2452.3. »We scolded him of course« – Afrikanische Bedienstete
zwischen Ermächtigung und Entmächtigung
Als die Thaws Kano verließen, war John, einer ihrer boys, unauffindbar und sie reisten ohne ihn ab. Der junge Mann sollte auf dem Markt einkaufen, hatte sich verspätet und fand bei der Rückkehr seine Arbeitgeber nicht mehr vor. Der britische Lieutenant von Kano entdeckte ihn jedoch und fuhr der Reisegruppe mit John hinterher. Die Thaws freuten sich zwar über das Wiedersehen, waren allerdings der Meinung, John sei für die ganze Aufregung verantwortlich. In ihrem Tagebuch hielt Peggy fest: »We scolded him of course but he looked so delighted to be back home again that it was only halfhearted.«[1] Dieser kurze Satz fasst die weitverbreitete Einstellung wei246ßer Safariteilnehmer/innen zu ihren einheimischen Bediensteten gut zusammen. Peggy nahm sich und ihren Mann nicht nur als Arbeitgeber wahr, die über den jungen Mann verfügen konnten. Sie sah sich auch in einer erzieherischen Position gegenüber einem unmündigen Menschen. Dieser wiederum brachte den Thaws – zumindest Peggys Meinung nach – aufrichtige Zuneigung und naive Loyalität entgegen. Tatsächlich finden sich ähnliche Formulierungen etwa in Carl Akeleys Autobiografie, wenn er über seinen Gewehrträger Bill schreibt.[2] Afrikanische Bedienstete erschienen in den Erzählungen ihrer Arbeitgeber/innen wie in Spielfilmen zumeist als Kinder – nicht zufälligerweise wurden erwachsene Männer ständig als boys bezeichnet –, die einfältig, aber treu seien.[3]
Dass sich das Verhältnis zwischen weißen Kolonialbeamten, Entdecker/inne/n und Safaritourist/inn/en und ihren einheimischen Bediensteten jedoch wesentlich komplexer gestaltete, hat die jüngere Forschung mit Blick auf Afrika und andere koloniale Settings gezeigt. Übersetzer, Führer, niedrige Angestellte der Kolonialverwaltungen, Gewehrträger und Spurensucher wirkten als Vermittler zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten und beeinflussten deren Interaktionen wesentlich. Mit ihrem wertvollen Wissen nahmen sie in Verhandlungen, Verwaltungsvorhaben und Expeditionen aktive Rollen ein, anstatt bloß Anweisungen zu befolgen. Schließlich trugen sie dadurch oftmals dazu bei, das koloniale Machtgefüge vor Ort zu stabilisieren.[4] Aus einer anderen Perspektive rückt dagegen Ann Laura Stoler in ihren wegweisenden Arbeiten Frauen stärker in den Fokus und untersucht die intimen Beziehungen, die sich insbesondere in häuslichen und sexuellen Kontexten zwischen Einheimischen und Vertreter/inne/n der Kolonialmächte entfalteten. Durch sexuelle Kontakte und ›gemischte‹ Ehen, das Zusammenleben mit Hausbediensteten oder die Erziehung durch einheimische Kindermädchen entstanden Nahbeziehungen, die einerseits von Machtasymmetrien, Zwang und Gewalt geprägt waren. Andererseits fanden genau hier Transgressionen statt, die ›rassische‹ Normen überschritten und verschoben.[5] Zugespitzt auf ein intimes und körperliches Zusammentreffen erweist sich hier auch Pratts »Kontaktzone« als anschlussfähig. Vor die247sem Hintergrund sollte schließlich ein drittes historisches Forschungsfeld nicht außer Acht gelassen werden: die Arbeiten zu (europäischen) Dienstbot/inn/en. Studien in diesem Kontext betonen, dass die Beziehungen zwischen Dienstnehmer/inne/n und Dienstgeber/inne/n oftmals Standes- bzw. Klassengrenzen überschritten und in ein komplexes Kräftegeflecht eingebunden waren. Das tägliche Miteinander im Haushalt und die räumliche und körperliche Nähe konnten durchaus zu gegenseitiger Solidarität und emotionalen Verbindungen führen. Darüber hinaus mochten aber auch ein höheres Alter und ein größerer Erfahrungsschatz der Bediensteten die Hierarchien stören.[6] Als sich Ende des 19. Jahrhunderts schließlich die rechtliche Stellung des Hauspersonals änderte und die Diener/innen zu gefragten Angestellten wurden, vertraten diese auch zunehmend selbstbewusst ihre eigenen Interessen gegenüber der Herrschaft.[7]
Diese drei inhaltlichen Schwerpunkte liefern gleichermaßen wichtige Ansatzpunkte, um die Rolle der afrikanischen Bediensteten in den Filmen der Thaws zu untersuchen. Larry und Peggy stellten 1934/35 vierzehn kenianische Männer an, von denen 1936/37 noch einmal elf für die Thaws arbeiteten und sie jeweils über mehrere Monate begleiteten. So muss also erstens nach deren konkreten Tätigkeiten, den Formen des Zusammenlebens mit den Thaws, den jeweiligen Abhängigkeiten und Hierarchien sowie den Nahbeziehungen gefragt werden. Welchen Einfluss hatten die Dreharbeiten darauf? Wie wirkte sich außerdem der High Society-Hintergrund der Thaws auf das Verhältnis aus? Zweitens soll mit der sogenannten porter safari eine ganz bestimmte Darstellungsweise von einheimischen Bediensteten in den Blick genommen werden, die in Afrikafilmen der 1930er Jahre sehr beliebt war und an der sich auch die Thaws orientierten. Die Stimmen der Kenianer hörbar zu machen, ist dabei schwierig, weil nur mittelbare Zeugnisse über sie überliefert sind.[8] Dennoch lässt sich mit Blick auf das Filmmaterial fragen, über welche Medienkompetenz sie verfügten, wie sie mit den Drehsituationen umgingen und wie die Thaws das Material im fertigen Endprodukt deuteten.
Wie sich die konkreten Arbeitsbedingungen gestalteten, ob die Kenianer etwa auch freie Zeit hatten oder wie viel sie verdienten, ist nicht bekannt.[9] Was die Män248ner tun mussten, ist dagegen in den Filmen und Peggys Tagebüchern überliefert. Sie übernahmen klassische Hausarbeiten wie Kochen und Wäschewaschen, waren Peggy bei der Körperpflege behilflich, begleiteten die Thaws als Gewehrträger auf die Jagd, fuhren die Autos und führten Reparaturen durch. Kurz: das Paar war von seinen Bediensteten abhängig. Hätten sich die Thaws in Europa wohl auch ohne ihren Chauffeur bis zum nächsten Grandhotel durchschlagen können, waren sie in Afrika darauf angewiesen, dass die Kenianer die Lager aufbauten, das Essen zubereiteten und die Vielzahl von Gepäckstücken verstauten und beförderten. Eine Afrikareise mag in den 1930er Jahren komfortabler gewesen sein, als die Thaws sie in ihren Filmen darstellten, dennoch waren sie aber von ihrem Personal abhängig. Wie beeindruckend schnell und effizient dieses arbeitete, hielt Peggy mehrfach in ihrem Tagebuch fest, wobei sie auch anschaulich beschreibt, welche Aufgaben anfielen und wie das tägliche Camp während der Großwildjagd aussah:
It is quite extraordinary to watch our boys erect a small village, cook a dinner, all in the space of an hour. First off the top of the lorry come the two big tents […]. In practically no time at all these are up […]. Each trunk and valise has an accustomed place, so that our room always looks the same and we know where to find things. The cook and his assistants have meanwhile gathered wood, built a fire, and food has been gotten out of the lorries and our sherry and whiskey. Water has been heated […] and I […] have had the warm bath and have changed for dinner.[10]
Larry, Peggy und die Kenianer lernten sich während der beiden Reisen gut kennen, und Peggys Tagebucheinträge belegen, dass sie die Männer mochte und ihnen vertraute. Eine wichtige Voraussetzung dafür war sicherlich, dass die Kenianer aus einer britischen Kolonie stammten und Englisch sprachen. Darüber hinaus verbrachten die Thaws und ihr Personal viel Zeit gemeinsam auf engstem Raum. Das trifft zum Teil auch für die Chauffeure in Europa zu, die sich jedoch in Hotels oder auf den Transatlantikdampfern in abgetrennten Bereichen aufhielten.[11] Die Kenianer lebten dagegen auch in den Zeltlagern oder campten in unmittelbarer Nähe der Hotels. Schließlich hatte zwar der Großwildjäger Major Anderson die Gruppe 1934 in Kenia ausgewählt und sie auch 1936 nach Algier gebracht. Als sogenannter white hunter sollte er eine Führungsrolle gegenüber den einheimischen Helfern einnehmen und verkörperte damit die rassistischen kolonialen Hierarchien.[12] Gerade die Person Andersons führt aber vor Augen, wie instabil diese Position sein konnte. Während der zweiten Reise erkrankte er und musste die Thaws verlassen, die Kenianer allerdings blieben. Schließlich handelte es sich um professionelle Reisebegleiter, die selbst über das nötige Wissen verfügten, wenn sie sich nicht ohnehin besser 249als der Major auskannten.[13] Tatsächlich ist Anderson in »Black Majesty« nicht zu sehen, und Larry schnitt sogar seine Aufnahme aus dem Vorspann wieder heraus.[14] Vor diesem Hintergrund ist es umso bemerkenswerter, wie der Film die afrikanischen Bediensteten einführt (Szene 107).