662. Das Leben in der New Yorker High Society in den 1930er Jahren

»Italian lesson, walked, lunch, hairdresser. To tea at Reva’s to meet Peggy Waterbury. […] To the Philharmonic to hear Toscanini’s first concert of the season. Great ovation! Called for Larry & De L’Aigle Munds at Bache for dinner & to Embassy Club.«[1] So fasst Peggy einen typischen Tag in ihrem Leben in den frühen 1930er Jahren zusammen. Dabei wird deutlich, dass sich ein Tag in unterschiedliche Zeitabschnitte gliederte, die jeweils spezifischen Tätigkeiten vorbehalten waren, in denen man sich an bestimmten Orten aufhielt und unterschiedliche Menschen traf. Um das Leben in der High Society genauer in den Blick zu nehmen, bietet es sich also an, zu untersuchen, welchen zeitlichen Strukturen es unterworfen war, welche räumlichen Ordnungen es prägten und wie sich ihre Mitglieder zusammensetzten. Dass diese Themenkomplexe eng zusammenhängen, liegt auf der Hand. Sie getrennt voneinander zu betrachten, ermöglicht es aber, jeweils unterschiedliche Aspekte des High Society-Lebens herauszuarbeiten. Der Ablauf eines Jahres etwa gibt Aufschluss über die Bedeutung von Ritualen und Altersvorstellungen, derjenige eines Tages über vorherrschende Schönheitsideale und Körperbilder. Anhand der High Society-Räume lässt sich das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit beleuchten, während die Zusammensetzung der High Society die Relationaliät von medialer Sichtbarkeit in den Fokus rückt.

Larrys und Peggys Beispiel eröffnet eine außergewöhnliche Perspektive auf das Leben in der High Society, die sich noch mithilfe einer besonderen Quelle ergänzen lässt: Der Spielfilm »The Women« kam 1939 in die amerikanischen Kinos und basierte auf dem gleichnamigen Theaterstück von Peggys langjähriger Freundin Clare Boothe Luce, das 1936 im Ethel Barrymore Theater uraufgeführt worden war.[2] Mit einer ausschließlich weiblichen Besetzung zeigt der Film die Machtkämpfe, (gescheiterten) Freundschaften und Liebesbeziehungen innerhalb einer Gruppe von High ­Society-Frauen sowie den Einfluss der Gesellschaftsberichterstattung auf das Geschehen. Die Handlung ist schnell erzählt: Die glücklich verheiratete Mary Haines (Norma Shearer) lässt sich von ihrem Mann Stephen scheiden, nachdem sie (beim Tratsch im Schönheitssalon) von dessen Affäre mit der jungen Warenhausverkäuferin Crystal (Joan Crawford) erfahren hat. Marys Freundinnen wissen längst Bescheid und geben alles an die Presse weiter. Im Verlauf des Scheidungsverfahrens in Reno lernt Mary eine Reihe von betrogenen Ehefrauen und sozialen Aufsteigerinnen kennen, die alle einen Platz in der High Society einnehmen wollen. Am Ende des Films finden Mary und Stephen wieder zusammen, und Crystal muss zurück hinter den Verkaufstresen.

67Im Vordergrund des Films steht weniger diese recht simple Geschichte, sondern der Alltag der High Society, der im detailgenauen Setting – im Schönheitssalon, Warenhaus oder Nachtclub – und im Lebensstil der Frauen – Ausgehen, Einkaufen, Sportmachen – sichtbar wird. »The Women« illustriert das Leben in der High Society jedoch nicht einfach nur, der Film unterstreicht den wechselseitigen Austausch zwischen der High Society und den Massenmedien. Clare Boothe Luce war nicht nur Schriftstellerin und Publizistin sowie mit dem Herausgeber der Magazine Time, Life und Fortune, Henry Luce, verheiratet. Sie zählte auch selbst zu jener gesellschaftlichen Gruppe, über die sie schrieb. Somit verarbeitete sie ihre eigenen Erfahrungen, die in Form des Theaterstücks und des Films wieder zurück auf die High Society wirkten. Schließlich ist es sogar wahrscheinlich, dass Peggy Clare zu einer der Nebenrollen inspirierte, einer Freundin Marys, die regelmäßig auf Großwildjagd nach Afrika fährt.