672.1. Der Social Calendar – Ein Jahr und ein Tag in der High Society
Ein Jahr
Den Ablauf eines Jahres in der High Society koordinierte ein sozialer Kalender, der vorgab, wann und wo in Nordamerika und Europa Saison war. Sein Gerüst bildete eine Reihe von jahreszyklischen rituellen Festen, denen sich die lebenszyklischen Rituale der High Society unterordneten. Die sogenannte social season in New York begann im Oktober und dauerte bis Ende Januar. Ihre Höhepunkte stellten die jährliche Eröffnung der Metropolitan Opera gegen Ende Oktober und der Beaux Arts Ball im späten Januar dar. Dazwischen fanden weitere Veranstaltungen statt, etwa der Cholly Knickerbocker-Ball und andere private Feiern sowie die coming out-Partys der Debütantinnen. Den Februar verbrachte man daraufhin in Palm Beach, krönender Abschluss dieses Aufenthalts waren die Kostümbälle im Royal Poinciana Hotel am Washington’s Day bzw. die exklusivere Konkurrenzveranstaltung des Everglades Club. Für die anschließende small season begab man sich zurück nach New York, um an den Hochzeiten, die in die Osterzeit fielen, und an der Easter Parade, dem ostersonntäglichen Schaulaufen auf der Fifth Avenue, teilzunehmen.[1] Danach konnte die High Society nach Europa oder doch zumindest nach Newport, Saragota oder in die Landhäuser in Connecticut aufbrechen.[2] All diejenigen, die sich dieser zeitlichen 68Strukturierung unterwarfen, schlossen sich jedes Jahr erneut zu einer Gemeinschaft zusammen und wurden von den High Society-Reporter/inne/n zugleich als Gruppe konstituiert.[3]
Einige der Rituale, die den Rhythmus der New Yorker Wintersaison bestimmten, stammten noch aus dem Gilded Age, unter den neuen medialen Spielregeln der High Society wandelten sich in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts allerdings ihre Funktion und Bedeutung.[4] Die alljährliche Eröffnung der Metropolitan Opera ist ein besonders gutes Beispiel dafür. Gegründet wurde die New Yorker Oper in den frühen 1880er Jahren u. a. von den Vanderbilts, Goulds und Whitneys, jenen reichen Aufsteiger/inne/n, denen die alte kaufmännische Elite der Belmonts, Astors und Stuyvesants den Zugang zur New York Academy of Music hartnäckig verwehrte. Die Academy of Music konnte der Konkurrenz des neuen Opernhauses jedoch nicht standhalten und musste 1885 schließen. Damit entwickelte sich die Metropolitan Opera schnell zu einer Institution, die ›altes‹ und ›neues‹ Geld gleichermaßen anzog und dazu beitrug, eine homogene Upper Class auszubilden. So stand die Oper für Hochkultur und äußerste Exklusivität und begründete damit den gesellschaftlichen Führungsanspruch ihrer Besucher/innen.[5] Das Herzstück der Metropolitan Opera stellten die Logen im sogenannten Golden Horseshoe dar, die mit den Namen ihrer Besitzer versehen waren und auf deren soziale Stellung verwiesen.
Bereits im Gilded Age ging es durchaus auch darum, zu sehen und gesehen zu werden, allerdings spielte sich dies noch in einem recht abgeschlossenen Rahmen ab. Die jährliche Eröffnungsfeier diente vor allem dazu, eine Grenze zwischen der Upper Class und der restlichen Bevölkerung zu markieren und aufrechtzuerhalten. Auch mit der Etablierung der High Society verwies der Opernbesuch noch auf Vermögen und einen distinguierten Geschmack; nicht zuletzt die luxuriöse Garderobe und der Schmuck der Damen machte das jedes Jahr aufs Neue deutlich. Weil es nun jedoch auch darauf ankam, sich vor der Presse und den Newsreel-Kameras zu inszenieren, veränderten sich die Abläufe. Am Eröffnungsabend betraten die ›normalen‹ Gäste das Gebäude durch den am Broadway liegenden Haupteingang, während die Angehörigen der High Society vor dem Eingang an der 40th Street vorfuhren und sich beim Aussteigen einem Heer von Reporter/inne/n und Fotograf/inn/en präsen69tierten.[6] Ein Zeitungsartikel im Daily Mirror beschreibt das Procedere zwischen High Society und Kameraleuten folgendermaßen:
No diva ever made a more stunning entrance than did Mrs. Cornelius Vanderbilt. The camera brigade stampeded when she walked into the lobby, gorgeously appareled and scintillating with jewels. […] A target for the cameras was Mrs. Lawrence Copley Thaw, looking like the Maid of the Mist in silver lace. Her silver fox matched her traperies.[7]
Peggys Beschreibung der Eröffnungsnacht im November 1931 ähnelt den Zeitungsberichten in bemerkenswerter Weise und zeigt, wie sehr diese ihre Wahrnehmung prägten. In ihrem Tagebuch hielt sie fest: »Opening of opera, very thrilling, flashlights, beautiful jewels & clothes etc.«[8] Nach dieser ersten Interaktion folgten die Reporter/innen der High Society in das Operngebäude und dort weiter in Sherry’s Bar. Nicht selten verbrachte die High Society den größten Teil der Aufführung hier gemeinsam mit den Journalist/inn/en anstatt in einer Loge. Zu den Gästen zählten in den 1930er Jahren außerdem nicht mehr nur New Yorks Millionär/inn/e/n, sondern auch High Society-Reporter/innen und Nachtclubbesitzer/innen wie 1935 etwa der Reporter Lucius Beebe und Jack Kriendler, der Betreiber des beliebten Clubs Jack and Charlie’s (auch 21 genannt).[9]
Mit der jährlichen Wiederholung aktualisierten die Angehörigen der High Society ihren gesellschaftlichen Status, zugleich bestätigten sie – und die Massenmedien – aber auch die Existenz und Legitimität der High Society. Indem sich die aus dem Gilded Age stammenden Rituale dem gesellschaftlichen Wandel anpassten, vermittelten sie den Übergang von der Upper Class zur High Society und stifteten dabei Stabilität in einer Phase des Umbruchs.[10] Insgesamt trat die Bedeutung dieser großen Rituale allerdings zugunsten alltäglicher ritualisierter Praktiken in den Hintergrund.[11] Da sich massenmediale Sichtbarkeit prozesshaft entwickelte und der High Society-Status flüchtig war, reichte es nicht aus, nur im Rahmen dieser Großereignisse in den Medien thematisiert zu werden. Ebenso wichtig war es, regelmäßig auch in weniger spektakulären Kontexten in Erscheinung zu treten. In einem gelungenen Outfit beim Einkaufsbummel auf der Fifth Avenue (Abb. 8, rechts) oder im Nachtclub fotografiert zu werden, funktionierte dabei nach den gleichen Prinzipien wie bei der Eröffnungsfeier der Metropolitan Opera (Abb. 8, links) oder bei der Easter Parade. In einer standardisierten Interaktion mit den Medienschaffenden galt es, Körper, Kleidung und Accessoires zu präsentieren, Blickkontakt zur Kamera zu su70chen oder zu vermeiden und die eigenen Handlungen mit denen der Begleitung abzustimmen.