Die Nationalbewegung um Mahatma Gandhi trat in den späten 1930er Jahren zum anderen besonders öffentlichkeitswirksam auf und war auch in den amerikanischen Medien präsent: Gandhi war immerhin 1931 »Man of the Year« des Time Magazine. So schrieb Peggy in einem Brief nach Amerika: »I’m trying to persuade Larry we ought to go and see & photograph Gandi [!]. I think as long as he’s making a comprehensive study of India he ought to anyway. I think it would be an interesting experience.« Doch Larry hatte andere Pläne. Um die Indienfilme analysieren und ihre einseitige Ausrichtung verstehen zu können, ist es zunächst naheliegend, die politische Lage und das Verhältnis der lokalen Fürsten zur britischen Krone kurz zu skizzieren.
Die Forschung hat die Princely States seit der Unabhängigkeit Indiens 1947 ganz unterschiedlich bewertet und entweder ihre Autonomie betont oder sie als britische Vasallenstaaten marginalisiert. Bereits ihre Bezeichnung ist missverständlich; hierbei handelte es sich nämlich um eine Kreation des britischen Kolonialapparates, der das Sanskritwort für König – Raja – bewusst mit Fürst (prince) übersetzte und damit Herrscher schaffen wollte, die der britischen Krone untergeordnet waren. Wie die Imperialismusforschung hervorhebt, ist es ebenfalls ungenau, die Beziehung zwischen den Fürstenstaaten und der Kolonialverwaltung als »indirekte Herrschaft« zu klassifizieren und damit eine einseitige Abhängigkeit festzuschreiben, auf die bereits das Empire mit diesem Terminus abzielte. Tatsächlich hatte die britische Einflussnahme in Form von Titeln, Geld- oder Landzuweisungen weitreichende Konsequenzen für die politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen. Andererseits blieb die Kolonialverwaltung aber auf die Kooperation der Maharadschas angewiesen, und beide profitierten voneinander, wenn sie jeweils eigene Ziele verfolgten.
292Gerade Ende der 1920er Jahre spitzte sich die politische Situation in Indien jedoch zu, und Herrscher wie Anhänger der Nationalbewegung wollten gleichermaßen die britische Vormacht zurückdrängen. Um diese Opposition in geregelte Bahnen zu lenken, initiierte Premierminister Ramsey MacDonald in London zwischen 1930 und 1932 drei Round Table Conferences, bei denen mögliche Reformen auf der Tagesordnung standen; hier trafen Vertreter der britischen und indischen Parteien sowie der Fürstenstaaten zusammen, wobei vor allem letztere als einflussreiche Verhandlungspartner auftraten. Der 1935 vom britischen Parlament verabschiedete Government of India Act sollte dann als Blaupause für ein föderales Indien, bestehend aus unabhängigen Provinzen und den Fürstenstaaten unter britischer Führung, dienen. Auf seiner Grundlage fanden 1937 in den britischen Gebieten des Subkontinents Wahlen zu Regionalparlamenten statt, aus denen der Indian National Congress unter Gandhi und Jawaharlal Nehru als Sieger hervorging. Das setzte nicht nur die Kolonialverwaltung unter Druck, sondern auch die Herrscher, die ihre Mehrheiten in einer zukünftigen Nationalversammlung gefährdet sahen.
Die Lage der Maharadschas verschlechterte sich 1938 noch weiter, als Anhänger des National Congress damit begannen, in den Fürstenstaaten für mehr politische Mitbestimmung zu demonstrieren. Zugleich verhandelte die britische Regierung zwischen 1935 und 1939 aber weiter mit den indischen Herrschern über eine mögliche Föderation zwischen British India und Princely India, sodass die Maharadschas nach wie vor eine wichtige politische Kraft darstellten. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs setzten die Beteiligten die Gespräche zwar aus; nachdem der Vizekönig von Britisch-Indien allerdings den Kriegszustand ausgerufen hatte, stellten sich die meisten indischen Herrscher auf die Seite der Kolonialmacht, gewährten finanzielle und materielle Unterstützung und öffneten den Werbern der britisch-indischen Armee ihre Grenzen.
Als die Thaws 1940 durch Indien reisten, befanden sich die Maharadschas also einerseits in einer handlungsmächtigen Position gegenüber Großbritannien. Andererseits nahm der Einfluss der Unabhängigkeitsbewegung zu, und die Zukunft des Subkontinents sowie die Rolle der indischen Fürstenstaaten darin blieben ungewiss. So dürfte es den meisten Herrschern durchaus gelegen gekommen sein, in den Filmen der Thaws ihre Macht zu inszenieren. Der britischen Kolonialverwaltung dagegen kam es darauf an, die Stärke des Empire hervorzuheben.
Dass sich »India« so stark auf die Princely States konzentrierte, liegt sicherlich zum einen daran, dass wohl vor allem Larry und sein Kameramann die Bilder der Herrscher und ihrer Paläste, der prunkvollen Zeremonien und des wertvollen 293Schmucks für besonders geeignet hielten, um amerikanische Publika zu unterhalten und zu beeindrucken. Zum anderen kannten die Thaws die Maharadschas und ihre Familien auch teilweise persönlich, zumindest aber aus der amerikanischen Gesellschaftsberichterstattung. Denn die indischen Herrscher hatten oftmals Universitäten in England und den USA besucht, reisten regelmäßig durch Europa und die USA, hielten sich an den entsprechenden High Society-Orten auf und waren für die Dauer der Reisen mit der High Society räumlich und medial verbunden. So konnte man bereits ab den 1910er Jahren in der amerikansichen Tagespresse und in den Magazinen lesen, wenn etwa der Gaekwad von Baroda während seines Aufenthalts in St. Moritz vom Skisprung begeistert war, in einem Pariser Nachtclub in den frühen Morgenstunden Gloria Vanderbilt, Harry Morgan und die Maharani von Kusbaha gesichtet wurden oder der Maharadscha von Indore und seine Frau Freunde in Los Angeles besuchten. Darüber hinaus berichtete das Life Magazine in den 1930er Jahren immer wieder bildreich über die indischen Herrscher. Kein anderes Thema jedoch sorgte für solche Schlagzeilen wie die Hochzeit des abgedankten Maharadschas von Indore, der 1928 die Amerikanerin Nancy Miller als dritte Ehefrau heiratete, nicht zuletzt wegen der öffentlichen Kontroverse um die Heirat zwischen einer Amerikanerin und einem Inder.
Dass Peggy diese Geschichte in der Presse verfolgt hatte, zeigt, wie präsent die Maharadschas in der amerikanischen Gesellschaftsberichterstattung waren. So hielt sie 1934 aufgeregt in ihrem Tagebuch fest, dass sie das Paar auf der Schiffsreise nach Afrika gesehen habe. Peggys Bericht klingt dabei selbst wie eine Klatschgeschichte von einer Society Page:
[I] was interested to find the Maharajah of Indore and his American wife, Nancy Miller, on board – and I’m afraid I rather stared at them […]. According to what was told me, his first wife, an Indian, was unfaithful to him and she and her lover escaped together. […] Then, I remember, at the time that he married this wife – a young girl from Boston […] – there was enormous publicity.
Die Maharani von Kapurthala dagegen – oder Brinda, wie Larry sie vertraulich beim Vornamen nannte – kannten die Thaws aus New York und besuchten sie auf ihrer 294Reise über den Subkontinent. Brinda Devi und ihre Schwägerin Sita machten die Verbindung zwischen den indischen Herrschern und der High Society ebenfalls augenfällig: Beide waren in Europa zur Schule gegangen, hielten sich regelmäßig in Paris auf und galten als modische Trendsetterinnen. Als die Thaws zudem den Maharadscha von Jaipur trafen, hielt Peggy in einem Brief fest: »He was very charming & we discovered many mutual acquaintances«. Bevor Larry und Peggy schließlich im Sommer 1939 aufbrachen, lernten sie den Maharadscha von Rajpipla bei einer Party in der Palm Bar des Waldorf-Astoria kennen, die eine gemeinsame Freundin der Thaws für den indischen Herrscher gab.
Larrys und Peggys Sicht auf Indien war somit doppelt vorgeprägt. Zum einen warfen die Thaws und ihr Kameramann einen amerikanisch-westlichen Blick auf den Subkontinent und zogen Verbindungen zu ihrem gewohnten Leben in Nordamerika. Zum anderen übernahmen sie die Perspektive der Gesellschaftsberichterstattung auf die Maharadschas. Beide Punkte sollen im Folgenden dargestellt werden.
In »India« verkörperten die Maharadschas Moderne und Fortschritt nach amerikanischem Maßstab. Der Film fängt das sowohl auf der Bild- als auch auf der Textebene ein und vereint Szenen von prächtigen Palästen und Ritualen, von unglaublichen Reichtümern und märchenhafter Kleidung mit Aufnahmen von Flugzeugen und schnellen Autos oder moderner Architektur; der Sprechertext verknüpft diese Bilder darüber hinaus mit Adjektiven wie »progressive«, »modern« oder »new«. Der Referenzrahmen war dabei stets Nordamerika. Nach den Aufnahmen des historischen Palastes in Jodhpur etwa steht der herrschende Maharadscha als begeisterter Pilot geradezu paradigmatisch für Fortschritt, und das nicht zuletzt, weil er ein amerikanisches Flugzeug, eine »speedy American Lucky«, fliegt (Szene 148). Wie schon in »The Great Silk Route« gibt die Filmmusik in entscheidender Weise den Deutungsrahmen vor: Während die Aufnahmen des Palastes mit lieblicher Streichermusik unterlegt sind, werden die Klänge in der anschließenden Szene mit dem Flugzeug schneller und kräftiger.
Szene 148 »India«, Margaret und Lawrence Thaw, 1940, 82 Min., Imperial War Museum.