1452.4. »Shopping madly all morning & afternoon«: Europa und Konsum
Larrys und Peggys Europareise im Sommer 1931 nahm bereits auf dem Transatlantikdampfer Emperess of Britain einen erfreulichen Anfang. Peggy hielt in ihrem Tagebuch fest: »She is the most beautiful boat I was ever on. Very modern in decoration but very comfortable. We have two huge cabins & 2 luxurious baths, what bliss.«[1] In Paris angekommen, ging die Reise vergnüglich weiter: »Shopping madly all morning & afternoon, dined Chico Khilvert [New Yorker Freundin, J. H.] […] at Ambassadeur’s. Hectic time went on to Florence [Nachtclub, J. H.], danced till about 4.«[2] Weniger Glück hatten die Thaws allerdings, als sie sich eine Woche später von England aus nach Skandinavien begaben. Ernüchtert hieß es nun: »it is a ›cabin ship‹ which means all 2nd class & decidedly depressing.«[3]
Die Tourismusforschung hat den Konsumaspekt des Reisens aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Gemein ist ihnen dabei, dass sie den touristischen Konsum nicht auf eine materielle Dimension beschränkt wissen wollen. Der Ethnologe Ueli Gyr geht davon aus, dass Tourist/inn/en mit Sehenswürdigkeiten, Essen oder Souvenirs Symbole konsumieren, die stellvertretend für Kultur und Gesellschaft des fremden Landes stehen.[4] Aus einem soziologischen Blickwinkel be146schreibt dagegen John Urry Konsum auf Reisen als Konsum von Erfahrungen und Erlebnissen, die Wunschvorstellungen und Träume bündeln. Dem materiellen Konsum vorgängig ist, wie bereits erwähnt, immer der Blick, der das Verhalten der Tourist/inn/en maßgeblich prägt und den Urry zur zentralen Analysekategorie erhebt.[5] Cord Pagenstecher, der Urrys tourist gaze für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft fruchtbar gemacht hat, unterstreicht dann etwa im Zusammenhang mit Knipserfotos von Rastplätzen und Picknicks, die Tourist/inn/en eigneten sich über »alltägliche Abläufe […] die Fremde symbolisch an«.[6]
Konsum, so viel ist klar, ereignet sich »im Rahmen symbolisch vermittelter sozialer Prozesse als Zeichen bzw. Träger von Bedeutungen, die durch konsumspezifische und allgemeine Regeln, Sinnordnungen und Wertemuster bestimmt sind«[7] – das gilt allerdings nicht nur für den Urlaub. Wie die Beispiele aus Peggys Tagebuch zeigen, liegt es nahe, sich hier stärker der materiellen Seite des touristischen Konsums zuzuwenden, immerhin hing das Reiseerlebnis sehr deutlich mit dem konkreten Kauf, Verzehr oder Gebrauch von Waren und Dienstleistungen zusammen. Zugleich handelte es sich dabei nicht um außeralltägliche touristische Fantasien, den Thaws ging es vielmehr auch darum, den New Yorker Lebensstandard beizubehalten.
Im Vordergrund der Europafilme stehen aber nicht einfach die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern die spezifische Körperlichkeit des Konsumierens und die entsprechenden Praktiken. Wie man ein Glas Wein trank, ein neues Kleidungsstück präsentierte oder mit dem Auto durch Europa fuhr, waren keine alternativlosen Handlungsabläufe, die nur auf eine einzige Art und Weise durchgeführt werden konnten, sie hingen stets vom Know-how der Akteure ab.[8] Hier wird wie unter einer Lupe sichtbar, wie die Thaws ihren High Society-Status aktualisierten, wie sie Geschlechterrollen aushandelten, ihre Körper in Szene setzten und ethnische, Klassen- und Alterszugehörigkeiten herstellten.[9] Dabei lässt sich dieses Verhalten nicht 147auf die bloße Demonstration von Status im Sinne von Thorstein Veblens vielzitierter »conspicuous consumption« reduzieren. »The meanings of consumption«, so hält T. J. Jackson Lears stattdessen fest, »were multiple, idiosyncratic, and personal«[10] und entfalteten als performative Akte ein transformatives Potenzial, das sich auf unterschiedliche Lebensbereiche auswirkte.
Die Konsumpraktiken in den Filmen können anhand von drei Themenkomplexen untersucht werden, die deren Handlung und Visualität entscheidend prägten: Mobilität und Stillstand, Essen und schließlich Mode. Dabei gibt es zahlreiche Überschneidungen. Ort, Ware und Dienstleistung hingen oftmals eng zusammen – man aß auf dem Schiff, präsentierte die neu erworbene Kleidung im Hotel oder fuhr mit dem Auto ins Restaurant. Diese Punkte beeinflussten nicht nur das Europabild der Filme wesentlich, mit Blick auf die anderen Aufenthaltsorte in Palm Beach, Afrika und Indien lässt sich auch zeigen, dass sie dort in ganz anderen Kontexten visualisiert und mit neuen Bedeutungen aufgeladen wurden. Zudem unterscheiden sich die Amateurfilme und die professionellen Travelogues in einem entscheidenden Punkt. In Europa (und Palm Beach) gaben die Thaws ›nur‹ Geld aus, während sie später zur Finanzierung der Reisen Aktiengesellschaften gründeten und auf Einnahmen durch die Filme abzielten.
Mobilität und Stillstand
In den Europafilmen der Thaws spielte das Reisen im Sinne des Sichfortbewegens eine ebenso wichtige Rolle wie die Reiseziele und die Momente des Innehaltens. Für eben jenes Spannungsverhältnis von Mobilität und Stillstand interessiert sich die recht junge Disziplin der u. a. von Mimi Sheller vorangetriebenen mobilities research und fragt nach den Zusammenhängen zwischen Körpern in Bewegung, Raumkonzepten, der Materialität von Transportmitteln und sozialer Mobilität. Dabei geht es immer auch um gesellschaftliche Machtverhältnisse und den Zwang bzw. Zugang zu Mobilität.[11] Im Folgenden sollen daher die filmischen Repräsentationen von Schiff, Automobil und Flugzeug einerseits und Hotels andererseits beleuchtet werden. Welches Bild von Europa kreierten die Thaws auf diese Weise in ihren Filmen und wie verhielt sich dieses zu den USA? Denn, so halten Alexander C. T. Geppert, Uffa Jensen und Jörn Weinhold fest: »Räume strukturieren Kommunikation, werden aber selbst erst kommunikativ geschaffen.«[12]
Bereits um nach Europa zu kommen, mussten Larry und Peggy für die Atlantiküberquerung eine Dienstleistung in Anspruch nehmen. Von New York aus dauerte 148die Fahrt in den 1920er und 1930er Jahren rund eine Woche. Die Thaws reisten meist bis Southampton, Plymouth oder Le Havre und zahlten für ein Erste-Klasse-Ticket auf der Aquitania, der Île de France oder der Bremen rund 270 Dollar (heute ca. 3800 Dollar).[13] An Gepäck war auf den Schiffen ein halber Kubikmeter pro Passagier erlaubt, was darüber hinausging, kostete extra.[14] Alleine die verschiedenen Pelzmäntel, die Peggy in den Europafilmen trägt, dürften diese Beschränkung zusammen mit dem Kameraequipment jedoch überschritten haben.
Die Filme zeigen die Schiffsreisen in außergewöhnlich langen zusammenhängenden Sequenzen, etwa in »A Motor Honeymoon« die Hinfahrt auf der Aquitania mit sechs Minuten und die Rückfahrt auf der Berengaria mit fast fünf Minuten.[15] Die Atlantiküberquerungen stellten für die Thaws längst keine lästige Notwendigkeit mehr dar, sondern waren ein entscheidender Teil der Reise. Zugleich verweist dieser Umstand auf die Materialität des Filmens, war es doch auf einem Schiff recht unkompliziert möglich, die Kamera zu holen und wieder in der Kabine zu verstauen. Auch die Bewegung der Dampfer konnte problemlos während der Fahrt visualisiert werden, indem Larry einfach die vorbeiziehende Umgebung filmte.[16] Die Überfahrten lassen sich als »Transit« begreifen, der nicht nur zwei Kontinente miteinander verband, sondern als distinkte Phase eigenen zeitlichen und räumlichen Gesetzmäßigkeiten folgte. Dabei wirken die »Bedingungen des Transits […] auf die Verbindung zurück und prägen deren vermittelnde Qualität.«[17] Indem die Thaws die Atlantiküberquerungen so ausführlich in ihren Filmen thematisierten, hoben sie die Passagen selbst als besondere Phase der Europareisen hervor, wobei der Konsumaspekt eine wesentliche Rolle spielte.
Vor allem die Aquitania, die Berengaria und die Mauretania der Cunard Line – mit denen auch Larry und Peggy mehrfach fuhren – galten unter Zeitgenoss/inn/en als besonders attraktive Schiffe.[18] So zielten auch die Filme darauf ab, die Größe, den Luxus oder die Neuheit des jeweiligen Dampfers zu betonen. In »The Second Honeymoon« lässt eine Texttafel wissen, dass es auf der brandneuen Île de France zurück nach Amerika ging, während »A Motor Honeymoon« 149mehrere Einstellungen des Erste-Klasse-Decks der Aquitania zeigt und informiert: »The enormous sweep of the promenade deck. Three laps equals one mile« (Szene 34) Dabei eröffnete die Kamera auch einen exklusiven Zugang zum Steuermann auf der Schiffsbrücke sowie zum Skipper. Letzteren leitete Peggy 1924 für die Filmaufnahme in gewohnter Manier dazu an, durch ein Fernglas zu blicken und in die Ferne zu deuten.