672.1. Der Social Calendar – Ein Jahr und ein Tag in der High Society

Ein Jahr

Den Ablauf eines Jahres in der High Society koordinierte ein sozialer Kalender, der vorgab, wann und wo in Nordamerika und Europa Saison war. Sein Gerüst bildete eine Reihe von jahreszyklischen rituellen Festen, denen sich die lebenszyklischen Rituale der High Society unterordneten. Die sogenannte social season in New York begann im Oktober und dauerte bis Ende Januar. Ihre Höhepunkte stellten die jährliche Eröffnung der Metropolitan Opera gegen Ende Oktober und der Beaux Arts Ball im späten Januar dar. Dazwischen fanden weitere Veranstaltungen statt, etwa der Cholly Knickerbocker-Ball und andere private Feiern sowie die coming out-Partys der Debütantinnen. Den Februar verbrachte man daraufhin in Palm Beach, krönender Abschluss dieses Aufenthalts waren die Kostümbälle im Royal Poinciana Hotel am Washington’s Day bzw. die exklusivere Konkurrenzveranstaltung des Everglades Club. Für die anschließende small season begab man sich zurück nach New York, um an den Hochzeiten, die in die Osterzeit fielen, und an der Easter Parade, dem ostersonntäglichen Schaulaufen auf der Fifth Avenue, teilzunehmen.[1] Danach konnte die High Society nach Europa oder doch zumindest nach Newport, Saragota oder in die Landhäuser in Connecticut aufbrechen.[2] All diejenigen, die sich dieser zeitlichen 68Strukturierung unterwarfen, schlossen sich jedes Jahr erneut zu einer Gemeinschaft zusammen und wurden von den High Society-Reporter/inne/n zugleich als Gruppe konstituiert.[3]

Einige der Rituale, die den Rhythmus der New Yorker Wintersaison bestimmten, stammten noch aus dem Gilded Age, unter den neuen medialen Spielregeln der High Society wandelten sich in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts allerdings ihre Funktion und Bedeutung.[4] Die alljährliche Eröffnung der Metropolitan Opera ist ein besonders gutes Beispiel dafür. Gegründet wurde die New Yorker Oper in den frühen 1880er Jahren u. a. von den Vanderbilts, Goulds und Whitneys, jenen reichen Aufsteiger/inne/n, denen die alte kaufmännische Elite der Belmonts, Astors und Stuyvesants den Zugang zur New York Academy of Music hartnäckig verwehrte. Die Academy of Music konnte der Konkurrenz des neuen Opernhauses jedoch nicht standhalten und musste 1885 schließen. Damit entwickelte sich die Metropolitan Opera schnell zu einer Institution, die ›altes‹ und ›neues‹ Geld gleichermaßen anzog und dazu beitrug, eine homogene Upper Class auszubilden. So stand die Oper für Hochkultur und äußerste Exklusivität und begründete damit den gesellschaftlichen Führungsanspruch ihrer Besucher/innen.[5] Das Herzstück der Metropolitan Opera stellten die Logen im sogenannten Golden Horseshoe dar, die mit den Namen ihrer Besitzer versehen waren und auf deren soziale Stellung verwiesen.

Bereits im Gilded Age ging es durchaus auch darum, zu sehen und gesehen zu werden, allerdings spielte sich dies noch in einem recht abgeschlossenen Rahmen ab. Die jährliche Eröffnungsfeier diente vor allem dazu, eine Grenze zwischen der Upper Class und der restlichen Bevölkerung zu markieren und aufrechtzuerhalten. Auch mit der Etablierung der High Society verwies der Opernbesuch noch auf Vermögen und einen distinguierten Geschmack; nicht zuletzt die luxuriöse Garderobe und der Schmuck der Damen machte das jedes Jahr aufs Neue deutlich. Weil es nun jedoch auch darauf ankam, sich vor der Presse und den Newsreel-Kameras zu inszenieren, veränderten sich die Abläufe. Am Eröffnungsabend betraten die ›normalen‹ Gäste das Gebäude durch den am Broadway liegenden Haupteingang, während die Angehörigen der High Society vor dem Eingang an der 40th Street vorfuhren und sich beim Aussteigen einem Heer von Reporter/inne/n und Fotograf/inn/en präsen69tierten.[6] Ein Zeitungsartikel im Daily Mirror beschreibt das Procedere zwischen High Society und Kameraleuten folgendermaßen:

No diva ever made a more stunning entrance than did Mrs. Cornelius Vanderbilt. The camera brigade stampeded when she walked into the lobby, gorgeously appareled and scintillating with jewels. […] A target for the cameras was Mrs. Lawrence Copley Thaw, looking like the Maid of the Mist in silver lace. Her silver fox matched her traperies.[7]

Peggys Beschreibung der Eröffnungsnacht im November 1931 ähnelt den Zeitungsberichten in bemerkenswerter Weise und zeigt, wie sehr diese ihre Wahrnehmung prägten. In ihrem Tagebuch hielt sie fest: »Opening of opera, very thrilling, flashlights, beautiful jewels & clothes etc.«[8] Nach dieser ersten Interaktion folgten die Reporter/innen der High Society in das Operngebäude und dort weiter in Sherry’s Bar. Nicht selten verbrachte die High Society den größten Teil der Aufführung hier gemeinsam mit den Journalist/inn/en anstatt in einer Loge. Zu den Gästen zählten in den 1930er Jahren außerdem nicht mehr nur New Yorks Millionär/inn/e/n, sondern auch High Society-Reporter/innen und Nachtclubbesitzer/innen wie 1935 etwa der Reporter Lucius Beebe und Jack Kriendler, der Betreiber des beliebten Clubs Jack and Charlie’s (auch 21 genannt).[9]

Mit der jährlichen Wiederholung aktualisierten die Angehörigen der High Society ihren gesellschaftlichen Status, zugleich bestätigten sie – und die Massenmedien – aber auch die Existenz und Legitimität der High Society. Indem sich die aus dem Gilded Age stammenden Rituale dem gesellschaftlichen Wandel anpassten, vermittelten sie den Übergang von der Upper Class zur High Society und stifteten dabei Stabilität in einer Phase des Umbruchs.[10] Insgesamt trat die Bedeutung dieser großen Rituale allerdings zugunsten alltäglicher ritualisierter Praktiken in den Hintergrund.[11] Da sich massenmediale Sichtbarkeit prozesshaft entwickelte und der High Society-Status flüchtig war, reichte es nicht aus, nur im Rahmen dieser Großereignisse in den Medien thematisiert zu werden. Ebenso wichtig war es, regelmäßig auch in weniger spektakulären Kontexten in Erscheinung zu treten. In einem gelungenen Outfit beim Einkaufsbummel auf der Fifth Avenue (Abb. 8, rechts) oder im Nachtclub fotografiert zu werden, funktionierte dabei nach den gleichen Prinzipien wie bei der Eröffnungsfeier der Metropolitan Opera (Abb. 8, links) oder bei der Easter Parade. In einer standardisierten Interaktion mit den Medienschaffenden galt es, Körper, Kleidung und Accessoires zu präsentieren, Blickkontakt zur Kamera zu su70chen oder zu vermeiden und die eigenen Handlungen mit denen der Begleitung abzustimmen. 

 

Abb. 8 Peggy am 22.12.1935 am Eröffnungsabend der Met, New York Herald Tribune, 22.12.1935 [o. S.], und Peggy beim Bummeln in Manhattan [o. A.], Privatnachlass Thaw.

 

Ebenso verloren auch die lebenszyklischen Rituale an Bedeutung, die im Gilded Age einen Statuswandel bewirkt und damit den Erhalt der Upper Class als geschlossene soziale Formation gewährleistet hatten. Die über massenmediale Sichtbarkeit organisierten In- und Exklusionsprozesse der High Society ersetzten zunehmend die Kontrollmechanismen des coming out oder der Hochzeit. Diese hatten den Zugang zur Upper Class reglementiert und ihren Fortbestand gesichert. Wie bereits gezeigt, hatte Peggys Debüt keinen wesentlichen Einfluss auf ihre Stellung in der High Society. Diese Entwicklung setzte sich in den 1920er und 1930er Jahren weiter fort, sodass Elsa Maxwell 1939 keinen Sinn mehr in diesem Ritual erkannte. Provokativ fragte sie: »How […] can a girl who was seen in every night club in New York, Palm Beach and Nassau for two or three seasons have a coming-out party?«[12] Auch Peggys Hochzeit änderte zunächst nichts an ihrem auf Sichtbarkeit und Unterhaltung ausgerichteten Lebensstil. Noch bis 1928 trat sie etwa mit den ehemaligen Spinsters-Kolleginnen auf und verlegte 71sich erst nach der Geburt des zweiten Sohns auf die Arbeit im Organisationskomitee der Gruppe. Nichtsdestotrotz blieben unstandesgemäße Eheschließungen zwischen Entertainer/inne/n und Sprösslingen aus Upper Class-Familien in den 1920er und 1930er Jahren aber durchaus noch umstritten. Ellin Mackays Hochzeit mit dem Musiker Irving Berlin etwa traf ebenso auf – elterlichen und gesellschaftlichen – Widerstand wie diejenige von Phyllis Potter und Fred Astaire.[13]

Auch die Geburt von Nachkommen spielte eine immer unwichtigere Rolle für den Erhalt der eigenen sozialen Gruppe wie für den High Society-Status der Eltern. Die Gesellschaftsberichterstattung interessierte sich kaum für Kinder, deren Lebenswandel ja selten die High Society-Themen bediente.[14] Darüber hinaus bedeutete die Geburt von Kindern für die Eltern bzw. insbesondere die Mütter oftmals einen zeitweiligen Rückzug aus dem High Society-Alltag sowie eine Unterbrechung der jährlichen Reisen. Larry und Peggy verbrachten 1926 und 1928 die letzten Monate der Schwangerschaften sowie die Zeit danach überwiegend in ihren Landhäusern in Rye, New York, bzw. Greenwich, Connecticut, wo sie keinen Vertreter/inne/n der Medien begegneten. So beklagte auch ein Zeitungsartikel vor der Geburt des ersten Sohns Lawrence Copley jr.: »The Lawrence Copley Thaws have been missed from many of the parties lately«.[15] Dagegen berichtete ein anderer Artikel bewundernd von Peggys erstem Tanzauftritt einen Monat, nachdem Lawrence jr. zur Welt gekommen war: »The former Peggy Stout was as vivacious as ever and danced as gaily as if she hadn’t the responsibilities of motherhood upon her plump shoulders.«[16] Zur Geburt des zweiten Sohns David im Juni 1928 finden sich schließlich überhaupt keine Hinweise in der Presse.

Bezeichnenderweise kommen die Thaw-Kinder auch in Larrys und Peggys Filmen kaum vor. Zwar nahm das Paar seine Söhne oft mit nach Europa, sie tauchen aber nur in einem Film am Rande auf. Larry filmte Lawrence jr. und David immer wieder von frühester Kindheit an, dann aber meist in den Landhäusern oder in New York. Hier sieht man die beiden vor allem in Begleitung der Großeltern, Edward und Agnes Stout, sowie des Kindermädchens, die sich alle gemeinsam um die Jungen kümmerten. Dieses Material scheint Larry in den frühen 1940er Jahren zu einem Film zusammengefügt zu haben, in dem es ausschließlich um die Kinder geht.[17] Der zweite Europafilm der Thaws von 1927 trägt dagegen den vielsagenden Titel »The Flight of the Parents or the Escape from Greenwich«. Die mediale Konstruktion des elterlichen High Society-Lebens auf der einen und des Kinder- und Großelternalltags auf der an72deren Seite verstärkte die Trennung von Kindern/Großeltern und High Society noch. Diese unterschiedlichen Sphären verweisen dabei ganz grundsätzlich auf die Bedeutung von Alter für die High Society: Wer zu jung oder eben auch zu alt war, blieb für die Gesellschaftsberichterstattung im Grunde uninteressant. Was stattdessen zählte, war ­Jugendlichkeit, der damit verbundene aufsehenerregende Lebenswandel und ein sportlicher, dynamischer Körper. In dieser Hinsicht wird noch einmal deutlich, ­warum viele lebenszyklische Rituale in der High Society in den Hintergrund traten, repräsentierten sie doch stets zugleich einen Alterungsprozess.[18]

Tatsächlich wirkte sich Alter wesentlich auf die Zugehörigkeit zur High Society aus. Um die Jahrhundertwende konstruierten die Naturwissenschaften den Alterungsprozess einerseits als Problem, indem sie ihn mit intellektuellem und physischem Verfall gleichsetzten.[19]Andererseits erprobten sie die unterschiedlichsten Verjüngungstherapien, um dieses Dilemma abzuwenden.[20] Abhilfe versprachen zudem Sport, Schönheitschirurgie und insbesondere Kosmetikprodukte. Zugleich bildete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein »mittleres Alter« als distinkte Lebensphase heraus. Mediziner, Fitnessexperten und Soziologen erklärten, mit 35 Jahren sei der Höhepunkt der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit erreicht und das Stadium zwischen vierzig und fünfzig Jahren stelle eine Periode des Übergangs und der Veränderung dar.[21]Jugendlichkeit als (Schönheits-)Ideal entstand nicht erst um 1900, nun verband es aber auf neuartige Weise Vorstellungen von Attraktivität, geistiger Schnelligkeit, körperlicher Gesundheit und Leistungsfähigkeit mit einem angelsächsischen Überlegenheitsdenken.[22]

In diesem Kontext verjüngten sich nicht nur die Werbefiguren – T. J. Jackson Lears etwa konstatiert in seiner Studie ein »definite movement away from formidable mother figures to giggling teenagers«.[23] Aus der zeitgenössischen »preoccupation with youth«[24] ergab sich auch für die High Society ein Ausschlusskriterium: Wer (sichtbar) alterte, an der/dem verloren die Medien rasch das Interesse, sodass auf diese Weise eine natürliche Fluktuation gewährleistet schien. Vor allem Frauen waren dem Jugendlichkeitspostulat unterworfen – und dem Spott der Journalist/inn/en ausgesetzt. Maury Pauls Assistentin Eve Brown erinnerte sich beispielsweise:

73He never, for example, passed up an opportunity to mention Lady Mendl’s age; Cholly Knickerbocker readers were carefully kept up to date on that fact every few month or so. »The amazing Lady Mendl,« he once wrote, »is still going strong, at an age when most females take to a rocking chair … .« Nothing could wound a woman so mortally, of course, and Maury knew it.[25]

So ist auch in »The Women« die ältere Flora Countess De Lave die Lachnummer des Films. Die vielfach geschiedene, circa fünfzigjährige Flora versucht, ihr Alter und ihren alternden Körper durch auffällige Kleidung und Make-up sowie ein exaltiertes Verhalten wettzumachen, wobei sie stets lächerlich und geschmacklos wirkt. Schließlich verlässt ihr aktueller Ehemann, der junge Sänger Buck Winston, sie für eine jüngere Frau. Die Szene zeigt Flora in einer melodramatischen Pose – ihr Alter, ihr Körper und ihr Verhalten fallen aus dem Rahmen (Szene 1). 

Szene 1 »The Women«, R: George Cukor, USA 1939, 133 Min., Warner Brothers.

 

Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierte sich somit in der High Society im Hinblick auf Alter eine Asymmetrie zwischen Männern und Frauen, die bis heute andauert. Zwar waren männliche und weibliche Attraktivität grundsätzlich an Jugendlichkeit geknüpft, bei Frauen galt Altern aber schneller als negativ besetzt.[26] Diejenigen New Yorkerinnen, die wie Peggy Anfang der 1920er Jahre als Achtzehn- und Neunzehnjährige Teil der High Society geworden waren und sie in den folgenden zwanzig Jahren maßgeblich geprägt hatten, verschwanden in den frühen 1940er Jahren aus den Society Pages.[27] Ihre Nachfolgerinnen, die sogenannten glamour girls (z. B. Brenda Frazier und Gloria Vanderbilt jr.), drückten mit ihrem Titel – den naturgemäß die High Society-Journalist/inn/en verliehen – noch unmissverständlicher aus, wie wichtig Jugendlichkeit war. Bei ihren männlichen Äquivalenten, den sogenannten playboys, hatte allerdings keine Verjüngung stattgefunden. Hier tummelten sich nach wie vor die Namen derer in den Klatschkolumnen, die bereits in den 1920er Jahren in den Zeitungen gestanden hatten.[28]

Ein Tag

Ähnlich durchgeplant und ritualisiert wie ein Jahr gestaltete sich für die Thaws auch ein gewöhnlicher Tag in den 1930er Jahren in New York, der sich mithilfe von Peggys 74Tagebuch idealtypisch rekonstruieren lässt:[29] Während Larry tagsüber arbeitete, stand Peggy spät auf, hatte Italienisch- oder Spanischunterricht oder ging mit ihren Söhnen in den Central Park. Mittags traf sie sich mit Freundinnen zum Essen – bevorzugt in Grandhotels wie dem Plaza, dem Sherry Netherlands oder dem Pierre. Am Nachmittag kaufte Peggy regelmäßig neue Kleidung in Warenhäusern wie Macy’s, Best, Saks oder Wanamaker’s sowie hin und wieder Einrichtungsgegenstände in Auktionshäusern. Zudem ging sie in Schönheitssalons und machte zur körperlichen Ertüchtigung lange Spaziergänge oder Sportübungen. Daraufhin besuchte sie Freund/inn/e/n in deren Apartments für eine Tee- oder Cocktailparty. Nachdem Peggy die ersten beiden Drittel des Tages überwiegend in weiblicher Gesellschaft verbracht hatte, fanden sich nun auch Larry und andere (Ehe-)Männer nach der Arbeit ein. Im Anschluss daran ging es ins Kino, in ein Broadwaytheater oder in die Oper, zum Abendessen wieder ins Grandhotel oder in ein exklusives Restaurant (zu Zeiten der Prohibition in den 1920er Jahren auch in schicke speak­easys). Den Rest der Nacht verbrachte man schließlich in einem Nachtclub wie dem Embassy, Colony, El Morocco oder 21 bzw. auf einer Privatparty in einer Upper East Side-Wohnung. Larry und Peggy waren meist in einer Gruppe von sechs bis zehn Personen unterwegs, trafen aber auch überall Bekannte, denen sie sich anschließen konnten. Der Tag endete oftmals erst in den frühen Morgenstunden. Ruhige Nachmittage und Abende mit der Familie waren dagegen recht selten. Um dieses Leben führen zu können, bedurfte es nicht nur der entsprechenden finanziellen Mittel, die den permanenten Konsum von teuren Waren und Dienstleistungen ermöglichten. Auch die Verantwortung für den Haushalt und die Kindererziehung musste fast vollständig an Angestellte und in Peggys Fall an die Großeltern delegiert werden. Die Gesellschaftsberichterstattung wiederum bestätigte und aktualisierte diesen Tagesablauf, indem sie von einzelnen Etappen wie den Treffen im Restaurant, dem Einkaufsbummel oder den nächtlichen Partys berichtete. Einschneidende Ereignisse etwa während der Depressionsjahre fielen in diesem straffen Zeitplan leicht unter den Tisch. Im März 1933 hielt Peggy beispielsweise lapidar fest: »Banks closed today & no checks can be cashed. To lunch Beth Leary«.[30]

So sehr Peggy ihr luxuriöses Leben genoss, illustriert ihr Tagebuch doch, dass ihr all die Veranstaltungen nicht immer Vergnügen bereiteten. Wichtiger noch als die Verpflichtung, dem jährlichen Kalender zu folgen, war es, alle wesentlichen Stationen eines Tages zu durchlaufen. Peggy fühlte sich dabei oft körperlich geschwächt und psychisch angeschlagen. Viele Tagebucheinträge beginnen mit »Exhausted & nerves very bad«, »Felt rottenly« oder: »Slept all morning, dead to world«.[31] Nichtsdestotrotz raffte sie sich aber immer wieder auf und nahm am gesellschaftlichen Leben teil. Zeilen wie: »Felt sick all day, […]. Lunch Pierre [Grandhotel, J. H.] […]. 75Bed all afternoon. Dined at the Hewitts & to see ›As husbands go‹ [Musical, J.H.]« und »Miserable day. Had injection. Slept. Pulled myself together & dined at Theus Mund’s with the Kaisers & de L’Aigle. Went to see ›The wives they are‹ [Musical, J. H.] & to the Embassy [Nachtclub, J. H.]« unterstreichen, dass die Teilhabe am New Yorker High Society-Alltag nicht immer ganz freiwillig geschah, sondern teilweise einen zwanghaften Charakter hatte.[32] Das führt zudem noch einmal vor Augen, wie wichtig die alltäglichen ritualisierten Praktiken waren, die die High Society nicht nur in face-to-face-Interaktionen zusammenhielten, sondern vor allem auch ein regelmäßiges Zusammentreffen mit Journalist/inn/en ermöglichten.

Darüber hinaus offenbart der Tagesablauf auch Konfliktlinien und Machtasymmetrien, die das Leben in der High Society prägten und sich insbesondere auf das Geschlechterverhältnis auswirkten. Wie bereits gezeigt, bündelten Frauen als Konsumexpertinnen und Trendsetterinnen nicht nur stärker das Interesse der Medien. Sie konnten auch mehr Zeit in diese Tätigkeiten investieren, während die arbeitenden Männer erst ab dem späten Nachmittag in Erscheinung traten.[33] Dabei waren Männer in der High Society aber ebenso einem auf Konsum und Freizeitvergnügen ausgerichteten Lebensstil verpflichtet und weniger einer klassischen Rolle als Ernährer und Familienväter. Bezeichnenderweise war das Verhältnis von Larrys Karriere als Broker und seiner Stellung in der High Society in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren immer wieder problematisch. Larry zielte schon früh darauf ab, zum Firmenpartner von Wood, Struthers & Co. aufzusteigen. Seine Vorgesetzten hielten allerdings sein extravagantes Auftreten – Larry ließ sich z. B. immer im Rolls Royce zu Kunden fahren – und seine Medienpräsenz für unseriös.[34] Als er Anfang der 1930er erfuhr, dass sich seine Karrierepläne nicht erfüllen würden, kündigte er bei der Firma und kaufte sich im Mai 1933 für 105.000 Dollar (heute rund 2 Millionen Dollar) einen eigenen Sitz an der New Yoker Börse.[35] Dabei ging es nicht nur um enttäuschte Erwartungen, Larry wollte auch mehr Zeit in seine Filmreisen investieren und die Professionalisierung seiner High Society-Karriere vorantreiben.[36] Selbst wenn Männer jedoch bei einer Veranstaltung anwesend waren, kam es nicht 76selten vor, dass die Journalist/inn/en sie am Ende wieder unsichtbar machten, wie das Foto einer Bildagentur und der anschließende Zeitungsartikel zeigen (Abb. 9).

Abb. 9 Larry und Peggy am 22.5.1934 [o. A.] und ACME News Pictures, Privatnachlass Thaw.

 

Am eindrücklichsten bringt der erwähnte Film »The Women« das in der High Society vorherrschende Geschlechterverhältnis auf den Punkt, indem er einfach komplett auf männliche Parts verzichtete. Das sollte jedoch nicht zu der Annahme verleiten, dass Männer in der High Society eine untergeordnete Rolle spielten, erwirtschafteten und kontrollierten sie doch zumeist die Familienvermögen und hatten somit strukturell Einfluss auf den High Society-Status ihrer Frauen und Töchter.

Dieses Spannungsverhältnis zwischen massenmedialer Sichtbarkeit und Vermögen wirkte sich auch auf Larrys und Peggys Ehe aus. Peggy erhielt eine monatliche Summe zu ihrer freien Verfügung, die jedoch nicht immer ausreichte. 1932 klagte sie in ihrem Tagebuch: »Paid my bills tonight which is very distressing as I always seem to have so many bills & no money«.[37] Die Lage spitzte sich in den späten 1930er und 1940er Jahren zu, als die Ehe der Thaws in eine Krise geriet. In dieser Situation kürzte oder verweigerte Larry Peggy immer wieder Zahlungen.[38] Dennoch profi77tierte Larry von Peggys medialer Sichtbarkeit, und nicht zuletzt der spätere Erfolg der professionellen Reisefilme basierte maßgeblich darauf. So kann man nicht einfach von zwei getrennten Sphären, einer harten Finanz- und einer künstlichen ­Medienwelt, sprechen. High Society-Status, Vermögen und Nahbeziehungen waren vielmehr stets eng miteinander verknüpft.[39]

Die größere mediale Sichtbarkeit kreierte für Frauen zudem ein ambivalentes Verhältnis von Ermächtigung und Entmächtigung. Schließlich nahmen sie in der High Society zwar eine sichtbarere und handlungsmächtigere gesellschaftliche Stellung ein als in der Upper Class, sie boten aber zugleich eine größere Angriffsfläche für Kritik und Spott. Die Annahme, unter ständiger medialer Beobachtung zu stehen, erhöhte dabei den Druck, bestimmten Schönheitsidealen, Modetrends und Verhaltensnormen zu entsprechen. Neben der pausenlosen Partizipation am medialisierten High Society-Alltag bedeutete das für Peggy vor allem, dass sie viel Zeit in ihr Erscheinungsbild – ihre Kleidung und ihren Körper – investieren musste. Peggys Tagebuch belegt anschaulich, dass sie einen wesentlichen Teil des Tages damit zubrachte, sich um ihren Körper zu kümmern. Immerhin konzentrierte sich die Gesellschaftsberichterstattung neben Mode und Schmuck explizit auf die Körperform und -beschaffenheit der weiblichen High Society-Mitglieder und bewertete ihr Aussehen von den Haaren bis zu den Fingernägeln. Wie wichtig einerseits ein rundum gepflegter Körper für den High Society-Status war, illustrieren zwei Artikel über Peggy, deren Attraktivität der Cholly Knickerbocker mit den Worten pries: »[S]he represents the last word in sartorial elegance. Her hair is always beautifully done, her manicure is perfection and, all in all, she radiates ›chick‹«.[40] Und: »She’s slender, chick and has an excellent complexion.«[41]

Andererseits konnte ein abweichendes Aussehen Spott und Häme provozieren, wie Chollys gehässiger Kommentar über Peggys Freundin Mrs. »Rad« Romeyn zeigt, »who seems to be suffering from enbonpoint [!] – or are my optics out of focus?«[42] Auch über eine angebliche Nasen-OP von Josephine »Fifi« Widener spekulierte er: »When next you gaze upon Joe Widner’s [!] popular daughter, she will have a brand new nose. I have not heard just what type of nose Fifi selected – but when as she has such excellent taste in everything, I am inclined to believe it will be a 1932, or perhaps even a 1933 model.«[43]

78Eng verknüpft mit dem Bedeutungswandel von Alter als sozialer Strukturkategorie setzte um die Jahrhundertwende auch eine Entwicklung ein, die Körperbilder neu verhandelte. Galt Schönheit im 19. Jahrhundert noch als naturgegebene Eigenschaft, erfuhr sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Demokratisierung. Ein gutes Aussehen erforderte vor allem seit den 1920er Jahren harte Arbeit und Charakterstärke.[44] Dieses Leistungsdenken bezog sich gleichermaßen auf den Körper wie auf das Gesicht: Um 1900 etablierte sich Schlankheit als Körperideal, während Ärzte und Krankenversicherungen statistische Daten zum neu entdeckten Normalgewicht popularisierten.[45] Nicht nur durch Diäten und Sportübungen konnte der eigene Körper jetzt attraktiver werden, auch Körperhygiene und Sauberkeit rückten in die Verantwortung der/des Einzelnen. Schon früher gab es zwar Mundwasser und Parfüms, doch mit der Jahrhundertwende begann ein geradezu obsessiver Kampf gegen Körpergerüche. Nun wehrte man nicht einfach nur eine unangenehme Erscheinung ab, sondern zugleich die Gefahr von Statusverlust und sozialer Ausgrenzung.[46]

Der Körper wurde so zu einer Ressource im Kampf um soziale Anerkennung und Status stilisiert, über die grundsätzlich jede/r verfügte. Das reflektierten und verstärkten auch die Miss America-Schönheitswettbewerbe, die in den 1920er Jahren populär wurden und gerade keine Queen oder Lady kürten. Zudem druckten Zeitschriften die Körpermaße der Gewinnerinnen für ihre Leserinnen zur Nachahmung ab.[47] Ein Massenmarkt für Kosmetikartikel für das weibliche Gesicht entstand schließlich in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts – vor dem Ersten Weltkrieg galt es für Frauen noch als inakzeptabel, Schminke zu tragen.[48] Die Kosmetikindus79trie richtete ihre Anzeigen in erster Linie an Frauen, weil sie diese für empfänglicher und irrationaler beim Einkauf hielt. Außerdem gelang es den Herstellern in den 1920er und 1930er Jahren nicht, neben Rasierzubehör andere Produkte für Männer auf den Markt zu bringen.[49] Schlankheit, Sportlichkeit und Hygiene setzten sich aber auch für Männer als neues Körperideal durch und signalisierten Effizienz und Selbstkontrolle.[50] Populäre Publikationen wie die Zeitschrift Physical Culture illustrieren, dass der Weg zu einem attraktiven Körper mithilfe von Sportübungen beiden Geschlechtern offenstand, und versorgten ihre Leserschaft mit entsprechenden Ratschlägen und Erfolgsgeschichten.[51] Auch der Kult um Hollywoodstars kreiste gleichermaßen um die Körper von Schauspielerinnen wie von Schauspielern.[52] In der High Society galten etwa Prinz Edward von Wales oder der New Yorker Bürgermeister Jimmy Walker in Modefragen als tonangebend, insgesamt setzte sich hier der Fokus auf beide Geschlechter allerdings langsamer durch.

Während Larry, der schon als Kind mit Übergewicht kämpfte, in den frühen 1930er Jahren stark zunahm und keinesfalls dem auf Schlankheit und Sportlichkeit basierenden Schönheitsideal entsprach, unterzog sich Peggy kosmetischen Be­handlungen und achtete streng auf ihr Gewicht. Die Arbeit am eigenen Körper ­beeinflusste Peggys ­Tagesablauf maßgeblich, indem sie regelmäßig in den Schönheitssalon ging, Sportübungen machte, Diäten absolvierte oder akribisch ihren Körperumfang von der Hüfte über die Oberarme bis zu den Schenkeln vermaß. Von ihrem Erscheinungsbild hing außerdem wesentlich ab, ob sie sich gut oder schlecht fühlte. Die Tagebucheinträge vom Juli 1931 dokumentieren sehr anschaulich die Höhen und Tiefen einer Diät:

16.7. Pretty weak from my first day of diet, didn’t go to town.

18.7. Am on my 4th day of the Hollywood diet & have lost about 4 Ibs, am strong but a bit hungry.

20.7. On the 5th day of my diet & weigh 115 Ibs & so it is my last day as all I wanted to loose has come off and maybe I’m not hungry.

21.7. What a day! Still 115 Ibs.

24.7. On diet again because of big dinner last night. Felt pretty weak, walked 4  miles.

25.7. Cheers, down to 114 Ibs & feel much better. […] Walked 4 miles.«[53]

 

80Nicht zufälligerweise beginnt der Film »The Women« in einem Schönheitssalon. Die erste Szene gewährt einen komischen Einblick in die vielfältigen Behandlungen, welche die Frauen über sich ergehen lassen. Zugleich illustriert sie, wie einerseits die Angst vor dem Altern und andererseits die Hoffnung auf sozialen Aufstieg eng mit dem Körper verflochten waren (Szene 2).

Szene 2 »The Women«, R: George Cukor, USA 1939, 133 Min., Warner Brothers.

 

Indem sich Peggy ständig selbst beobachtete, antizipierte und übernahm sie den Blick der Massenmedien und richtete ihr Verhalten daran aus, deren Fremdbild mit ihrem Selbstbild in Einklang zu bringen. Ihre Sorge um ein gutes Aussehen ging sogar so weit, dass sie sich auch in dieser Hinsicht Gedanken über ihre Söhne machte und bei der Rückkehr von der Indienreise 1940 nach fast einjähriger Trennung alarmiert bemerkte: »Really, the boys have improved immensely in intelligence and sweetness though I don’t think in looks«.[54]