I. Einleitung                                   Die High Society im Spiegel einer Medienbiografie

 

7 1956 erreichte die High Society die amerikanischen Kinos: Im gleichnamigen Spielfilm von Regisseur Charles Walters ist Grace Kelly als Newport Socialite Tracy ­Samantha Lord nicht nur in drei Romanzen gleichzeitig verwickelt und muss die wahre Liebe finden. Im Verlauf des Films sieht sie sich auch dazu gezwungen, dem Klatschreporter Mike Connor (Frank Sinatra) zu erlauben, für das Spy Magazine exklusiv von ihrer bevorstehenden Hochzeit zu berichten. Als Gegenleistung verzichtet dieser darauf, einen Artikel über die Affäre ihres Vaters mit einer Tänzerin zu veröffentlichen.[1] Die High Society, in deren Kreisen der Film spielt und deren Verknüpfung mit den Massenmedien er zum Thema macht, ist dabei kein Phänomen der 1950er Jahre.[2] Ihre Entstehung lässt sich vielmehr auf die Wende zum 20. Jahrhundert datieren. Bereits 1926 konstatierte etwa der Millionär Vincent Astor in einem Zeitungsartikel: »High Society is only a fiction and if there is any social gulf between different groups of Americans, it isn’t to be measured so much by money as by headlines«.[3]

Was Astor eigentlich relativierend meinte, nämlich dass es in Nordamerika keine reiche Klasse der Bessergestellten gebe und soziale Unterschiede nur ein mediales Konstrukt seien, brachte tatsächlich einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformationsprozess auf den Punkt. Denn mit der High Society etablierte sich in den Vereinigten Staaten um 1900 eine neue soziale Formation, die im Gegensatz zur Upper Class des Gilded Age nicht mehr nur auf Vermögen basierte, sondern sich maßgeblich über massenmediale Sichtbarkeit konstituierte.

In den 1880er Jahren verschob sich im amerikanischen Journalismus der traditionelle Fokus auf Politik und Wirtschaft, und neben neuen Themen wie Sport, human interest stories oder Verbrechen entstand eine distinkte Gesellschaftsberichterstattung.[4] Diese rückte auf den sogenannten Society Pages den scheinbar privaten Kos8mos aus Freundschaften, Liebschaften, Hochzeiten, Partys und Konsumverhalten in den Blick und legte dabei fest, wer zu den neuen gesellschaftlichen Trendsetter/inne/n gehörte. Anfang der 1920er Jahre hatte die Society Page Tabloids wie die New York Daily News oder den New York Daily Mirror ebenso erobert wie die großen Tageszeitungen von der New York Times bis zur New York Herald Tribune.[5] Während die Presse diese Entwicklung anführte, thematisierten ab den 1920er Jahren auch Radiosendungen und Newsreelbeiträge die High Society. »[T]he dominant requisite for membership«, verkündete deshalb der Klatschreporter Lucius Beebe selbstsicher, »was a name that was news, a warrant for existence.«[6] Und auch Beebes Kollegin, die Journalistin, Autorin und professionelle Partygastgeberin Elsa Maxwell bestätigte dreizehn Jahre nach Vincent Astors unfreiwillig hellsichtiger Diagnose: »What is left of Society today […] depends for its existence entirely on the good will of the columnists and the city editors.«[7]

Der Filmtitel »High Society« und das Zitat Astors machen bereits deutlich, dass es sich bei High Society um einen Quellenbegriff handelt, der sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchsetzte.[8] Darüber hinaus versteht die vorliegende Studie High Society aber zugleich als analytisches Konzept, wie es das von Margit Szöllösi-Janze und Nicolai Hannig geleitete Projekt »Die Thaws. High Society, Medien und Familie in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts« herausgearbeitet hat:[9] Wie im Terminus selbst angelegt, beschreibt es eine relationale Beziehung, die jedoch nicht in einem statischen ›Oben‹ und ›Unten‹ aufgeht, sondern zusätzlich ein Spannungsverhältnis von ›in‹ und ›out‹ miteinschließt. Einerseits hatte die High Society Grenzen und ihre Mitglieder waren als solche erkennbar. Andererseits wurden diese Grenzen gerade gezogen, um ihr Überschreiten als erstrebenswert und zugleich möglich darzustellen. Exklusivität entwickelte sich in diesem Zusammenhang vom sozialen Ausschlussmechanismus zu einem symbolischen Wert. ›In‹ zu sein war dabei nicht nur eine räumliche Standortbestimmung, sondern lieferte auch die Erklärung für die herausgehobene soziale Stellung, legitimierte das ›Insider‹-9Wissen der Klatschgeschichten als besonders glaubhaft und ließ die High Society als nahbar und zugänglich erscheinen. Die High Society, so lässt sich deshalb festhalten, war eine überaus fluide gesellschaftliche Formation, deren Mitglieder sich immer nur situativ in ihrer flüchtigen räumlichen und zeitlichen Koordination sowie in ihrer medialen Repräsentation bestimmen lassen.

Das neue Verhältnis von Massenmedien und Gesellschaft, das Zeitgenoss/inn/en zu Beginn des 20. Jahrhunderts entweder kulturkritisch beklagten oder triumphierend bejubelten, ist in den letzten Jahren verstärkt in den Blick der Geschichtswissenschaft gerückt. Insbesondere in der Mediengeschichte haben die Jahrzehnte um die Wende zum vorigen Jahrhundert geradezu notorische Berühmtheit als »massenmediale Sattelzeit«[10] erlangt, in denen sich das »erste vollausgebildete Ensemble von Massenmedien«[11] etablierte und in welche die Geburt des »Visual Man«[12] fällt. Diese gewinnbringende Neuperspektivierung des 20. Jahrhunderts führte bisher jedoch nur in Ansätzen dazu, explizit die Auswirkungen der Medialisierung auf gesellschaftliche Formierungsprozesse zu untersuchen.[13] Die Gesellschaftsgeschichte wiederum hat inzwischen auch die Medien für sich entdeckt und fragt, wie sich medial vermitteltes Wissen auf die Selbstbeobachtung von Gesellschaften auswirkt und Politik, Wissenschaft oder Wirtschaft beeinflusst. Klaus Nathaus spricht in diesem Sinne in Anlehnung an Lutz Raphael von der »Medialisierung des Sozialen«.[14] Die Medialisierung um 1900 beschränkte sich aber keineswegs nur auf eine neuartige Vermittlungsleistung. Tatsächlich spricht die Entstehung der High Society vielmehr dafür, dass die mediale »Durchdringung der Gesellschaft«[15] im 20. Jahrhundert eine neue Qualität erreichte. Der massenmediale »Takeoff« der Jahrhundertwende 10(Frank Bösch) brachte eine soziale Formation hervor, die ohne die Massenmedien schlichtweg nicht vorstellbar ist: die High Society. Um diesen Zusammenhang zu untersuchen, gilt es deshalb, sozial-, medien- und kulturgeschichtliche Ansätze zusammenzuführen.[16]

Die High Society in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

In der High Society traten die Massenmedien als strukturierendes Prinzip an die Seite von Besitz, familialen Beziehungen, Stand und Religion. Dabei lösten sie alte Ordnungsmuster nicht einfach ab, sie entwickelten aber zunehmend eine stärkere gesellschaftliche Prägekraft. Der Vergleich mit der Upper Class macht diese Veränderungen besonders deutlich. Der Historiker Sven Beckert beschreibt, wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Ostküstenmetropolen und insbesondere in New York eine recht homogene Elite entstand, »whose power, in its most fundamental sense, derived from the ownership of capital«.[17] Deren Zusammensetzung und Interaktionsformen koordinierte ein Verhaltens- und Wertekanon, der auf Kontinuität und Restriktivität ausgerichtet war. Dieser manifestierte sich beispielsweise in Mitgliederlisten wie Ward McAllisters Verzeichnis der Four Hundred und dem Social Register, in exklusiven Institutionen wie der Metropolitan Opera oder den Herrenclubs und in gemeinsamen Festen wie den jährlichen Debütantinnenbällen.[18] So hält auch Eric Homberger treffend für das Gilded Age fest: »The tone of New York social life […] was rooted in an ethos of exclusion.«[19] Die Upper Class mag Zeitgenoss/inn/en dabei durchaus als Projektionsfläche für Aufstiegshoffnungen gedient haben.[20] In den 1880er und 1890er Jahren verbreitete und verfestigte sich in der Bevölkerung allerdings auch das Bewusstsein, in unüberwindbaren ge11sellschaftlichen Klassen zu leben, und die Gilded Age-Millionäre verloren dramatisch an Ansehen:[21] Die Folgen des Wirtschaftsabschwungs der 1870er Jahre, aufsehenerregende Streiks im Eisenbahnwesen und die sogenannten retail wars avancierten zu sichtbaren Zeichen der gesellschaftlichen Krise und der enttäuschten Erwartungen.[22] Dies befeuerte zudem der muckraking journalism, dessen beißende Kritik sich gegen die Kohle-, Stahl- und Eisenbahnbarone der Upper Class und die Ausbeutung der unteren Schichten richtete.[23] In dieser Fin de Siècle-Atmosphäre breitete sich jedoch zugleich eine tiefe Sehnsucht nach Erneuerung und ­Revitalisierung in der amerikanischen Gesellschaft aus.[24] Um 1900 trafen in Nordamerika somit Endzeit- und Aufbruchstimmung aufeinander. In diesem historischen Kontext trat mit der High Society eine dynamischere und offenere Formation an die Seite der Upper Class, die eine Alternative zum sozialen Aufstieg durch wirtschaftlichen Erfolg verkörperte. Denn die Medialisierung veränderte drei gesellschaftliche Strukturprinzipien: Erstens wandelten sich die etablierten In- und Exklusions­mechanismen, zweitens entstanden neue Raumordnungen und Interaktionsmuster und drittens ordnete sich das Verhältnis zur Unterhaltungsindustrie neu. Diese Punkte sollen im Folgenden skizziert werden, bevor daran anschließend der Zuschnitt der vorliegenden Arbeit vorgestellt wird.

Welche Personen und Ereignisse erstens berichtenswert waren und den Weg auf die Society Pages schafften, mit anderen Worten: wer gesellschaftlich ›in‹ war, entschieden in erster Linie Verleger/innen, Journalist/inn/en und Fotograf/inn/en. Zudem beeinflusste auch die Erwartungshaltung der Publika, wen die Medien thematisierten und somit der High Society zuordneten.[25] Die Angehörigen der High 12Society – und diejenigen, die dazugehören wollten – verinnerlichten die medialen Anforderungen wiederum und erprobten selbst medienaffine Handlungsweisen. Diese besaßen stets auch eine körperliche Dimension, denn: »[F]ast immer sind sehr spezfische Körperpraxen und Körpermodellierungen notwendig, um Mitglieder einer Gruppe zu werden.«[26] Dabei bedienten Frauen als modische Trendsetterinnen und Konsumexpertinnen das mediale Interesse besser als Männer und nahmen zunehmend eine sichtbarere und handlungsmächtigere Stellung in der High Society ein, so wie sich Frauen allgemein zu Beginn des 20. Jahrhunderts neue Handlungsspielräume eröffneten.[27] Darüber hinaus entwickelten sich Alter und Körper zu wirkmächtigen sozialen Strukturkategorien. Der Grundtenor der Gesellschaftsberichterstattung war, dass Jugendlichkeit und Attraktivität wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche High Society-Karriere seien. Vor diesem Hintergrund spielten Fotografien eine herausragende Rolle: Auf den Society Pages illustrierten sie die neuen Lifestyle-Themen nicht nur, sie konstituierten sie mit.

Zugleich war die mediale Aufmerksamkeit flüchtig und musste ständig aktua­lisiert werden, sodass der High Society-Status stets prekär blieb. Während etwa Skandale für einen kurzen Moment mediale Aufmerksamkeit bescheren konnten, ließ sich ein nachhaltigeres Interesse der Massenmedien besser durch einen distinktiven Lebensstil erzeugen. Deshalb blieb Vermögen für den Statuserhalt weiterhin äußerst wichtig.[28] Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass sich vor dem Zweiten Weltkrieg neben Broadwayschauspieler/inne/n und Opernstars, Nachtclubbesitzer/inne/n und Klatschreporter/inne/n vor allem die Namen von Gilded Age-Millionärsfamilien wie den Vanderbilts, Whitneys und Rockefellers auf den Society Pages fanden. Nun wurden sie allerdings durch eine jüngere Generation vertreten.

Zweitens galten auch in der High Society wie in der Upper Class Regeln, ihre Zusammensetzung, jährlichen Rituale, Raumordnungen und Nahbeziehungen bestimmte inzwischen aber vor allem ihre Medialität. Im Zentrum stand stets die eigene mediale Sichtbarkeit, sodass sich ehemals exklusive Räume öffneten, Feste an die Anwesenheit von Medienschaffenden gebunden und Interaktionen weniger stark reglementiert waren – immerhin kannte man sich oftmals aus den Medien.

13Drittens passte sich die High Society in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer stärker den Konjunkturen und Rhythmen der Unterhaltungsindustrie an. Als Ausdruck wie auch als Katalysator einer kommerzialisierten Freizeit- und Konsumkultur war die High Society nicht nur eng mit den Massenmedien verbunden, sondern auch mit der Mode- und Kosmetikindustrie, der Werbung, dem Hollywoodstarsystem sowie einer neuen Sportbegeisterung. Diese Verschränkung stieß einen Professionalisierungsprozess in der High Society an, deren Mitglieder zunehmend versuchten, die eigene Person und das eigene Leben zu verberuflichen. Die Gilded Age-Millionäre hatten sich noch als Leiter gigantischer Wirtschaftsunternehmen definiert, während Berufe im Theaterkontext vor allem für Frauen als anrüchig galten.[29] Die Mitglieder der High Society dagegen traten zunehmend als Sänger/innen und Kabarettschauspieler/innen auf, machten Werbung für Kosmetikprodukte und strebten seit den 1930er Jahren Karrieren in Hollywood an. Das ebnete wiederum den umgekehrten Weg, und Schauspieler/innen, Sänger/innen und Models erlangten nun ihrerseits Zugang zur High Society.

So fügten sich in der High Society bestimmte Qualifikationen, Kompetenzen, Status und teilweise sogar Einkommen zu einem »Rollenbündel«[30] zusammen, in dessen Mittelpunkt aber gerade kein klar umrissenes Berufsbild stand, sondern eine Privatperson.[31] Der Professionalisierungsprozess der High Society zeichnete sich deswegen weniger durch eine fortschreitende Institutionalisierung, Selbstorganisation und Regulierung aus.[32] Genauso wenig lässt er sich als geradlinig und einseitig beschreiben. Stattdessen handelte es sich im Grunde um eine ergebnisoffene und dynamische Entwicklung, die andere Berufsgruppen, vor allem aus der Unterhaltungsindustrie, streifen mochte, aber nicht in einer etablierten Profession gipfelte. Dennoch kann man aus diesem Blickwinkel die »Formierung und Re-Formierung von Funktions- und Statusgruppen, [die] Organisation beruflicher Rollen sowie 14[die] steigende[] Aushandlung von Selbst- und Fremdzuschreibungen« in den Blick nehmen.[33]

Diese medialen Logiken entfalteten ihre Wirkung in den Vereinigten Staaten in den großen Metropolen ebenso wie in Kleinstädten. Freilich gab es auch in Washington D.C., Boston oder San Francisco mediale Trendsetter/innen, die ihren Status den Society Pages der lokalen Zeitungen verdankten.[34] Deren Einfluss blieb aber räumlich eher begrenzt. Vor dem Zweiten Weltkrieg lag das Zentrum der High Society – wie zuvor dasjenige der Upper Class – in New York. Was hier passierte, ereignete sich zugleich auf einer nationalen Bühne, und die großen Zeitungssyndikate verbreiteten die Neuigkeiten über das New Yorker High Society-Leben bis in den hintersten Winkel der Vereinigten Staaten.[35] Darüber hinaus führte der soziale Kalender der High Society ihre reiselustigen Mitglieder im Verlauf eines Jahres aber auch von Paris, Monte Carlo und Venedig bis nach Algier. In dieser Hinsicht knüpfte die High Society an den hochmobilen Lebensstil der Upper Class an.[36] Zudem prägten sich vor allem in Europa zur selben Zeit ähnliche mediale Mechanismen wie in den USA aus. Die Vernetzung der europäischen wie der amerikanischen Gesellschaftsberichterstattung vollzog sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber erst in Ansätzen, was in dieser Arbeit untersucht werden soll.

»Larry« und »Peggy« Thaw – Quellen einer Medienbiografie

Diese Arbeit widmet sich der High Society in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und legt einen besonderen Fokus auf ihre Hochphase in den 1920er und 1930er Jahren.[37] In dieser Zeit erreichte die Gesellschaftsberichterstattung ihren Höhepunkt und prägte amerikanische Körperbilder, Vorstellungen von Ethnie, Konsumweisen, Familienbilder und Geschlechterrollen in einer Weise, wie sie es vorher nicht getan hatte und die mit Beginn des Zweiten Weltkriegs ein vorläufiges Ende finden sollte. Ziel ist es zu zeigen, wie sich eine derart fluide soziale Formation konstituierte und nach welchen Mechanismen sie funktionierte. Zugleich soll untersucht werden, wie 15fundamental sich die Medialisierung auf das Leben der High Society-Mitglieder auswirkte. Daran schließt sich der folgende Fragenkomplex an: Wie konnte der Eintritt in die High Society gelingen und der einmal erworbene Status verstetigt werden? Führte die mediale Sichtbarkeit zu einer gesteigerten Selbstbeobachtung?[38] Welche Handlungsmöglichkeiten und Zwänge gingen damit einher? Und: Bildete sich eine spezifische Medienkompetenz im Umgang mit den Massenmedien, den Medienschaffenden und technischen Apparaten aus?

Um gesellschaftliche Formierung und individuelle Prägung gleichermaßen analysieren zu können, bedarf es einer breiten Quellengrundlage, die zum einen die Gesellschaftsberichterstattung und insbesondere die Society Pages der großen amerikanischen Zeitungen beleuchtet. Zum anderen eröffnen Ego-Dokumente eine entscheidende Perspektive darauf, inwiefern sich die Mitglieder der High Society an den medialen Logiken orientierten und sie auf der individuellen Ebene umsetzten. Schließlich kann erst der Blick auf unterschiedliche (massen-)mediale Formate zeigen, wie sich die High Society als medienübergreifendes Phänomen entwickelte und analog dazu ein charakteristisches Medienwissen und distinkte Körperpraktiken entstanden. Vor dem Hintergrund dieser komplexen Gemengelage bietet es sich an, den konkreten Zugang über einen paradigmatischen Einzelfall zu wählen, nämlich über die Medienbiografie des New Yorker Millionärspaares Margaret (1902-1983) und Lawrence Thaw (1899-1965). An dieser Stelle ist es sinnvoll, die Protagonisten der Studie zunächst kurz vorzustellen, bevor dieser Ansatz und der einmalige Quellenkorpus skizziert werden sollen.

Die Familie Thaw stammte ursprünglich aus Pittsburgh, wo sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Vermögen im Eisenbahn- und Dampfschiffwesen machte. Lawrence und Margaret wurden beide zu Beginn des 20. Jahrhunderts in New York geboren. Hier wuchsen sie auf, lernten sich Anfang der 1920er Jahre kennen und heirateten 1924. Lawrence arbeitete in den folgenden Jahren zuerst als Berater in einer Investmentfirma, bis er 1933 einen Sitz an der New Yorker Börse kaufte und dort sein Vermögen verwaltete. Das Paar hatte zwei Söhne: Lawrence jr. (1926-1995) und David (1928-2006).

Die Thaws waren seit den späten 1910er Jahren Gegenstand der überregionalen amerikanischen Gesellschaftsberichterstattung und zählten in den 1920er und 1930er Jahren zu den household names der High Society. Von 1924 – beginnend mit ihrer Hochzeitsreise – bis 1940 unternahmen sie zudem jährlich lange Reisen durch die ganze Welt und drehten dabei Filme. Von 1924 bis 1935 sind zehn Amateurfilme aus Europa, Palm Beach, der Karibik und Afrika erhalten. Hier bediente Lawrence eine frühe Amateurfilmkamera und nahm vor allem seine Frau, Sehenswürdigkeiten und Landschaften auf, aber auch Transatlantikdampfer, luxuriöse Grand­hotels oder Freunde des Paares. 1936/37 reisten die Thaws noch einmal nach Afrika, 161939/40 über den Nahen Osten nach Indien. Für die letzten beiden großen Fahrten engagierten sie jeweils einen professionellen Kameramann. In Kooperation mit der National Geographic Society, dem American Museum of Natural History und bedeutenden Hollywoodstudios entstanden hier insgesamt drei dokumentarische Travelogues sowie mehrere Kurzfilme im Newsreelformat. Im Zusammenhang mit diesen Filmen schrieb das Paar außerdem Artikel für das National Geographic Magazine und schloss Werbeverträge mit großen Spirituosen-, Auto- und Benzinherstellern ab. Während die selbstgedrehten Amateurfilme für den New Yorker Freundeskreis bestimmt waren, strebten Lawrence und Margaret mit den späten Afrika- und Indienfilmen größere Öffentlichkeiten an. Bereits die frühen Versuche verhalfen ihnen jedoch zu mehr medialer Sichtbarkeit, denn die Gesellschaftsberichterstattung beschrieb das Filmen enthusiastisch als neues und außergewöhnliches Hobby.

Die Indienreise machte Lawrence darüber hinaus in den Augen des U.S. War Department zum ortskundigen Experten, sodass er 1943 eine Karriere beim Military Intelligence Service begann. Zu dieser Zeit verblasste der High Society-Status der Thaws aber bereits. Die beiden professionellen Filme von 1939/40 über den Nahen Osten und Indien stellten die Höhepunkte ihrer High Society-Karriere dar, in den folgenden Jahren interessierte sich die Gesellschaftsberichterstattung zunehmend weniger für die beiden. Mit Anfang vierzig waren sie schlichtweg zu alt für die Society Pages geworden.

Warum also eignen sich die Thaws als Protagonisten der Studie? Fünf wesentliche Punkte sind hier hervorzuheben: Erstens spricht die außergewöhnlich gute Quellenlage für den Untersuchungsgegenstand: Lawrence und Margaret sammelten akribisch die Zeugnisse ihrer medialen Sichtbarkeit und tauschten sich in Briefen darüber aus; außerdem führte Margaret über die Jahre Tagebücher, in denen sie ihren New Yorker Alltag und die Reisen beschrieb. Mit ihren Filmen eigneten sich die Thaws neue Medienkompetenzen an und übertrugen ihren High Society-Status von den Society Pages auf die Leinwand. Zweitens wuchsen sie in eben den Jahrzehnten in New York auf, in denen sich die Gesellschaftsberichterstattung und mit ihr die High Society ausformte. So lernten sie schon in ihrer Jugendzeit, an der eigenen medialen Sichtbarkeit zu arbeiten. Wie die Gesellschaftsberichterstattung erreichte dann auch der High Society-Status der Thaws in den 1920er und 1930er Jahren eine neue Qualität, und sogar ihr mediales Ende ist typisch: Im Laufe der Zeit ließ das Interesse der Medien nach, und ihr Alter wurde zum entscheidenden Ausschlusskriterium. Drittens legten Lawrence und Margaret großen Wert auf die besonderen Jahresabläufe und die sogenannten social seasons in der High Society. Diese gaben vor, wo man sich wann aufzuhalten hatte, sodass das Beispiel der Thaws auch eine Perspektive auf den High Society-Kalender und die spezifischen High Society-Räume eröffnet. Hier trafen sie außerdem regelmäßig ihren Freundes- und Bekanntenkreis, der die Zusammensetzung der High Society plastisch abbildet: Zu den Erb/inn/en der Gilded Age-Millionäre gesellten sich Journalist/inn/en, Nachtclubbesitzer/innen, Broadway- und Opernstars und nicht zuletzt in den 1930er Jahren Holly17woodschauspieler/innen. Viertens lässt sich mit den hochmobilen Thaws untersuchen, welche Rolle transnationale Transferprozesse in der High Society spielten und wo deren Grenzen lagen. Die Afrika- und Indienreisen lenken den Blick von einem westlich-transatlantischen Austausch auch auf den globalen Süden, der im Zusammenhang mit den Massenmedien und der Gesellschaftsberichterstattung nach wie vor in der Forschung vernachlässigt wird.[39] Fünftens verkörpern die Thaws die angestrebte Professionalisierung der High Society geradezu, indem sie sich mit ihren Filmen zunehmend größere Publika und kommerzielle Verwertungsmöglichkeiten suchten. Dabei schlüpften sie in unterschiedliche Rollen, inszenierten sich aber dennoch immer als Privatpersonen.

Im Leben der Thaws manifestieren sich also einerseits Strukturen und Entwicklungen, die charakteristisch für die High Society waren.[40] Dabei ein Paar in den Fokus zu rücken und nicht eine Einzelperson zu betrachten, ist außerdem naheliegend, weil die High Society distinkte Geschlechterrollen ausprägte, die erst in ihrer Gegenüberstellung und Relation sichtbar werden.[41] Während der High Society-Status der Thaws maßgeblich von Margaret als weiblicher Konsumexpertin abhing, verfügte Lawrence über das Familienvermögen und kontrollierte damit den Handlungsspielraum seiner Frau entscheidend. Auf diese Weise entspann sich ein komplexes Machtgefüge aus medialer Sichtbarkeit und Vermögen, das die Ehe tiefgreifend prägte.[42] Andererseits ragten Lawrence und Margaret mit ihrem Filmhobby und den professionellen Travelogues aus der High Society heraus und die Gesellschaftsberichterstattung beschrieb sie jahrelang als außergewöhnliche, stilprägende Vorreiter.

So verbinden sich im Leben des Paares die paradigmatische und syntagmatische Dimension einer Biografie. Während die eine auf Gemeinsamkeiten mit parallelen Lebensläufen abzielt, betont die andere Andersartigkeit und Originalität.[43] Nimmt 18man aber mit der jüngeren Biografieforschung ernst, dass ein Leben voller Brüche und Ambivalenzen steckt, ist es nur konsequent, davon auszugehen, dass einige Aspekte oder Phasen typisch sind, während andere im Vergleich zu Zeitgenoss/inn/en abweichen. Die Filme der Thaws machen wie unter einem Brennglas sichtbar, was die High Society im Kern ausmachte: Sie belegen, wie das Paar permanent versuchte, mit neuen Medienkompetenzen hervorzustechen und die Aufmerksamkeit der Journalist/inn/en auf sich zu ziehen. Dabei inszenierten sich Lawrence und Margaret jedoch stets vor den laufenden Trends ihrer Zeit, sodass die Filme einen plastischen Einblick in vorherrschende Geschlechterrollen, Familienbilder, Schönheitsvorstellungen und Konsum- und Freizeitpraktiken geben.

Die Arbeit begreift sich allerdings nicht als eine Biografie, die die Thaws von der Wiege bis zur Bahre begleitet. Sie versteht sich vielmehr in Anlehnung an Thomas Etzemüller als eine »Medienbiografie«,[44] die nur denjenigen Lebensabschnitt beleuchtet, in dem Lawrence und Margaret medial sichtbar und damit in der High Society waren: von 1900 bis ungefähr 1945. Diese Phase offenbart, wie Fremdzuschreibungen und Selbstwahrnehmungen zusammenwirkten und ein komplexes Bild der historischen Akteure kreierten. Die Zeitungsartikel über die Thaws, ihre Filme und andere Ego-Dokumente wie Tagebücher und Briefe führen dabei eindrücklich vor Augen, dass es nicht darum gehen kann, zu beurteilen, welche Selbst- oder Fremdbilder eine angeblich reale Person treffender widerspiegeln.

So unterscheidet Etzemüller im Fall der schwedischen Sozialexperten Alva und Gunnar Myrdal zwischen einer intellektuellen Erfolgsbiografie, einer Medienbiografie und einer Biografie, die auf dem Privatnachlass des Paares beruht. Diese, so der Autor, zeichnen jeweils ein anderes Bild der Myrdals. Im Fall der Thaws geht es aber gerade nicht darum, einzelne biografische Narrationen voneinander zu unterscheiden und die Massenmedien als abgetrennten Erzählstrang zu identifizieren. Vielmehr soll gezeigt werden, wie dominant sich die (Selbst-)Medialisierung des Paares auf die anderen Lebensbereiche auswirkte. In der High Society rückte die Arbeit am eigenen Fremdbild ins Zentrum des Lebens, das es mit dem Selbstbild in Einklang zu bringen und zu professionalisieren galt. Die Massenmedien bzw. Medialität und Biografie zusammenzudenken, war bereits für die Zeitgenoss/inn/en der Thaws naheliegend. In ihren theoretischen Überlegungen zur Kunst der Biografie formulierte Virginia Woolf 1942 treffend: »[S]ince we live in an age when a thousand cameras are pointed, by newspapers, letters, and diaries, at every character from 19every angle, he [the biographer, J. H.] must be prepared to admit contradictory versions of the same face.«[45]

Vor diesem Hintergrund ist es auch angemessen, Lawrence Copley Thaw und Margaret Ludlow Thaw, geborene Stout, so zu nennen, wie sie sich gegenseitig riefen und wie sie vor allem in der Klatschpresse firmierten: als »Larry« und »Peggy«. Mit diesem stilistischen Kniff inszenierten die Journalist/inn/en die Thaws für ihre Leserschaft als nahbar und authentisch, während sie selbst als vertraute Insider/innen erschienen. Mit der Verwendung dieser Kosenamen will die vorliegende Arbeit nicht die kritische Distanz zum Untersuchungsgegenstand aufheben oder sich mit dem historischen Subjekt identifizieren, wie es eine verbreitete Gefahr in der biografischen Forschung ist.[46] Stattdessen begreift sie »Larry« und »Peggy« ausdrücklich als Kunstfiguren, die erst im Spiel von Selbst- und Fremdstilisierung entstehen. Hinter dem medialen Bild findet man also kein Original.

Um die High Society über die Medienbiografie der Thaws zu erschließen, stützt sich die Arbeit auf drei große Quellengruppen. Die erste und wichtigste machen die Filme des Paares aus, die in einem Zeitraum von sechzehn Jahren auf ihren zahlreichen Reisen entstanden.[47] Die Thaws verreisten oft mehrmals im Jahr und wählten dabei immer wieder dieselben Ziele aus. Diese visualisierten Larry und Peggy auf eine bestimmte Weise; sie setzten thematische Schwerpunkte und griffen damit verknüpfte Körperpraktiken auf, die unterschiedliche Facetten der High Society verdeutlichen. Deshalb bietet es sich an, die Filme nach Aufenthaltsorten zu gruppieren, anstatt sie chronologisch zu listen. In Europa (v. a. in Frankreich, England, der Schweiz, Deutschland und Italien) stand der konkrete Konsum von Gütern und Dienstleistungen, von Autos, Grandhotels, Kleidung oder Alkohol im Mittelpunkt, wie er den New Yorker Alltag prägte.[48] Die vier Palm Beach-Filme kreisen dagegen verstärkt um die Arbeit am Körper.[49] In ihnen inszenierten sich die Thaws, wie sie 20Sport machten, sich in der Sonne bräunten und auf diese Weise mit der Rolle von Körper in der High Society auseinandersetzten.

In den beiden Afrikafilmen von 1934/35 (von Kairo nach Kapstadt) und 1936/37 (von Algier nach Nairobi) verschiebt sich der Fokus erneut. Sie thematisieren Hygienevorstellungen und -praktiken und konstruieren dabei eine Differenz zwischen weißen und schwarzen Körpern. Körper und High Society rücken hier noch einmal aus einer neuen Perspektive in den Blick.[50] Die beiden letzten Filme über die Fahrt durch den Nahen Osten und Indien 1939/40 sind schließlich stark politisch aufgeladen.[51] Denn am Vorabend des Zweiten Weltkriegs durch Europa, den Nahen Osten und Asien zu reisen, bedurfte der diplomatischen Vermittlung des amerikanischen State Department und der britischen Regierung einerseits und der Kooperation der einzelnen Regierungen und Herrscher vor Ort andererseits. Die Filme eröffnen vor allem einen Blick auf Larry – oder genauer: Larrys Blick, denn er drehte die Amateurfilme überwiegend alleine und war auch in die Produktion der professionellen Filme deutlich stärker involviert als seine Frau.

Zweitens lässt sich anhand von zahlreichen Zeitungsartikeln aus den 1920er bis 1950er Jahren die Stellung der Thaws in der High Society nachvollziehen. Neben die bedeutenden New Yorker Zeitungen wie die New York Times, die New York Herald Tribune, den New York American oder die New York Daily News reihen sich Publikationen wie der Washington Herald oder die Palm Beach Post. Zum einen beauftragten die Thaws eine New Yorker press clipping-Agentur, die sie regelmäßig mit Artikeln über sich versorgte. Diese ordneten Larry und Peggy in Alben und bewahrten sie über Jahre auf; aus dieser Sammlung sind rund 700 Artikel erhalten. Zum anderen ermöglichen es amerikanische Zeitungsdatenbanken inzwischen, auf große Mengen von Presseerzeugnissen zuzugreifen.[52] Damit ergibt sich aus den Zeitungsquellen zwar keine vollständige Überlieferung, aber doch ein sehr breites und belastbares Bild. Da die Artikel nicht nur das Paar allein thematisieren, sondern meist im Zusammenhang mit Freund/inn/en und Bekannten, eröffnen sie über die Thaws hinaus eine breite Perspektive auf die High Society.

Drittens enthält der Privatnachlass der Thaws neben den press clippings Larrys Personalakte aus seiner Zeit beim War Department, acht Fotoalben und Hunderte loser Fotografien sowie Peggys Tagebücher von 1917, 1930-1933 und die Reisetagebücher der Afrikareisen von 1934/35 und 1936/37.[53] Zudem sind rund 650 Briefe aus den 1930er bis 1950er Jahren überliefert, die vor allem aus der Korrespondenz zwischen Peggy und ihren Eltern sowie mit einem Freund der Familie, Cecil Singer, stammen. 21Der Privatnachlass war nicht sortiert und mit Ausnahme der Artikelsammlung wohl nicht planvoll über mehrere Jahre zusammengestellt.[54] Es handelt sich um diejenigen Zeugnisse, die Peggy ihren Söhnen hinterlassen wollte, damit Lawrence jr. und David das Leben ihrer Mutter besser verstehen könnten.[55] Inwiefern sie dabei eine bestimmte Auswahl traf, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Dokumente über Affären und Ehekrisen etwa sortierte sie nicht aus, in den Tagebüchern fehlen allerdings einige herausgeschnittene Seiten, was eine gewisse Säuberung nahelegt. Dennoch gibt der Privatnachlass einen plastischen Einblick in den High Society-Alltag in New York und in das Reiseleben der Thaws. Darüber hinaus macht er auf eindrückliche Weise sichtbar, wie das Paar über seine Stellung in der High Society reflektierte. Diese Ego-Dokumente geben freilich kein authentischeres Bild als die Zeitungsartikel preis.[56] Tatsächlich bot die Gesellschaftsberichterstattung vielmehr einen wirkmächtigen Deutungsrahmen, innerhalb dessen das Paar Erlebnisse und Gefühle ausdrückte.[57] In diesem Sinne sind die Tagebücher und Briefe wie die Filme als »Akt[e] der Selbstaussage, also als soziale Praxis, als Selbstthematisierung« zu begreifen, mit denen sich (in erster Linie) Peggy immer wieder in der High Society verortete.[58] Diese Quellengruppe kontextualisiert und korrigiert Larrys dominante Perspektive in den Filmen.

Einige kleinere Bestände ergänzen schließlich die drei großen Quellengruppen: Reiseführer aus den 1920er und 1930er Jahren beleuchten zeitgenössische Tourismusformen und Abbildungsweisen. Die Akten der British National Archives und der US-amerikanischen National Archives enthalten Informationen zu den Reisen der Thaws sowie zu Larrys militärischer Karriere beim War Department. Das Archiv der National Geographic Society beherbergt die Korrespondenz mit dem Paar bezüglich der Kooperation und belegt die angestrebte Verwissenschaftlichung der Filme; das 22Gleiche gilt für das Archiv des American Museum of Natural History. So ergibt sich eben jener breite Quellenkorpus, der es erlaubt, die Logiken und Mechanismen der High Society zu untersuchen und ihre Wirkungsweisen am konkreten Beispiel aufzuzeigen. Die Medienbiografie bietet also eine »Darstellungs- und Ausdrucksform[] […], die der spezifischen Problematik [des] Untersuchungsgegenstands angepasst« ist.[59]

Forschungsstand

Vor diesem Hintergrund stützt sich die vorliegende Arbeit gleichermaßen auf die Gesellschafts- und Mediengeschichte und greift zudem Ansätze aus den interdisziplinär ausgerichteten Celebrity Studies auf, die jeweils spezifische Zugänge und Perspektiven auf die High Society eröffnen. Eine Geschichte der High Society berührt den Kernbereich der Gesellschaftsgeschichte schlechthin, die Entstehung einer sozialen Formation. Statische Konzepte wie »Klasse« oder »Elite« werden der fluiden High Society allerdings nicht vollständig gerecht.[60] Die amerikanische Geschichtsschreibung hat sich Oberschichten und Reichen erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit zugewendet. Stattdessen lag der Schwerpunkt lange auf der Geschichte von Minderheiten, Unterschichten und der Arbeiterklasse bzw. galten die Vereinigten Staaten lange als eine Gesellschaft der Mittelklasse.[61]

Seit den späten 1990er Jahren hat sich die Upper Class des Gilded Age jedoch zum vielbeachteten Paradebeispiel amerikanischer Oberschichtenphänomene entwickelt. Clifton Hood etwa widmet dem Gilded Age in seiner jüngst erschienenen Studie zur Upper Class von den 1760er bis zu den 1970er Jahren zwei Kapitel und klammert bezeichnenderweise den Zeitraum von 1900 bis 1940 vollständig aus. Erst als in den 1940er Jahren die Wirtschaftskonglomerate entstanden seien, lasse sich die Upper Class wieder aufspüren, wohingegen die Zwischenkriegszeit mit ihrer gesellschaftlichen und medialen Dynamisierung aus dieser Perspektive herausfalle: 23»The Great Depression and the New Deal make the 1930s a critical time in the American history, but the reactions […] to the New Deal during the late 1930s and the 1940s decisively shaped the actions of corporate elites from that point forward, and this book accordingly concentrates on the 1940s«.[62] Mit Blick auf die High Society bleibt zu fragen, inwiefern diese Arbeiten die Spätphase des Gilded Age als Ende oder Anfang einer Entwicklung perspektivieren. In dieser Hinsicht spielt es eine Schlüsselrolle, wie die aufkommenden Massenmedien bewertet werden.

So beleuchten Maureen E. Montgomery und Eric Homberger beide das ausgehende 19. Jahrhundert und fragen nach der Verbindung zwischen gesellschaftlicher Formierung und Medialisierung.[63] Dabei betonen sie jeweils die ambivalente Wirkung von medialer Sichtbarkeit zwischen Ermächtigung und Zwang.[64] Insbesondere Montgomery hebt in diesem Kontext die zentrale Rolle von Frauen hervor und beschreibt damit auch ein wichtiges Merkmal der High Society. Homberger beendet seine Untersuchung 1906 mit einer dramatischen Szene: mit dem Nervenzusammenbruch von Mrs. Astor, der Upper Class-Dame schlechthin, die mit der neuen Gesellschaft nicht mehr zurechtkam.[65] Montgomery wagt sich zeitlich zwar bis in die 1910er Jahre vor, bleibt aber einem starren Klassenbegriff verhaftet, der für die High Society im 20. Jahrhundert zu kurz greift. Sie macht in der Medialisierung nur die nächste Stufe eines Geltungskonsums à la Thorstein Veblen und Pierre Bourdieu aus, der allein dazu diene, die Klassengrenzen nach unten zu verstärken, anstatt sie durchlässiger zu machen: »[S]ociety journalism«, so Montgomery, »was implicated in the flaunting of wealth«.[66] Anschlussfähiger für diese Arbeit ist dagegen T. J. Jackson Lears, der die Jahre zwischen dem amerikanischen Bürgerkrieg und dem Ersten Weltkrieg als Transformationsphase konzipiert. Er zeigt, dass der weitverbreitete Wunsch nach politischer, moralischer, religiöser und körperlicher Erneuerung gerade für die Upper Class Konsequenzen hatte, die nun lernen musste, sich attraktiver, jünger und meritokratischer zu präsentieren. [67] Mit Lears lassen sich die 1880er und 1890er Jahre somit nicht als Endpunkt begreifen, sondern als Frühphase der High Society.

Die Arbeiten zur Upper Class führen vor Augen, dass ein theoretisches Gerüst, das auf Distinktion nach Pierre Bourdieu setzt, die High Society nur unzureichend erklären kann.[68] Auch wenn distinktives Verhalten immer noch eine Rolle spielte, 24sprengt die Medialität einen Gesellschaftsentwurf, der auf Unterscheidung und Abgrenzung fußt. Denn ›in‹ zu sein bedeutete zwar eine hervorgehobene Stellung einzunehmen, jedoch ging damit auch eine Vorbildfunktion einher. Nachahmer untergruben diese Position gerade nicht, sondern bestätigten sie, was auch die Werbeindustrie betonte, indem sie verstärkt mit dem High-Society-Lebensstil und seinen Vertreter/inne/n warb.[69] Die High Society vereinte damit Einzigartigkeit und standardisierten Massenkonsum auf eine neuartige Weise. Hier lassen sich bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grundzüge einer »Gesellschaft der Singularitäten« erkennen, wie sie Andreas Reckwitz jüngst beschrieb, nämlich als eine »Überlagerung der alten Logiken des Allgemeinen der Industriegesellschaft durch eine soziale Logik des Besonderen der Spätmoderne«.[70]

Neben diesen Forschungen zur Upper Class sind vor allem mediengeschichtliche Zugänge und die Celebrity Studies einschlägig, um sich der High Society wissenschaftlich zu nähern. Wie bereits deutlich wurde, hat die Mediengeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seit einigen Jahren Konjunktur. Die meisten monografischen Arbeiten konzentrieren sich allerdings auf Einzelmedien oder sogar nur auf ein bestimmtes Genre und klammern Fragen des Medientransfers und der Plurimedialität weitgehend aus. Darüber hinaus steht oftmals die Akteursgruppe der Medienschaffenden im Vordergrund, ohne den Austausch mit den Publika oder den medialen Protagonist/inn/en besonders zu beleuchten.[71] Dennoch lässt sich in diesem Zusammenhang an Vorarbeiten anknüpfen, die sich insbesondere den Bereichen Presse und Film gewidmet haben. Charles Ponce de Leon etwa untersucht die Entstehung des Celebrity-Phänomens in der nordamerikanischen Presse von den 1880er bis zu den 1940er Jahren. Dabei interessieren ihn in erster Linie Feature-Artikel über berühmte Männer, während er Frauen kaum erwähnt.[72] So wichtig diese spektakulären Fälle sind, war es aber doch die Society Page, die mit ihren regelmäßig wiederkehrenden Kolumnen und Rubriken die Normalität der High Society herstellte. Auffälligerweise funktionierte die Gesellschaftsberichterstattung zudem 25nicht nur auf der Textebene, sondern insbesondere auf der visuellen, wobei die Society Pages auf charakteristische Weise Texte, Bilder und Werbeanzeigen verknüpften.[73] Diesen Zusammenhang greift Ryan Linkof in seiner Studie zum Fotojournalismus in den britischen Tabloids auf und füllt somit eine bislang erkennbare Lücke.[74] Den Fotografien schreibt er eine kaum zu überschätzende Rolle zu: »By providing visual access to both the banality and the extravagance of the lives of the rich and famous, press photography created equivalence and virtual affinity […]. In this way, the rise of the press photographer […] provides evidence of changing conceptions of class deference and social privilege.«[75] Der Vergleich zwischen der britischen und der amerikansichen Gesellschaftsberichterstattung fördert außerdem deutliche Parallelen zutage, die sich etwa im deutschen Kontext in der Zwischenkriegszeit weniger finden.[76]

Aus einem anderen Blickwinkel widmet sich auch Frank Bösch der gesteigerten Aufmerksamkeit für die Medien um die Jahrhundertwende, indem er aufsehenerregende Skandale zum Thema seiner Arbeit macht und demonstriert, warum diese weit mehr waren als die bloßen Produkte von Klatsch und Tratsch: »Sie zeigen Grenzen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert für Öffentliches, Geheimes oder Privates galten. Zudem verknüpfen sie unterschiedliche Teile der Öffentlichkeit (wie verschiedene politische Milieus) und Ebenen (wie Medien, Parlamente oder Kneipen), deren Beziehung zueinander deutlich wird.«[77] Daran kann auch eine Geschichte der High Society gewinnbringend anschließen.

Rücken diese historischen Arbeiten zwar den Medienwandel um 1900 und dessen Bedeutung für die Gesellschaft in den Fokus, fällt doch auf, dass ein zeitgenössisch besonders wichtiges Medium keine größere Rolle spielt: der Film. Die historische Forschung hat filmische Quellen lange nicht besonders ernst genommen – unabhängig von den methodischen Herausforderungen der Filmanalyse wohl auch deshalb, weil sie sich im gedruckten Buch nur auf Standbilder reduzieren lassen. 26Dementsprechend bezeichnete Günter Riederer das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Film als eine »schwierige[] Beziehung«.[78] Obwohl sich in den letzten Jahren einiges zum Positiven gewendet hat und eine neue Offenheit gegenüber Filmquellen bemerkbar ist, zählt auch Gerhard Paul in seinem aktuellen Forschungsüberblick zur Visual History noch Untersuchungen zum Film als historischer Quelle zu den »Desiderata« des Fachs.[79] Tatsächlich ist die Zahl der Monografien nach wie vor überschaubar, die Filmbilder konsequent ernst nehmen und ein theoretisch-methodisches Analyseinstrumentarium entwickeln, das der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes angemessen ist.[80]

Die Celebrity Studies schließlich nehmen Medien und Gesellschaft gemeinsam in den Blick und bieten einen stärker abstrahierenden Zugriff auf die High Society. Ihre Stärke, analytische Begriffe bereitzustellen, ist aber zugleich auch ihre Schwäche, denn durch das Gewirr von deutschen und englischen Bezeichnungen wie Berühmtheit, Prominenz, celebrity, fame oder glory zu navigieren, stellt eine Herausforderung ganz eigener Art dar.[81] Es ist nicht zuletzt das Verdienst der neueren Geschichtswissenschaft, diesen vereinfachenden Meistererzählungen vielschichti27gere Alternativen gegenübergestellt zu haben. So schlagen Antoine Lilti in seiner Studie über die Anfänge des Celebrity-Phänomens sowie Eva Giloi und Edward Berenson wichtige definitorische Schneisen: Sie unterscheiden etwa zwischen fame bzw. glory als posthumer überdauernder Überhöhung einer Person und celebrity als einer ephe­meren Form von Berühmtheit, die permanent aktualisiert werden muss, an die Beziehung zwischen einem Akteur und seinem Publikum gebunden ist und maßgeblich von den Massenmedien abhängt: »Glory is essentially posthumous […], whereas celebrity is based on the contemporaneousness of a person and an audience. […] Celebrity espouses the rapid rhythm of current events.«[82] In dieser Hinsicht entspricht das Celebrity-Phänomen der fluiden High Society. Nichtsdestotrotz handelte es sich bei der High Society aber um eine konkrete gesellschaftliche Formation, die in einer bestimmten historischen Situation und durch ein spezifisches Medienensemble entstand. Darüber hinaus lässt sie sich nur durch ihre Verbindung zu und in Abgrenzung von der Upper Class erklären. Auch terminologisch zielt »High Society« einerseits auf die Nähe zur Upper Class ab und macht andererseits deutlich, dass sie nun als ein Teil der Gesamtgesellschaft wahrgenommen wurde. Deshalb geht sie nicht im breiter angelegten Celebrity-Begriff auf, der zeitgenössische Spezifika verwischt. Trotz einiger unleugbarer Ähnlichkeiten – Peggy war mehr als eine späte Sarah Bernhardt oder eine frühe Kim Kardashian.

Auffällig ist, so lässt sich schließlich festhalten, dass sich seit mehreren Jahren Bourdieus Kapitaltheorie in den unterschiedlichsten Arbeiten zu Prominenz und Celebrity ungebrochener Beliebtheit erfreut. In den 1990er Jahren argumentierte Georg Franck in seiner Ökonomie der Aufmerksamkeit, der Kapitalismus der Aufmerksamkeit habe den Kapitalismus des Geldes in der Postmoderne abgelöst und »Prominente [seien] Einkommensmillionäre an empfangener Aufmerksamkeit«.[83] Anknüpfend an Franck konstatiert der Kulturwissenschaftler Thomas Macho in seiner Archäologie der Prominenz, dass sich das »aktive Aufmerksamkeitsprivileg« vorindustrieller Herrscher (alle sehen zu können, ohne selbst gesehen zu werden) in ein »passives Aufmerksamkeitsprivileg« moderner Prominenz (von allen gesehen zu werden, ohne selbst sehen zu können oder zu müssen) gewandelt habe.[84] (Poli­tischer) Erfolg basiere in der modernen Mediengesellschaft somit auf der »gelingende[n] Kapitalisierung kollektiver Aufmerksamkeit«.[85] Aufmerksamkeit ist eine prekäre und schwer zu kontrollierende Ressource, soviel ist bei Franck und ­Macho klar. Dennoch stellt sich die Frage, ob mehr Aufmerksamkeit notwendiger28weise zu mehr Handlungsmacht führt oder ob das Spannungsfeld von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit nicht doch eine komplexere Gemengelage aus Ermächtigung und Zwang kreiert, die sich nicht mehr mit dem Kapitalbegriff beschreiben lässt.

Im Spannungsfeld von Visualität und Performativität – Methode und Vorgehen

Der hier gewählte Ansatz setzt genau an diesem Punkt an: In der High Society zu sein bedeutete einerseits, eine machtvolle Position einzunehmen. Andererseits blieb sie stets prekär und musste permanent erneuert werden. Dieses ambivalente Wechselspiel lässt sich kaum als ein simples Anhäufen von Aufmerksamkeit fassen, das in seiner Kapitallogik kein ›Zuviel‹ oder negative Aufmerksamkeit kennt. Stattdessen bietet es sich an, mit dem Begriff der Sichtbarkeit zu arbeiten. Dieser meint im High Society-Kontext insbesondere die wortwörtliche Sichtbarkeit in konkreten Bildern, aber auch im übertragenen Sinne die Thematisierung in Artikeln.[86] Sichtbarkeit schließt dabei ein Spektrum von ›sich selbst sichtbar machen‹ und (unfreiwillig) ›sichtbar gemacht werden‹ bis zu ›unsichtbar bleiben bzw. gemacht werden‹ ein. Massenmediale Sichtbarkeit konnte also einen Gewinn an Handlungsmacht und Einfluss innerhalb der High Society wie auf Publika bedeuten. Sie mochte aber ebenso zu Kontrollverlust, z. B. im erzwungenen Foto oder im Skandal, führen und in der (angenommenen) Überwachung durch die Massenmedien und Publika Zwang ausüben.[87] An der eigenen Sichtbarkeit ließ sich arbeiten, wodurch man stets in ein Geflecht aus (Blick-)Beziehungen eingebunden war, das sich permanent weiterentwickelte und wandelte. Sichtbarkeit, so lässt sich daher mit dem Soziologen Andrea Brighenti festhalten, ist »relational, strategic and processual. […] The effects of visibility swing between an empowering pole (visibility as recognition) and a disempowering pole (visibility as control). […] [V]isibility is a two-edged sword«.[88]

Der Begriff der Sichtbarkeit besitzt den doppelten Vorteil, dass er sich sowohl auf die High Society anwenden lässt als sich auch für die Filmanalyse eignet. Wenn sich Peggy gekonnt in den Filmen präsentierte, bewies sie ihre Medienkompetenz und verwies damit stets auch auf ihren High Society-Status. Richtete Larry die Kamera auf seine Frau, machte er sie zur Protagonistin der Filme. Zugleich übte er aber Druck auf sie aus, zu lächeln und sich zu bewegen, sich also ›richtig‹ zu verhalten. 29Filmte er seine Frau gegen ihren Willen, erzeugte das harmlos wirkende Hobby sogar eine Machtasymmetrie zwischen den Ehepartnern, die sich in die Bilder einschrieb und Larry in die Rolle eines aufdringlichen Paparazzo versetzte.[89] Als analytischer Begriff verbindet Sichtbarkeit den allgemeinen Kontext der High Society deshalb mit den konkreten Filmquellen. Indem die vorliegende Arbeit den Fokus auf Visualiät in diesem mehrdimensionalen Sinn legt, greift sie zentrale Erkenntnisse der historischen Bildforschung auf und leistet einen Beitrag zur Visual History.

Es gilt also, die Wirkungsweisen, Produktionsbedingungen und Verbreitungszusammenhänge der Filme in den Blick zu rücken und dabei ihre spezifische Materialität ernst zu nehmen.[90] Das schließt die verwendete Technik und Beschaffenheit des Trägermaterials genauso als sinnerzeugend mit ein wie die Ästhetik und den Aufbau der Bilder.[91] Die Filme waren Teil eines dichten Bildgeflechts aus Fotografien der Society Pages, Bildern aus Reiseführern, ethnologischen Abbildungen aus populären Naturkundemagazinen und zeitgenössischen Spiel- und Dokumentarfilmen. Diese aufzugreifen, nachzuvollziehen oder abzulehnen, zeugte ebenso von Medienkompetenz wie eine bestimmte Technik zu beherrschen. Zugleich bleibt in diesem Kontext zu fragen, ob Transferprozesse zwischen unterschiedlichen Formaten oder Medien stattfanden bzw. inwiefern bestimmte Visualisierungsweisen an spezifische Medien – in diesem Fall Fotografie oder Film – gebunden waren.

Dass – auch technisch erzeugte – Bilder Sachverhalte und Ereignisse nicht einfach illustrieren oder repräsentieren, sondern immer mit hervorbringen, ist in der historischen Forschung mittlerweile unumstritten. Horst Bredekamp hat dieses Verhältnis von Bild und Wirklichkeit mit dem Begriff des »Bildaktes« auf den Punkt gebracht, während Gerhard Paul mit der »BilderMACHT« ebenso auf die »generative Kraft von Bildern« abzielt.[92] Eine Filmkamera oder einen Fotoapparat zu bedienen (oder ein Bild zu malen) bedeutet aus diesem Blickwinkel, eine machtvolle Position 30einzunehmen. Darauf hat nicht zuletzt die feministische Filmwissenschaft nachdrücklich hingewiesen.[93]

Tatsächlich lohnt es sich aber, hier noch einen Schritt weiterzugehen. Denn Bilder sind immer auf zweifache Weise performativ: Ihrer wirklichkeitskonstituierenden Kraft steht stets die Handlungsmacht der Akteure vor der Kamera (und bis zu einem gewissen Grad auch vor der Leinwand) gegenüber.[94] Der Zugang der Visual History lässt sich damit um eine performative Perspektive ergänzen, wie sie seit den 1990er Jahren mit dem sogenannten performative turn in die Geschichtswissenschaft Einzug gehalten hat. Hier verbinden sich unterschiedliche Theorietraditionen aus der Sprechakttheorie, der Theaterwissenschaft, der Ritualforschung und den Gender Studies. Sie alle betonen, dass »Bedeutung […] immer erst im Augenblick des Äußerns, Aufführens oder sich Verhaltens hervorgebracht« wird.[95]

Aus diesem breitgefächerten Forschungsfeld lassen sich drei Ansätze herausgreifen, die als Pendant zur Visualität der Filme sowie zur Medialität der High Society besonders ergiebig sind. Der performativen Dimension alltäglicher Handlungen widmete sich erstens bereits der Soziologe Erving Goffman in den 1960er Jahren.[96] ­Goffman interessierte sich dafür, wie Menschen ein »Selbst« ausbilden und aufrechterhalten. Dabei geht er davon aus, dass dies immer nur in Interaktionen und durch die Bestätigung anderer konstituiert wird. Ein »Selbst« entwirft also »dieses Bild nicht für seine eigenen Augen, sondern arbeitet an seinem Bild in den Augen 31anderer.«[97] Diese Theorie zum Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ist hier besonders fruchtbar, denn zum einen mussten die Massenmedien die Zugehörigkeit zur High Society immer wieder anerkennen. Zum anderen arbeiteten die Thaws in und mit ihren Filmen gezielt an ihrem High Society-Status und an der Stellung innerhalb ihres Freundeskreises.

Zweitens betont auch die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte den Aspekt der Interaktion in ihrem Konzept der Aufführung. Aufführungen (etwa im Theater oder in der Kirche) laufen zwar nach bestimmten Regeln und Normen ab, sie lassen sich einüben oder inszenieren. Dennoch ereignen sie sich aber immer als prozesshafte Interaktionen zwischen allen Beteiligten und sind nie vollständig kontrollierbar. Dabei verfügen alle Akteure – zumindest teilweise – über Handlungsmacht und beeinflussen sich wechselseitig.[98] Mochte also der Inhalt einer Fotografie bzw. der Drehplan eines Films auch abgesprochen sein oder der Fotograf/Regisseur Anweisungen erteilen, die Handlung vor der Kamera war nie vollständig plan- und kontrollierbar. Für die Filme der Thaws gilt außerdem, dass Larry als Kameramann auf die Kooperation seiner Frau bzw. derjenigen Personen, die er filmte, angewiesen war.

Drittens lässt sich mit den Gender Studies die wirklichkeitskonstituierende Kraft von Handlungen mit Blick auf den Körper beleuchten.[99] Der Körper selbst und die Identität, die er verkörpert, seien es Geschlecht, Ethnie oder die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wie der High Society, sind keine vorgängigen Tatsachen, sondern werden immer erst in performativen Akten hervorgebracht. Im kolonialen Kontext Afrikas und Indiens stellt sich indessen die Frage nach der Handlungsmacht der Gefilmten und der visuellen und performativen Konstruktion von Ethnie.

Für die High Society lässt sich also festhalten, dass Visualität bzw. Medialität und Performativität eng verschränkt waren. Erst die Medialisierung (bevorzugt allerdings die Visualisierung) einer Party, eines schicken Kleides, einer Beziehung oder eben einer Reise verlieh einer Handlung ihre spezifische Wirkung. Aus diesem doppelten methodischen Zugriff ergeben sich für die Filmanalyse die folgenden forschungsleitenden Fragen: Wie griffen die Filme der Thaws ihre Sichtbarkeit in den Printmedien auf? Welche Körperpraktiken ließen sich in den Filmkontext übertragen und welche Kompetenzen mussten neu gelernt werden? Wie lässt sich die Professionalisierung der High Society in der Entwicklung vom Amateurfilm zum professionellen Travelogue auf technischer, visueller und darstellerischer Ebene nachvollziehen? Und: Wie wirkte sich das mediale Vorwissen aus der High Society auf Larrys und Peggys Vorstellungen von Europa, Afrika, der Karibik, dem Nahen 32Osten und Indien – mit anderen Worten: auf die visuelle Konstruktion von Raum, Ethnie und Staatlichkeit – aus?

Diesen Fragen geht die vorliegende Arbeit nach und untersucht mit den Jahren von 1900 bis ca. 1945 den Zeitraum, in dem Larry und Peggy mit den Massenmedien aufwuchsen, in der Gesellschaftsberichterstattung sichtbar wurden, Karriere machten und schließlich wieder aus den Medien verschwanden. Um den Professionalisierungsprozess von den Amateurfilmen zu den professionellen Travelogues zu fassen, folgt sie dabei zum einen einem chronologischen Aufbau. So widmet sie sich der Reihe nach Larrys und Peggys Jugend und jungen Erwachsenenjahren, der Amateurfilmphase der 1920er und frühen 1930er Jahre und schließlich dem Höhepunkt ihrer High Society- und Filmkarrieren in den späten 1930er Jahren. Dabei gilt es zu untersuchen, ob der Professionalisierungsprozess einseitig und zielgerichtet verlief oder nicht vielmehr ambivalente Folgen zeitigte und durchaus zwanghaft wirken konnte.

Zum anderen durchbricht eine räumliche Gliederungsebene die chronologische, die sich an den Reisezielen orientiert. Indem sie thematische Schwerpunkte zu Konsum, Sport, Hygiene und Politik setzt, beleuchtet die Arbeit unterschiedliche Facetten der High Society. Darüber hinaus fragt sie in diesem Zusammenhang nach der nationalen bzw. transnationalen Reichweite der High Society, nach grenzüberschreitenden medialen, personellen und räumlichen Verflechtungen sowie nach Widerständen und Grenzen. Denn im Spiegel der High Society und der Gesellschaftsberichterstattung werden einerseits bemerkenswerte Verbindungen wie auch deutliche Ungleichzeitigkeiten und Unterschiede zwischen Nordamerika, Europa, Afrika und Asien sichtbar.[100] Mit ihren Filmen trugen Larry und Peggy dazu bei, die Welt der High Society zu erschaffen – sowohl als räumliche Vorstellung als auch ihre Werte, Normen und Ideale.

Das erste Kapitel widmet sich den Funktionsweisen der High Society und den medialen Logiken, die sie prägten. Da Larrys und Peggys Jugendzeit mit der Standardisierung der Gesellschaftsberichterstattung zusammenfiel, soll im ersten Teil die Entstehungsgeschichte der High Society und der Gesellschaftsberichterstattung skizziert werden. Analog dazu entwickelten Larry und Peggy schon in jungen Jahren Strategien, um an ihrer medialen Sichtbarkeit zu arbeiten. Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem Leben in der High Society im New York der 1930er Jahre. Damit verbunden stellt sich die Frage, wie die High Society zeitlich, räumlich und in ihrer Zusammensetzung organisiert war. Wie gestaltete sich ein Jahr, wie ein normaler Tag? An welchen Orten hielten sich die Thaws auf und welche Menschen trafen sie dort? Welche Rolle spielte außerdem die Anwesenheit von Medienschaffenden für 33diese Zusammenkünfte? Inwiefern entwickelte sich das relationale Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit als konstitutiv für die High Society?

Ausgehend von den Ergebnissen des ersten Kapitels lassen sich daraufhin die Reisen und Filme der Thaws untersuchen. Das zweite Kapitel widmet sich den Amateurfilmen, die in den 1920er und frühen 1930er Jahren entstanden. Zunächst wird ein analytisches Instrumentarium vorgestellt, mit dem Amateurfilme als historische Quellen untersucht werden können und das ihre materielle, visuelle und performative Dimension in den Blick nimmt. Daraufhin rücken die Europafilme in den Fokus. Hier präsentierten sich Larry und Peggy vornehmlich beim Konsum von Alkohol, Grandhotels, Mode und Autos. Wie nahmen, so muss vor diesem Hintergrund gefragt werden, amerikanische Tourist/inn/en die ›Alte Welt‹ wahr? Beschränkte sich der High Society-Tourismus auf visuellen Konsum und ging somit im viel zitierten »tourist gaze« auf?[101] In diesem Zusammenhang hat die Forschung bisher kaum wahrgenommen, dass es entscheidend ist, mit welchem Medium ein Bild aufgenommen wird. In den Palm Beach-Filmen setzten die Thaws einen anderen Schwerpunkt und stellten die Arbeit am Körper in den Vordergrund. In der Karibik thematisierten sie zudem die imperiale Stellung der USA, indem sie die Kreuzfahrt als Reise in die Vergangenheit und zurück in die Moderne der Vereinigten Staaten präsentierten. In diesem Kontext lässt sich bereits untersuchen, wie Vorstellungen von Fremdheit visualisiert werden.

Das dritte Kapitel beschäftigt sich schließlich mit den professionellen Afrika- und Indienfilmen und gliedert sich in vier Teile. Analog zum zweiten Kapitel geht es zuerst dem Quellenwert dokumentarischer Reisefilme nach. Die Afrikafilme greifen zweitens das narrative Element der Zeitreise auf, das bereits den Karibikfilm kennzeichnete, und verknüpfen es mit einer Erzählung des Eindringens und Eroberns. Welche Rolle spielten hier zeitgenössische Spielfilme über Afrika wie »Trader Horn« und »Tarzan«? Konkurrierten die Thaws außerdem mit anderen Dokumentarfilmern wie Osa und Martin Johnson? Mit den letzten beiden Filmen über die Reise durch den Nahen Osten und Indien von 1939/40 wird drittens nachvollziehbar, wie es den Thaws gelang, ihren High Society-Status in den Bereich der Politik zu übersetzen. Ein vierter Punkt nimmt schließlich noch einmal die Professionalisierung und Kommerzialisierung der Afrika- und Indienfilme in den Blick und fragt, wie sich die Zusammenarbeit mit der National Geographic Society und dem Museum of Natural History gestaltete, sodass sich Larry und Peggy nun an der Popularisierung von Wissen über Afrika und Indien beteiligten. Inwiefern stabilisierten die Thaws außerdem ihren High Society-Status als Werbeträger? Und wie hing Larrys militärische Karriere mit der High Society zusammen?

Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs veränderte sich die Gesellschaftsberichterstattung, die Thaws waren mit Anfang vierzig zu alt für die Society Pages und wur34den zunehmend unsichtbar. Die Medienbiografie endet also nicht mit dem Tod, sondern dem medialen Ableben des Paares.

Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Filmquellen. Sie erfüllen weder einen bloß illustrativen Zweck, noch sprechen sie jemals für sich selbst. Stattdessen sollen sie stets in ihrer materiellen, visuellen und performativen Dimension ernst genommen und analysiert werden. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob man bewegte Bilder oder Standbilder betrachtet, verleiten Filmstills doch oftmals dazu, die Bildkomposition überzubewerten, obwohl sie das bloße Auge im laufenden Film gar nicht wahrnehmen kann. Daher stützt sich die Arbeit im Folgenden in erster Linie auf kurze Szenen. Nur wenn es explizit darum geht, wiederkehrende Muster im Bildaufbau zu untersuchen, kommen Standbilder zum Einsatz. Eine Mediengeschichte der High Society nimmt schließlich nicht nur vielfältige Film-, Bild- und Schriftquellen in den Blick, sie verbindet auch unterschiedliche Forschungsfelder von der Tourismus- und Kolonialgeschichte über die Wissensgeschichte bzw. Geschichte der Wissenschaftspopularisierung bis zur Konsumgeschichte und der Amateurfilmforschung. Im Mittelpunkt steht dabei stets die Frage, wie sich die High Society und die Praktiken der (Selbst-)Medialisierung auf diese Bereiche auswirkten und umgekehrt.

Neben dieser Onlineversion ist die Arbeit als gedrucktes Buch beim Wallstein Verlag erschienen.[102] Die Zahlenangaben auf der linken Seite entsprechen den Seitenzahlen des Buches.