Wie bereits die kurzen Zusammenfassungen der Filme demonstrieren, zeichnen sich die Aufnahmen dadurch aus, dass sie ihren Inhalt ästhetisch normalisieren: Im Gegensatz zu den Afrikafilmen sind »The Great Silk Route« und »India« nicht in außergewöhnlichen Kameraeinstellungen und -perspektiven gedreht, die eine visuelle Differenz konstruieren. Anstatt die Gefilmten durch aufsichtige Perspektiven in eine unterlegene Position zu bringen oder durch extreme Nahaufnahmen ihre Körper zu fragmentieren und voyeuristisch anzustarren, begegnet ihnen die Kamera zumeist auf Augenhöhe, eben in einer Normalsicht.
Mit ihren letzten beiden Filmen blieben die Thaws dem Konzept des Reisefilms bzw. des ethnologischen Travelogues treu. Betrachtet man aber genauer das Authentizitätsverständnis und den narrativen Aufbau von »The Great Silk Route« und »India«, wird deutlich, wie sich die Filme nach Europa, der Karibik und Afrika verändert hatten. Denn insbesondere im Vergleich zu »Black Majesty« fällt auf, dass Authentizität nicht mehr an die scheinbare Echtheit und Unmittelbarkeit körperlicher Erfahrungen geknüpft war. Stattdessen setzte sich eine demonstrative Objektivität durch, und die beiden Nachfolger nahmen eine distanziertere und stärker dokumentierende Perspektive ein. Drei Punkte illustrieren diese neue Darstellungsweise besonders anschaulich. Erstens präsentierte sich der neu gestaltete Vorspann nun wesentlich professioneller, indem er die berufliche Expertise der Beteiligten und den hohen Organisations- und Institutionalisierungsgrad des Filmprojekts thematisiert. Er benennt den Produzenten, Sprecher, Komponisten und Autor sowie die Copyright-Inhaber (die Trans-Asia Inc. der Thaws). Western Electric, das Unternehmen, das die Tonspur produzierte, erscheint in Form seines Corporate Design-Logos. Zudem ist die Titelmusik im Gegensatz zur schnellen und aufgeregten Musik aus »Black Majesty« eher getragen und unterstreicht somit den ernsthaften Charakter der Filme.
272Über dem Titel prangte zweitens die Überschrift The Thaw Asiatic Expedition, wohingegen es in »Black Majesty« noch die »Trans-Africa Safari« war. Damit attestierten sich Larry und Peggy nicht nur selbst Wissenschaftlichkeit statt Abenteurertum. Sie verwiesen vermutlich auch auf die Central Asiatic Expeditions, die Roy Chapman Andrews in den 1920er Jahren unter der Schirmherrschaft des American Museum of Natural History und mit der finanziellen Unterstützung einiger Wall Street-Millionäre durchgeführt hatte. Andrews schrieb über seine Reisen zahlreiche Bücher und Artikel, unter anderem für das National Geographic Magazine und das Harper’s Magazine. Seine Expeditionen hielt er bereits in den 1920er Jahren auf Film fest, und Anfang der 1930er Jahre war er so berühmt, dass Douglas Fairbanks einen Spielfilm über China mit ihm drehen wollte. Seit 1935 leitete Andrews das New Yorker Naturkundemuseum, weshalb sich die Thaws 1938 an ihn wandten, um vorab eine mögliche Kooperation zu besprechen.
Drittens thematisieren beide Filme regelmäßig die eigenen Herstellungsbedingungen und erläutern dabei, worin jeweils der besondere Wert des aufgenommenen Materials liege. So zeigt der Film beispielsweise Larry bei der Arbeit mit einer Kamera oder Peggy, wie sie (angeblich) auf einer Schreibmaschine den Text für die Filme entwirft. Darüber hinaus legen sie häufig offen, wie eine Szene zustande gekommen ist. Als etwa der Autokonvoi in »The Great Silk Route« bei Budapest die Donau überquert, kommentiert der Sprecher: »The scene was photographed from a steep hill«. Zum Aufmarsch der Armee des Maharadschas von Bikaner erfährt man in »India«: »His Highness entertained his princely guests with an impressive night military display. The following day he put the army through his paces again for the benefit of our cameras.« Am anschaulichsten demonstriert jedoch die Aufnahme einer gestellten Hochzeit in der Türkei den neuen transparenten Ansatz (Szene 133). Nachdem der Film bereits eine inszenierte Vermählungszeremonie bei einem Nomadenstamm gezeigt hat, verkündet der Off-Sprecher wenige Minuten später:
Let’s stage another wedding. It should be a good contrast to the Turkoman ceremony. […] All this was arranged by the resourceful Mr. Burhan Belge, and of course could never have been filmed without government assistance. […] This happy scene in a Hatai village square may never be duplicated. Old customs are evaporating under the hot glare of progress in Turkey.
Szene 133 »The Great Silk Route«, Margaret und Lawrence Thaw, 1940, 73 Min., Imperial War Museum.