2102.1. Historisches Setting: Zwischen Naturkundemuseum, Kino und Thomas Cook

»From Cairo to Cape« und »Black Majesty«

Vom 27. Oktober 1934 bis zum 24. April 1935 reisten Larry und Peggy von Kairo nach Kapstadt. Hauptziel des sechsmonatigen Aufenthaltes war es, auf Großwildjagd zu gehen und neben den üblichen Trophäen auch Filmmaterial zurück nach New York zu bringen. Nach Ägypten gelangte das Paar über einen Zwischenstopp in Neapel, von Kairo aus fuhr es dann rund drei Wochen lang mit dem Dampfschiff über ­Khartum und Juba durch den Sudan bis nach Butiaba in Uganda. Daran schloss sich eine Autofahrt nach Masindi an, wo die Thaws ihren professionellen white hunter Major Anderson trafen. Anderson lebte mit seiner Frau in Nairobi und bot wie viele andere Großwildjäger Jagdtrips für Tourist/inn/en als Dienstleistung an. Als Weiße befanden sich diese Männer im Gegensatz zu Einheimischen vermeintlich auf Augenhöhe mit ihrer zahlungskräftigen Klientel und organisierten die Autos, das Equipment sowie afrikanische Bedienstete.[1] Nach einer erfolglosen Elefantenjagd in 211Uganda ging es für die folgenden drei Monate nach Kenia und ins ehemalige Tanganjika[2], wo die Gruppe mit drei Autos auf der Suche nach Löwen, Elefanten, Gazellen, Giraffen und Nashörnern umherreiste. Ende Februar setzten die Thaws schließlich zu zweit über den Tanganjikasee in den früheren Belgischen Kongo nach Albertville (heute Kalemie) über, um anschließend auf einem Dampfer den Kongo entlang bis nach Elisabethville zu fahren. Mit dem Zug gelangten sie weiter zu den Viktoriafällen und – für den letzten Teil der Reise – nach Johannesburg, Durban und Kapstadt. Die Rückreise nach Amerika traten Larry und Peggy schließlich auf einem Luxusliner an, der sie über Buenos Aires, Monte Video, São Paulo und Kuba zurück nach New York brachte (Szene 81).

Szene 81 »From Cairo to Cape«, Margaret und Lawrence Thaw, 1935, 120 Min., Imperial War Museum.

 

»From Cairo to Cape« ist mit zwei Stunden der längste Film der Thaws; hier bediente Larry noch die Kamera und konzentrierte sich vor allem auf die Großwildjagd in Kenia und Tanganjika, darüber hinaus filmte er aber auch ausführlich die Schifffahrten bis Uganda. Wie in den Europafilmen rahmen die Schiffsreisen den Afrikaaufenthalt ein. Zugleich legte Larry aber verstärkt den Fokus auf Angehörige anderer Ethnien, wie er es bereits in »A Carribean Cruise« getan hatte. Noch konsequenter verfolgt »Black Majesty« diesen Zuschnitt.

 

Die zweite Afrikareise führte die Thaws vom 31. Oktober 1936 bis Anfang Mai 1937 von Algerien durch die Sahara bis an die Westküste Kameruns und von dort quer über den Kontinent bis Nairobi. Die Fahrt begann in Algier, wo Larry, Peggy und ihr Kameramann Thomas Hogan mit ihrem Equipment inklusive zweier Lastwagen und eines geländegängigeren Kleinwagens mit dem Schiff ankamen. Hier trafen sie Major Anderson und elf Kenianer, die zum Teil bereits während der ersten Großwildjagd 1934/35 für das Paar gearbeitet hatten. Die Gruppe machte sich auf den Weg durch Algerien über zahlreiche Oasenstädte wie Laghouat, El Golea und Tamarasset. Von dort aus organisierten Offiziere der französischen Fremdenlegion ein Treffen mit einer Gruppe von Tuareg und deren Herrscher, dem Amenokal Akhamouk, das Hogan nach einem gut durchdachten Drehplan filmte. In Zinder, einer Stadt in Niger (im ehemaligen Französisch-Westafrika), präsentierten sich Larry und Peggy daraufhin mit dem Sultan. Daran schloss sich ein Besuch beim Emir von Kano in Nigeria an, diesmal vermittelt durch britische Kolonialbeamte. In Garoua in Kamerun durfte der Kameramann den Harem des dortigen Sultans aufnehmen, während es in Rey Bouba eine Zeremonie mit dem ansässigen Herrscher, dem Lamido, zu filmen galt. Danach machte sich die Gruppe auf den Weg Richtung Südosten durch das einstige Französisch-Äquatorialafrika (u. a. durch Bongor und Fort Archambault – heute Sarh) und den Ituri-Regenwald im Belgischen Kongo.

212Während im ersten Teil des Films die nordafrikanischen Herrscher und ihr Hofstaat im Fokus standen, rückte in Französisch-Äquatorialafrika und im Belgischen Kongo die angebliche Rückständigkeit der Landesbewohner/innen in den Vordergrund. Die Kamera warf einen voyeuristischen Blick auf nackte Menschen oder zeigte ausführlich durch Schmuck – wie zum Beispiel sogenannte Lippenteller – modifizierte Körper. Durch Uganda ging die Reise schließlich nach Kenia, wo sie in Nairobi endete (Szene 82).

Szene 82 »Black Majesty«, Margaret und Lawrence Thaw, 1936/37, 90 Min., Imperial War Museum.

 

 

Beim ersten professionellen Film der Thaws ist es schwieriger, einen Hauptverantwortlichen zu identifizieren. Den Großteil des Materials dürfte Thomas Hogan gefilmt haben, Larry übernahm jedoch oftmals eine der anderen Kameras, ebenso wie Peggy, die bei besonders wichtigen Aufnahmen zusätzlich aushalf. Larry führte darüber hinaus Regie – wobei sich hier sicherlich auch der Kameramann einbrachte. Ebenso arbeiteten beide Männer später im Schnitt und bei der Vertonung zusammen. Da Larry jedoch die Reiseroute und die Drehs vorher plante, den Kameramann anstellte und das Projekt finanzierte, kann man durchaus davon ausgehen, dass der fertige Film seinen Vorstellungen entsprach. Peggys Reisetagebuch belegt, dass sie sich für die Konzeption der Drehs nicht besonders interessierte. Dennoch spielte sie ihre Rolle und wirkte bei den späteren Filmvorführungen, Vorträgen und Zeitungsartikeln mit, sodass die Afrikafilme ebenso ihr Projekt wie das ihres Mannes waren.

Einerseits unterscheiden sich beide Afrikafilme ästhetisch voneinander, machte Thomas Hogan doch viel ausgewogenere und besser komponierte Aufnahmen als Larry. Andererseits lassen sich aber deutliche Parallelen in der narrativen Gestaltung und der Argumentationsstrategie erkennen. »From Cairo to Cape« und »Black Majesty« stellten sich beide in die Tradition des von Burton Holmes geprägten Reisefilms und knüpften damit auch an die vorangegangenen Amateurfilme an. Zugleich arbeiteten sie jedoch stärker mit authentifizierenden Elementen des entstehenden ethnologischen Dokumentarfilmgenres. Der jeweilige Vorspann liefert Kontextwissen zu den Reisen, wie etwa das Datum in »From Cairo to Cape« oder der ausführliche Einführungstext in »Black Majesty«, der den Hintergrund der ­Expedition, die Route und ihre Teilnehmer/in benennt. Die Protagonist/in/en werden hier sogar wie der Cast eines Hollywoodspielfilms vorgestellt. Das sollte weniger auf eine fiktionalisierende Wirkung abzielen, sondern vielmehr den hohen Grad der Professionalisierung anzeigen. Der Anfang von »The Women« bietet in diesem Zusammenhang eine gute Vergleichsfolie (Szene 83).[3]

Szene 83 »The Women«, R: George Cukor, USA 1939, 133 Min, Warner Brothers.

 

213Wie die Einführung der Thaws und ihrer Bediensteten illustriert, wollte »Black Majesty« nicht einfach nur Bilder aus Afrika zeigen, sondern thematisierte selbstreflexiv die eigene Entstehung. So kommentiert auch der Vorspann: »the safari of Larry and Peggy Thaw brings back some photographs of native kingdoms rarely ever seen by civilized man and certainly never before photographed.« Dieser ernsthafte Tonfall wird durch die Information »Definitely not approved by the board of censors« konterkariert wie auch durch den Off-Sprecher, dessen unterhaltsame Sprache an die Amateurfilme der Thaws wie an die Gesellschaftsberichterstattung erinnert. Schließlich strukturierten durch Trickfilmtechnik animierte Landkarten die Filme und gaben mit bewegten Punkten die Route der Thaws an. An ihnen ließ sich die Reise nachvollziehen, im Gegensatz zu den statischen Europakarten visualisierten die animierten Versionen aber geradezu das Eindringen in den ›dark continent‹.[4] Karten, so betont in diesem Zusammenhang die Visual History, bringen stets zeitgenössische Wissensbestände und Normen hervor – obwohl bzw. gerade weil ihnen oftmals Wissenschaftlichkeit und damit ein besonders großer Wahrheitsgehalt unterstellt werden.[5] Afrika erschien in diesem Sinne wie ein weitgehend unbekannter Ort, den sich die Amerikaner erst im Verlauf der Reise aneignen mussten. Die erste Afrikakarte in »Black Majesty« ist zudem nicht zufälligerweise beinahe schwarz gefärbt und unterstreicht diesen Punkt noch.[6] Tatsächlich betonte etwa der Cholly Knickerbocker dementsprechend: »the Lawrence Copley Thaws were penetrating the interior of darkest Africa«, und: »they are […] looking for new […] places to invade.«[7]

Im Einklang mit dieser Rhetorik folgen »From Cairo to Cape« und »Black Majesty« dem Narrativ der Zeitreise, das bereits in »A Caribbean Cruise« angelegt war und das die kurzen Zusammenfassungen sichtbar machen (vgl. Szene 81, 82). Auch der Erzählung ihrer Afrikafilme zufolge entfernten sich die Thaws auf den Reisen immer weiter von der Zivilisation und bewegten sich gleichsam in der Zeit zurück. Die Ausgangspunkte boten mit Kairo bzw. Algier touristisch bestens erschlossene Großstädte. Nach Kapstadt und Nairobi kamen Larry und Peggy wieder in Metro214polen zurück, was die Aufnahmen von Grandhotels und Kinos deutlich in Szene setzen. Neben einer großstädtischen Infrastruktur bot Nordafrika darüber hinaus aber auch filmenswerte Architektur wie die Pyramiden oder beeindruckende Wüstenstädte, die in ihrer Darstellung an europäische Sehenswürdigkeiten erinnern. Die Aufnahme einer Moschee in El Golea illustriert in diesem Zusammenhang erstens, wie Thomas Hogan ein Gebäude als sehenswert und kulturell wertvoll markierte. In drei unterschiedlichen Einstellungen rückt der Blick der Kamera immer näher an das Objekt heran und macht dabei zunehmend mehr Details sichtbar. Zweitens wird hier auch deutlich, wie die Kamera technisch funktionierte: Der Objektivrevolver mit den drei Aufsatzlinsen ermöglichte diese Annäherung in drei Schritten; für jede Einstellung drehte der Kameramann eine Linse weiter und konnte damit die jeweils größere Aufnahme machen (Szene 84).

Szene 84 »Black Majesty«, Margaret und Lawrence Thaw, 1936/37, 90 Min., Imperial War Museum.

 

Die Rückkehr in längst vergangene Zeiten spielt sich jedoch nicht nur auf der Bild-, sondern auch explizit auf der Textebene ab. In »Black Majesty« hält beispielsweise der Off-Sprecher im Zusammenhang mit den Kriegern in Rey Bouba (Kamerun) fest: »They resemble medieval knights. Some of the soldiers wear chain mail which must have reached them during the crusades via the Sahara because this Negro nation has no means of forging chain mail.«[8] Französisch-Äquatorialafrika und den Belgischen Kongo zeichnen die Filme schließlich als am rückständigsten und konzentrieren sich nur noch auf die Menschen. Mit dieser narrativen Gestaltung trafen die Thaws und ihr Kameramann somit eine erkennbare ethnische Unterscheidung und differenzierten zwischen den arabischen Nordafrikaner/inne/n und den Zentralafrikaner/inne/n. Erstere rückten sie als Anrainer des Mittelmeerraums näher an die weiße europäische Kultur heran, während sie Letztere als unterlegen und primitiv klassifizierten.[9]

Durch die erzählerischen Elemente des Eindringens und der Zeitreise kreierten die Thaws für die Afrikafilme einen Plot, der sich von den Europa- und Palm Beach-Filmen unterschied: eine Abenteuergeschichte. Dementsprechend mussten sie unpassierbare Landschaften mit dem Auto überwinden, tagelang zu Fuß durch den Dschungel wandern und wilde Tiere stellen. Der Begriff des Abenteuers beschrieb zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Erlebnisse, seit den 1920er Jahren jedoch steckte insbesondere der Abenteuerfilm wie kein anderes Medium seine Bedeutung als Entdeckungsreise und strapaziöser Überlebenskampf in einer feind­lichen Umgebung ab.[10] So unterschiedliche Figuren wie Theodore Roosevelt und 215Tarzan standen gleichermaßen paradigmatisch für diese Erfahrungen.[11] Zur gleichen Zeit theoretisierte auch Georg Simmel das Abenteuer als risikohafte außeralltägliche ­Situation und charakteristische Sehnsuchtsvorstellung seiner Zeitgenoss/inn/en.[12] Paradoxerweise kennzeichnet aber gerade der Abenteuerfilm eine Entwicklung, die Abenteuer zunehmend nur noch virtuell und vermittelt über das Medium erlebbar machte.[13] Zugleich belegen die Afrikafilme der Thaws, dass die Medialisierung des Abenteuers wiederum zu seiner »Einhegung«[14] beitrug, musste für die Aufnahmen doch alles bis ins letzte Detail geplant und vorhersehbar sein.

Ebenso wie die Europafilme der Thaws griffen auch die Afrikafilme gängige Bilder, mediale Formate und Tourismuspraktiken auf. Dabei war die Situation einerseits diffiziler als in der ›Alten Welt‹, denn in Afrika trafen Larry und Peggy auf ein komplexes koloniales Kräftegeflecht. Andererseits war Afrika in den USA Gegenstand von zahlreichen Filmen, Ausstellungen und Zeitschriften, sodass die Thaws eine umso genauere Vorstellung davon hatten, an welche bestehenden Afrika­bilder sie anknüpfen konnten.

Afrika ohne Kolonialmächte?

In dieser Hinsicht fällt als Erstes auf, dass »From Cairo to Cape« und »Black Majesty« die Kolonialmächte kaum thematisieren. Die Thaws reisten durch den Belgischen Kongo, durch französische Kolonien wie Algerien und Französisch-Äquatorialafrika sowie durch britisches Hoheitsgebiet bzw. Einflussgebiete wie Kenia, Ägypten, Teile des Sudans oder Tanganjikas. Das bedeutete zum einen ständige Grenzkontrollen und neue Einfuhrbestimmungen für das gesamte Equipment. Zum anderen waren Larry und Peggy aber vor allem unterwegs permanent auf die Hilfe von Kolonialbeamten und einheimischen Vermittlern angewiesen.

Im Gegensatz zur Indienreise ist für Afrika 1936/37 nicht überliefert, wie die Thaws im Vorfeld Kontakte zu den Kolonialmächten vor Ort knüpften. Peggys Tagebuch illustriert aber anschaulich, welch vielfältige Unterstützung die Thaws erhielten. Im Dezember 1936 berichtete sie beispielsweise: »Next day arrived in Zinder. Very charming reception from the captain. […] Larry arranged to photograph the 216native quarter the next morning and in the meantime the captain sent over ice, fresh water, lemons etc. & we were very thrilled.«[15] Der folgende Dreh konnte dann nur mithilfe eines Übersetzers aus Zinder stattfinden: »Our interpreter who speaks native Housa and also French finally restored order after Tom told him what pictures he wanted to take and we spent the whole afternoon taking & retaking the following: magnificent horsemen escort Mr. & Mrs. Thaw in Safari car to entrance of Sultan’s Palace.«[16] Für diesen Aufwand ist die erste Szene mit den Reitern bemerkenswert kurz (Szene 85).

Szene 85 »Black Majesty«, Margaret und Lawrence Thaw, 1936/37, 90 Min., Imperial War Museum.

 

Der Übersetzer organisierte hier nicht nur die Reiter, sondern vermittelte auch zwischen den Thaws und dem Sultan. Zwar sieht man ihn links neben dem Herrscher stehen, der Sprecher erwähnt ihn allerdings mit keiner Silbe. Ebenso tauchten auch die Kolonialbeamten nur am Rande auf, wo ihnen meist keine wichtigere Funktion zukam, als das Paar in einer neuen Stadt zu begrüßen (Szene  86).

Szene 86 »Black Majesty«, Margaret und Lawrence Thaw, 1936/37, 90 Min., Imperial War Museum.

 

Die koloniale Struktur ermöglichte das Filmen jedoch nicht nur größtenteils, die unterschiedlichen Verwaltungsstile beeinflussten auch, welche Art von ›traditionellem‹ afrikanischem Leben westliche Tourist/inn/en überhaupt zu sehen bekamen. Die britischen Kolonien charakterisierte eine Form der indirekten Herrschaft, die mithilfe lokaler Strukturen und der Stammesführer Macht ausüben wollte. In den französischen Gebieten stand dagegen eher die mission civilisatrice im Vordergrund, die französische Kultur und Sprache nach Afrika bringen sollte.[17] Freilich zielten beide Konzepte in erster Linie darauf ab, einen möglichst großen Profit für das jeweilige Mutterland zu erwirtschaften.[18] Für die Dreharbeiten erwies sich die Einflussnahme der Kolonialmächte aber auch teilweise als problematisch. In Kribi im damaligen Französisch-Kamerun wollten die Thaws zum Beispiel eine Szene mit mehreren Einheimischen drehen, die nackte Lastenträger darstellen sollten. Tatsächlich sahen sie sich aber mit den gut bezahlten Arbeitern einer Kakaoplantage konfrontiert, die Französisch sprachen und sich zuerst gegen diese Inszenierung wehrten.

Zwar zeigten die animierten Landkarten an, wie die Reisegruppe sich von einer Kolonie in die nächste bewegte. Anstatt jedoch auf die einzelnen Kolonialmächte und die geografischen Ausmaße ihrer Gebiete oder die konkreten Auswirkungen ihrer Herrschaft einzugehen, strukturierten die Filme die Reisen stärker entlang ethnischer Unterscheidungen, wie etwa zwischen Nord- und Zentralafrikaner/inne/n oder zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen wie den Tuareg und den soge217nannten Pygmäen – eine Praxis, die Amy Staples treffenderweise als »cinematic mapping« bezeichnet.[19] Teilweise bestimmen die Filme der Thaws Regionen und ihre Bewohner/innen auch unverhohlen rassistisch anhand bestimmter körperlicher Eigenschaften wie in »Black Majesty«, wo der Off-Sprecher »the land of the long headed women« ankündigt oder erläutert: »Natives in this region are called – not inappropriately – bananas and are the only tribe in the West were both men and women go stark naked.« Diese Klassifizierung funktionierte wiederum eng verknüpft mit dem Zeitreisenarrativ. Afrika glich auf diese Weise einem »colonial geographic theme-park of cultural and historical attractions«,[20] wie es in Museen oder im Kino erlebt werden konnte und das Schauplatz spannender Abenteuer war. In dieses Bild passten jedoch weder Hilfestellungen von Kolonialbeamten noch von einheimischen Vermittlern, denn diese hätten den angestrebten Abenteuer- und Entdeckercharakter wesentlich geschmälert.

Der Afrikatourismus in den 1930er Jahren

Ähnlich gehen die Filme auch mit dem zeitgenössischen Afrikatourismus um. »From Cairo to Cape« und insbesondere »Black Majesty« verschleiern geradezu, dass Afrika bereits seit Jahren touristisch erschlossen war. Schon in den 1920er Jahren konnte man die meisten nordafrikanischen Häfen von Marseille aus mit dem Schiff innerhalb eines Tages erreichen.[21] Mitte der 1930er Jahre eröffnete zudem eine Fluglinie zwischen London und Nairobi.[22] Nord-, Ost-, Süd- und Südwestafrika überzog ein Eisenbahnnetz, und zahlungskräftige Kund/inn/en konnten gut ausgestattete Schlaf- und Speisewagen buchen. Straßen für den Autoverkehr wurden in den 1930er Jahren zunehmend ausgebaut, nur in den tropischen Regionen hing deren Qualität stark vom Wetter ab.[23] Vor diesem Hintergrund rieten die Autoren des Reiseführers The African Handbook 1932 nur dazu, die Küstengebiete Westafrikas und Teile des Belgischen Kongos wegen des feuchtheißen Klimas und der wenigen Hotels zu meiden, den restlichen Kontinent konnten sie Tourist/inn/en jedoch uneingeschränkt empfehlen.[24]

Ägypten, Tunesien und Algerien erfreuten sich bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert bei Tourist/inn/en großer Beliebtheit, wobei vor allem das am Nil gelegene Assuan Nizza Konkurrenz machte.[25] Großstädte wie Kairo und Algier verfügten 218zudem mit ihren Grandhotels, Warenhäusern, Kinos, Theatern und Restaurants über ein luxuriöses Konsum- und Freizeitangebot.[26] Aber nicht nur westliche Standards überzeugten europäische und amerikanische Tourist/inn/en, genauso beliebt waren Autotouren durch die Sahara, wie sie beispielsweise Citroën und Renault seit Anfang der 1920er Jahre anboten.[27] Neben den nordafrikanischen Ländern entwickelte sich außerdem Kenia zum beliebten Reiseziel für Großwildjäger/innen. Hier war das Klima nach europäischen Maßstäben angenehm, und die Bevölkerung der britischen Kronkolonie setzte sich überwiegend aus weißen Siedler/inne/n zusammen.[28] Die Safari (Swahili für Reise) etablierte sich hier schon um 1900 als Dienstleistung, sodass in den 1920er Jahren Klagen über die Kommerzialisierung der Großwildjagd laut wurden.[29] Die Südafrikanische Union schließlich überzeugte in den Augen von Tourismusagenturen mit ihren Metropolen ebenso wie mit ihren Naturschönheiten und einem gut ausgebauten Verkehrsnetz.[30]

Reiseunternehmer wie Thomas Cook organisierten Fahrten über den ganzen Kontinent sowie durch einzelne Regionen Afrikas.[31] Die Route von Kairo nach Kapstadt stellte dabei einen der Klassiker dar, und tatsächlich reisten auch Larry und Peggy 1934/35 mit Thomas Cook. Abgesehen von der Großwildjagd mit Major Anderson folgten die Thaws damit einem Plan, den ihnen der Reiseunternehmer vorgegeben hatte: Die Aufenthaltsdauer an den einzelnen Stationen war festgelegt (rund drei Tage in Städten), Hotelzimmer, Schiffskabinen und Zugplätze waren vorgebucht und bei jeder Ankunft erwartete ein Angestellter der Firma das Paar, kümmerte sich um das Gepäck, half mit den jeweiligen Einreisebestimmung und leitete Telegramme und Briefe weiter.[32] Die zweite Afrikareise verlief dagegen teilweise abseits der touristischen Routen und richtete sich ganz nach den Filmschauplätzen, sodass Larry dieses Mal alle Stationen selbst auswählte. Der Zeitplan von 1936/37 war nun deutlich straffer; teilweise sollten bis zu 250 Meilen am Tag zurückgelegt werden, und pro Aufenthalt war meist nur noch ein Tag vorgesehen.[33] Auch wenn Autopannen, gesperrte Straßen oder schlechte Drehbedingungen für Verzögerungen sorgten, hielten sich die Thaws doch weitgehend an das ambitionierte Programm.

219Wie viel Geld Thomas Cook von Larry und Peggy verlangte, ist nicht bekannt. Von der zweiten Afrikareise ist jedoch noch Larrys Rechnungsbuch erhalten, in dem er akribisch seine Ausgaben auflistete. Zu den regelmäßigen Unkosten zählten Essen für die elf afrikanischen Bediensteten, Lastwagenreparaturen und Benzin.[34] Nicht in dieser Rechnung enthalten waren freilich die Kosten für die Autos und das gesamte Equipment von den Zelten bis zu den Kameras, das die Thaws im Vorfeld der Reise anschafften. Diese Unternehmung betrachtete Larry weder als touristische Entspannungsreise noch als sein bloßes Privatvergnügen. Tatsächlich gründete er 1936, wie bereits erwähnt, die Aktiengesellschaft Trans Africa-Inc., um alle Ausgaben zu finanzieren. Sie verfügte über ein Stammkapital von 50.000 Dollar (heute rund 900.000 Dollar), und Larry verkaufte Aktien im Wert von je 100 Dollar an New Yorker Freund/inn/e/n und brachte eine Summe von rund 33.500 Dollar auf (heute ungefähr 590.000 Dollar).[35]

Da Afrika in den 1930er Jahren touristisch so im Trend lag – man denke nur an den New Yorker Club El Morocco und seine berühmten zebragemusterten Sofas –, ist es keineswegs überraschend, dass die Thaws nicht die einzigen High Society-Mitglieder waren, die den Kontinent bereisten. Im Zusammenhang mit Larrys und Peggys Fahrt erläuterte ein Zeitungsartikel 1936: »The rigors and thrills of Africa’s muddy, insect-infested jungles hold their fascination over others in the lorgnette set. […] The town of Nairobi […] is as much home to them as Newport or Palm Beach.«[36] Zu diesem positiven Image trugen insbesondere die Reisen des Prince of Wales bei, der 1928 und 1930 in Kenia auf Safari ging. Darüber berichteten nicht nur die Massenmedien ausführlich, Edward selbst nahm eine Filmkamera zur Hand und partizipierte demonstrativ an diesem angesagten Hobby.[37] So zirkulierten auch in Afrika Klatschgeschichten über die High Society, und Peggy hielt 1937 im Belgischen Kongo in ihrem Tagebuch Gerüchte über George Vanderbilt fest, der zuvor im selben Hotel übernachtet hatte:

I also heard last night that young George Vanderbilt […] was not sober the entire time. There were about eight in his party including a young English girl who was apparently in love with him. They were in search of a rare animal called the Okapi and finally after going out every day two of the men got one while Vanderbilt & the others of the troupe arose at ten o’clock & cocktail began at 11. This is not the first time we heard this for at Yaounde & Kribi we heard the same thing.[38]

220Während »From Cairo to Cape« manchmal durchaus die Annehmlichkeiten der Reise wie die Hotels mit Pool, die Dampfer oder Züge zeigt, erweckt insbesondere »Black Majesty« den Eindruck, die Thaws hätten sich mehrere Monate alleine durch die Wildnis gekämpft, nur in Zelten geschlafen und an Lagerfeuern gegessen. Dass sie tatsächlich auch in kleinen Hotels oder als Gäste in den Häusern der Kommandanten der jeweiligen Kolonialmacht übernachteten, blendet der Film aus. Gerade die Kolonialbeamten und ihre Frauen sahen in den Besuchen der Thaws offenbar eine willkommene Abwechslung und luden das Paar regelmäßig zu Cocktailpartys ein.[39] Dieses Ausmaß an Komfort scheint allerdings ebenso wenig wie die Hilfe­stellungen durch den Kolonialapparat mit den Vorstellungen von einer authentischen Afrikareise kompatibel gewesen zu sein. Den Widerspruch zwischen Safarierfahrungen und -darstellungen bringt auch Kenneth Cameron nüchtern auf den Punkt: »Quite simply, the recreational safari was not a venture into the steamy botanical nightmare that books and films […] make it seem.«[40] Das Bild davon, wie stattdessen eine ›richtige‹ Safari auszusehen hatte, prägten in den 1930er Jahren vor allem Kinofilme und Museen.

Afrika im Film

Spiel- und Dokumentarfilme über Afrika hatten in den 1920er und frühen 1930er Jahren Konjunktur. Erfolgreiche Hollywoodproduktionen wie »Africa Speaks!« (1930), »Ingagi« (1930), »Trader Horn« (1931) und »Tarzan the Ape Man« (1932) zeichneten sich in erster Linie durch Darstellungen von extremer Gewalt gegen Afrikaner/innen und Tiere und einer ›wilden‹ Sexualität aus.[41] In »Ingagi« beispielsweise wird eine Jungfrau einem gigantischen Gorilla als (Sex-)Opfer dargebracht, in »Tarzan« dagegen scheint eine Vergewaltigung durch den anfangs noch ungezähmten Titelhelden als Drohkulisse auf. Im Zentrum der Handlung stand zudem oftmals eine Forschungsexpedition oder zumindest wie in »Trader Horn« und »Tarzan« eine Suchaktion, die eine Reise durch Dschungel und Savannengebiete begründete. Hier sahen sich die Protagonist/inn/en den unterschiedlichsten Gefahren ausgesetzt, von wilder Natur über gefährliche Tiere bis zu blutrünstigen Einheimischen. Die Filme beanspruchten dabei oftmals, besonders authentisch zu sein, indem sie entweder wie »Trader Horn« tatsächlich in Afrika gedreht wurden oder – wie »Ingagi« – vorgaben, dokumentarisches Material zu präsentieren; der erste »Tarzan«-Film von Woody Van Dyke mit Johnny Weissmuller verwendete dann das überschüssige Afrikamaterial aus »Trader Horn«.[42]

221Diese Spielfilme nahmen stets direkten oder indirekten Bezug auf die zahlreichen nichtfiktionalen Afrikafilme, die sich zeitgleich großer Beliebtheit erfreuten. Am bekanntesten sind diejenigen von Osa und Martin Johnson, daneben gab es aber eine Reihe weitere Filmer/innen, die den Johnsons Konkurrenz zu machen versuchten. Auffällig oft handelte es sich dabei um Paare: Chaplin und Stella Court Treatt etwa brachten 1926 erfolgreich ihre Reise »Cape to Cairo« in die Kinos. Armand Denis und seine Frau Leila Roosevelt veröffentlichten ihre Fahrt durch den Belgischen Kongo in »Wheels Across Africa« (1936) und »Dark Rupturer« (1938) und der Italiener Attilio Gatti filmte in den 1930er Jahren gemeinsam mit seiner Frau mehrere Afrikareisen und schrieb darüber hinaus Bücher. Diese dokumentarischen Darstellungen orientierten sich wiederum an Hollywood-Spielfilmen und setzten ihr Material zu dramatischen Erzählungen zusammen bzw. inszenierten sie zahlreiche Szenen, um Spannung zu erzeugen. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen nahmen Frauen auch in den Expeditionsfilmen eine sichtbarere Rolle ein. Interessant war nun nicht mehr die männliche Bewährung à la Theodore Roosevelt, sondern eine unterhaltsame Handlung, die weibliche Rollen und Paare besser bedienten.

Im Folgenden sollen diejenigen Filme näher beleuchtet werden, die den Thaws als Vorbild galten, ihre Sehgewohnheiten und -erwartungen prägten oder mit denen sie sich vergleichen lassen mussten: »Trader Horn« und »Tarzan the Ape Man« sowie die Werke von Osa und Martin Johnson. Dass die Gesellschaftsberichterstattung eine Parallele zwischen den Johnsons und den Thaws zog, wurde bereits erwähnt. Trotz ihrer Berühmtheit waren die Johnsons allerdings nie in der High Society. In ihren Filmen stellten sie Naturforscher dar und weniger sich selbst als Privatpersonen. Darüber hinaus repräsentierten sie traditionelle Geschlechterrollen, und insbesondere Osa verkörperte eine unprätentiöse und sorgende Weiblichkeit, die nichts mit glamourösen Auftritten und Modetrends verband. Dieser Unterschied zwischen den Thaws und den Johnsons lässt sich anhand zahlreicher Aspekte in den Filmen nachvollziehen. Peggys Tagebuch beweist darüber hinaus, dass die Thaws »Trader Horn« und »Tarzan« Anfang der 1930er Jahre im Kino sahen und vor allem von der scheinbaren Realitätsnähe des Ersteren beeindruckt waren. Nach dem Kinobesuch hielt Peggy begeistert fest: »To the movies to see ›Trader Horn‹ in the evening, a marvelous animal picture, locale South Africa, simply unbelievable.«[43]

In »Trader Horn« machen sich der Elfenbeinhändler und Jäger Alfred Aloysius Horn, sein jüngerer Schützling Peru und Horns einheimischer Übersetzer und Gewehrträger Rencharo auf die Suche nach der vermissten Tochter einer Missionarin.[44] Die inzwischen junge Frau, Nina, wuchs bei einem Stamm auf, der sie als Priesterin verehrt. Als dieser Horn und seine Begleiter gefangen nimmt, verhilft Nina ihnen zur Flucht und kommt selbst mit. Nun muss die Gruppe vor den Afrika222nern fliehen, zwei Nashörner und einen Löwen abwehren, Rencharo wird von einem anderen Stamm getötet, doch schließlich bringt Peru die junge Frau in die Zivilisation zurück. Horn bleibt alleine in Afrika. Der Regisseur Woody Van Dyke drehte den größten Teil des Films in Ostafrika; das Endprodukt besteht zur Hälfte aus den handlungstragenden Teilen, zur anderen Hälfte aus dokumentarischem Material mit langen Natur- und Tieraufnahmen, wie sie auch in zeitgenössischen Travelogues zu finden waren.[45] Der Film lief 1931 erfolgreich in den amerikanischen Kinos an und wurde sogar für einen Oscar in der Kategorie bester Film nominiert.[46]

Nach »Trader Horn« widmete sich Van Dyke als nächstes dem Tarzan-Stoff.[47] Bereits in den 1920er Jahren entstanden einige Verfilmungen des berühmten Romans von Edgar Rice Burroughs. Die Filmserie mit Johnny Weissmuller in der Titelrolle und Maureen O’Sullivan als Jane entfernte sich deutlich von der Buchvorlage, wurde aber nichtsdestotrotz rasch zum Klassiker.[48] In »Tarzan the Ape Man« begeben sich Janes Vater, ein Elfenbeinhändler, und die gerade aus London eingetroffene Jane auf die Suche nach einem legendären Elefantenfriedhof. Dabei treffen sie auf Tarzan, der ohne menschlichen Kontakt unter Tieren im Dschungel aufgewachsen ist und Jane entführt. Von ihr lernt er, sich und Jane als Individuen zu identifizieren. Schließlich bringt er Jane zu ihrem Vater zurück, die beiden werden jedoch von einem Pygmäen-Stamm gefangen genommen, der sie einem Riesengorilla zum Fraß vorwerfen will. Tarzan kommt ihnen mit einer Elefantenherde zu Hilfe und rächt sich gewaltvoll an den Entführern. Janes Vater wird allerdings tödlich verwundet und stirbt, sodass Jane sich dazu entschließt, bei Tarzan im Dschungel zu bleiben. Obwohl »Tarzan« Afrika im Gegensatz zu »Trader Horn« auch als Idylle darstellt, in der Menschen und Tiere mit der Natur in Einklang leben, knüpften beide Filme Vorstellungen von westlicher Zivilisation und Überlegenheit an whiteness.

Die dokumentarischen wie fiktionalen Afrikadarstellungen der 1920er und 1930er Jahre basierten wiederum vor allem auf den Filmen von Osa und Martin Johnson. Von 1917 bis 1937 veröffentlichte das Paar zehn Feature-Filme und über siebzig kürzere Lehrfilme.[49] Anfang der 1920er Jahre gingen die Johnsons zum ersten Mal nach Afrika, wo in Kenia der Stummfilm »Trailing African Wild Animals« (1923) entstand. Im Vordergrund standen Wildtiere, die die Johnsons meist provozierten, um eine spannende Handlung aufnehmen zu können. Zudem enthält der Film, was Zeitgenoss/inn/en unter humorvollen Szenen mit Einheimischen verstanden – 223Scherze über deren Aussehen und deren angebliche Unkenntnis westlicher Technik und Kultur. Von 1924 bis 1927 hielten sich die Johnsons erneut in Kenia auf: Hier drehten sie unter anderem den Film »Simba« (1928), der sich auf Löwen und die Konflikte zwischen Menschen und Tieren konzentriert.[50] Die beiden letzten Afrikafilme des Paares – »Congorilla« (1932) und »Baboona« (1934) – wandten sich den jeweiligen Affenrassen zu und wurden von 20th Century Fox veröffentlicht.[51] In ihnen nahmen die entwürdigenden Szenen mit Afrikaner/inne/n – vornehmlich mit Pygmäen – und die gestellten Tieraufnahmen deutlich zu, um noch mehr Zuschauer/innen zu erreichen.[52]

Martin Johnson starb 1937 bei einem Flugzeugabsturz; Osa versuchte in den folgenden Jahren, an die früheren Erfolge anzuknüpfen, doch Ende der 1930er Jahre nahm das Interesse an diesen speziellen Filmen und nicht zuletzt an der inzwischen über vierzigjährigen Osa ab. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren jedoch erfreuten sich Osa und Martin nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa enormer Berühmtheit. Neben ihren Filmen und Büchern veröffentlichten sie in dieser Zeit zahlreiche Zeitungsartikel und verdienten Geld als Werbeträger u. a. für Taschenlampen, Tee und Kühlschränke.[53] Dabei präsentierten sie sich als Paar und ihr Leben in Afrika klar entlang vergeschlechtlichter heteronormativer Vorstellungen: Martin war der Abenteurer und Filmer, Osa folgte ihm als treue Gattin durch die ganze Welt, um ihm ein Heim zu bereiten. Das Afrikabild, das die Johnsons über die Jahre zeichneten, war schließlich ein widersprüchliches. Einerseits konstruierten sie den Kontinent als rückständigen und gefährlichen Ort, andererseits als zivilisationsfernes Idyll, in dem Menschen und Tiere gemeinsam friedlich und unverfälscht lebten.

Afrika im Museum

Als ähnlich ambivalentes Konstrukt erwies sich Afrika auch im Museum. Ebenso beliebt wie in Filmen war der Kontinent als Gegenstand von Welt- und Kolonialausstellungen oder Naturkundemuseen. Anhand von Objekten, Tieren und Menschen wurde Afrika hier räumlich erfahrbar und die »Wahrnehmung von Differenz und der ›Kulturvergleich‹ eingeübt«.[54] Statt auf die Vielzahl an Museen und Ausstellungen einzugehen, sollen im Folgenden zwei Orte dargestellt werden, an denen sich Larry und Peggy orientieren konnten, weil sie diese nachweislich besucht hatten – die British Empire Exhibition in London und das American Museum of Natural History in New York.

224Die British Empire Exhibition, die vom 23. April bis zum 1. November 1924 in Wembley stattfand, besichtigten die Thaws während ihrer Hochzeitsreise. Neben den beiden größten Ausstellungsgebäuden, dem Palace of Industry und dem Palace of Engineering bestand die Ausstellung aus Pavillons, die die britischen Kolonien vorstellten; dazu zählten auch Süd-, West- und Ostafrika. Was Larry und Peggy hier sahen, findet sich noch rund zwölf Jahre später in ihren Filmen wieder. Die Ausstellungsfläche zu Südafrika konzentrierte sich auf die Metropolen der Region, ihre Wirtschaftskraft und nicht zuletzt die angenehmen Reisemöglichkeiten. So konnten die Besucher/innen beispielsweise in einem Speisewagen einen Imbiss einnehmen und den Komfort erleben, den man auf der Strecke von Kapstadt nach Pretoria genoss.[55]

Der Ostafrikapavillon stellte die Großwildjagd in den Mittelpunkt und präsentierte mehrere Trophäen.[56] Die Ausstellung über Westafrika schließlich war in einer »Walled City« untergebracht – einer Nachbildung der Stadt Kano in Nigeria. Darin befanden sich Pavillons über Nigeria, die Goldküste und Sierra Leone. Hier bot sich den Besucher/inne/n eine scheinbar besonders authentische Szene dar, wie ein Ausstellungsführer ankündigt: »representatives of West African tribes live and move and have their being for the period of the Exhibition.«[57] Bei dem Nigeriagebäude handelte es sich darüber hinaus um eine getreue Nachbildung des Emirpalastes.[58] Bereits 1924 sahen die Thaws die »Walled City« in London, während »Black Majesty« 1937 dem wirklichen Kano sowie dem Emir eine Szene widmet (Szene 87). Möglicherweise lag es an Larrys und Peggys Besuch der British Empire Exhibition, dass »Black Majesty« an dieser Stelle die koloniale Verbindung Kanos zu Großbritannien ausnahmsweise deutlich benennt:

We were warned that the emir, the richest and most important chief to the Africans, was not approachable. But a little high pressure on the protesting British resident brought an escort of two hundred horsemen from the emir to covey us to him. He is independent in his internal affairs and conducts his own court of law and has the power of life and death over his 1.750.000 subjects. He gets 100.000 pounds a year from Britain for being a good boy and his total income is about a million a year.

Szene 87 »Black Majesty«, Margaret und Lawrence Thaw, 1936/37, 90 Min., Imperial War Museum.

 

225Hier zeigt sich auch die große Bedeutung von Film: Der Bereich zu Westafrika verfügte über ein Kino, in dem Filmmaterial über die Region vorgeführt wurde.[59] An der Seite der zu bestaunenden Menschen und Objekte erhielt das Filmmaterial einen ebenso glaubwürdigen Status wie die Originale selbst. Die British Empire Exhibition präsentierte Afrika ebenfalls als Themenpark mit entwickeltem Süden, primitivem Westen und dem Osten als Jagdparadies. Diese Inszenierung dürfte eine umso durchschlagendere Wirkung gehabt haben, da die gesamte Ausstellung selbst einem großen Themen- und Vergnügungspark glich.[60]

Einen anderen Fokus wählte dagegen das American Museum of Natural History in New York: dessen African Hall konzentrierte sich ganz auf die Tierwelt. Das Museum eröffnete 1869 an der Upper West Side und erweiterte seine Sammlung in den folgenden rund sechzig Jahren kontinuierlich. So sollte neben ausgestopften Vögeln und nordamerikanischen Säugetieren auch die afrikanische Fauna vertreten sein. Dieses Vorhaben trieb der Präperator Carl Akeley in den 1910er Jahren wesentlich voran und drängte dabei die bisher verfolgte anthropologische Perspektive auf ­Afrika in den Hintergrund.[61] Akeley unternahm selbst drei Afrikaexpeditionen, um passende Exemplare zu jagen. Die Tiere wurden dann in Dioramen angeordnet, die sie in ihrer angeblich ›natürlichen‹ Umgebung zeigten. Dafür holte sich das Museum Hilfe von Künstler/inne/n, Schaufensterdekorateur/inn/en und Bühnenbildner/inne/n.[62] Die Besucher/innen sollten die Natur auf erhebende und geradezu spirituelle Weise erleben. Jeannette Jones betont, dass Afrika hier gerade nicht der »dark continent« aus den Filmen war, auf dem sich weiße Forscher/innen (oder Tourist/inn/en) mit primitiven Eingeborenen und einer unerbittlichen Natur konfrontiert sahen.[63] In ihren Filmen orientierten sich die Thaws und ihr Kameramann dann aber nicht an dem Deutungsangebot der African Hall, sondern am Afrikabild Hollywoods.

Dagegen erwies sich eine andere Interpretationslinie der Naturkundeausstellung als äußerst wirkmächtig, die Donna Haraway in ihrem Aufsatz »Teddy Bear Patriarchy« beschreibt. Sie identifiziert drei Prinzipien, nach denen das Museum die Ex­ponate für die African Hall auswählte und als typisch inszenierte. Bei den ausgestellten Tieren handelte es sich angeblich um ›perfekte‹ Vertreter einer Spezies. Das bedeutete erstens, dass sie besonders groß sein mussten. Zweitens zeichneten sie sich durch ein makelloses Aussehen aus; Tiere mit angeschlagenen Stoßzähnen oder Hörnern kamen nicht in Frage. Drittens erfüllten insbesondere die männlichen Tiere diese Anforderungen.[64] Peggys Tagebucheinträge und die Trophäenlisten des 226Paares beweisen, dass sich die Thaws bei der Jagd für ihre eigene Sammlung an diese Prinzipien hielten.[65]

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Afrika unabhängig vom Medium für Echtheit und Unmittelbarkeit stand, wobei unterschiedliche Authentisierungsstrategien ineinandergriffen.[66] Zwei Punkte sind hier wichtig: Erstens stellte eine Afrikareise ein unverfälschtes Erlebnis in Aussicht – fern der Zivilisation und in unberührter Natur. Sie verhieß vor allem eine körperliche Erfahrung, die sowohl im Einklang mit der Natur als auch gegen sie bis zum Kampf auf Leben und Tod gemacht werden konnte. Authentisierend wirkte dabei vor allem die Abenteuerrhetorik. Zweitens proklamierten die jeweiligen Darstellungen von Afrika, besonders glaubwürdig und rea­litätsnah zu sein. Das funktionierte zum einen über ›echte‹ Objekte und Menschen wie in Kolonialausstellungen, zum anderen mithilfe von technisch erzeugten Bildern, die eine Art Augenzeugenschaft begründeten. Hier setzten sich zudem bestimmte Darstellungskonventionen wie Tier- und Landschaftsaufnahmen durch, die einen dokumentarischen Charakter hatten und nicht handlungstragend waren.

Betrachtet man das Spannungsverhältnis von kolonialer Herrschaft, Tourismusindustrie und filmischen wie musealen Repräsentationen Afrikas, wird deutlich, dass sich die Thaws in einer paradoxen Situation befanden:[67] Entsprechend der Rhetorik aus Spiel- und Dokumentarfilmen wollten sie ebenfalls Abenteuer auf Zelluloid bannen und Neues entdecken. Zugleich galt es, zeitgenössische Authentizitätserwartungen zu erfüllen, die Filme und Ausstellungen absteckten. Das passte nur auf den ersten Blick schlecht zusammen. Denn tatsächlich galten gerade die­jenigen Bilder von Afrika als authentisch, die bereits bekannt waren.