Form 72 und Form 73
Kanne und Griffschale  

Vgl. Formen Isings 88a und 75a

Kat. 265 Griffschale, Inv. L 217

Grab 55

H. 4,3 cm. L. 20 cm. Dm. 14,2 cm.

Glas farblos. Schlieren. Fadenauflage opaktürkisblau und opakgelb. Freigeblasen.

Flache halbkugelige Schale. Standring aus der Wandung gefaltet, innen hohl. Boden leicht aufgewölbt; Heftnarbe. Rand nach innen eingezogen und nach außen umgelegt, innen hohl. Unterhalb des Rands zwei umlaufende dünne gelbe Fäden. Auf dem Gefäßkörper vier Schlangenfadenmotive, der sog. Schnörkel, aus abwechselnd gelben und blauen Fäden (Dekor 1). An die Schale ein stielförmiger Griff horizontal angesetzt, verdeckt zum Teil den Dekor. Griffende mit formgepresster Muschel.

Zusammengesetzt. Glas versintert(?).

Lit.: Hagen 1906, 412 Taf. 24 Abb. 40g. – Fremersdorf, Schlangenfadenglas 50 Taf. 51.– Römer am Rhein 263 Nr. D 45, Farbtaf. 9.

Abb. 346. Form 73. Kat. 265. Inv. L 217.
Abb. 346. Form 73. Kat. 265. Inv. L 217. Zeichnung M. 1:2.

Kat. 266 Kleine Kanne, Inv. L 218

Grab 55

H. mit Henkel 14,5 cm.

Glas farblos. Fadenauflage opakgelb und opaktürkisblau mit roter Schliere. Freigeblasen.

Birnenförmiger Gefäßkörper. Standring aus der Wandung gefaltet, innen hohl; Heftnarbe mit anhaftenden Glasstückchen. Zylindrischer, sich erweiternder Hals. Rand schräg nach außen gebogen, innen hohl. Zusammengekniffener Ausguß. Auf dem Gefäßkörper vier Schlangenfadenmotive (‚Schnörkel‘) aus gelben und blauen Fäden wie auf Griffschale Kat. 265 (Dekor 1). Breiter Bandhenkel, sitzt mit geradem Ende auf der Schulter und dem Dekor auf und endet am Rand in der Achse des Ausgußes. Auf dem Henkel eine gerippte gelbe Fadenauflage.

Sprünge. Glas versintert(?).

Lit.: Hagen 1906, 411 f. Taf. 24 Abb. 40 f. – Fremersdorf, Schlangenfadenglas 52 Taf. 59. – Römer am Rhein 263 Nr. D 45, Farbtaf. 9.

Abb. 348. Form 72. Kat. 266. Inv. L 218.
Abb. 347. Form 72. Kat. 266. Inv. L 218. M. 1:2.

Kat. 267 Griffschale, Inv. L 667

Grab 56

H. 4 cm. L. 19 cm. Dm. 12,6 cm.

Schale: Glas farblos. Fadenauflage opakblau und opakweiß. Griff: Glas leicht blaugrün. Freigeblasen.

Halbkugelige Schale. Standring aus der Wandung gefaltet, innen hohl. Boden leicht hochgestochen; Heftnarbe. Rand nach innen eingezogen und nach außen umgelegt, innen hohl. Unterhalb des Rands ein umlaufender dünner blauer Faden. Auf dem Gefäßkörper vier Schlangenfadenmotive aus abwechselnd blauen und weißen gerippten Fäden
(Dekor 1). Griff horizontal angesetzt, verdeckt zum Teil den Dekor. Griffende auf der Ober- und Unterseite flach gedrückt.

Zusammengesetzt. Kleine Fehlstellen in Rand und Boden ergänzt.

Lit.: Hagen 1906, 413 Taf. 24 Abb. 42b. – Fremersdorf, Schlangenfadenglas 51 Taf. 53 (irrige Massangabe). – Doppelfeld 1966, 57 Taf. 126. – Nuber 1972, 214 Nr. 72. – Follmann-Schulz 2010a, Nr. 15.

Abb. 349. Form 73. Kat. 267. Inv. L 667.
Abb. 349. Form 73. Kat. 267. Inv. L 667. M. 1:2.

Kat. 268  Kleine Kanne, Inv. L 668

Grab 56

H. mit Henkel 11,4 cm.

Glas farblos. Fadenauflage opakweiß und opakblau. Freigeblasen.

Birnenförmiger Gefäßkörper. Wulstiger Standring aus der Wandung gefaltet; Heftnarbe(?). Zylindrischer, sich erweiternder Hals. Rand schräg nach außen gebogen. Zusammengekniffener Ausguß. Auf dem Gefäßkörper vier Schlangenfadenmotive aus blauen und weißen Fäden wie auf Griffschale Kat. 267 (Dekor 1). Fadenauflage im oberen Teil des Motivs gerippt. Breiter Bandhenkel, sitzt auf der Schulter und dem Dekor auf und endet mit einer Falte am Rand. Auf dem Henkel eine gerippte blaue Fadenauflage; das obere Ende als kleine ‚Daumenraste‘ hochgestellt.

Zusammengesetzt. Kleine Fehlstellen in der Wandung ergänzt.

Lit.: Hagen 1906, 412 f. Taf. 24 Abb. 42a. – Fremersdorf, Schlangenfadenglas 51 Taf. 55. – Doppelfeld 1966, 57 Taf. 127 oben. – Follmann-Schulz 2010a, Nr. 16.

Abb. 350. Form 72. Kat. 268. Inv. L 668.
Abb. 350. Form 72. Kat. 268. Inv. L 668. M. 1:2.

Kat. 269 Griffschale, Inv. L 681

Grab 50

H. 3,5 cm. Dm. 10 cm.

Glas farblos. Blasen. Fadenauflage blaßblau und opakweiß. Freigeblasen.

Halbkugelige Schale. Standring aus der Wandung gefaltet, innen hohl. Boden aufgewölbt; Heftnarbe. Rand nach innen eingezogen und nach außen umgelegt, innen hohl. Auf dem Gefäßkörper zwei blaue und zwei weiße Schlangenfadenmotive, unsorgfältig aufgetragen (Dekor 1).

Zusammengesetzt. Fehlstellen im Rand und in der Wandung. Griff verloren und ergänzt.

Lit.: Hagen 1906, 410 Taf. 24 Abb. 38m.

Abb. 351. Form 73. Kat. 269. Inv. L 681.
Abb. 351. Form 73. Kat. 269. Inv. L 681. M. 1:2.

Kat. 270 Kleine Kanne, Inv. L 682

Grab 50

H. noch 10,6 cm (ohne Ergänzungen).

Glas farblos. Blasen. Fadenauflage blaßblau und opakweiß. Freigeblasen.

Birnenförmiger Gefäßkörper. Standring aus der Wandung gefaltet, innen hohl. Boden hochgestochen; Heftnarbe. Auf dem Gefäßkörper zwei blaue und zwei weiße gerippte Schlangenfadenmotive wie auf Griffschale Kat. 269 (Dekor 1). Zylindrischer, sich erweiternder Hals. Rand nach außen umgebogen und zusammengekniffen, innen teilweise hohl. Bandhenkel mit zwei Längsfurchen, sitzt auf der Schulter und dem Dekor auf.

Zusammengesetzt. Ausguß und Henkelbogen verloren und ergänzt.

Lit.: Hagen 1906, 410 Taf. 24 Abb. 38-l. – Fremersdorf, Schlangenfadenglas 52 Taf. 56.

Abb. 352. Form 72. Kat. 270. Inv. L 682.
Abb. 352. Form 72. Kat. 270. Inv. L 682.
Abb. 352. Form 72. Kat. 270. Inv. L 682. M. 1:2.

Kat. 271 Griffschale, Inv. 33,175

Grab 58

H. 3,8 cm. Dm. 12 cm.

Glas farblos. Fadenauflage opakblau, opakweiß, farblos mit Spuren von Vergoldung. Freigeblasen.

Flache, halbkugelige Schale. Standring aus der Wandung gefaltet, innen hohl; Heftnarbe. Rand nach innen eingezogen und nach außen umgeschlagen, innen hohl. Auf dem Gefäßkörper eine Ornamentzone oben und unten von dünnen opakblauen Fäden eingefaßt und von vier Schlangenfadenmotiven überschnitten: auf zwei blaue folgen zwei weiße ‚Schnörkel‘, dazwischen jeweils eine Doppelvolute aus einem farblosen Faden (Dekor 2). Die opaken Fäden gerippt, die farblosen einst vergoldet.

Zusammengesetzt. Fehlstelle im Gefäßkörper. Griff verloren und ergänzt.

Lit.: Fremersdorf 1938, 205 Nr. 6. – Nuber 1972, 206,6 (hier als Einzelstück aufgeführt).

Abb. 355. Form 73. Kat. 271. Inv. 33,175.
Abb. 353. Form 73. Kat. 271. Inv. 33,175. M. 1:2.

Kat. 272 Kleine Kanne, Inv. 33,176; verloren

Grab 58

Glas farblos. Fadenauflage wohl wie Kat. 271 (opakblau, opakweiß, farblos und vergoldet). Freigeblasen.

„Bruchstücke des zugehörigen geschnäbelten Henkelkännchens. Erhalten sind hauptsächlich Wandstücke mit blauen und weißen, vergoldeten Schlangenfäden“ (Inventarbuch).

Lit.: unpubliziert.

Kat. 273 Griffschale, Inv. 69,72.6

Grab 51

H. 3,7 cm. L. 16,1 cm. Dm. 10,5 cm.

Glas farblos, leicht grünlich. Fadenauflage opakblau, opakweiß, farblos und vergoldet. Freigeblasen.

Flache halbkugelige Schale. Standring aus der Wandung gefaltet, innen hohl; Heftnarbe. Rand nach innen eingezogen und nach außen umgeschlagen, innen hohl. Gefäßkörper oben und unten von einem dünnen blauem Glasfaden eingefaßt und mit vier Schlangenfadenmotiven verziert: Herzblatt (Efeu?) und Ranke mit Doppelvolute (eine der Voluten nur zur Hälfte verlegt) abwechselnd aus blauen und weißen Fäden (Dekor 3). An den Gefäßkörper ein runder Griff aus einem leicht gedrehten Glasstab horizontal angesetzt. Der blaue Faden dabei überschnitten, folglich hat sich blaues und farbloses Glas vermischt. Griffende mit der Zange flach gedrückt.

Lit.: Doppelfeld 1970, 18 Nr. 6. – von Boeselager 1981, 110 Nr. 431–432. – Römische Kunst und Kultur, Nr. 326 Abb. 126. – Fremersdorf – Polónyi, Farblose Gläser 3 Nr. 7 mit Abb. – Glas der Caesaren 128–129 Nr. 58. – von Boeselager 1989a, 28 ff. Abb. 8.

Abb. 356. Form 73. Kat. 273. Inv. 69,72.6.
Abb. 354. Form 73. Kat. 273. Inv. 69,72.6. M. 1:2.

Kat. 274 Kleine Kanne, Inv. 69,72.5

Grab 51

H. mit Henkel 12,9 cm.

Glas farblos, leicht grünlich. Fadenauflage opakblau, opakweiß, farblos und vergoldet. Freigeblasen.

Birnenförmiger Gefäßkörper. Standring aus der Wandung gefaltet, innen hohl. Boden aufgewölbt; Heftnarbe. Zylindrischer, sich erweiternder Hals. Rand schräg nach außen gebogen und umgeschlagen. Zusammengekniffener Ausguß. Auf dem Gefäßkörper vier Schlangenfadenmotive wie bei Griffschale Kat. 273 (Dekor 3). Die opaken Fäden leicht gerippt, die farblosen vergoldet. Breiter Bandhenkel, sitzt mit geradem Abschluß auf der Schulter und dem Dekor auf und endet am Rand in der Achse des Ausgußes. Auf dem Henkel eine gewellte opakblaue Fadenauflage; das obere Ende nach außen umgeschlagen.

Lit.: Doppelfeld 1970, 18 Nr. 5. – von Boeselager 1981, 110 Nr. 431–432. – Römische Kunst und Kultur Nr. 325 Abb. 126. – Fremersdorf – Polónyi, Farblose Gläser 86 Nr. 195 mit Abb. – Glas der Caesaren 128 Nr. 58. – von Boeselager 1989a, 28 ff. Abb. 8.

Abb. 357. Form 72. Kat. 274. Inv. 69,72.5.
Abb. 357. Form 72. Kat. 274. Inv. 69,72.5.
Abb. 357. Form 72. Kat. 274. Inv. 69,72.5. M. 1:2.

Grabtypus und Fundlage: Sämtliche Gläser stammen aus Brandbestattungen. Die Gräber 56, 50 und 51 waren mit Tuffsteinkisten ausgestattet. In Grab 50 lag das Gefäßpaar in einer Hälfte der quergeteilten Kiste. Bei Grab 51 waren Kanne und Griffschale innerhalb der Aschenkiste deponiert, während andere kostbare Glas­beigaben außerhalb standen. A. Kisa, der die Ausgrabungen 1897 beobachtete, schreibt: „In den Gräbern der Luxemburger Straße in Köln fand ich sie (d. h. die Griffschale) immer umgekehrt, mit der Höhlung nach unten liegend, so daß die Oenochoe innerhalb des Fußringes zu stehen kam. Beide Gefäße gehörten offenbar zusammen“[1063]. Grab 50 kann wegen der Spiegelbeigabe als Bestattung einer Frau bestimmt werden.

Abb. 358a. Garnitur von Kanne und Griffschale (aquaemanalis) Kat. 265-266.
Abb. 358b. Garnitur von Kanne und Griffschale (aquaemanalis) Kat. 267-268.
Abb. 358c. Garnitur von Kanne und Griffschale (aquaemanalis) Kat. 269-270.
Abb. 358d. Garnitur von Kanne und Griffschale (aquaemanalis) Kat. 273-274.

Form und Technik: Die Form der beiden Gefäße ist sehr einheitlich. Die Schalen mit einem Durchmesser von 10–14 cm sind stets mit einem Standring versehen. Mit einer Höhe von 3,5 bis rund 4 cm gehören sie zum flachen Schalentypus (Form Isings 75a) im Unterschied zu den tieferen ‚Kasserolen‘ (Form Isings 75b). Der Griff besteht aus einem glatten oder in sich gedrehten Glasstab mit rundem Querschnitt. Bei Kat. 265 wurde in das Griffende mit der Formzange eine Muschel eingepresst, bei den anderen ist das Ende flach gedrückt.

Die Kannen weisen mit Henkel eine Höhe von 11,5–14,5 cm auf. Der birnenförmige Gefäßkörper mit Standring entspricht Form Isings 88a. Der Rand wurde an zwei gegenüberliegenden Punkten zu einem Ausguß, der sog. Kleeblattmündung, zusammengedrückt. Der angesetzte Bandhenkel liegt stets dem Ausguß gegenüber. Er trägt einen wellig aufgelegten blauen oder gelben Faden, dessen oberes Ende bei einigen Stücken als kleine ‚Daumenraste‘ hochsteht.

Die Verzierung mit farbigen Fäden ist bei den beiden Gefäßformen aus einem Grab stets entsprechend gestaltet. Schon im Dekor zeigt sich, dass Kanne und Griffschale als zusammengehörige Garnituren, nicht als Einzelstücke, hergestellt wurden. Die Auflagen bestehen aus opakblauem, opakweißen, opakgelben und vergoldeten farblosen Glas. Es lassen sich drei Dekore unterscheiden. Eine vierte Verzierungsweise ist u. a. bei einer Kanne von der Luxemburger Straße in der Sammlung Niessen belegt[1064]. Bei allen Gefäßen wurden Henkel und Griff erst nach dem Auftragen des Fadendekors angefügt, so dass sie diesen überschneiden.

Die Fadenauflage von Dekor 1 besteht aus dem sog. Kölner Schnörkel, der viermal wiederholt wird. Der Faden beginnt oben mit einem flachen Z-Bogen, verläuft in einer unterschiedlichen Zahl von Wellenbögen nach rechts und endet meist in einer eingerollten Volute (Abb. 347). Die Motive wurden im Farbwechsel von opakblauen mit opakweißen bzw. -gelben verlegt. Außer den drei Gefäßpaaren von der Luxemburger Straße Kat. 265–266, Kat. 267–268 und Kat. 269–270 (Abb. 358a–c) zeigen diesen Dekor auch die Garnituren aus Lank-Latum, heute in London[1065] (Abb. 359) und aus Grafschaft-Gelsdorf in Bonn[1066] (Abb. 360).

Dekor 2 weist neben den zweifarbigen ‚Schnörkeln‘ zusätzlich eine vergoldete Doppelspirale aus farblosem Glas auf (Abb. 353). Diese wurde zuerst aufgelegt, denn das Fadenende eines Schnörkels überschneidet unten die Doppelspirale. Bei der Griffschale Kat. 271 aus Grab 58 wurde ausnahmsweise nicht der übliche Farbwechsel vorgenommen, sondern zwei gleichfarbige blaue bzw. weiße ‚Schnörkel‘ wurden nebeneinander gesetzt. Mit Dekor 2 ist auch ein Gefäßpaar unbekannten Fundorts heute in Wiesbaden verziert[1067] (Abb. 362).

Dekor 3 zeigt farbige Herzblätter in Verbindung mit vergoldeten Doppelspiralen aus farblosem Glas (Abb. 357). Die Spiralen wurden zunächst aufgesetzt, dann mit einem farbigen Glasfaden das Weinblatt und der ‚Schnörkel‘ gezeichnet, wobei das Fadenende die Doppelspirale unten überschnitten hat. Dieser Dekor wurde offenbar freihändig aufgeschmolzen. Das Service Kat. 273–274 aus Grab 51 zeichnet sich durch klares farbloses Glas und sorgfältig ausgeführte Auflagen aus. Mit Dekor 3 war auch das Kännchen aus der Kölner Sammlung vom Rath verziert, das seit dem Zweiten Weltkrieg in Berlin verschollen ist[1068].

Bei Dekor 4 sind die farbigen ‚Schnörkel‘ mit einem vertikal angeordneten Winkelmuster aus vergoldeten Glasfäden aus farblosem Glas kombiniert. Außer dem bereits genannten Kännchen von der Luxemburger Straße in der Sammlung Niessen zählt dazu ein Exemplar aus Köln, heute in New York[1069] (Abb. 363).

Abb. 359. Garnitur von Kanne und Griffschale aus Lank-Latum. London, Trustees of the British Museum.
Abb. 360. Kanne aus Grafschaft-Gelsdorf. Bonn, RLM (Inv. U 1168.).
Abb. 361. Griffschale aus Köln. Bonn, RLM (Inv. 215).
Abb. 362a. Kanne, Fundort unbekannt (Köln?). Stadtmuseum Wiesbaden, Slg. Nassauischer Altertümer (Inv. 2480-2481).
Abb. 362b. Griffschale, Fundort unbekannt (Köln?). Stadtmuseum Wiesbaden, Slg. Nassauischer Altertümer (Inv. 2480-2481).
Abb. 363. Kanne aus Köln. New York, The Metropolitan Museum of Art, Gift of Henry G. Marquand (81.10.180).

Verwendung und Gefäßkombination: Die Frage der Verwendung von Kanne und Griffschale hat A. Kisa 1908 zuerst diskutiert[1070]. Da er die Gefäße paarweise in Gräbern an der Luxemburger Straße fand, schloß er auf ihre Zusammengehörigkeit und schlug drei Verwendungsmöglichkeiten vor. Die Griffschale sei ein Trinkgefäß, in das mit der Kanne eingeschenkt wurde. Desweiteren nannte er die Libation, d. h. Kanne und Griffschale seien für Weinspenden beim Opfer oder für die Handwaschung beim Mahl benutzt worden. Hierzu habe die Kanne parfümiertes Waschwasser enthalten, das den Gästen über die Finger gegossen und von der untergehaltenen Schale aufgefangen wurde[1071].

H. U. Nuber hat 1972 durch eine umfassende Untersuchung die Funktion von Kanne und Griffschale klären können[1072]. Da die Gefäße aus Gräbern, nicht aus Heiligtümern stammen, spricht schon der sepulkrale Zusammenhang gegen ihre Benutzung als Opfergeräte. Aufschluß über ihren Gebrauch geben vor allem Darstellungen in der Wandmalerei und auf Grabsteinen. Insbesondere Abbildungen, welche die beiden Gefäße nicht als isolierte Gegenstände, sondern in Verbindung mit einer Handlung wiedergeben, so u. a. zwei Grabsteine mit Totenmahlszenen aus Köln[1073]. Sie zeigen die Diener mit Kanne und Griffschale in Gegenwart von Gelagerten, wobei die Darstellungen keinerlei Hinweis auf eine Opferhandlung enthalten, bei der die Garnitur als Spendegefäß gedient haben könnte. Der szenische Zusammenhang lässt vielmehr schließen, dass Kanne und Griffschale für die Handwaschung beim Mahl benutzt wurden, es also Gegenstände des täglichen Lebens waren. Mit dieser Deutung fügen sich Kanne und Griffschale in den Kontext der übrigen Grabausstattung ein, die offenbar dazu bestimmt war, den Verstorbenen mit Gegenständen, den Bedürfnissen der Lebenden entsprechend, zu versorgen.

Ausgehend von der Deutung als Handwaschgarnitur hat H. U. Nuber auch die Frage nach der antiken Bezeichnung des Gefäßpaares neu gestellt[1074]. Während die Metallschale in der Fachliteratur meist als „patera“ geführt wird, verwenden A. Kisa und F. Fremersdorf den Begriff „trulla“ für die Glasschale[1075]. Nach den antiken Quellen ist „trulla“ jedoch ursprünglich ein Schöpfgefäß[1076]. Die Glaskanne wird von A. Kisa mit dem griechischen Namen „Oenochoe“ bezeichnet. H. U. Nuber fand in Glossarien, welche die lateinischen mit den griechischen Begriffen gleichsetzen, die entscheidenden Belege für die Benennung von Kanne und Griffschale[1077]. Nach diesen Quellen war der Oberbegriff für die Garnitur als Ganzes „aquaemanalis“ oder „aquae manale“, was offensichtlich aus ‚aqua‘ und ‚manus‘ gebildet ist. Die einzelne Griffschale wurde in der Kaiserzeit vor allem ‚trulleum‘ genannt. Das zugehörige Gießgefäß für Wasser hieß ‚vas‘; daneben kommen auch andere weniger geläufige Bezeichnungen vor[1078]. In jedem Fall scheidet die Bezeichnung ‚patera‘, die eine Opferschale oder ein Kultgerät meint, für unsere Griffschalen aus.

In den nördlichen Provinzen wurde die Beigabensitte vor allem in den Tumulusgräbern der Gallia Belgica geübt[1079]. Da Vorläufer der Glasgarnituren aus der CCAA bisher nicht bekannt sind, hat man auf eine „Neuentwicklung“ geschlossen[1080]. Dabei wird übersehen, dass es vereinzelt auch in Köln ältere Beispiele von Gefäßpaaren aus Metall und Keramik gibt. So lagen in einer Brandbestattung der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts in Köln-Lindenthal eine Kanne und Griffschale aus einer Kupferlegierung[1081]. Zwei Services aus Keramik stammen aus nicht näher bekannten Gräbern an der Arnoldshöhe und der Brüsseler Straße in Köln[1082]. Die Beigabensitte ist also sporadisch seit dem 1. Jahrhundert in Köln belegt. Das gehäufte Auftreten von Glasgarnituren in der mittleren Kaiserzeit ist als ein besonderer Ausstattungsluxus einer Gräbergruppe von der Luxemburger Straße zu werten.

Es bleibt zu fragen, ob das Glasservice von den Lebenden benutzt oder speziell als Grabbeigabe angefertigt wurden. Bei den Metallgefäßen aus Gräbern der Gallia Belgica wurden Gebrauchsspuren festgestellt[1083], während diese bei den Glasgarnituren in Köln nicht zu beobachten sind. Gegen ihre praktische Benutzung spricht auch die Vergoldung einiger Exemplare, die sich im täglichen Gebrauch leicht abgerieben hätte. Davon abgesehen war das Geschirr wegen seines Formats für die Handwaschung wenig geeignet. Griffschalen mit nur 10 cm Dm. erscheinen zu klein im Vergleich zu den Metallschalen von Dm. 19–20 cm, die nachweislich benutzt wurden[1084]. Es ist deshalb anzunehmen, daß die Glasgefäße verkleinerte Nachbildungen von Handwaschgeschirr sind, die eigens für die Grabausstattung hergestellt wurden.

Verbreitung der Services mit Schlangenfadendekor: Außer den fünf Services aus Gräbern an der Luxemburger Straße zwischen Köln und Efferen gibt es drei Gefäßpaare mit Fadendekor, die oben bereits genannt wurden: eine Garnitur aus Lank-Latum bei Krefeld-Gellep, heute in London (Abb. 359), eine weitere aus Grafschaft-Gelsdorf, heute in Bonn (Abb. 360), und eine dritte unbekannten Fundortes in Wiesbaden, ehemals in einer Frankfurter Sammlung (Abb. 362). Außerdem sind zwölf Einzelstücke ohne Fundzusammenhang vorhanden, die mit einer Ausnahme alle in Köln ausgegraben wurden. Dazu zählen fünf Griffschalen mit Fundort Köln, die heute in Sammlungen in Barcelona (Abb. 364), Bonn, Köln und New York verstreut sind[1085]. Zwei Exemplare stammen von der Luxemburger bzw. Aachener Straße; bei den übrigen ist die genaue Fundstelle bzw. die Nekropole der CCAA nicht bekannt. Daneben sind sieben einzelne Kännchen nachweisbar, von denen sechs in Köln, das siebte wahrscheinlich in Xanten gefunden wurde[1086]. Sie werden in Köln, New York (Abb. 363. 365), Nürnberg (Abb. 366) und ehemals in Berlin aufbewahrt[1087]. Für das Exemplar in der Sammlung Niessen in Köln ist die Herkunft von der Luxemburger Straße gesichert, bei den übrigen sind die Fundstellen im heutigen Stadtgebiet nicht überliefert. Insgesamt stammen also mindestens zwölf Exemplare von der Luxemburger Straße.

Da Kanne und Griffschale als Paar benutzt wurden, scheint es von vorne herein fraglich, dass Einzelstücke ins Grab gegeben wurden. Fundberichte, welche die Frage klären könnten, fehlen für die betroffenen Gläser. Es ließen sich jedoch einige Hinweise dafür finden, dass bestimmte ‚Einzelstücke‘ ursprünglich ein Pendant besaßen. So geht aus den Inventarbüchern des RGM Köln hervor, dass in Grab 58 neben der erhaltenen Griffschale Kat. 271 einst Bruchstücke des Kännchens Kat. 272 vorhanden waren. Im Fundmaterial der Aschenkisten aus Gelsdorf im RLM Bonn wurden inzwischen die fragmentierte Schale und ihr Griff identifiziert, die in den Publikationen des Kännchens bislang nicht aufgeführt sind[1088]. C. Bone erwähnt bei der Beschreibung der Griffschale aus der Sammlung Merkens, heute in Barcelona, einen in ihr liegenden stark verbrannten „Glashenkel“, der vielleicht von der zugehörigen Kanne stammte[1089]. Es ist daher zu vermuten, dass auch bei anderen Grabfunden Fragmente von Gegenstücken vorhanden waren und unerkannt verloren gingen. Die Funktion der Gläser als Handwaschgeschirr spricht dafür, dass in der Regel Gefäßpaare ins Grab gelegt wurden[1090]. Unter dieser Voraussetzung ist damit zu rechnen, dass es außer den acht gesicherten Garnituren mindestens zwölf weitere Glasservice mit Fadendekor gegeben hat.

Neben den Gefäßen mit Schlangenfadendekor sind bisher nur wenige Beispiele von Glasservices bekannt. Meisterwerke aus frührömischer Zeit sind die beiden Kameogläser aus Pompeji[1091]. Eine in Baena (Cordoba) gefundene Garnitur aus marmoriertem Glas stammt wahrscheinlich aus dem 1. Jahrhundert[1092]. Bereits hier sind kleinformatige Gefäße als Grabbeigabe verwendet. Reste von Griffschalen unbekannten Fundortes gelangten in die ehemaligen Sammlungen Gréau und R. W. Smith[1093]. In einem Brandgrab in Strée lag eine unverzierte Griffschale[1094]. Ein weiteres Exemplar gehört zum Inventar der Aschenkiste II von Stein (Limburg, NL). Mit dieser Schale aus dunkelgrünem, schwarz wirkendem Glas wurde ein Henkel mit blauer Fadenauflage, vielleicht von einem Kännchen, gefunden[1095].

Im Vergleich zu diesen Garnituren bilden die in Köln ausgegrabenen Gläser in Gefäßform und Fadendekor eine einheitliche Gruppe. Mit dieser sind die in Xanten, Lank-Latum und Grafschaft-Gelsdorf entdeckten Kannen und Griffschalen in Technik und Stil so eng verwandt, dass auch deren Herkunft aus Köln zu vermuten ist[1096]. Gleichzeitig besteht ein Zusammenhang zwischen dem Dekor der Kannen und Griffschalen und den übrigen Schlangenfadengläsern aus Köln, wie den Flaschen und Bechern, so dass man die gesamte Gruppe den Glashütten der CCAA zuschreiben darf. Damit ist der seltene Fall gegeben, dass sich Produkte Kölner Glashütten im Fundmaterial anderer Orte aussondern lassen. Die Glasgarnituren dürften über den Rhein verhandelt worden sein. Dabei sind Xanten und Grafschaft-Gelsdorf bisher die nördlichsten bzw. südlichsten Orte des Exportes. Da allein zwölf der insgesamt 20 Gläser mit Fundort Köln von der Luxemburger Straße stammen, könnte man vermuten, dass die spezifische Beigabensitte mit einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, die sich in der SW-Nekropole der CCAA bestatten ließ, in Verbindung steht.

Abb. 364. Griffschale aus Köln. Barcelona, Slg. Amatller.
Abb. 365. Kanne aus Köln. New York, The Metropolitan Museum of Art, Flechter Fund (59.11.12.).
Abb. 366. Kanne aus Köln. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum (Inv. R 429).

Datierung: Erste Anhaltspunkte für die Datierung geben Münzen in drei der Bestattungen: Grab 50 enthielt als jüngste Prägung einen etwas abgegriffenen Sesterz von 180/183 n. Chr., Grab 56 eine kaum abgegriffene Münze von 196/211 n. Chr. Grab 58 lieferte einen Denar für Julia Domna von 196/211 n. Chr. Nach den Keramikbeigaben zu schließen sind die Gräber 55 und 51 im ersten Drittel bzw. in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts entstanden.

Weitere chronologische Anhaltspunkte bieten die Grabinventare aus Grafschaft-Gelsdorf und Lank-Latum. In Gelsdorf fand man zwei Bestattungen, deren Beigaben nach der Auffindung vermischt wurden. Sie enthielten drei Silbermünzen des Septimus Severus bzw. für Julia Domna und Julia Maesa, die spätestens 218/222 n. Chr. geprägt wurden[1097]. Der Grabkomplex aus Lank-Latum war ohne Münzbeigaben und die beiden Keramikfunde sind heute verloren[1098]. Doch entspricht die übrige Ausstattung mit Schreib- und Toilettegeräten weitgehend der von Grab 56 aus der Zeit nach 196/211 n. Chr. Die gleiche Schreibgarnitur wie in Köln wurde auch aus Grab 3475 in Gellep zusammen mit einer Münze von 215 n. Chr. geborgen[1099].

Die fünf Fundkomplexe von der Luxemburger Straße sind als Brandgräber 50, 51, 55, 56 und 58 gesichert. Die Steinkisten der beiden auswärtigen Funde werden als ‚Sarkophage‘ in der Literatur bezeichnet, woraus man auf Körpergräber geschlossen hat. Dies schien bei vergleichbarer Grabausstattung zweifelhaft, so dass die Beschreibungen der fraglichen Steinkisten überprüft wurden. Die ‚Sarkophage‘ aus Gelsdorf haben die Außenmasse von L. 1,82 m bzw. 1,39 m[1100]. Im Innern von Kiste I sind auf den Schmalseiten zwei größere halbrunde Nischen, in der Querachse zwei kleinere Nischen mit erhöhten Stufen ausgearbeitet. Im Trog von Kiste II befinden sich an zwei Seiten etwa 14–15 cm hohe Stufen. Die beiden verlorenen „stone coffins“ aus Lank-Latum besaßen nach dem Fundbericht von G. Witt die Außenmasse von umgerechnet L. 1,62 m[1101]. Sarg I, aus dem Kanne und Griffschale stammen, hatte im Innern eine rechteckige Ausarbeitung von umgerechnet nur 0,40 x 0,22 m sowie eine halbkreisförmige Nische und eine Stufe an den Wänden. Wie die Einrichtungen der Tröge und ihre geringen Innenmaße belegen, müssen auch diese Grabbehälter Aschenkisten gewesen sein. Dass die Funde aus Lank-Latum keine Körperbestattungen enthielten, geht schließlich aus der Beschreibung des gleich großen Sarg II hervor, der Reste verbrannter Knochen, Asche und Glasscherben enthielt. Es ist also davon auszugehen, daß sowohl die ‚Sarkophage‘ aus Gelsdorf als auch die verlorenen Steinsärge aus Lank-Latum Aschenkisten waren.

Somit sind sieben Glasgarnituren mit Schlangenfäden aus Brandgräbern gesichert, von denen mindestens fünf in Steinkisten niedergelegt waren. Nach dem Fundzusammenhang sind die fünf Gefäßpaare von der Luxemburger Straße und die aus dem Territorium der CCAA in Lank-Latum und Grafschaft-Gelsdorf um die Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert bzw. in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts in den Boden gelangt.