1733. Palm Beach und die Karibik

3.1. Palm Beach – High Society »Among the Palms«

»Among the Palms« – unter diesem Titel erschien die Society-Kolumne des Palm Beach Life Magazine von 1907 bis in die 1950er Jahre. Mit den Palm Beach Daily News gab eine Tageszeitung das Magazin heraus, die wiederum dem Standard Oil-Partner und Begründer der Florida East Coast Railway, Henry Morrison Flagler (1830-1913), gehörte.[1] Flagler baute nicht nur die Eisenbahnlinie nach Palm Beach aus, sodass es für die reichen Ostküstenbewohner/innen einfacher zu erreichen war. Er trug auch wesentlich dazu bei, die Insel als Resort-Hotspot für die Wintermonate zu etablieren, indem er dort selbst zwei riesige Luxushotels errichtete. Im 1894 eröffneten Royal Poinciana befand sich passenderweise auch das Büro von Palm Beach Life.[2]

Die Insel Palm Beach gehört zum Bundesstaat Florida und ist dem auf dem Festland liegenden West Palm Beach im Atlantik vorgelagert. Von West Palm Beach trennt sie die Lake Worth Lagune, an ihrer Ostseite beginnt das Meer. Palm Beach ist rund 29 Kilometer lang und bis zu 1,2 Kilometer breit. Damit entsprach es – räumlich gesehen – ungefähr dem Teil Manhattans, den Eve Brown für sozial bedeutend hielt. Sein tropisches Klima machte es um die Jahrhundertwende zur beliebten Winterkolonie der reichen Ostküstenbewohner/innen, und ein Aufenthalt im ­Februar war in den folgenden dreißig Jahren verpflichtender Bestandteil des social calendar.[3] Die Geschichte von Palm Beach ist somit eng mit der High Society verknüpft. Nicht zuletzt Flaglers Beispiel führt zudem die räumliche und personelle Nähe von Hotelbesitzer/inne/n, Massenmedien und Urlauber/inne/n vor Augen. Die historische Forschung hat sich bisher allerdings nur wenig für die Insel interessiert. Die überwiegend populärwissenschaftlichen Arbeiten konzentrieren sich auf 174die Biografien charismatischer Bauherren wie Flagler oder Paris Singer und auf prominente Architekten wie Addison Mizner oder legen den Fokus ausschließlich auf den charakteristischen Neorenaissancebaustil der 1910er und 1920er Jahre.[4] Dagegen hat der Journalist Augustus Mayhew in mehreren Essays zumindest angedeutet, wie eine vielschichtigere Geschichte der Stadt aussehen könnte, die ihre räumliche Dimension und breitere gesellschaftliche Entwicklungen gemeinsam in den Blick nimmt.[5]

Die Thaws fuhren in den 1920er und 1930er Jahren regelmäßig für drei bis vier Wochen nach Palm Beach. Zu diesen Aufenthalten existieren vier Filme – von 1925 (20 Minuten), 1926 (13 Minuten), 1928 (16 Minuten) und 1930 (11 Minuten); 1932 machte das Paar außerdem eine Karibikkreuzfahrt, die in Palm Beach endete ­(»A Caribbean Cruise«, 31 Minuten). Das Schicksal der Insel war aber nicht nur während Larrys und Peggys zahlreichen Winterurlauben mit dem Leben des Paares verflochten, die medialen Karrieren der Thaws und die Beliebtheit der Insel bei der High Society fanden auch jeweils in den frühen 1940er Jahren ungefähr gleichzeitig ein Ende. Im Folgenden soll erstens Palm Beachs besondere räumliche Gestaltung beleuchtet werden: ein Ensemble von Innenräumen aus exklusiven Hotels, Strandabschnitten und Privatvillen. Dieses thematisierten die Thaws zweitens in ihren Filmen und verknüpften es visuell mit einer ganz bestimmten Aktivität – der Arbeit am Körper. Von den Palm Beach-Filmen unterscheidet sich schließlich drittens der Karibikfilm deutlich. Hier konstruierten Larry und Peggy ein Reiseziel und dessen Bewohner/innen zum ersten Mal als fremdartig.

Innenräume

Von Beginn an entwickelte sich Palm Beach zu einem äußerst exklusiven Ort. Die Insel war nur durch zwei Brücken mit dem Festland verbunden: Die North Bridge diente dem Zugverkehr sowie Fußgänger/inne/n und wurde erst 1938 durch eine vierspurige Autobrücke ersetzt. Über die zweispurige Royal Park Bridge konnten ab 1911 auch Autos die Lagune überqueren.[6] Obwohl Palm Beach und West Palm Beach 1903 gemeinsam als Stadt eingetragen wurden,[7] stand die Lake Worth-­Lagune geradezu sinnbildlich für einen sozialen Graben. Während West Palm Beach eine eigene städtische Infrastruktur entwickelte, blieb Palm Beach den Wintertourist/inn/en vorbehalten. Nur bei seltenen Gelegenheiten trafen Stadtbewohner/innen und Ur175lauber/innen aufeinander, wie dem Washington’s Day-Kostümball, der am 18. Februar Höhepunkt und Ende der Wintersaison markierte. Gerade wer sich in smarteren Kreisen bewegen konnte, vermied dieses Stelldichein allerdings, wie Nancy Randolph 1928 für die New York City News zu berichten wusste:

Any one can go to the Washington’s day ball at the Poinciana who cares to pay the $5 admission fee. And every one does. Society mingles with the mere possessors of wealth, and, with the great-eyed townsfolk who come from West Palm Beach in order to stare at Mrs. Edward T. Stotesbury and possibly have a chance to test Mrs. E. F. Hutton’s composure by bunking into her. It’s a much different matter at the lovely, sprawling group of buildings at the far end of the lake trail. There only the members and their guests may attend in costume, and the exclusive semi-Bohemianism of Palm Beach is much in evidence.[8]

Insbesondere während des Baubooms der 1920er Jahre entstand eine Reihe weiterer Hotels und Clubs, wie der Bath and Tennis Club, der Oasis Club oder der Gulf Stream Golf Club, die ihren Besucher/inne/n von der Außenwelt abgeschirmte Parkanlagen, Schwimmbecken, Tennis- und Golfplätze und oft auch ganze Strandabschnitte boten.[9] Eine Mitgliedschaft im Bath and Tennis Club kostete etwa 1932 für ein Jahr 376,50 Dollar (heute rund 6.600 Dollar), worin immerhin die Miete für ein Strandhäuschen enthalten war.[10] Unter diesen Etablissements ragte jedoch der Everglades Club hervor, den Paris Singer, Sohn des Nähmaschinenmagnaten Isaac Singer, gemeinsam mit dem Architekten Addison Mizner 1918 gegründet hatte. In der Mitte der Insel gelegen, bildete sein 24 Hektar großer Golfplatz gewissermaßen das Herz176stück von Palm Beach.[11] Bevor der Club 1924 an eine Eigentümergemeinschaft überging, verlängerte Singer die exklusiven Mitgliedschaften jedes Jahr persönlich aufs Neue.[12] Zusätzlich zur Hotel- und Club-Infrastruktur entwickelte sich die Worth Avenue in der Mitte der Insel zu einer schicken Einkaufsmeile, auf der sich Ableger von Fifth Avenue-Geschäften wie Saks oder Helena Rubinstein aneinander reihten.[13] Wer also Kleidung und Luxusartikel erwerben wollte, musste Palm Beach gar nicht erstverlassen.

 

Abb. 31 Luftaufnahme von Palm Beach, Google Maps, 16.1.2019. 

 

Abb. 32 The Breakers Hotel, Palm Beach 1928, Historical Society of Palm Beach County,  http://hspbc.pastperfectonline.com/photo/921351CE-E9B3-4439-8C40-353141424950.

 

Abb. 32 von 1928 zeigt die Hotels The Breakers – am unteren Bildrand mit Schwimmbad (links vom Hauptgebäude) und der Strandanlage mit Strandhäuschen – sowie gegenüber am oberen Bildrand das langgestreckte Royal Poinciana. Links daneben befindet sich Flaglers Villa Whitehall, die nach dem Tod seiner Frau ebenfalls zu einem Hotel umfunktioniert wurde. Hier wird wie auch auf Abb.  31 deutlich, wie schmal die Insel selbst an ihrer breitesten Stelle ist und wie stark die Hotelbauten Palm Beach dominierten.

Neben den Hotel- und Clubgästen bevölkerten im Januar und Februar zudem die Besitzer/innen von prunkvollen Villen die Insel. Wie die Hotels und Clubs trugen die Anlagen dem guten Wetter Rechnung und gliederten sich um Patios, Terrassen, Loggien, Schwimmbecken und Tennisplätze. Dabei integrierten sie die inseltypische 177Landschaft und Flora in große Gartenanlagen, Palmenhaine und Grundstücke mit Meerzugang. Wie bei den Hotels setzte sich auch hier in den 1910er und 1920er Jahren ein für Palm Beach charakteristischer eklektischer Stil durch, der Elemente aus der italienischen und spanischen Renaissance, der venezianischen Gotik und dem Beaux-Arts-Stil mit Versatzstücken aus der maurischen Architektur verband.[14] Die 1926 von Addison Mizner entworfene Casa Nana ist mit ihrem offenen Treppenhausturm, ihren Säulengängen, der großen Terrasse und den Gartenanlagen ein gutes Beispiel dafür (Abb. 33).

Abb. 33 Casa Nana, General Collection, State Library & Archives of Florida, Image Number: No36638, https://www.floridamemory.com/items/show/145933, No36643 https://www.floridamemory.com/items/show/145938.

 

Dieser besondere Architekturstil griff das von der Tourismusindustrie entworfene Image Floridas als einer halb-tropischen Region auf, das es von den anderen Südstaaten unterscheiden sollte. Henry Knight zufolge verwies dieses Label einerseits auf das gute Wetter, die fruchtbare Landschaft und die spektakuäre Natur der Tropen.[15] So vereinten auch der Orange Garden, ein großer Patio im Everglades Club, oder der Coconut Grove Tea Garden im Royal Poinciana in ihren Namen Partys unter freiem Himmel mit tropischen Früchten. Andererseits milderte semi-tropical zugleich Assoziationen mit gefährlichen Krankheiten und rückständigen Gesellschaften ab, war Florida doch eben nicht wirklich tropisch, sondern verband – zumindest dem Label nach – das Beste aus zwei Welten.[16] So verorteten auch die europäischen Bauelemente das sorgenfreie Leben unter Palmen in einem zivilisierten und kultivierten Kontext.

Zwei Punkte sind mit Blick auf die räumliche Gestaltung Palm Beachs und das Verhältnis von High Society und Massenmedien besonders wichtig. Erstens hatten hier Journalist/inn/en wie in New York Zugang zu den Hotels und Clubs, die Bezie178hungen zwischen High Society und Massenmedien schlugen sich räumlich allerdings noch sichtbarer nieder. Beispielsweise zierte die Society Page der Palm Beach Post in den 1920er Jahren die Fassade des Everglades Club oder, wie in diesem Beispiel vom 14. Februar 1921, des Royal Poinciana (Abb. 34). Die Hotels und Clubs standen hier sinnbildlich für die High Society.

Abb. 34 Palm Beach Post, 14.2.1921, S. 4.

 

Darüber hinaus widmete die Society Page den Hotels und Clubs eigene Rubriken, wie oben rechts auf der Seite ebenfalls gut zu sehen ist. Und schließlich befand sich nicht nur das Büro des Palm Beach Life Magazine im Royal Poinciana. Ein Informationskästchen auf der Society Page der Palm Beach Post (hier in der Mitte unter dem Bild) informierte regelmäßig: »The Poinciana, Room 861, Phone 1020. Miss Phillips may be reached early morning or between 6 and 7 p. m. on the telephone or any notes may be addressed to her, care of The Poinciana […]. All news of the Palm Beach colony will be acceptable and contributions will receive special attention.«[17] Die Stellung der Journalist/inn/en als Insider/innen hatte sich in Palm Beach somit nicht nur verräumlicht, sondern auch institutionalisiert.

Zweitens schuf sich die High Society mit ihren Villen aber Refugien, zu denen sie den Journalist/inn/en nur selten Einlass gewährte. Die Artikel auf den Society Pages berichten stets über die Amüsements in den Hotels und Clubs, dagegen aber kaum von Partys in den Privathäusern. Auf Palm Beach scheint die High Society größeren Wert auf eine intakte Privatsphäre gelegt zu haben als in der Ostküstenmetropole. Das wurde etwa besonders deutlich, als sich die Villenbesitzer/innen im Nordteil der Insel nach einem verheerenden Hurrikan 1928 dafür einsetzten, die schwer beschädigte Küstenstraße, den North Ocean Boulevard, nicht wieder instandsetzen zu lassen. Zugunsten der Abgeschiedenheit verzichteten sie auf die Annehmlichkeit 179der großen Straße, die an ihren Grundstücken entlang verlaufen war, und nahmen mit kleinen Zufahrtssträßchen vorlieb.[18]

Palm Beach, so lässt sich festhalten, setzte sich in den 1920er und 1930er Jahren aus einem Ensemble von ineinander verschachtelten Innenräumen zusammen. Damit sind weder ausschließlich Gebäude und erst recht keine Zimmer gemeint. Von der Insel selbst über die Hotels, Clubs, Strandabschnitte, Golfplätze und Privatvillen bot sie der High Society eine Reihe von abgeschlossenen Settings, die über die Abgrenzung nach außen zusammengehalten wurden.[19] Bis zu einem gewissem Grad waren Vertreter/innen der Medien fester Bestandteil dieser Innenräume, der Palm Beach-Aufenthalt eignete sich somit ausgezeichnet dazu, an der eigenen medialen Sichtbarkeit zu arbeiten. Dennoch unterschied sich Palm Beach von Manhattan, wo es immerhin jeder/m offenstand, die Fifth Avenue entlang zu bummeln, während man für die Worth Avenue zuerst die Lake Worth-Lagune überqueren musste. Gleichermaßen stellten auch die restriktive Mitgliederpolitik der Strandclubs sowie insbesondere die Jahresbeiträge eine höhere Schwelle dar als beispielsweise eine Eintrittskarte im El Morocco. Die Privatvillen schließlich boten vollkommen abgesonderte Rückzugsorte. Im Gegensatz zu New York löste sich Exklusivität in Palm Beach nicht in einem symbolischen Wert auf, sondern meinte nach wie vor räumlichen und sozialen Ausschluss – oder in diesem Kontext treffender: Einschluss. ›In‹ zu sein bedeutete hier tatsächlich auch, sich in den Innenräumen der Insel aufzuhalten. Die Filme der Thaws griffen die besondere räumliche Gestaltung Palm Beachs auf und verknüpften sie mit einer ganz spezifischen Aktivität: der Arbeit am Körper.

Arbeit am Körper

Bereits vor seiner Hochzeit fuhr Larry als junger Mann im Winter nach Palm Beach und stieg regelmäßig im Royal Poinciana ab.[20] Ab 1924 verbrachten die Thaws dann gemeinsam den Februar auf der Insel. Wie schon von Flagler vorgesehen, reisten sie jedes Jahr in einem der schicken Pullman-Züge aus New York an. In Palm Beach wohnten sie zumeist wahlweise bei ihren Freunden Ruth und Horace Work in deren Villa El Cabana, bei Jules Bache in dessen Villa La Colmena, bei den Stehlis in der Villa Bellaria oder sie mieteten ein Gästehaus auf dem Gelände des Everglades Club. Nicht nur in Letzterem waren die Thaws Mitglieder, sondern unter anderem auch im Bath and Tennis Club oder im Sun and Surf Club. Im Gegensatz zu den Europareisen befanden sich Larry und Peggy hier stets in Gesellschaft ihrer Gastgeber/innen und einer Gruppe von New Yorker Freund/inn/en.

180Mit Ausnahme der Karibikreise unterscheiden sich die Palm Beach-Aufnahmen mit Blick auf Länge und Inhalt deutlich von den Europafilmen. Die Palm Beach-Filme sind alle recht kurz, vergleichsweise spärlich mit Texttafeln versehen und folgen keiner erkennbaren narrativen Linie wie etwa der Chronologie oder Route einer Reise. Auch wenn Larry und Peggy in Palm Beach weiterhin Hotels, Essen und Alkohol konsumierten und Peggy in ihrem Tagebuch von Einkaufstouren berichtete,[21] spielen Konsumpraktiken in den Filmen nur noch eine untergeordnete Rolle. Nun ging es nicht mehr darum, die spezifische Körperlichkeit des Konsumierens zu visualisieren, die Produkte und Dienstleistungen in den Vordergrund rückte. Die Palm Beach-Filme machen den Körper selbst zur Hauptattraktion. Hier bräunten die Thaws demonstrativ ihre Haut in der Sonne, pflegten sich mit Cremes und stählten ihre Muskeln mit Sportübungen. Auf diese Weise arbeiteten sie freilich auch in New York oder Europa an ihren Körpern; was dort aber nicht vor ­einem Publikum oder für die Kamera gemacht werden konnte, durfte in den Innenräumen von Palm Beach vorgeführt werden.[22] Indem es in den Filmen zudem kein zeitliches und räumliches Vorher und Nachher gibt, sondern die Szenen gleichzeitig nebeneinander stehen, rückt der Körper in Aktion umso prominenter ins Zentrum der Aufnahmen. Bereits der erste Film von 1925 gibt einen Einblick in eine Reihe von Bewegungsabläufen wie Baden am Breakers Beach und Schwimmen im Breakers-Pool, Tanzen (vermutlich im Orange Court), Tennisspielen und Sonnenbaden (Szene 59).

Szene 59 [»Palm Beach«], Margaret und Lawrence Thaw, 1925, 20 Min., Privatbesitz.

 

Den spezifischen Zusammenhang von Raum und Körperpraktiken erhellen auch die ersten Seiten des Bildbandes Palm Beach Villas von 1934 (Abb. 35).[23] Das Buch stellte Villen der Winterkolonie mit jeweils zwei bis vier Fotografien von Fassaden, Gartenanlagen und Innenräumen vor und gab Auskunft über Besitzer/innen und Adressen. Die gezeichneten Titelseiten zielten allerdings nicht auf die Domizile ab, sondern verwoben Darstellungen vom Golf- und Tennisspielen, Schwimmen und Sonnenbaden mit Bildern von Palmen, Gärten, Strand- und Poolansichten sowie der charakteristischen Fassade des Hotels The Breakers.

Abb. 35 Schmuckseiten Einbandinnenseite, abgedr. in: Oscar G. Davies (Hg.), Palm Beach Villas Vol. II, Palm Beach 1934.

 

Mit ihren Palm Beach-Filmen befanden sich Larry und Peggy damit ganz auf der Höhe ihrer Zeit: Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert breitete sich in den USA eine klassen- und zunehmend auch geschlechterübergreifende Sportbegeisterung aus, die sowohl die Aktivität als auch die Zuschauerrolle umfasste. Gerade in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren körperliche Leistung und sportlicher Erfolg aufs Engste mit Fragen der Reproduktion und Gesundheit einer Nation oder Ethnie verknüpft. Insbesondere die jüngere sporthistorische Forschung weist daher auf den Konnex von Praktiken der Selbstführung und staatlicher Bevöl181kerungspolitik hin.[24] So betont Olaf Stieglitz: »Modern sport […] advanced the ›truth‹ of social stratification and hierarchy, for it actively linked performance and success to bodily attributes.«[25] Mit Blick auf die High Society – wie auch auf Hollywood – zeigt sich, dass die Massenmedien hier als Verstärker funktionierten. Ein schöner und athletischer (weißer) Körper stellte vor allem für Frauen ein wichtiges Zugangskriterium zur High Society dar, sodass der Eindruck entstehen konnte: Wer sich dem eigenen Körper widmete, arbeitete damit zugleich am sozialen Aufstieg.[26]

182In ihren Filmen machten die Thaws selbst Sport, gaben sich aber auch als begeisterte Zuschauer von sportlichen Großereignissen zu erkennen. So filmte Larry beispielsweise ein Polospiel, ein Pferderennen und einen Boxkampf; Letzterer fand im Pine Needle Court des Oasis Club statt und stellt die längste Szene dar (Szene 60).[27]

Szene 60 [»Palm Beach«], Margaret und Lawrence Thaw, 1928, 16 Min., Privatbesitz.

 

Mit diesen Bildern präsentierten sich Larry und Peggy als moderne und fortschrittliche Sportfans und das nicht zuletzt, weil die Verbreitung und Aufführung von Boxfilmen zu dieser Zeit in den USA äußerst restriktiv geregelt war. Von 1915 bis 1940 war es verboten, dokumentarische Aufnahmen von Preisboxkämpfen über die Grenzen der einzelnen Bundesstaaten hinaus zu verbreiten. Dieser Bann zielte auf die Darstellung von Gewalt ab und sollte gleichermaßen verhindern, dass die Siege afroamerikanischer Boxer wie etwa Jack Johnson über ihre weißen Kontrahenten filmisch festgehalten wurden.[28] Dennoch entstand rasch ein Schwarzmarkt für die Filmrollen, der ab den späten 1920er Jahren besonders aufblühte und die Begeisterung für diese Sportart reflektierte.[29]

Interessanterweise konzentrierte sich Larry aber nicht nur auf den Ring, sondern auch auf das architektonische Ensemble, die Gartenanlage und die umlaufenden Balkone, sodass er den Raum und den sportlichen Wettkampf visuell verknüpfte. Anstatt der Dramaturgie des Kampfes zu folgen und vor allem den Sieg zu filmen, ging es Larry offenbar darum, den sportlichen Wettbewerb im Wechselspiel mit dem Austragungsort und dem Publikum zu zeigen. So schwenkt der Blick der Kamera immer wieder auf die Zuschauer/innen, deren Hinterköpfe auf den Plätzen vor Larry auftauchen. Zweimal verschiebt sich der Fokus sogar ganz vom Ring auf die Personen in den vorderen Reihen. Mit diesen Aufnahmen verortete sich Larry selbst im Publikum; zugleich konstituierte er nicht nur den Boxkampf als Hauptattraktion, sondern auch die anwesenden Mitglieder der High Society. Damit löste er die Trennung zwischen Sportlern und Zuschauer/inne/n auf und machte die High Society ebenfalls zum sehenswerten Ereignis. Noch einen Schritt weiter gingen Larry und andere Männer aus der High Society, wenn sie am jährlichen society baseball game auf dem zum Royal Poinciana und The Breakers gehörenden Baseballplatz teilnahmen und damit selbst als Sportler Schlagzeilen machten.[30] Auf diese Weise erhielt 183die High Society in Palm Beach eine weitere Facette, die sie mit der Unterhaltungskultur verband.

So zeigten sich die Thaws und ihre Freund/inn/e/n auch wesentlich öfter beim Sporttreiben – oder zumindest bei einem aktiven Freizeitverhalten – als beim Zuschauen. Bemerkenswerterweise machten Larry und Peggy auch in Europa Sport, erwähnten dies in ihren Filmen jedoch an keiner Stelle. Während der mehrwöchigen Aufenthalte in Dr. Denglers Sanatorium in Baden-Baden unterzogen sich beide einmal im Jahr einer Diät, absolvierten Übungen zur körperlichen Ertüchtigung und wanderten durch den Schwarzwald. Im Gegensatz zu Palm Beach ging es hierbei allerdings um die Gesundheit – oder genauer: darum, Krankheit zu vermeiden, anstatt schöne, athletische Körper zu formen und in Szene zu setzen.[31] Wichtiger noch, das Sanatorium bot nicht den richtigen Schauplatz, um körperliche Fitness und Freizeitvergnügen zu visualisieren. Hier dominierten alte und gebrechliche Körper das Bild. Peggy hielt etwa 1933 in ihrem Tagebuch fest: »My first day at Dr. Dengler’s Sanatorium at Baden. Very blue. It looks incredibly dull. Lines of old ladies sitting alone at small tables!! If it makes me strong thou’ I don’t care.«[32] Mit Blick auf ihren übergewichtigen Ehemann hoffte Peggy zudem nicht einmal auf eine physische Veränderung; im Sanatorium dachte sie vielmehr an Larrys Charakter: »Larry not very pleasant. I am so hopeful the cure will improve him.«[33]

Dagegen bot das Ensemble von Innenräumen in Palm Beach den geeigneten Rahmen, um Sport, schöne Körper und ein vergnügliches Beisammensein mit Freund/inn/en zu zeigen. Dabei dominierten in den Filmen diejenigen Aktivitäten, bei denen der Körper am besten zur Geltung kam: Kraft- und Gymnastikübungen, Wassersport und Sonnenbaden. Gemein war diesen Körperpraktiken, dass sie – ganz wie es die Titelseiten von Physical Culture propagierten – mit einem Minimum an Bekleidung durchgeführt wurden.[34] So trugen die Männer beim Baden in den Strandclubs wie dem Browning Club 1926 kurze Badehosen ohne Leibchen, während die Frauen viel Bein preisgaben, worauf der Blick der Kamera mit einem Schwenk nach unten ein besonderes Augenmerk legt (Szene 61). Während Peggy zudem in Europa nie in einem nassen Badeanzug zu sehen war, präsentieren die Palm Beach-Filme zahlreiche triefende Körper, die zum einen auf den Schwimmsport verwiesen, zum anderen aber vor allem die Figur unter dem feuchten Stoff besonders sichtbar machen.[35]

Szene 61 [»Palm Beach«], Margaret und Lawrence Thaw, 1926, 13 Min., Privatbesitz.

 

184Im geschützten Garten einer Villa (vermutlich der Stehlis oder der Works) ließ die Gruppe 1930 schließlich beinah alle Hüllen fallen. Dabei nehmen die Aufnahmen mit ihren weiten Einstellungen und langen Schwenks über das Anwesen auch das räumliche Setting als Rahmen der sportlichen Aufführungen in den Blick (Szene  62). Tennisspielen kommt in den Palm Beach-Filmen dagegen recht selten vor und passte offensichtlich besser in den Europakontext, wohl nicht zuletzt wegen der besonderen Kleidung. Darüber hinaus enthalten die Palm Beach-Filme auch nur eine Szene auf einem der berühmten Golfplätze.

Szene 62 [»Palm Beach«], 1930, Margaret und Lawrence Thaw, 1930, 11 Min., Imperial War Museum.

 

Auffällig ist, dass die Sportszenen deutliche Geschlechtsunterschiede in den Bewegungsabläufen hervorbrachten. Machten die Männer im Film Sport, trainierten sie in einer Gruppe und benutzten stets einen Gymnastikball als Hilfsmittel. Hier ging es vor allem darum, den offensichtlich schweren Gegenstand zu beherrschen, der die Bewegungen des Ablaufs bestimmte: Larry musste das Gewicht des Balls beim Fangen abfedern und in die Knie gehen oder im Oberkörper rotieren (Szenen 63, 64). Das Werfen erforderte eine abrupte Streckung der Arme. Der Fokus der Übung lag auf dem Oberkörper und trainierte die Brust-, Bauch- und Armmuskulatur. Um sein Können unter Beweis zu stellen, gab Larry sogar für eine Einstellung die Kamera ab. Mit dem Text »The daily dozen« suggerierte er schließlich im fertigen Film, regelmäßig Sport zu treiben; seine etwas rundlichere Figur unterschied ihn allerdings von seinen schlanken und athletischen Mitspielern und wirft die Frage auf, ob Larry sich hier nur für den Film inszenierte. Die anspruchsvollere Version der Übung im Liegen mit angehobenen Beinen filmte er denn auch, anstatt sie selbst vorzuführen.

Szene 63  [»Palm Beach«], Margaret und Lawrence Thaw, 1926, 13 Min., Privatbesitz.

 

Szene 64 [»Palm Beach«], Margaret und Lawrence Thaw, 1928, 16 Min., Privatbesitz.

 

Peggy konzentrierte sich dagegen bei ihren eher gymnastisch ausgerichteten Bewegungsabläufen auf den ganzen Körper. Für den Film führte sie vier Übungen vor, die Larry in zwei Einstellungen drehte (Szene 65).

Szene 65 [»Palm Beach«], 1930, Margaret und Lawrence Thaw, 1930, 11 Min., Imperial War Museum.

 

Peggys Bewegungen sind dynamisch und scheinen auf körperliche Flexibilität abzuzielen. Dabei wendet sie sich nacheinander einzelnen Körperbereichen und Muskelgruppen zu und arbeitet sich von den Beinen über die Taille zu Armen und Schultern hoch. Sieht man zudem genauer auf Peggys Badeanzug, fällt auf, dass er nicht nur knapp geschnitten ist. Sogar Farbwahl und Muster erwecken den Eindruck, noch mehr unbedeckte Haut preiszugeben. Die weißen Träger sind teilweise kaum sichtbar, sodass Peggys Schultern nackt wirken, das helle Muster auf Brust und Rücken ahmt darüber hinaus tiefe Ausschnitte nach.

»Der Körper«, so betont der Medienwissenschaftler Erhard Schüttpelz, »wird seinem Gebrauch angepasst, und dieser Gebrauch ist ein sozial vorgeschriebener 185Gebrauch«.[36] Larry und Peggy arbeiteten nicht an ihren Körpern, um dann eine bestimmte Leistung mit ihnen vollbringen zu können. Der Gebrauch ihrer Körper in Palm Beach war die Arbeit an eben diesen. Zugleich illustrieren die Aufnahmen, dass es in der High Society nicht nur wichtig war, einen schönen Körper zu haben, man musste auch wissen – und zeigen können –, wie man einen solchen bekam. Bei der Gymnastik wie dem ­Ballspiel handelte es sich also um ein »vor­gezeigtes Wissen«, eine »performed knowledge«,[37] die maßgeblich »visuell verfasst«[38] war. So konstatierte bereits Marcel Mauss in den 1930er Jahren einen Zusammenhang zwischen den von ihm beschriebenen Körpertechniken und dem Kino.[39]

Abb. 36 Sportübung, abgedr. in: Barbara Burns, Exercising for Beauty. Physical Culture 52 (1924), S. 45-47, S. 46.

 

Betrachtet man andere zeitgenössische Quellen, wird deutlich, wie verbreitet diese Bilder in den 1920er und 1930er Jahren waren und wie sie sich gegenseitig zitierten. Eine ganz ähnliche Übung wie Peggy sie machte, findet sich etwa in ­einem Physical Culture-Artikel von 1924 (Abb. 36). Unter dem Titel: »Exercising for Beauty« berichtet die – in ihrer eigenen Erzählung – ehemals unattraktive Autorin von ihrer Erfolgsgeschichte:

Like most women, I was inclined to take on flesh around the waist and hips. The exercises which helped me most to overcome this fault were those which required me to stoop or bend over at the waist. […] I practised these exercises religiously and was repaid by the result of seeing the flesh roll away.[40]

186Damit definierte der Artikel weibliche ›Problem‹-Zonen und empfahl, sich diesen isoliert zuzuwenden. Zugleich brachte er den Zusammenhang von Disziplin, Eigenverantwortung und Schönheit eindrücklich auf den Punkt und eröffnete eine positive Perspektive auf körperliche Selbstoptimierung.[41] Dass ein schöner Körper sozialen Aufstieg begründen konnte und kein reiner Selbstzweck war, betont darüber hinaus ein Artikel im Life Magazine von 1936 über den Presseagenten Stephen Hannagan. Dieser ließ in Miami Beach junge Frauen im Badeanzug fotografieren und verkaufte die Bilder dann an amerikanische Zeitungen.[42] Die Kombination aus Medialisierung und schönem (nacktem) Körper war, so der Artikel, ein sicheres Karrieresprungbrett für die jungen Frauen, wie etwa für Betty Cook, »the most photographed girl in Miami Beach«:

She is 20, weighs 115 Ibs. Three years ago she was a high school girl when Press Agent Hannagan spotted her, put her in a rubber bathing suit, broadcast her picture to the press. Like many another fine-looking Hannagan model she later turned professional, now she […] fetches $10 an hour for posing for advertisements and commercial publicity.[43]

Indem der Artikel zuerst Betty Cooks Alter und Gewicht nannte, machte er ihren Körper zur Grundlage ihres nicht zuletzt finanziellen Erfolgs und verwies zugleich implizit auf dessen Nachahmbarkeit. Hier kamen wiederum Magazine wie Physical Culture ins Spiel, die die entsprechenden Sportübungen vermittelten, mit denen man diesen Erfolgskörper erreichen konnte. Physical Culture freilich wendete sich eher an Mittelklassepublika. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass Peggy die Übungen nicht aus dieser Publikation kannte, sondern aus einem New Yorker Schönheitssalon, wie ihn auch »The Women« thematisiert.

In der entsprechenden Szene absolviert eine der Protagonistinnen, Sylvia, ihr Sportprogramm (Szene 66). Dabei wird auch der zwanghafte Charakter deutlich, der mit der Arbeit am Körper einhergehen konnte, und die damit verbundene geschlechtsspezifische Asymmetrie, etwa wenn Sylvia schimpft: »Ohh … What I go through to keep my figure and do I see red when some fat, lazy, dinner partner says: ›What do you do with yourself all day Mrs. Fowler?‹«

Szene 66 »The Women«, R: George Cukor, USA 1939, 133 Min., Warner Brothers.

 

Dieses ungleiche Verhältnis spiegelt sich auch bei den Thaws wider: Während die Amateurfilme von den frühen 1920er Jahren bis in die 1930er Jahre zeigen, wie Peggy immer schlanker wurde, gilt für Larry das Gegenteil. Verfolgte Peggy in New York ihr Fitnessprogramm und die Entwicklung ihrer Figur aber mit großer Besorgnis, hatte die Arbeit am Körper in Palm Beach auch eine spielerische Freizeitkompo187nente. Diese fingen die Badeszenen der Frauen besonders gut ein. In ihnen sieht man Peggy und ihre Freundinnen im Wasser nie beim Schwimmen, stattdessen planschen sie lachend und lassen sich auf dem Rücken treiben. Bemerkenswerterweise scheint Peggy hier gar keinen Badeanzug zu tragen. Verschmitzt lächelnd bedeckt sie mit den Armen ihre Brüste, wendet sich der Kamera zu und dreht sich wieder weg (Szene 67). Zeitgenössische Bilder von schwimmenden Frauen oder Werbung für Bademode sexualisierten den weiblichen Körper zwar oftmals,[44] diese extreme Freizügigkeit war allerdings nur in den Innenräumen von Palm Beach möglich.

Szene 67 [»Palm Beach«], 1930, Margaret und Lawrence Thaw, 1930, 11 Min., Imperial War Museum.

 

Die Männer dagegen haben in den Filmen meist einen Auftritt beim Kraulen, also bei der Sportart, die Körperbeherrschung, Schnelligkeit und Modernität schlechthin symbolisierte.[45] Dabei kamen Körper und Schwimmstil allerdings kaum zur Geltung, fand doch alles größtenteils unter Wasser und mit großer Geschwindigkeit statt (Szene 68).

Szene 68 [»Palm Beach«], Margaret und Lawrence Thaw, 1928, 16 Min., Privatbesitz.

 

Dass eine der Kraulszenen durch den Titel »Finally learning how to swim« eingeleitet wird, ist nicht verwunderlich – alles außer dem Kraulstil galt gar nicht als Schwimmen. Es liegt auf der Hand, dass diese besondere Art der Fortbewegung erst erlernt werden musste. Doch auch das spielerische Baden der Frauen war keineswegs ein natürliches Verhalten, sondern eine angeeignete Praktik, die die Körper als weiblich kennzeichnete (Szene 69). Im Gegensatz zu den bewusst vorgeführten Übungen handelte es sich hier um ein implizites »›eingekörperte[s]‹ Wissen«,[46] das in scheinbar selbstverständlichen Bewegungen zum Ausdruck kam.

Szene 69 [»Palm Beach«], 1930, Margaret und Lawrence Thaw, 1930, 11 Min., Imperial War Museum.

 

Einen wohlgeformten athletischen Körper zu haben, war für die High Society von besonderer Bedeutung. Allerdings lag der Fokus nicht ausschließlich darauf, die Technik einer bestimmten Sportart zu beherrschen. Zugleich musste man wissen, wie man den Körper einsetzte, um demonstrativ Spaß zu haben.[47] Sport in Palm Beach unterschied sich für die High Society in dieser Hinsicht nicht von einer Party in New York. So boten die Frauen im Wasser eine wesentlich amüsantere (und erotischere) Handlung für die Kamera als ihre männlichen Gegenparts, wobei ihre Bewegungen merklich an das Posieren für Fotografien erinnern. Und nicht zuletzt er188möglichte es erst die Rückenlage im Wasser, den ganzen Körper zu präsentieren, anstatt wie beim Kraulen nur Kopf, Arme und Beine zu zeigen.[48]

Die Diskrepanz zwischen der new woman einerseits, die besonderen Ausdruck im Bild der Schwimmerin fand, und Peggy als Repräsentantin der High Society andererseits schien also nicht nur am Strand in Europa auf, sondern trat auch in Palm Beach zutage. Tatsächlich präsentierte die High Society eine Form von Weiblichkeit, die sich in einigen Aspekten mit der new woman deckte. Eine Physis und Ausdrucksform, die gleichermaßen sportliche wie gesellschaftliche Hürden überwand, zählte jedoch nicht dazu. (Mediale) Sichtbarkeit und Unabhängigkeit mussten sich die High Society-Frauen schließlich nicht mehr erkämpfen.

Die Arbeit am Körper endete allerdings nicht mit dem Muskelaufbau, die Bemühungen ersteckten sich ebenso auf die Haut. Gemäß der neuesten Mode setzten sich die Thaws und ihre Freund/inn/e/n der Sonne aus, um sich zu bräunen und dabei mit Hautcremes zu pflegen. Galt im Gilded Age noch ein weißer, zarter Teint als schön und aristokratisch, sodass der Körper vor der Sonne geschützt werden musste, verkehrte sich dieser Trend in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in sein Gegenteil: Die ehemals ›vornehme Blässe‹ galt nun analog zum machtlosen Adel in Europa bzw. der unbeliebten Upper Class in den USA als ein Zeichen für Krankheit, Dekadenz und moralischen Verfall.[49] Sonnengebräunte Körper verwiesen dagegen nicht mehr auf Feldarbeit, sondern standen für Freizeit und Gesundheit. Damit etablierte sich auch die Praxis des Sonnenbadens, der sich wiederum die Bademode anpasste. Badeanzüge sollten mehr Bewegungsspielraum gewähren und zugleich auch möglichst viel Haut unbedeckt lassen.[50] Sogenannte Miss Suntan-Schönheitswettbewerbe etwa in den Casinos an der Riviera machten darüber hinaus noch einmal augenfällig, wie eng der Körper mit sozialem Aufstieg verknüpft und wie wichtig die Arbeit am Körper war.[51] Sonnenbaden und Sonnenbräune entkoppelten sich so im High Society- und auch im Hollywood-Kontext zunehmend von einem Gesundheitsdiskurs, der rund um die heilende Kraft der Sonnenstrahlen und Orte wie Sanatorien kreiste.[52]

Vergleicht man die Aufnahmen von Peggy im Badeanzug in Europa mit denjenigen aus Palm Beach (Szene 70), wird ein wesentlicher Unterschied deutlich: Auf dem Lido stand der Badeanzug als Konsumgut sowie der Hotelaufenthalt, vermittelt über den Liege189stuhl, im Vordergrund, wobei sich die Szenen recht statisch gestalteten. In Florida dagegen sonnte sich Peggy geradezu aktiv. Hierzu bedurfte es weder des Sitzmöbels noch der Kleidung. Peggy zeigte sich vielmehr nur noch in ein Handtuch gewickelt und streckte den Rücken bzw. die Beine der Sonne entgegen.

Szene 70 [»Palm Beach«], 1930, Margaret und Lawrence Thaw, 1930, 11 Min., Imperial War Museum.

 

Wer sich so intensiv sonnte, musste die Haut auch regelmäßig eincremen. Dieser intime Akt der Körperpflege, der normalerweise im privaten Badezimmer oder Boudoir vollzogen wurde, konnte in Palm Beach vor den Augen anderer wie vor der Kamera vorgeführt werden. Die Nähe der Einstellung machte dabei sogar die einzelnen Handbewegungen beim Auftragen und Einreiben der Creme sichtbar, während Peggy für die Kamera offenbar besonders auffällig gestikuliert (Szene 71).

Szene 71 [»Palm Beach«], 1930, Margaret und Lawrence Thaw, 1930, 11 Min., Imperial War Museum.

 

Schließlich trat der Körper in Palm Beach nicht nur aufgrund der fehlenden Kleider in den Vordergrund, auch die vorherrschenden Modetrends auf der Insel setzten ihn in Szene: Getragen wurde Weiß, das die gebräunte Haut besonders gut zur Geltung brachte (Abb. 37).

Abb. 37 Peggy und New Yorker Freund/inn/e/n in der für Palm Beach typischen weißen Kleidung, Palm Beach 1928, Privatbesitz.

 

Während Palm Beach in den 1920er und 1930er Jahren nicht aus dem High So­ciety-Kalender wegzudenken war, begann der Stern der Insel in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg zu sinken. Zum einen löste Miami Beach die Winterkolonie ab, wofür etwa Lucius Beebe Palm Beachs unzeitgemäße architektonische Gestaltung verantwortlich machte: »Toward the end Palm Beach and its somewhat stuffier plushiness got the go-by in favor of Miami.«[53] Die rasch wachsende Metropole im Süden Floridas unterschied sich mit ihrem modernen Art déco-Baustil und dem Großstadtflair deutlich von der pompösen Neorenaissance-Villenkolonie.[54]

Darüber hinaus bevorzugten die Reichen und Schönen inzwischen Reiseziele in der Karibik wie Bermuda oder die Baha190mas. Nassau etwa, die Hauptstadt der Bahamas auf der Hauptinsel New Providence, entwickelte sich zu einem neuen High Society-Hotspot, was nicht zuletzt daran gelegen haben dürfte, dass hier Wallis Simp­son und Edward ihr Domizil aufschlugen.[55] Edward, inzwischen nur noch Duke of Edinburgh, war nämlich von 1940 bis 1945 Gouverneur der Bahamas. So verbrachten auch Larry und Peggy den März 1941 in Nassau. Peggy konnte sich mit dem neuen Urlaubsort allerdings nicht recht anfreunden. In einem Brief schrieb sie: »I hate this place and the days I must spend here stretch out like a nightmare«.[56] Larry dagegen plante eine Galavorführung des gerade fertiggestellten Indienfilms unter der Schirmherrschaft des abgedankten Königs und ließ die ganze Stadt mit Plakaten bekleben.[57] Obwohl Peggy acht Jahre zuvor das Treffen mit Edward als gesellschaftlichen Höhepunkt ihres Lebens betrachtet hatte und von dem medialen Interesse an der Filmvorführung hätte profitieren können, überlegte sie nun, Nassau vorzeitig zu verlassen.[58]

Peggys Vorbehalte gegenüber der neuen Winterkolonie lagen sicherlich auch an ihrem - im Lebenszyklus der High Society - fortgeschrittenen Alter. Mit inzwischen 39 Jahren war ihre Stellung in der High Society nicht mehr so gefestigt, die Society Pages interessierten sich bereits weniger für sie und ihre mediale Sichtbarkeit nahm ab. Das wirkte sich auch auf ihr Selbstbild aus und darauf, wie sie ihr Aussehen bewertete. In Nassau erreichten sie beispielsweise Werbefotos, die sie nach dem erfolgreichen Indienfilm für die Autofirma Studebaker aufgenommen hatte.[59] Dieses Ergebnis eines professionellen Fotoshootings hatte sie mit Spannung erwartet und gehofft, besonders vorteilhaft darauf auszusehen. Die Bilder erwiesen sich jedoch als Enttäuschung, wie sie in einem Brief berichtete: »[T]he pictures of me for Studebaker [have arrived] and I’m a little disappointed as I’d hoped it would flatter me more than it does with the make up, lights etc.«[60] In Nassau war Peggy schließlich auch nicht mehr die modische Trendsetterin von einst. Sie orientierte sich offensichtlich noch an den veralteten Palm Beach-Standards, was sie bei Abendveranstaltungen in eine unangenehme Situation brachte. In einem weiteren Brief schrieb sie: »Everyone seems to wear dark clothes in the evening […] and unfortunately I brought mostly white so I have to wear my new dark blue and the red one a lot.«[61] Peggy kannte die Regeln der neuen High Society-Generation von glamour girls und playboys offenbar nicht mehr besonders gut. So überrascht es kaum, dass sie noch vor der Filmvorführung abreiste und an eben den Ort zurückkehrte, der besser zu ihrem schwindenden High So­ciety-Status passte: Palm Beach.