Form 16
Zylindrischer Becher mit Standplatte  

Form 16a Becher

Vgl. Form Morin-Jean 108; Isings 86; Doppelfeld 1966, 55 Abb. e Form m

Kat. 66 Becher, Inv. L 929

Grab 48

H. urspr. 5 cm. Rand Dm. 3,6 cm.

Glas farblos. Fadenauflage. Freigeblasen.

Erhalten ist der untere Teil des verkehrt konischen Gefäßkörpers mit einem Fadenring.

Oberteil des Gefäßkörpers, Knauf und Standplatte verloren. Glas durch Wachsüberzug verbräunt.

Lit.: Hagen 1906, 404 f. Taf. 23 Abb. 33g.

Abb. 120. Form 16a. Kat. 66. Inv. L 929.
Abb. 120. Form 16a. Kat. 66. Inv. L 929. M. 1:2.

Form 16b Becher mit Muschelkorb

Kat. 67 Muschelbecher, Inv. 69,72.9

Grab 51

H. 20,6–20,2 cm. Korb H. 9 cm. Rand Dm. 7 cm.

Glas farblos. Fadenauflage opak gelb, weiß und blau.

Steilwandiger Gefäßkörper mit gerundetem Boden. An den Gefäßboden angesetzt Knauf und Standplatte mit aufgelegtem Fadenring. Rand der Standplatte nach unten gebogen und verrundet. Die Wandung umgibt ein teilweise freistehender ‚Korb‘ aus farblosen Glasstegen, die oben und unten an umlaufenden dicken Fadenauflagen angeschmolzen sind. Auf der Gefäßwandung als Hintergrund des ‚Korbes‘ vier von gelben Fäden gerahmte Felder. In jedem Feld jeweils zwei aufgeschmolzene opake Fadenornamente in den Farben blau und weiß. Die Fadenauflage der ‚Schnörkel‘ jeweils in fünf Zügen aufgelegt. Auf der Wandung oberhalb des Korbes drei umlaufende opake Glasfäden in den Farben weiß, gelb und blau. Rand verrundet und mit einem opakblauem Faden belegt. Der ‚Korb‘ aus acht freistehenden Glasstegen nach dem Auflegen des Fadendekors gearbeitet: Vier Stege bestehen aus je drei formgepressten Muscheln, die eine Kette bilden. Zwei Glasstege sind mit einer gerippten Fadenauflage verziert, zwei sind aus jeweils einem Doppelfaden zu einer Schnur gedreht, wahrscheinlich mit Hilfe eines zwischen die beiden Glasfäden gesteckten stabähnlichem Instrument.

Zusammengesetzt, Teile der Wandung und der Standplatte ergänzt, kleinere Ergänzungen u. a. an den Glasstegen.

Lit.: Doppelfeld 1970, 19 f. Abb. 1 links. – Glas der Caesaren 252 Nr. 142. – von Boeselager 1989a, 25–35 Abb. 2.

Abb. 123. Form 16b. Kat. 67. Inv. 69,72.9.
Abb. 124. Form 16b. Detail von Kat. 67. Inv. 69,72.9.
Abb. 122. Form 16b. Kat. 67. Inv. 69,72.9. M. 1:2.
Abb. 121. Form 16b. Kat. 67. Inv. 69,72.9 (rechts). Becher aus Köln, Kartäuserhof. Inv. 59.56 (links)

Grabtypus und Fundlage: Der kleine Becher Form 16a stammt aus einem Brandgrab nicht näher bekannter Bestattungsart. Die Spiegelbeigabe läßt auf eine Frau oder ein Mädchen schließen. Der Muschelbecher Form 16b gehörte zur Ausstattung eines Brandgrabs. Er war außerhalb einer relativ kleinen Tuffsteinkiste niedergelegt. Das Geschlecht des Bestatteten läßt sich aus der Art der Beigaben nicht ermitteln.

Form und Technik: Ein Becher der Form 16a aus einem nicht dokumentierten Grab von der Luxemburger Straße befindet sich in Corning[524]. Anders als Kat. 66 ist er mit Schlangenfäden verziert. Auch der Muschelbecher Form 16b hat einen buntfarbigen Fadendekor, der ihn mit der Gruppe der Schlangenfadengläser verbindet. Die übrigen Dekorelemente, die in Form von Muschelketten und gedrehten bzw. gerippten Glasstäben freistehend gearbeitet sind, weist auch ein Vergleichsstück auf, das am Kartäuserhof in Köln gefunden wurde[525]. Beide Becher sind Meisterstücke der römischen Glaskunst und in den Maßen und der Technik so eng verwandt, dass sie aus einer Glaswerkstatt stammen dürften[526].

Verwendung und Gefäßkombination: Der Muschelbecher gehört zum Prunk- oder Luxusglas, das nicht für den täglichen Gebrauch bestimmt war. Zu den mit Form 16b kombinierten Glasformen vgl. Taf. 7677.

Datierung: Grab 48 mit Kat. 66 ist ohne datierbare Keramik erhalten. Die Bernsteinbeigaben sprechen für eine Datierung in das späte 2. oder frühe 3. Jahrhundert. Grab 51 mit dem Muschelbecher Kat. 67 ist nach der Keramik – zwei Henkelkrüge der Form Niederbieber 62a – zu schließen, in der zweiten Hälfte des 2. oder im ersten Viertel des 3. Jahrhunderts angelegt worden[527]. Das Grab vom Kartäuserhof mit dem vergleichbaren Muschelpokal wird durch einen Follis des Constantin nach 313/317 n. Chr. datiert. Das Körpergrab enthielt außerdem einen rauhwandigen Henkeltopf mit nach außen gebogenem Rand und Ösenbandhenkel (Form Gellep 106), eine Kugelflasche mit Trichterhals (Form Isings 104b), eine ähnliche Flasche mit farblosen Buckeln und eine kugelige Flasche (Form Isings 101), sämtliche Gefässe haben für das 4. Jahrhundert typische Formen. Damit ergibt sich eine Zeitspanne bis zu einem Jahrhundert zwischen dem Brandgrab der Luxemburger Straße und der Körperbestattung vom Kartäuserhof. Die Frage, wie die beiden Muschelbecher zu datieren sind, ist daher näher zu untersuchen. Der Muschelbecher vom Kartäuserhof ist im Unterschied zum Fund von der Luxemburger Strasse ohne Schlangenfadendekor. Davon abgesehen stimmen die beiden Becher in der Form, den Maßen und der übrigen Herstellungsweise überein. Nächste Parallelen für die Gefäßform mit dem hohen schlanken Gefäßkörper sind Becher mit Schlangenfäden aus Köln, die lokalen Werkstätten der mittleren Kaiserzeit zugeschrieben werden[528]. Bei diesen findet sich auch die zwischen Standplatte und Gefäßkörper eingeschobene Knaufperle wieder; die ins 4. Jahrhundert datierbaren Becher haben dagegen meist eine Scheibe oberhalb der Standplatte[529]. Auf die formale Verbindung des 1959 gefundenen ‚Pokals‘ zu den Schlangenfadengläsern hatte O. Doppelfeld damals zwar hingewiesen[530]. Wegen des fehlenden Fadendekors hielt er ihn jedoch für jünger als die Gläser der ‚Schlangenfaden-Werkstatt‘ und setzte den Becher zusammen mit den übrigen Beigaben im frühen 4. Jahrhundert an. Als 1969 der zweite Muschelbecher gefunden wurde, datierte Doppelfeld auch diesen, obwohl er mit Schlangenfäden dekoriert ist, ebenfalls ins frühe 4. Jahrhundert[531]. Das Grab vom Kartäuserhof, das hierzu die Grundlage lieferte, ist allerdings erst nach 313/317 n. Chr., also frühstens im 2. Jahrzehnt, in den Boden gekommen; der Muschelbecher wäre bei Anlage des Körpergrabs bereits ein älteres Stück gewesen.

Doppelfeld hat für die Datierung von Grab 51 die übrigen Glasbeigaben und die Keramik nicht herangezogen, da sie seiner Meinung nach keine exakten zeitlichen Anhaltspunkte bieten. Auch die unterschiedliche Bestattungsart blieb unberücksichtigt. Folgt man seiner Datierung, so hätte man in konstantinischer Zeit eine Tuffsteinkiste reich mit Beigaben ausgestattet; Brandbestattungen und die Verwendung von kleinen Steinkisten, wurden in Köln im 4. Jahrhundert in der Regel nicht mehr praktiziert. Davon abgesehen lassen sich die übrigen Beigaben von Grab 51 chronologisch bestimmen. Jedenfalls sind die Gläser mit den hier untersuchten Formen 46b, 48, 71 und 72 nicht typisch für das 4. Jahrhundert, sondern bereits früher belegt. Aus älterer Zeit stammen auch die beiden Keramikkrüge, die eine häufige Beigabe von Brandgräbern des 2.–3. Jahrhunderts sind. Sie entsprechen in Gefäßform und im vergilbtweißen Scherben den Krügen des Niederbieber Horizonts[532]. Wenn man mit Doppelfeld das Brandgrab ins 4. Jahrhundert datiert, hätte man zwei etwa ein hundert Jahre alte Krüge ins Grab gelegt. Dies ist bei einer einfachen Gebrauchsware lokaler Produktion wenig wahrscheinlich, zumal Gebrauchsspuren nicht vorhanden sind. Bei einem kostbaren Glasgefäß ist hingegen mit der Möglichkeit zu rechnen, dass zwischen der Herstellung des Glases und seiner Deponierung im Grab eine größere Zeitspanne verstrichen ist.

Die Beigaben und die Bestattungsart von Grab 51 liefern also durchaus chronologische Anhaltspunkte und sprechen dafür, dass das Grab von der Luxemburger Straße bereits in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts angelegt wurde. In dieser Zeit sind Gläser vergleichbarer Becherform und ein Muscheldekor nachweisbar. Beide Elemente sind jedoch im 4. Jahrhundert ohne Parallele. Da die beiden Becher in der Form, den Maßen der Kuppa und im freistehenden Dekor übereinstimmen, wird man eine Entstehung in großem zeitlichem Abstand ausschließen dürfen. Vielmehr ist zu vermuten, dass der Muschelbecher vom Kartäuserhof als eine Antiquität, – entweder als Erbstück oder als Fund aus einer älteren Bestattung – in das Grab des 4. Jahrhunderts gelangt ist. Offenbar wurde das Glas so sehr geschätzt, dass es dem Verstorbenen bei der Beisetzung in den rechten Arm gelegt wurde.

Es gibt eine Reihe von Fragmenten weiterer Muschelbecher von auswärtigen Fundplätzen, die zur Frage der Datierung beitragen können. Dazu zählt der ‚Sarkophag 1‘ in Stein (Limburg, NL), der nicht etwa eine Körperbestattung enthielt, sondern eine große Aschenkiste war. Ihre Beigaben stammen aus der mittleren Kaiserzeit[533]. Ein zweites Beispiel sind Fragmente eines Muschelgefässes aus Rapsley, Ewhurst (GB). Sie kamen in einer Villa zutage und wurden der Gebäudephase um 220 n. Chr. zugewiesen[534]. Bruchstücke von zwei Muschelbechern wurden 1914 in Bouillé-Courdault (Vendée, F) gefunden. Sie gehören zur Ascheschicht einer nicht erkannten Brandbestattung und lagen nicht in einem Sarkophag[535]. In Lyon (Rhône, F) wurden mehrere Fragmente hoher Becher ausgegraben. Darunter sind zwei Muscheln aus farblosem Glas sowie eine seltene, aus dunkelgrünem Glas gepresste Muschel. Die Funde stammen aus verschiedenen Kontexten; die älteren sind ins 2. Jahrhundert, die anderen in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts bis ins 3. Jahrhundert datierbar[536]. Weitere Muschelfragmente wurden in der Zivilsiedlung Heldenbergen, Gemeinde Nidderau, Main-Kinzig Kreis freigelegt. Sie müssen vor der Zerstörung des Vicus im 3. Jahrhundert (um 233 n. Chr.) entstanden sein[537]. Die genannten Funde stammen sämtlich aus der mittleren Kaiserzeit; insofern unterstützen sie die aus dem Grabkontext gewonnene Datierung des Muschelpokals von der Luxemburger Straße in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts.