Form 49
Flasche mit vierkantigem Gefäßkörper und langem Hals  

Vgl. Form Isings 84; Trier 105; AR 144

Kat. 195 Flasche, Inv. L 678

Grab 50

H. 18,5 cm. Gefäßkörper H. 8 cm. Hals H. 10,5 cm. Boden 2,2 x 2,5 cm.

Glas grünlich, dickwandig. Halbform.

Vierkantiger Gefäßkörper, sich nach oben leicht verbreiternd. Horizontale Schulter eingesunken. Zylindrischer Hals höher als der Gefäßkörper. Rand horizontal weit nach außen gebogen und wieder zurückgefaltet, scheibenartig abgeflacht. Auf dem Boden in Relief: Figur nach links in wadenlanger Tunika, mit Bart und langem Haar. In der vorgestreckten Rechten ein unbestimmtes Attribut mit nach unten gerichteter Spitze. In den vier Bodenecken oben die Buchstaben G und R, unten H und O(?), die beiden rechten Buchstaben unvollständig ausgeformt.

Teil des Halses ergänzt.

Lit.: Hagen 1906, 410 Taf. 24 Abb. 38n. – Fremersdorf, Geformtes Glas 61. – CIL XIII 10025,26c (Bohn). – Isings 1957, 101.

Abb. 256. Form 49. Kat. 195. Inv. L 678.
Abb. 256. Form 49. Kat. 195. Inv. L 678.
Abb. 256. Form 49. Kat. 195. Inv. L 678. M. 1:2.

Kat. 196 Flasche, Inv. 67,1134

Grab 29

H. noch 4,7 cm. Boden 2,3 x 2,5 cm.

Glas farblos, dickwandig. Halbform.

Erhalten ist der untere Teil des vierkantigen Gefäßkörpers. Auf dem Boden, aus der Mitte verschoben, in Relief: Kreis­ring mit Mittelpunkt und vier Eckpunkten.

Lit.: unpubliziert.

Abb. 257. Form 49. Kat. 196. Inv. 67,1134.
Abb. 257. Form 49. Kat. 196. Inv. 67,1134.
Abb. 257. Form 49. Kat. 196. Inv. 67,1134. M. 1:2.

Kat. 197 Flasche, Inv. 69,72.4

Grab 51

H. 16,5 cm. Boden 3 x 3,2 cm.

Glas leicht grünlich, dickwandig. Halbform.

Vierkantiger Gefäßkörper, nach oben sich verbreiternd. Auf dem leicht eingewölbten Boden in Relief: zwei Hähne in Kampfstellung sowie an den Rändern umlaufend die Buchstaben VH/ODI/A (EVHODIA). Zylindrischer Hals etwa gleich hoch wie der Gefäßkörper. Rand horizontal weit nach außen gebogen und bis zur Hälfte wieder zurückgefaltet.

Zusammengesetzt. Zahlreiche Sprünge.

Lit.: Doppelfeld 1970, 18 Nr. 4. – von Boeselager 1989a, 27–29 Abb. 5a–b.

Abb. 259. Form 49. Kat. 197. Inv. 69,72.4.
Abb. 259. Form 49. Kat. 197. Inv. 69,72.4.
Abb. 258. Form 49. Kat. 197. Inv. 69,72.4. M. 1:2.

Kat. 198 Flasche, o. Inv.; verloren

Grab 103

H. unbekannt.

„Kleine gelbe Vierkantflasche, aus bröckeligem Glas“

Abb. 507, 10.

Grabtypus und Fundlage: Die Flaschen stammen aus Brandbestattungen. In den Gräbern 50 und 51 lagen Kat. 195 bzw. Kat. 197 jeweils innerhalb der Aschenkiste. In Grab 29 war Kat. 196 mit der Asche in der Grube niedergelegt. Grab 50 dürfte eine weibliche Bestattung gewesen sein, die beiden anderen waren ohne geschlechtsspezifische Beigaben.

Form und Technik: Nach der Darstellung des Merkurs auf dem Boden einiger Fundstücke werden Flaschen der Form 49 als Merkurflaschen bezeichnet[825]. Die relativ dickwandigen Gefäße aus undurchsichtigem grünlichen Glas wurden in eine Kastenform geblasen, die vermutlich aus vier Seitenteilen und einem Boden zusammengesetzt wurde. Da das Bodenrelief bei einigen Flaschen nicht zentriert sitzt, ist anzunehmen, daß der Bodenmodel mit dem Kasten nicht fest verbunden war und verrutschen konnte. Der Glasbläser hat zunächst den Gefäßkörper in die sog. Halbform geblasen. Dann hat er in einem zweiten Arbeitsschritt den hohen zylindrischen Hals frei geformt und den breiten Rand der Flasche gefaltet.

Der Boden von Kat. 196 zeigt einen plastisch hervortretenden Kreisring und vier Eckpunkte. Vergleichbare einfache Bodenreliefs sind aus Köln und Bonn bekannt[826]. Bei Kat. 195 wurde ein figürlicher Model mit vier Buchstaben benutzt, der beim Abdruck schief saß, so dass die beiden Buchstaben auf dem rechten Bodenrand unvollständig ausgeformt sind. Dies ist auch bei anderen Exemplaren mit Bodenmarken der Fall, so dass unterschiedliche Ergänzungen vorgeschlagen wurden. Nach Bohn sind es die Buchstaben G-R oben und H-O unten, Fremersdorf liest G-F oben und H-(?) unten. Die nächsten Parallelen sind ein Fundstück aus Xanten, heute im Britischen Museum, London[827] und eine Flasche in Boulogne-sur-Mer (Pas-de-Calais, F)[828]. Auch ein Exemplar in Corning, N.Y. hat entsprechende Buchstaben, die von D. Whitehouse zu G-F/H-I ergänzt wurden[829].

Die Buchstabenfolge G-F/H-I ist relativ häufig belegt; ihre Lesung wird durch vollständig ausgeformte Bodenmarken gesichert[830]. Die zugehörige Figur hält ein kolbenartiges Attribut aufgerichtet in der rechten Hand[831]. Bei Kat. 195 umgreift die Gestalt dagegen einen mit der Spitze nach unten weisenden Gegenstand. Daher ist von zwei Gruppen von Marken mit unterschiedlichen Darstellungen und Inschriften auszugehen, was bereits O. Bohn im Gegensatz zu F. Fremersdorf vertreten hat. In den Figuren der G-F/H-I-Marken wurden Merkur oder ein Athlet vermutet[832]. Bei Kat. 195 sprechen das lange Gewand, die langen Haare und der Bart gegen eine entsprechende Deutung der Figur.

Auf dem Boden der Flasche Kat. 197 erscheinen zwei Hähne in Kampfstellung sowie die unvollständig ausgeformte Inschrift EVHODIA am Rand[833]. Eine ähnliche figürliche Bodenmarke mit der Beischrift EVH/ODI/A und CA(?) zeigt die Flasche aus der Aschenkiste von Simpelveld[834]. Hahnenkämpfe waren ein beliebter Wettkampf der Römer. Das Bildmotiv ist u. a. von römischen Mosaiken belegt[835]. Die Sieger wurden, wie die Darstellungen zeigen, mit Preisen in Form von Palmzweigen und gefüllten Geldbeuteln belohnt. Die Inschrift EVHODIA kommt auch in Verbindung mit anderen figürlichen Motiven vor. Sie wurde zum ersten Mal auf einer vor 1693 in Arles gefundenen Flasche nachgewiesen und als Namenskürzel eines weiblichen bzw. männlichen Fabrikanten oder Hüttenbesitzers C. Euodia bzw. Euhodia oder Euhodianus gedeutet. Die Buchstaben sind in unterschiedlicher Weise angeordnet:

  1. die Buchstaben CEV/H-O/DIA sind auf die vier Bodenränder verteilt[836]. Im Innenfeld können zusätzlich die Buchstaben C R erscheinen[837],
  2. die Buchstaben EVHO/DIA stehen auf zwei Bodenrändern[838],
  3. die Buchstaben HE-V/OD-I/A-E sind in drei Reihen auf zwei Bodenrändern angeordnet[839],
  4. die Buchstaben EVHODIA erscheinen umlaufend parallel zu den Rändern (Kat. 197).

Die Inschrift kommt außer in Verbindung mit dem Bild des Hahnenkampfs auch mit anderen Tiermotiven vor[840].

Im Gegensatz zu Dressel, der einen männlichen Fabrikanten EVHODIA[NVS] annimmt, kann eine weibliche Glasherstellerin EVHODIA nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Wie zwei Vierkantflaschen mit dem Produzentennamen SENTIA SECVNDA aus einer Werkstatt in Aquileia belegen, gab es auch weibliche Fabrikanten, die ihre Glaswaren kennzeichneten[841]. Ein anderer Deutungsansatz geht von der Inschrift eines formgeblasenen Bechers der Slg. Löffler in Köln aus, der die griechische Wunschinschrift ΕΥΩΔΙΑ ΕΙΡΗΝΗ (Wohlgeruch, Frieden) trägt[842]. Im Anschluß an diese Wunschformel könnte man EVHODIA als die lateinische Transkription des griechischen Wortes deuten, das mit aspiriertem H zwischen den Vokalen geschrieben wurde[843]. Der Wunsch „Wohlgeruch, Duft“ wäre dann auf den Flascheninhalt zu beziehen.

Verwendung und Gefäßkombination: Die untersuchten Fundstücke sind ohne Inhaltstoffe. In zwei weiteren Exemplaren aus Köln ist eine gelbe eingetrocknete Salbmasse erhalten[844]. Bei einer Reihe von ‚Merkurflaschen‘ sind die Gefäßwände mit Palmzweigen verziert[845], was wie die Hahnenkämpfe auf einen Siegespreis anspielen könnte. Dieser hätte dann in einer Flasche, gefüllt mit Balsam oder ähnlichem, bestanden. In Grab 29 war die Flasche Form 49 die einzige Glasbeigabe.

Datierung: Grab 29 mit Kat. 196 ist in das 2. Jahrhundert, vielleicht sein zweites Drittel datierbar. Für Grab 50 mit Kat. 195 liefert eine etwas abgegriffene Münze einen terminus post quem von 180/183 n. Chr. Die Aschenkiste 51 mit Kat. 197 ist nach den keramischen Beifunden in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts in die Erde gekommen. Bisher gibt es in Köln keine weiteren ‚Merkurflaschen‘, die fundgesichert sind und Marken tragen, die mit denen auf Kat. 197 identisch sind[846]. Die Aschenkiste von Simpelveld mit einer Flasche, die eine ähnliche, jedoch nicht formgleiche Hahnenmarke aufweist, ist um 200 n. Chr. datierbar[847]. Das Vorkommen von Merkurflaschen in Brandgräbern der mittleren Kaiserzeit ist auch sonst belegt[848].